Ich lasse das wohl bleiben; aber ich bleibe auch bei meinem Manuskript, wenn das Wetter und der Wogengang es erlauben. Ich bin eben oft genug im Leben zu Schiffe gewesen, um zu wissen, was das Behaglichere ist auf einer längern Fahrt. Es ist eine große Täuschung, zu meinen, daß auf den großen Wassern alle Augenblicke etwas Merkwürdiges vorkomme und daß eine germanische Reiseverwandtschaft immer ungemein humoristisch, gemütvoll, feinfühlig und interessant sei...

Nämlich den frischen Schinken in Burgunder und die gute Hühnersuppe fanden wir auf dem Mittagstisch; aber so weit sind wir ja wohl noch nicht. Wir sitzen noch hinter Stopfkuchens zweitem Frühstück unter den alten Linden vor der Quakatzenburg auf der Roten Schanze, Freund Heinrich Schaumann und ich, und der Eßtisch drinnen im Hause wird eben erst in die Mitte der Stube gezogen, um von Frau Tinchen und einer zweiten Magd derselben für das Haupttreffen, die Hauptbefriedigung des täglichen Nahrungsbedürfnisses, »gedeckt« zu werden.

»Endlich doch einmal ein Mensch, der ein vorgesetztes Ziel erreicht hat, ohne daß es ihn nach dem Anlangen enttäuscht hat!« sagte und seufzte ich, in die nochmals dargereichte Zigarrenkiste greifend.

»Ein bißchen viel Übergewicht«, brummte Stopfkuchen. »An heißen Tagen etwas beschwerlich, lieber Eduard. Vorzüglich bei den doch immer notwendigen Geschäftsgängen.«

»Ja, hast du denn wirklich noch solche notwendige Gänge zu machen, lieber Heinrich? Hast du wahrhaftig noch nicht mit allem, was für unsereinen so draußen herumliegt und besorgt werden muß, abgeschlossen? Liegt nicht alles das draußen vor deinen wundervollen Wällen des Prinzen Xaver von Sachsen?«

»Was wohl soviel heißen soll als: bist du nur dazu da, auf der Roten Schanze nach dem Lebensunbehagen des Vaters Quakatz die Behaglichkeit des Daseins in deiner feisten Person zur Darstellung zu bringen? Jetzt leihe mir mal gütigst deinen Arm, Eduard. Eine Weile dauert es wohl, ehe wir zu Tisch gerufen werden; also kann ich dir, wenn es dir gefällig ist, vorher noch Festung, Haus und Hof – my house and my castle –, wie das alles unter meiner und Tinchens Herrschaft geworden ist, etwas genauer zeigen. Uf – langsam! Nur nicht zu hastig. Weshalb sollen wir uns nicht Zeit nehmen? Was könnte ich Hinhocker einem Weltwanderer gleich dir Merkwürdiges zu weisen haben, was solche ein rasendes Drauflosstürzen erforderte? Nur mit aller Bequemlichkeit, Freund! Wandeln wir langsam, langsam, und zwar zuerst noch einmal um den Wall des Herrn Grafen von der Lausitz, segensreichen, wenn auch nicht gloriosen Angedenkens.«

»Segensreichen Angedenkens? Das sagte die Stadt da unten, sowie die Umgegend, im Jahre Christi siebenzehnhunderteinundsechzig grade nicht.«

»Aber ich sage es heute. Was geht mich die hiesige Gegend und Umgegend an? Die schöne Aussicht darauf von Quakatzenburg aus natürlich abgerechnet.«

Ich war jetzt so gespannt auf das, was er mir zu zeigen hatte, daß ich wirklich mit einiger Mühe meinen Schritt aus den Goldfeldern von Kaffraria nach seinem Schritt von der Roten Schanze mäßigte. Und zum erstenmal nun in meinem Leben umging ich auf dem Walle selbst das Schanzenviereck des Prinzen Xaver; als Junge und als junger Mensch hatte ich es mir ja nur von jenseits des Grabens, vom Felde, von dem »Glacis« dann und wann ansehen können. Und die Jahre zählten! Es ging freilich heute etwas langsam damit; denn der Jugendfreund hatte in Wahrheit meinen Arm nicht bloß der Zierde und Zärtlichkeit wegen genommen. Seine Pfeife nahm er natürlich auch mit, hielt sie im Brande und deutete mit ihrer Spitze hierhin und dorthin, wo er meine nach seiner Meinung durch allerlei Weltumsegelungen zerstreute Aufmerksamkeit hinzuwenden wünschte.

