Aber ich hab' es doch nicht vergessen, das Unvergeßliche.

Ich kehre wie eine Hellseherin aus dem Himmel auf die Erde zurück und bemerke nur, daß diesem zweiten Weihnachtfest der Ruprecht, da er ihm nicht vorlief, nachlief und ich nach Hause kommend schon unterwegs den Boten fand und zu Hause stark gescholten wurde über mein Auslaufen. Gewöhnlich fällt immer nach zu heißen Silberblicken der Glücksonne ein solcher Schlossen- und Schlackenguß. Was tat es mir? Mein Paradies war durch nichts zu ersäufen; denn blüht es nicht noch heute fort bis an diese Feder heran?

Es war, wie gesagt, der erste Kuß, und zugleich, wie ich glaube, der letzte dazu, wenn ich nicht absichtlich, da sie noch lebt, nach Schwarzenbach fahren und da einen zweiten geben will. Wie gewöhnlich nahm ich während meines ganzen Schwarzenbacher Lebens mit meiner telegraphischen Liebe vorlieb, welche noch dazu ohne einen antwortenden Telegraphen sich erhalten und beantworten mußte. Aber wahrlich, niemand tadelt die Gute weniger als ich, wenn sie damals schwieg oder jetzo noch – nach ihres Mannes Tode –; denn ich mußte mich später in fremdes Lieben und Herz immer erst langsam hineinreden; es half mir nichts, daß ich sogleich mit fertigem Gesicht und allem Außen schon dastand; allen diesen körperlichen Reizen mußte später erst die Folie der geistigen von mir unterlegt werden, bevor sie genugsam glänzten und blendeten und zündeten. Aber dies war eben das Fehlerhafte in meiner unschuldigen Liebezeit, daß ich, ohne Umgang mit der Geliebten, ohne Gespräche und Einleitung, ihr bei meiner dürren Außenseite die ganze Liebe auf einmal hervorgefahren zeigte und kurz daß ich ordentlich als der Judenbaum vor ihr stand, der ohne den Umschweif von Ästen und Blättern [die weiche feine Blüte aus der unansehnlichen Rinde hervortreibt.]

 

Abendmahl

 

Das Abendmahl steht auf dem Lande oder noch richtiger unter rechten Christen nicht bloß als eine christliche toga virilis da; nicht wie in Städten für Mädchen als die Einkleidung weniger in Nonnen als in Jungfrauen, sondern es ist die höchste und erste geistliche Handlung, das Bürgerwerden in der Gottes-Stadt; erst jetzo wird die frühere Wassertaufe eine wahre Feuertaufe und das erste Sakrament steht im zweiten verklärt und lebendiger wieder auf. Vollends Kinder eines Geistlichen, welche so oft die Augen- und Ohrenzeugen fremder Vorbereitungen zu diesem Sonnentage des Herzens gewesen, nähern sich ihm mit größerer Ehrfurcht. Diese stieg noch höher in mir durch den einjährigen Aufschub der Handlung, da meinem Vater das gesetzmäßige Alter von zwölf Jahren durch den 21ten März nicht reichlich genug abgelaufen zu sein schien.

Nun gebt diesen warmen Tagen der Religion noch einen Feuersprecher – nicht Besprecher – wie der Rektor ist, der uns die schreckliche, bloß dieser Religionhandlung eigentümliche Bedingung glühend vor die Seele hält, daß das Abendmahl, unbußfertig genossen, gleichsam wie ein Meineid, statt des Himmels eine Hölle gebe und daß ein Erlöser und Heiliger in einen unreinen Sünder einziehen und die seligmachende Kraft seiner persönlichen Gegenwart in eine vergiftende verwandeln müsse. Heiße Tränen, die er selber mit vergießen half, waren das wenigste, was seine Herzrede aus mir und andern hervortrieb; glühende Reue des vorigen Lebens und feurige Schwüre auf ein tadelloses füllten die Brust aus und arbeiteten nach seinem Schweigen darin fort. Wie oft ging ich vor dem Beichtsonnabende unter den Dachboden hinauf und kniete hin, um zu bereuen und zu büßen! Und wie wohl tat es dann an dem Beichttage selber, noch allen geliebten Menschen, Eltern und Lehrern, mit stammelnder Zunge und überfließendem Herzen alle Fehler abzubitten und diese dadurch gleichsam zu entsühnen.

