Hinter den Brettern sah er den traurigen Ritter stehen, der ratlos einen handbreiten Riß in seiner neuen Lederhose musterte. Lachend streckte Franzl die Hand über die Planke und klopfte ihn auf die Schulter. »Ja, Mannderl, bei uns kosten die Busserln Hosenfleck! In der Stadt sind s' billiger.«

Nach kurzem Weg erreichte der Jäger sein Heimwesen, ein freundliches Haus mit frisch geweißter Mauer und grünen Fensterläden, Hofraum und Garten mit Sorgfalt gepflegt, der ganze Besitz von einem hohen Staketenzaun umschlossen. Als Franzl das Pförtchen öffnete, erhob sich von einem der Gartenbeete ein alte Frau mit stillen Augen und weißem Faltengesicht, das von dem grauen, tief in die Schläfe gekämmten Haar wie von einer verblaßten Haube umrahmt war.

»Grüß dich Gott, Bub!«

»Grüß Gott, Mutter! Wie geht's allweil?«

»Es tut's. Und dir? Is dir's allweil gut gangen am Berg?«

»Am Berg? Da droben geht's eim allweil gut!« lachte Franzl.

Seine Mutter schien ein feines Ohr zu haben. Dieses Lachen klang nicht wie sonst. Und die Liebe in Menschen, die Unglück erfuhren, ist immer furchtsam. Forschend hingen die Augen der Försterin an ihrem Sohn. »Franzl? Hat der Herr Graf wieder gscholten? Oder fangt der Schipper seine scheinheiligen Gschichten wieder an?«

»Gott bewahr! Nix, gar nix! Mußt dir denn allweil Sorgen machen, wo keine sind?« Er faßte die Hand der Mutter und streichelte die welken Finger. »Geh, du Sorgenhaferl, du alts!«

Die Horneggerin, wenn einmal eine Sorge in ihr wach geworden, war so leicht nicht wieder zu beruhigen. »Warum kommst denn heim? Mitten unter der Woch?«

»Treiber muß ich bstellen, der Herr Graf will riegeln. Und was ich fragen will, Mutter – is bei uns net grad a Madl vobeigangen?«

»Ja. Warum fragst? Hast es nimmer kennt? Bist doch mit ihr in d' Schul gangen! Die Bruckner-Mali!«

»Die Maaali?« Der Name hing ihm an der Zunge wie ein zehnsilbiges Wort. Daß er aber auch die Mali nicht gleich erkannt hatte! Als Kinder waren sie unzertrennlich gewesen, bis im Försterhaus das blutige Unglück Einkehr hielt, vor vierzehn Jahren. Da war der Bub durch Wochen nicht von der Seite der Mutter gewichen; und als er eines Abends die kleine Freundin wieder suchte, war sie verschwunden. Eine ältere Schwester, die in eine weit entfernte Ortschaft geheiratet, hatte das Mädel zu sich genommen. Und jetzt war die Mali wieder heimgekehrt? Sie hatte sich sauber ausgewachsen! Und weshalb sie gekommen war, das meinte Franzl zu erraten. Dem Bruckner, ihrem Bruder, war das Weib gestorben, er hatte drei Kinder, Not und Krankheit in der Stube. Da waren ihm zwei gesunde Arme zur Hilfe mehr als nötig. Und daß die Mali zwei feste Arme besaß, davon hatte Franzl sich vor einem Viertelstündchen zur Genüge überzeugt – er und noch ein anderer!

»Die Mali! Jetzt is dös gar die Mali gwesen!« Mit vergnügtem Schmunzeln schüttelte Franzl den Kopf und folgte der Mutter ins Haus.

Der Abend sank, und aus den Wiesen begann ein dünner Nebel zu dampfen, der sich gleich einem weißen Schleier über die Haselnußstauden aller Pfade legte. –

Noch vor Einbruch der Dämmerung hatten auch Kitty und Tante Gundi das Parktor von Schloß Hubertus erreicht. Auf dem ganzen Wege hatten sie kein Wort miteinander gewechselt. Als aber Gundi Kleesberg die Hand nach der Torklinke streckte, verstellte ihr Kitty den Weg.

»Tante Gundi? Bist du mir böse?«

»Ach, Kind!« Die Kleesberg umschlang mit beiden Armen das Mädchen und küßte ihm die Wange so zärtlich, wie nur eine bekümmerte Mutter ihr Kind zu küssen vermag. »Wie kann ich dir böse sein? Ich hab' dich lieb. Und habe nur dich. Wir beide brauchen uns. Ich bin deine Mutter, du bist mein Kind!«

Sie betraten den Park, und klirrend fiel hinter ihnen das hohe, schmiedeeiserne Tor ins Schloß. Es hallte unter den Bäumen, und ein ungestümes Flattern und Gerüttel ließ sich vernehmen.

Eine breite Allee, von alten Ulmen halb überdacht, führte in gerader Linie zum Schlosse. Blumenduft und Heugeruch erfüllten die Luft. Inmitten der Allee weitete sich ein großes Kiesrondell, auf dem sich ein mächtiger, aus Eisenstangen und grobem Drahtgeflecht gebildeter Käfig erhob.