»Es mußte notwendig vor morgen früh bestellt sein.«
»In Ordnung, Mutter?« Und wie ein Jubel lachte es aus ihm heraus. »Ja, Mutter, schlaf nur, es ist alles jetzt in Ordnung!«
– – Am andern Morgen freilich, wo der Sohn mit seinem übervollen Herzen die Mutter am Frühstückstisch erwartet hatte, blieb dieser der Zusammenhang nicht mehr verborgen. Der Zweck des so entschlossen ausgeführten Besuches war somit erreicht, aber es schien fast, als habe er dadurch an seinem Werte eingebüßt; Frau von Schlitz saß da, als ob sie einen inneren Widerstreit zu schlichten habe. »Nun, Rudolf«, sagte sie endlich, da der Sohn wie bittend ihre beiden Hände faßte, »du hättest freilich andere Ansprüche machen dürfen; aber wir Frauen sind dankbarer als ihr Männer, und so wollen wir denn hoffen, das Mädchen werde sich dir um so mehr verpflichtet fühlen.«
Was Rudolf außer der mütterlichen Zustimmung aus diesen Worten hörte, konnte kaum nach seinem Sinne sein; aber er war zu glücklich, um dawider jetzt zu streiten. Und so gingen sie denn, als der Vormittag weiter heraufgerückt war, miteinander nach dem Pfarrhause; der Sohn mit beklommenem Atemholen, wie wer die Pforte seines Glückes noch erst öffnen geht, Frau von Schlitz mit einem Lächeln der Befriedigung das frohe Staunen der guten Pastorsleute vorgenießend.
Auch wurde bei Annas Mutter ihre Erwartung nicht so ganz getäuscht; aber immerhin war bei dieser doch wesentlich das romantische Forsthaus aus dem »Freischütz«, das vor dem entzückten Mutterauge stand: konnte es denn eine schönere Agathe als ihre blonde Anna geben? – Der Pastor selbst war abwesend, er hatte auf einem der entlegensten Dörfer seines Kirchspiels eine Taufe zu vollziehen. Als er abends, da schon die Kinder in den Betten waren, heimkam, wurde auch bei ihm die Werbung angebracht; aber Rudolfs Mutter mußte es erleben, daß auf die bescheidenen Worte ihres Sohnes nur ein ernstes Schweigen des sonst so heiteren Mannes folgte. Vielleicht mochte es sich diesem wieder vor die Seele stellen, daß dem jugendlichen Bewerber, wie er es wohl scherzend schon für sich bezeichnet hatte, von der langen Weibererziehung noch etwas zwischen seinen braunen Locken klebe; vielleicht, daß er seine »königliche Tochter«, wie er sie in seinem Herzen nannte, einer sichereren Hand als dieser hätte anvertrauen mögen; am Ende mochte es gar Bernhard sein, den er dabei im Sinne hatte.
Auch Frau von Schlitz kam der Gedanke, und sie spürte schon den Antrieb, mit einigem Geräusche aufzustehen und ihrerseits die Unterhandlung kurzweg abzubrechen. Zum Glück begann der Pfarrer jetzt zu sprechen: es lag nicht in seiner Absicht, Hindernisse gegen Rudolfs Antrag aufzusuchen; er hatte sich nur sammeln müssen und tat jetzt ruhig eine und die andere Frage, welche nicht wohl unbeachtet bleiben konnten. Dann wurde Anna hereingerufen, und der Vater legte sein Kind an die Brust des ihm vor wenig Wochen noch völlig fremden Mannes; Frau von Schlitz aber ging an diesem Abend mit einem Unbehagen schlafen, über dessen verschiedene Ursachen sie vor sich selber jede Rechenschaft vermied.
Am Morgen, der dann folgte, erschien Rudolf nicht zum Frühstück; als die Mutter in seine Kammer ging, fand sie das Bett leer und augenscheinlich seit lange schon verlassen; erst nach einer weiteren Stunde trat er zu ihr in das Zimmer. Es war ihr nicht entgangen, daß seine Bewegungen hastig, daß ein unstetes Feuer in seinen Augen war; aber sie bezwang sich. »Du kommst wohl von einem weiten Spaziergange?« frug sie scheinbar ruhig.
