Ich sah ehrfürchtig
zu; sie war eßfest. »Du nimmst gar nichts?«
fragte sie zwischen zwei Heringen. Ich sah die beiden Heringe an,
die beiden Heringe sahen mich an, wir schwiegen alle drei. Erst als
die Fähre landete, lebte ich wieder auf. Und die Prinzessin
strich mir leise übers Knie und sagte ehrfürchtig:
»Du bischa meinen kleinen Klaus Störtebecker!« Und
ich schämte mich sehr.
Und dann ruckelten wir durch Laaland, das dalag, flach wie ein
Eierkuchen, und wir kramten in unsern Zeitungen, und dann spielten
wir das Bücherspiel: jeder las dem andern abwechselnd einen
Satz aus seinem Buch vor, und die Sätze fügten sich gar
schön ineinander. Die Prinzessin blätterte die Seiten um,
ich sah auf ihre Hände ... sie hatte so zuverlässige
Hände. Einmal stand sie im Gang und sah zum Fenster hinaus,
und dann ging sie fort, und ich sah sie nicht mehr. Ich tastete
nach ihrem Täschchen, es war noch warm von ihrer Hand. Ich
streichelte die Wärme. Und dann setzten sie uns wieder
über ein Meerwasser, und dann rollten wir weiter, und dann --
endlich! endlich! -- waren wir in Kopenhagen.
»Wenn wir nach hinten heraus wohnen«, sagte ich im
Hotel, »dann riecht es nach Küche, und außerdem
muß noch vom vorigen Mal ein besoffener Spanier da sein, der
komponiert sich seins auf dem Piano, und das macht er zehn Stunden
lang täglich. Wenn wir aber nach vorn heraus wohnen, dann
klingelt da alle Viertelstunde die Rathausuhr und erinnert uns an
die Vergänglichkeit der Zeit.«
»Könnten wir nicht in der Mitte ... ich meine
...« Wir wohnten also nach dem Rathausplatz zu, und die Uhr
klingelte, und es war alles sehr schön.
Lydia pickte auf ihrem Teller herum, mir sah sie bewundernd zu.
»Du frißt ...«, sagte sie freundlich. »Ich
habe schon Leute gesehen, die viel gegessen haben -- und auch
Leute, die schnell gegessen haben ... aber so viel und so schnell
...« -- »Der reine Neid --«, murmelte ich und
fiel in die Radieschen ein. Es war kein feines Abendessen, aber es
war ein nahrhaftes Abendessen.
Und als sie sich zum Schlafen wendete und grade die Rathausuhr
geklingelt hatte, da sprach sie leise, wie zu sich selbst:
»Jetzt auf See. Und dann so ein richtig schaukelndes Schiff.
Und dann eine Tasse warmes Maschinenöl ...« Und da
mußte ich aufstehen und viel Selterswasser trinken.
4
Ja, Kopenhagen.
»Soll ich dir das Fischrestaurant zeigen, in dem
Ludendorff immer zu Mittag gegessen hat, als er noch eine
Denkmalsfigur war?« -- »Zeig es mir ... nein, gehen wir
lieber auf Lange Linie!« -- Wir sahen uns alles an: den
Tivolipark und das schöne Rathaus und das Thorwaldsen-Museum,
in dem alles so aussieht, wie wenn es aus Gips wäre.
»Lydia!« rief ich, »Lydia! Beinah hätt ich
es vergessen! Wir müssen uns das Polysandrion ansehn!«
-- »Das ... was?« -- »Das Polysandrion! Das
mußt du sehn. Komm mit.« Es war ein langer Spaziergang,
denn dieses kleine Museum lag weit draußen vor der Stadt.
»Was ist das?« fragte die Prinzessin.
»Du wirst ja sehn«, sagte ich. »Da haben sich
zwei Balten ein Haus gebaut. Und der eine, Polysander von Kuckers
zu Tiesenhausen, ein baltischer Baron, vermeint, malen zu
können. Das kann er aber nicht.« -- »Und deshalb
gehn wir so weit?« -- »Nein, deshalb nicht. Er kann
also nicht malen, malt aber doch - und zwar malt er immerzu
dasselbe, seine Jugendträume: Jünglinge ... und vor allem
Schmetterlinge.« -- »Ja, darf er denn das?«
fragte die Prinzessin. »Frag ihn ... er wird dasein. Wenn er
sich nicht zeigt, dann erklärt uns sein Freund die ganze
Historie. Denn erklärt muß sie werden. Es ist
wundervoll.« -- »Ist es denn wenigstens
unanständig?« -- »Führte ich dich dann hin,
mein schwarzes Glück?«
Da stand die kleine Villa -- sie war nicht schön und
paßte auch gar nicht in den Norden; man hätte sie viel
eher im Süden, in Oberitalien oder dortherum vermutet ...
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