Aber dann ruhte auch am Beichtabende ein sanfter lichter heller Himmel der Ruhe in der Seele, eine unaussprechliche nie wiederkommende Seligkeit, sich ganz rein, nämlich gereinigt und entsündigt zu fühlen, mit Gott und den Menschen einen heitern weiten Frieden abgeschlossen zu haben; und doch sah ich aus diesen Abendstunden des milden warmen Seelenfriedens noch auf die Morgenstunden der himmlischen Begeisterung und Entzückung am Altare hinaus.

Selige Zeit, wo der Mensch die schmutzige Vergangenheit von sich abgeschält hat und rein und weiß frei und frisch in der Gegenwart steht und so mutig in die Zukunft tritt! Wem aber kann sie wiederkehren als Kindern? – Denn in jener glücklichen Jugendzeit ist der volle Seelenfriede leichter zu gewinnen, weil der Kreis von Opfern, die er fodert, kleiner ist und die Opfer geringfügiger; indes die verworrenen und ausgedehnten wichtigen Verhältnisse des ältern Menschen durch Lücken und Zögern vollständiger Hingebung den himmlischen Regenbogen des Friedens nur unvollendet und nicht wie die Frühzeit, zu einem Zirkel zusammengewölbt zulassen. Im zwölften Jahre kann die Begeisterung einen ganz Reinen erschaffen, aber nicht im Alter. Auch der Jüngling wie die Jungfrau haben bei allen ihren Feuertrieben einen leichtern und nähern Weg zur höchsten sittlichen Reinheit, als der ist, welchen der Mann oder die Frau mit kältern und eigennützigern Strebungen durch die Wildnis der Plagen und Sorgen und Arbeiten zurückzulegen finden. Der rechte Mensch ist irgend einmal in frühester Zeit ein Diamant vom ersten Wasser, wasserhell ohne Farbe; dann wird er einer vom zweiten und spielt mehre Farben, bis er endlich zu einem Farbensteine sich verdunkelt.

Am Sonntagmorgen versammelten sich die für den Opferaltar geschmückten Knaben und Mädchen im Pfarrhofe zum Feiereinzuge in die Kirche unter Geläute und Gesang. Alles dieses und sogar der Festanzug und der Blumenstrauß und die verdunkelnden duftenden Birken im Hause und im Tempel wurden für die junge Seele, deren Flügel schon in der Bewegung und in der Höhe waren, noch vollends ein mächtiges Wehen in die aufgespannten Flügel hinein. Sogar der langen Predigt war [das] Herz mit seinem Feuer gewachsen; bloß Kämpfe wurden unter ihr gegen jeden Gedanken, der nur weltlich und nicht heilig genug war, geführt.

Als ich nun endlich von meinem Vater das Abendmahlbrot empfing und von dem jetzo rein geliebten Lehrer den Kelch: so erhöhte sich die Feier nicht durch den Gedanken, was sie mir beide waren, sondern mein Herz und Sinn und Feuer war bloß der Seligkeit und dem Empfange des Heiligsten hingegeben, der sich mit meinem Wesen vereinigen sollte; und die Seligkeit stieg bis zum körperlichen Gefühlblitze der Wunder-Vereinigung.

