Klavier und Generalbaß erhoben ihn zwei Jahrzehende später zu einem geliebten Kirchenkomponisten des Fürstentums Baireuth. An Karfreiabenden erfreuete er oft sich und uns Kinder mit den Darstellungen der heiligen Allmacht, womit an eben diesen Tagen die Töne in katholischen Kirchen die Seelen hoben und heiligten. Ich muß leider bekennen, daß mir, als ich vor einigen Jahren in Regensburg war, unter allen dortigen Antiken und Vergangenheiten – nicht einmal den Reichstag ausgenommen – das väterliche gedrückte Leben die wichtigste war; und ich dachte im Thurn und Taxischen Palast und in den engen Gassen, wo ein paar Dickbäuche ein schweres Ausweichen haben, oft an die einklemmenden Wege und engen Pässe seiner Jugendtage. Darauf studierte er statt der Tonkunst in Jena und Erlangen Theologie, vielleicht bloß um in Baireuth, wo sein Sohn alle diese Nachrichten sammelt, als Hauslehrer eine Zeit lange, d.h. bis in sein 32tes Jahr, sich abzuplagen. Denn schon 1760 rang er dem Staate den Posten eines Organisten und Tertius in Wonsiedel ab; und machte sonach unter dem Baireuther Markgrafen mehr und früheres Glück als jener Kandidat in Hannover, wovon ich gelesen, welcher 70 Jahre alt wurde und doch keine andere Stelle in der Kirche bekam als eine darneben im Kirchhofe.
Nur fürchte aus dem bisherigen ja niemand von meinen Zuhörern, daß sie etwan einen Vater von mir vorbekommen, welcher erbärmlich wie einige neuere Überchristen in tränennasse Schnupftücher eingewindelt daherzieht; er lebte auf Flügeln, und wurde als der anmutigste Gesellschafter voll Scherz in den Familien von Brandenburg und Schöpf gesucht. Die Kraft des geselligen Scherzes begleitete ihn durch sein ganzes Leben, indes er im Amte als strengster Geistlicher und auf der Kanzel als sogenannter Gesetzprediger galt. In seiner Vaterstadt gewann er durch seine begeisterten Predigten seine Anverwandten, in Hof im Vogtland noch etwas Wichtigeres, eine Braut und was noch schwerer war, die reichen Schwiegereltern dazu. Wenn ein Bürger, der durch Tuchmachen und Schleierhandel wohlhabend geworden, von seinen zwei einzigen Töchtern die schönste kränklichzart gebildete und geliebteste einem dürftigen Tertius, der mit seinen Gläubigern eine Tagreise von ihm wohnt, nicht versagt: so konnte auf der einen Seite dieser Tertius nur mit vielem Verdienste der persönlichen Erscheinung und mit dem Ruhm und Eindruck großer Kanzelgaben Tochter und Eltern erobert haben, und auf der andern mußte in dem Tuchmacher eine über sein Tuch und Geld erhobene Seele wohnen, für welche der Stand des Talents und der geistlichen Würde in einem höhern Lichte erschien als der gleißende Silberhaufe eines gemeinen Wesens. Im Jahre 1761 den 13ten Oktober ging die Liebende als Braut mit ihren Schätzen in sein enges Schulhäuschen, das er zum Glück ohnehin durch kein Hausgeräte noch enger gemacht. Sein heiteres Leben, seine Gleichgültigkeit gegen Geld verbunden mit seinem Vertrauen auf seine Haushälterin ließen in der Tertiat-Konchylie überflüssig-leeren Raum für alles offen, was aus Hof von fahrender Habe Platz nehmen wollte; – aber meine Mutter – so waren die damaligen Eheleute und einige jetzige – stieß sich in der ganzen Ehe so wenig an diese Leerheit als mein Vater selber. Der kräftige Mann muß den Mut haben, ebensogut eine Landreiche zu ehelichen als eine Hausarme.