»Ja, ja; ich bin recht weit umhergelaufen.«
»Aber dir ist nicht wohl! Du hast dich überanstrengt.«
»Du irrst, Mutter, ich bin kräftig wie je zuvor.«
»So sprich, was ist dir denn? Und laß mich nicht in solcher Angst!«
Rudolf war auf und ab gegangen; jetzt hielt er inne. »Mutter«, sagte er düster, »ich habe gestern übereilt gehandelt.«
Er wollte weitersprechen, aber die Mutter unterbrach ihn: »Du, Rudolf, übereilt? Das war nie deine Art! Und, gestern, sagst du? Gestern?«
Er nickte schweigend ; sie aber ergriff leidenschaftlich beide Hände ihres Sohnes: »Bereust du, Rudolf? Hat nur die Gegenwart des anderen Bewerbers dich so weit hingerissen? Wer weiß, du hättest vielleicht nur ein paar Tage noch zu warten brauchen ; und auch jetzt noch – –«
»Mutter!« rief er heftig, und dann: »Ich weiß von keinem anderen Bewerber.«
Frau von Schlitz besann sich. »Nun wohl«, entgegnete sie trocken, wie durch den ungewohnten Ton gekränkt, »was willst du denn von deiner Mutter?«
»Sag mir nur eines«, begann er zögernd; »weiß man hier von meiner Krankheit, von meinem Aufenthalte in der Anstalt? Hat Anna davon gewußt?«
Frau von Schlitz atmete tief auf: »Sei ruhig, mein Sohn; auch für sie, wie für alle Welt, war es – und es war ja auch in Wirklichkeit nichts anderes – nur eine Reise zur Erholung von schwerem Nervenübel.«
Aber die Augen des Sohnes blieben düster. »Ich dachte es«, sagte er; »und nun liegt es zwischen mir und meinem Glück. Gott weiß es, in ihrer Nähe war jene furchtbare Erinnerung spurlos in mir verschwunden, und erst heute nacht, da ich vor Übermaß des Glücks nicht schlafen konnte, brach es jäh, wie ein Entsetzen, auf mich nieder. Wie soll ich jetzt noch zu ihr sprechen, und wird sie mir glauben können, daß ich nicht absichtlich sie betrogen habe?«
Die Mutter schwieg noch eine Weile, während die Augen des Sohnes angstvoll auf ihrem Antlitz ruhten. »Du hast recht, Rudolf«, begann sie dann nach rascher Überlegung; »vielleicht würde deine Braut es dir nicht glauben; oder wenn auch deine Braut, so würden später bei deiner Frau doch Zweifel kommen. Und nicht nur das: wir wissen, daß es eine Krankheit war, die, wie andere, gekommen und gegangen ist; aber Frauenliebe sieht leicht Gespenster, die das teure Haupt bedrohen; sie könnten mit euch gehen in euerer jungen Ehe.«
Rudolf hatte sich plötzlich aufgerichtet, aber er war totenblaß geworden. »Es ist noch keine Ehe«, sagte er; »noch kann sie ihre Hand zurücknehmen, die sie so arglos in die meine legte.«
»Zurücknehmen, Rudolf?« Frau von Schlitz zögerte ein wenig, bevor sie fortfuhr: »Hast du nie von Frauen gehört, die nur einmal lieben können und dann nie wieder? Ich möchte glauben, deine Braut gehört zu diesen.«
Die Worte klangen süß in seine Ohren, und in seinen Augen leuchtete es wie von einem Strahl des Glückes, dann aber schüttelte er den Kopf, daß das braune Haar ihm wirr um Stirn und Augen flog: »O Mutter; aber es ist dennoch Unrecht!«
Er hatte die Worte so laut hervorgestoßen, daß sie rasch zum Fenster trat, an dem ein Gartensteig vorüberführte. »Kein Unrecht!« sagte sie, sich wieder zu ihm wendend; »das einzige Rechttun liegt in deinem Schweigen; und überdies: was hast du zu verschweigen?«