So trat ich mit einem reinblauen und unendlichen Himmel im Herzen weg vom Altare; aber dieser Himmel offenbarte sich mir durch eine unbeschränkte von keinem Flecken getrübte sanfte Liebe, die ich jetzo für alle, alle Menschen empfand. Die Erinnerung der Seligkeit, wie ich alle Kirchgänger mit Liebe ansah und alle in mein Inneres aufnahm, hab' ich bis jetzo lebendig und jugendlich-frisch in meinem Herzen aufbewahrt. Die weiblichen Mitgenossinnen des h. Tisches wurden mir mit ihren Brautkränzen als Bräute Christi nicht nur geliebter, sondern auch heiliger; und ich schloß sie alle in ein so weites reines Lieben ein, daß auch die von mir geliebte Katharina nach meiner Erinnerung nicht anders von mir geliebt wurde als alle übrigen.

Die ganze Erde blieb mir den ganzen Tag ein aufgedecktes großes Liebemahl und das ganze Gewebe und Gespinste des Lebens stand als eine leise sanfte Wind- oder Ätherharfe da, welche der Atem der Liebe durchweht. Wenn schon der Menschenfeind sogar ein künstliches Vergnügen aus einem von keiner Ausnahme beschränkten Abneigen erpressen kann: von welcher unsäglichen Süßigkeit ist erst ein allgemeines Lieben aller Herzen in dem schönen noch von keinen Verhältnissen verwickelten und verletzten Alter, dessen Sehkreis noch eng ist und dessen Arme noch kurz, dessen Glut aber desto dichter. Und wollen wir uns nicht die Freude gönnen, den überfließenden Himmel uns auszuträumen, welcher uns aufnehmen müßte, wenn wir ebenso im höhern heißern Brennpunkte einer zweiten Weltjugend mit höhern Kräften liebend ein größeres Geisterreich umfaßten und das Herz von Leben zu Leben immer weiter machten für das All? –

Aber im beweglichen Menschen kann leichter alles sich beständig oben erhalten [als] das Reinste und Beste, wie im Quecksilber alle Metalle oben bleiben, aber das Gold untersinkt. Das Leben duldet wie nach Goethe die Sonne kein Weiß. Nach wenigen Tagen entwich das köstliche Bewußtsein dieses Standes der Unschuld, weil ich gesündigt zu haben glaubte, daß ich mit einem Steine geworfen und mit einem Schulfreunde gerungen und zwar beides nicht aus Feindschaft, sondern in schuldloser Spiellust. Aber ewiger Dank gehört dem allgütigen Genius. Jedem Feste folgen Werkeltage; aber aus ihm gehen wir neugekleidet in diese; und das vergangne führet über sie hinweg zu einem neuen wieder. Dieses Lenzfest des Herzens kam später in den Jünglingjahren, nur aber als ein ruhiger heiterer Sabbat zurück, als vor mir zum ersten Male aus Plutarch und Epiktet und Antonin die alten großen stoischen Geister aufstiegen und erschienen und mir alle Schmerzen der Erde und alles Zürnen wegnahmen; aber von diesem Sabbat hoff' ich vielleicht ein ganzes Sabbatjahr zusammengebracht zu haben, oder das, was daran abgeht, noch nachtragen zu können.

 

Fußnoten

 

1 Über so allgemeine kalte leere, alles und nichts fodernde Schreibaufgaben wie z.B. Lob des Fleißes, Wichtigkeit der Jugend könnte kaum der reichste und reifste Kopf etwas Lebendiges ausbrüten. Wieder andere übervolle zu große wie z.B. Vergleichung von alten Feldherrn, Abwägungen der alten Regierformen sind Straußeier, auf welchen der Schüler mit seinen zu kleinen Flügeln vergeblich sitzt und brütet und niemanden warm macht als sich selber. Schöner stehen zwischen beiden Arten die vollen an sinnlichen oder an historischen Stoffen: z.B. Darstellung einer Feuerbrunst, des Jüngsten Tages, der Sündflut, Beweis ihrer Nicht-Allgemeinheit.

 

 

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