In meinen historischen Vorlesungen wird zwar das Hungern immer stärker vorkommen – bei dem Helden steigts sehr – und wohl so oft als das Schmausen in Thümmels Reisen und das Teetrinken in Richardsons Clarisse; aber ich kann doch nicht umhin, zur Armut zu sagen: sei willkommen, sobald du nur nicht in gar zu späten Jahren kommst. Reichtum lastet mehr das Talent als Armut und unter Goldbergen und Thronen liegt vielleicht mancher geistige Riese erdrückt begraben. Wenn in die Flammen der Jugend und vollends der heißen Kräfte zugleich noch das Öl des Reichtums gegossen wird: so wird wenig mehr als Asche vom Phönix übrig bleiben; und nur ein Goethe hatte die Kraft, sogar an der Sonne des Glücks seine Phönixflügel nicht kürzer zu versengen. Der arme historische Professor hier möchte um vieles Geld nicht in der Jugend viel Geld gehabt haben. Das Schicksal macht es mit Dichtern wie wir mit Vögeln und verhängt dem Sänger so lange den Bauer finster, bis er endlich die vorgespielten Töne behalten, die er singen soll.
Nur aber verschone, gerechtes Geschick, einen alten Menschen mit Darben! Der, gerade dieser soll und muß etwas haben; seinen Rücken haben schon die schweren Jahre zu krumm gebogen, und er kann sich nicht mehr aufrichten und wie Jünglinge Lasten leicht tragen auf dem Kopfe. Der alte Mensch braucht die Ruhe in der Erde schon auf ihr; denn er hat ja keine pflanzende blühende Zukunft mehr als Folie für seine Gegenwart. Er will zwei Schritte vom letzten und tiefsten Schlafbette ohne andere Vorhänge als Blumen im Großvaterstuhl des Alters noch ein wenig ruhen und schlummern und noch einmal halb im Schlafe die Augen aufmachen und die alten Sterne und Wiesen seiner Jugend anschauen, und ich habe so wenig dagegen – da er doch sein Wichtigstes getan hat, sogar für die andere Welt – wenn er sich abends freuet auf sein Frühstück und am Morgen auf sein Bett und wenn ihn als zum zweiten Male ein Kind die Welt unter den unschuldigen Sinnenfreuden entläßt, womit sie ihn als erstes aufgenommen.
Nur einen einzigen Fehlentschluß meines Vaters könnte man vielleicht auf die Rechnung der Dürftigkeit setzen, daß er nämlich anstatt sein ganzes musikalisches Herz der Tonmuse zu geloben, wie ein Mönch [sich] dem Predigtamte hingab und daß [er] sein Ton-Genie in eine Dorfkirche begraben ließ. Freilich war damals – zumal nach der Meinung bürgerlicher Schwiegereltern – das Kirchenschiff das Proviant- und Luftschiff, und der dürftige Musensohn suchte in den Kanzelhafen einzulaufen. Aber wer eine nicht von Bedürfnissen und Abrichtungen aufgedrungne mit ihm aufgewachsene Deklination und Inklination seiner Magnetnadel in sich fühlt: der folge ihrer Weisung getrost als einer Nadel durch die Wüste hin. Hätte gegenwärtiger Professor der eignen Geschichte seinem Vater, wie dieser es selber begehrte, nachgeahmt: so hielte er jetzo statt dieser Vorlesungen heilige Amtreden, sowohl Kasual- als andere Reden und etwan im »allgemeinen Magazin für Prediger« dürft' er stehen, nur leider dasselbe über Gebühr anschwellend.