Unentschlossen, in schwerem Sinnen stand er vor der Mutter, während ihre Augen gespannt auf seinem Antlitz ruhten. Als er noch immer schwieg, streckte sie ihm die Hand entgegen: »Ich will dich nicht drängen, Rudolf; eines nur versprich mir: heute noch zu schweigen und – ohne Vorwissen deiner Mutter nicht daran zu rühren!«
Rudolf hatte noch nicht geantwortet, da pochte ein leichter Finger von außen an die Tür. Anna war halb verschämt hereingetreten und stutzte jetzt ein wenig, da sie so ernsthafte Gesichter vor sich sah; aber schon hatte Rudolfs Mutter das Wort an sie gerichtet: »Du suchst wohl deinen ungetreuen Bräutigam, mein liebes Kind; und recht hast du, er hätte lieber mit dir als mit der alten Mutter plaudern sollen!«
»Verzeihen Sie, Mama«, erwiderte das junge Mädchen lächelnd; »aber die Kinder lassen mir nicht Ruh, sie wollen alle ihren neuen Schwager sehen; Käthe ist mitgelaufen und lauert draußen, die andern stehen zu Hause vor der Tür; sie bettelten so lange, bis wir ihnen allen ihre besten Kleider angezogen hatten. – Du gehst doch mit mir, Rudolf?« setzte sie mit gedämpfter Stimme dann hinzu, indem sie den Kopf zu ihrem Liebsten wandte und ihn voll mit ihren lebensfrohen Augen ansah.
Die Mutter lächelte, denn wie vor einem Morgenhauche sah sie die Wolke von des Sohnes Stirn verschwinden. »Nun, Rudolf?« sagte sie und streckte jetzt noch einmal ihm die Hand entgegen.
Er hatte die leis betonte Frage wohl verstanden; aber, die Augen auf seiner jungen Braut und mit der einen Hand die ihre fassend, legte er die andere mit festem Druck in die der Mutter.
»So geht, ihr Glücklichen!« sagte diese.
Sie gingen, und Frau von Schlitz lehnte sich wie ermüdet auf ihren Stuhl zurück. »Hübsch ist sie; zum mindesten hier, so zwischen Wald und Wiesen!« Halb lächelnd hatte sie es vor sich hin gemurmelt; dann stand sie auf, um ihre Morgentoilette zu vollenden.
Der Nachmittag des letzten Sonntags war herangekommen ; auch Mutter und Sohn sollten sich am andern Tage trennen: erstere, um sich in der Residenz in ihren niedrigen Zimmern einzuwintern, Rudolf, um nach langer Frist in sein leeres Försterhaus zurückzukehren, das er bis zum Frühjahr noch allein bewohnen sollte; am folgenden Tage hatte er dann sich bei der Exzellenz zu melden, welche der Jagd wegen noch die letzten Herbstwochen auf dem Lande blieb.
Schweigend hatte er seinen Koffer gepackt, während die Mutter noch zwischen Päckchen und Schachteln umherhantierte. »Geh nur zu deiner Braut!« sagte sie zu dem ihr müßig Zuschauenden; »es sieht hier öde aus; was übrig ist, besorge ich schon allein!«
Rudolf küßte die Hand seiner Mutter und ging. Als er die Dorfstraße eine Strecke weit hinabgeschritten war, sah er aus der Fahrpforte des Pfarrhauses einen Reiter sich entgegenkommen, der, wie es schien, bei seinem Anblick das Pferd in rascheren Gang setzte und dann im Galopp an ihm vorüberritt. »Bernhard!« rief er; aber der Reiter hatte nur mit seinem Hut gegrüßt und war jetzt schon weit von ihm entfernt. Eine Weile blickte Rudolf ihm nach. ›So laß ihn reiten!‹ dachte er und ging langsam weiter.
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