Wir wandelten oder watschelten wieder durch seinen Gartenweg, zwischen seinen Johannis- und Stachelbeerbüschen, seiner Brennenden Liebe, seinen Rosen und Lilien, seinem Rittersporn und Venuswagen empor zu der Brüstung seiner Festung. Als Geschichtsforscher und als Philosoph der Roten Schanze erwies er sich von Augenblick zu Augenblick größer – bedeutender. Und dabei hatte er sich in seiner wohlgefütterten Einsamkeit und in den Armen seiner kleinen herzigen Frau zu einem Selbstredner sondergleichen ausgebildet. Er fragte, und er gab gewöhnlich die Antwort selber, was für den Gefragten stets seine große Bequemlichkeit hat.

»Woher stammen im Grunde des Menschen Schicksale, Eduard?« fragte er zuerst, und ehe ich antworten konnte (was hätte ich antworten können?), meinte er: »Gewöhnlich, wenn nicht immer, aus einem Punkte. Von meinem Kinderwagen her – du weißt, Eduard, ich war seit frühester Jugend etwas schwach auf den Beinen – erinnere ich mich noch ganz gut jener Sonntagsnachmittagsspazierfahrtstunde, wo mein Dämon mich zum erstenmal hierauf anwies, in welcher mein Vater sagte: ›Hinter der Roten Schanze, Frau, kommen wir gottlob bald in den Schatten. Der Bengel da könnte übrigens auch bald zu Fuße laufen! Meinst du nicht?‹ – ›Er ist so schwach auf den Füßen‹, seufzte meine selige Mutter, und dieses Wort vergesse ich ihr nimmer. Ja, Eduard, ich bin immer etwas schwach, nicht nur von Begriffen, sondern auch auf den Füßen gewesen, und das ist der besagte Punkt! Ich habe mich wahrhaftig nicht weiter in der Welt bringen können als bis in den Schatten der Roten Schanze. Ich kann wirklich nichts dafür. Hier war mein schwacher oder, wenn du willst, starker Punkt. Hier faßte mich das Schicksal. Ich habe mich gewehrt, aber ich habe mich fügen müssen, und ich habe mich seufzend gefügt. Dich, lieber Eduard, haben Störzer und M. Levaillant nach dem heißen Afrika gebracht, und mich haben meine schwachen Verstandeskräfte und noch schwächern Füße im kühlen Schatten von Quakatzenhof festgehalten. Eduard, das Schicksal benutzt meistens doch unsere schwachen Punkte, um uns auf das uns Dienliche aufmerksam zu machen.«

Dieser Mensch war so frech-undankbar, hier wahrhaftig einen Seufzer aus der Tiefe seines Wanstes hervorzuholen. Natürlich nur, um mir sein Behagen noch beneidenswerter vorzurücken. Ich ging aber nicht darauf ein. Den Gefallen, meinerseits jetzt noch tiefer und mit besserer Berechtigung zu seufzen, tat ich ihm nicht.

›Ruhig, Eduard!‹ sagte ich mir. ›Sollst doch zu erfahren suchen, was er noch weiter mehr weiß als du.‹

Ich ließ ihn also am Worte, still von einer Ecke des alten, jetzt so friedlichen Kriegsbollwerkes aus dem Schatten heraus in die sonnige, weite Landschaft mit meiner Heimatstadt, ihren Dörfern, Wäldern, nahen Hügeln und fernem Gebirge hinausschauend.

»Ja, da hast du den ganzen Kriegsschauplatz von Schaumann contra Quakatz vor dir«, sprach Stopfkuchen.