Aber mein Vater wurde im Grunde weder sich noch der Ton-Muse untreu. Besuchte sie ihn denn nicht als alte Geliebte im Nonnengewande der heiligen Jungfrau und brachte ihm im einsamen tonlosen Pfarrdorf Joditz jede Woche Kirchenmusiken mit? – Und auf der andern Seite wohnte noch eine andere Kraft neben seiner musikalischen in ihm und suchte ihren Spielraum, die Kanzel; denn wenn gewöhnlich der große Tonkünstler nach einer alten Bemerkung nur das sinnliche Trinken und nach Lavater das sinnliche Essen sucht und so der Kapellmeister als sein Selbkellermeister und als sein Selbspeisemeister erscheint: so hört man eben nicht, daß sie besondere Kanzelredner dabei waren. Beredsamkeit, die prosaische Wand- und Türnachbarin der Poesie, wohnte im Predigerherzen meines Vaters; und dieselben Sonnenstrahlen des Genius, die am Morgen seines Lebens in ihm wie in einem Memnons-Bild Wohllaute weckte[n], wurden später auf der Kanzel warmes Licht und endlich der Donner der Gesetzpredigten.
– Ich merke wohl, meine Zuhörer, daß ich lange von meinen Anverwandten rede und sie sehr lobe; aber ich will ja sogleich von mir zu reden anfangen und kaum damit aufhören. Zwar das Lob selber, das ich meinen Vätern hier erteile, käme ihm, wenn er noch lebte, noch so bedeutend vor als es mir selber leer erscheint, wenn ich mir ihn in der Ewigkeit vorstelle, wo er sich unter den Seligen nicht sonderlich damit brüsten wird, daß er im Jahr 1818 von meinem Lehrstuhl herab wieder als Kirchenkomponist der Baireuther Markgrafschaft ausgerufen worden; – und ganz dasselbe und dieselbe Kälte gegen alles Loben soll mein Sohn von mir voraussetzen, wenn er einst in der Zeit, wo ich schon ein Seliger bin, den allgemeinen Beifall, den meine Werke gewonnen, feurig der Welt erzählt; er soll aber, sowenig als ich, deshalb kälter oder kürzer malen.
Meine verehrtesten Herren, ich würde überhaupt Ihnen zehnmal lieber historische Vorlesungen über meine Voreltern halten als über mich selber. Wie anders gestaltet sich die sonst uns fremdartige Vorzeit, wenn unsere Verwandten durch sie ziehen und sie mit unserer Gegenwart verbrüdern und verketten! Und zu beneiden ist der Mann, welchen die Geschichte von Voreltern zu Voreltern namentlich zurückbegleitet und ihm eine graue Zeit in eine grüne umfärbt. Denn wir können uns die Zeiten, worin unsere Vor- und Ureltern lebten, und diese selber sogar in ihrem Alter nicht anders als im Jugendglanz und Jugendfrische denken, so wie wir unsere Nachwelt uns eigentlich aus Greisen, nicht aus Jünglingen zusammensetzen. – –
Ich kehre endlich zu dem Helden und Gegenstande unserer historischen Vorlesungen zurück [und] hebe besonders den Umstand heraus, daß ich in Wonsiedel (unrichtiger Wunsiedel), einer Stadt am Fichtelgebirge, geboren bin. Das Fichtelgebirge, fast die höchste Gegend Deutschlands, gibt seinen Anwohnern Gesundheit (sie können am ersten das Alexandersbad entbehren) und starken hochgebaueten Wuchs; und der Professor läßt seine Zuhörerinnen entscheiden, ob er in seiner Lehrkanzel als Bestätigung davon oder als Ausnahme erscheint. Verdrüßlich ists übrigens für einen Mann, der am liebsten in seiner Geburtstadt sich einen Namen machen will, daß die Wonsiedler gerade das R bei Mitte und Ende der Wörter verschlucken, mit welchem doch bekanntlich der Name Richter beginnen und beschließen muß. Übrigens standen von jeher die Wonsiedler mit den Lorbeerkränzen der Kriegtapferkeit da, die ich von ihnen als meinen Geburtstadt-Ahnen mir wünschen muß; und es ist hinlänglich bekannt, wie sie den Hussiten widerstanden und obgesiegt; und ich bin, wenn man statt der Hussiten Rezensenten setzt, vielleicht nicht aus der tapfern Art geschlagen, wenn man meine Siege über meine Feinde zählen will, vom Hussiten Nicolai an bis zum Hussiten Merkel.
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