Wir
traten ein.
Die Prinzessin machte große Kulleraugen, und ich sah das
Polysandrion zum zweitenmal.
Hier war ein Traum Wahrheit geworden -- Gott behüte uns
davor! Der brave Polysander hatte etwa vierzig Quadratkilometer
teurer Leinwand voll gemalt, und da standen und ruhten nun die
Jünglinge, da schwebten und tanzten sie, und es war immer
derselbe, immer derselbe. Blaßrosa, blau und gelb; vorn waren
die Jünglinge, und hinten war die Perspektive.
»Die Schmetterlinge!« rief Lydia und faßte
meine Hand.
»Ich flehe dich an«, sagte ich, »nicht so
laut! Hinter uns kriecht die Aufwärterin herum, und die
erzählt nachher alles dem Herrn Maler. Wir wollen ihm doch
nicht weh tun.« Wirklich: die Schmetterlinge. Sie gaukelten
in der gemalten Luft, sie hatten sich auf die runden Schultern der
Jünglinge gesetzt, und während wir bisher geglaubt
hatten, Schmetterlinge ruhten am liebsten auf Blüten, so
erwies sich das nun als ein Irrtum: diese hier saßen den
Jünglingen mit Vorliebe auf dem Popo. Es war sehr lyrisch.
»Nun bitte ich dich ...«, sagte die Prinzessin. --
»Still!« sagte ich. »Der Freund!« Es
erschien der Freund des Malers, ein ältlicher, sympathisch
aussehender Mann; er war bravbürgerlich angezogen, doch schien
es, als verachtete er die grauen Kleider unsres grauen
Jahrhunderts, und der Anzug vergalt ihm das. Er sah aus wie ein
Ephebe a. D. Murmelnd stellte er sich vor und begann zu
erklären. Vor einem Jüngling, der stramm mit Schwert und
Schmetterling dastand und die Rechte wie zum Gruß an sein
Haupt gelegt hatte, sprach der Freund in schönstem baltischem
Tonfall, singend und mit allen rollenden Rrrs: »Was Sie hier
sehn, ist der völlich verjäistichte Militarrismus!«
Ich wendete mich ab -- vor Erschütterung. Und wir sahen
tanzende Knaben, sie trugen Matrosenanzüge mit Klappkragen,
und ihnen zu Häupten hing eine kleine Lampe mit Bommelfransen,
solch eine, wie sie in den Korridoren hängen --: ein
möbliertes Gefilde der Seligen. Hier war ein Paradies
aufgeblüht, von dem so viele Seelenfreunde des Malers ein
Eckchen in der Seele trugen; ob es nun die ungerechte Verfolgung
war oder was immer: wenn sie schwärmten, dann schwärmten
sie in sanftem Himmelblau, sozusagen blausa. Und taten sich sehr
viel darauf zu gute. Und an einer Wand hing die Photographie des
Künstlers aus seiner italienischen Zeit; er war nur mit
Sandalen und einem Hoihotoho-Speer bekleidet. Man trug also Bauch
in Capri.
»Da bleibt einem ja die Luft weg!« sagte die
Prinzessin, als wir draußen waren. »Die sind doch
keineswegs alle so...?« -- »Nein, die Gattung darf man
das nicht entgelten lassen. Das Haus ist ein stehengebliebenes
Plüschsofa aus den neunziger Jahren, keineswegs sind sie alle
so. Der Mann hätte seine Schokoladenbildchen gradesogut mit
kleinen Feen und Gnomen bevölkern können... Aber denk dir
nur mal ein ganzes Museum mit solch realisierten Wunschträumen
-- das müßte schön sein!«
»Und dann ist es so -- blutärmlich!« sagte die
Prinzessin. »Na, jeder sein eigner Unterleib! Und daraufhin
wollen wir wohl einen Schnaps trinken!« Das taten wir.
Stadt und Straßen... der große Tiergarten, der dem
König gehört und in dem die wilden zahmen Hirsche
herumlaufen und sich, wenn es ihnen grade paßt, am Hals
krauen lassen, und so hohe, alte Bäume...
Abfahrt. »Wie wird das eigentlich mit der Sprache?«
fragte die Prinzessin, als wir im Zug nach Helsingör
saßen.
»Du warst doch schon mal da. Sprichst du denn nun gut
schwedisch?« -- »Ich mache das so«, sagte ich.
»Erst spreche ich deutsch, und wenn sie das nicht verstehn,
englisch, und wenn sie das nicht verstehn, platt -- und wenn das
alles nichts hilft, dann hänge ich an die deutschen
Wörter die Endung as an, und dieses Sprechas verstehas sie
ganz gut.« Das hatte grade noch gefehlt. Es gefiel ihr
ungemein, und sie nahm es gleich in ihren Sprachschatz auf.
»Ja -- also nun kommt Schweden. Ob wir etwas in Schweden
erlebas? Was meinst du?« -- »Ja, was sollten wir wohl
auf einem Urlaub erleben...? Ich dich, hoffentlich.« --
»Weißt du«, sagte die Prinzessin, »ich bin
noch gar nicht auf Reisen, ich sitze hier neben dir im
Coupé; aber in meinem Kopf dröhnt es noch, und...
Allmächtiger Braten!« -- »Was ist?« --
»Ich habe vergessen, an Tichauer zu telephonieren!« --
»Wer ist Tichauer?« -- »Tichauer ist der Direktor
der NSW -- der Norddeutschen Seifenwerke. Und der Alte hat gesagt,
ich solle ihm abtelephonieren, weil er doch verreist... und da ist
die Konferenz am Dienstag... ach du liebes Gottchen, behüte
unser Lottchen vor Hunger, Not und Sturm und vor dem bösen
Hosenwurm. Amen.« -- »Also was wird nun?« --
»Jetzt werden wir telegraphieren, wenn wir in Helsingör
auf die Fähre steigen.
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