»Sieh dir die Landschaft ja noch einmal an, ehe du dich wieder nach deinem herrlichen Afrika verziehst. Es ist und bleibt doch eine nette Gegend, was?«
»Freilich, freilich! Man braucht grade nicht aus Libyen zu kommen oder wieder dorthin abreisen zu müssen, um das dreist behaupten zu können.«
»Und dann, was alles in ihr passiert ist, Eduard«, sagte Stopfkuchen, mich leicht mit dem Ellbogen in die Seite stoßend. »Von alten Historien will ich gar nicht anfangen; aber nimm nur bloß diesen himmlischen Siebenjährigen Krieg an!«
»Bester Freund –«
»Für diesen göttlichen Siebenjährigen Krieg und den wundervollen alten Streithahnen, den Alten Fritz, habe ich immer meine stillste, aber innigste Zuneigung gehabt.«
»Liebster Heinrich –«
»Jawohl, etwas von dieser herzlichen Neigung in mir dämmert dir vielleicht heute auch noch wohl aus unschuldigen Kinder- und nichtsnutzigsten Flegeljahren auf. Eduard, wäre ich heute nicht Stopfkuchen, so möchte ich nur Friedrich der Andere in Preußen – in der ganzen Weltgeschichte nur Fritz der Zweite gewesen sein. Ich weiß nicht, wie es mit deiner Bibliothek im Kaffernlande bestellt ist, aber, bitte, nenne mir einen andern aus der Welt Haupt und Staatsaktionen, der für unsereinen etwas Sympathischeres als der an sich haben kann! So dürr – ausgetrocknet, mit seinem vom Rheinwein seines Herrn Vaters her angeerbten Podagra etwas schwach auf den Füßen, aber immer in den Stiefeln! Immer munter bei sich selber im Hallo, Geheul und Gebrüll der Furien und der Kanonen. Mit seinem Krückstock, seiner Nase voll Schnupftabak, seiner mit Siegellack eigenhändigst reparierten Degenscheide – scharfklingig, frech und spitzig, was man jetzt schnodderig nennt, gegen die allerhöchsten Damen, Frau Marie Therese, Frau Elisabeth, Frau Jeanne-Antoinette, was ich freilich meiner allerhöchsten Dame, meines Tinchens wegen, nicht ganz und gar billigen kann. Aber dagegen sein Appetit! Tadellos! Gut in seiner Kindheit, in seiner Jugend, aber über alles Lob erhaben bei zunehmendem Alter. Hätte ich wo ein Wort zu verlieren, so wäre es bei dieser Betrachtung, so wäre es hier. Der Mann verdaute alles! Verdruß, Provinzen, eigenes und fremdes Pech und vor allem seine jeden Tag eigenhändig geschriebene Speisekarte. Eduard, dieser Mensch wäre auch Herr der Roten Schanze geworden, wenn er ich gewesen wäre. Eduard, wenn ein Mensch was dazu getan hat, mich zum Herrn, Eigentümer und Besitzer von der Roten Schanze und somit auch von Tinchen Quakatz zu machen, so ist das immer der Alte Fritz von Preußen, selbstverständlich immer in Verbindung mit seinem herzigen, mir so unendlich wertvollen Gegner auf dieser Erdstelle, dem Prinzen Xaverius von Sachsen, Kurfürstlicher Hoheit.«
Der Mensch, Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen, redete einen solchen Haufen von Gegensätzen zusammen, daß ich gar nicht mehr imstande war, zu seufzen: »Nun, das soll mich doch weiter wundern, worauf dieses hinauslaufen kann.«
»Setzen wir uns doch lieber«, meinte Heinrich. »Ich sehe es dir an, daß ich dir noch ein wenig konfus erscheine. Vielleicht kommt das noch besser; aber ich kann es nicht ändern. Diese Bank hier habe ich übrigens nur aufstellen lassen, um dann und wann nicht selber meinen historischen Boden unter den Füßen weg zu verlieren. Wenn ich dir aber langweilig werde, höre ich auf der Stelle auf, interessantester aller Afrikaner und bester aller alten Freunde.«
»Ich bitte dich, Stopf- bester Freund!«
»Sage dreist Stopfkuchen, Eduard. Ich höre gern auch heute noch auf das alte liebe Wort; und von den alten Freunden, die es mir in schönern Jahren so sehr scherzhaft aufhingen, muß ich dir doch zuerst reden, um meinem seligen Schwiegerpapa von Kienbaums Angedenken allmählich näherzukommen. Also dieses war der Anfang der Historie von Heinrich und Valentine, von Kienbaum, vom Meister Andreas Quakatz und von der Roten Schanze. Du sitzest doch gemütlich, Eduard?«
»Ich habe selten in meinem Leben gemütlicher gesessen. Aber unterbrich dich doch nicht immer selbst, alter, wunderlicher Freund! Mir scheint es jetzt wahrlich, ich sei nur deshalb einzig und allein in die alte Heimat auf Besuch gekommen, um dich zu hören!«
»Sehr schmeichelhaft! Also auch deshalb zuerst von den alten Freunden, von euch nichtsnutzigen, boshaftigen, unverschämten Schlingeln, die ihr, solange ich euch zu denken vermag, euer Bestes getan habt, mir die Tage meiner Kindheit und Jugend zu verekeln!«
»Stopfkuchen, ich bitte dich –«
»Jawohl, Stopfkuchen! Was konnte ich denn dafür, daß ich schwach von Beinen und stark von Magen und Verdauung war? Hatte ich mir die Kraft und Macht meiner peristaltischen Bewegungen und die Hinfälligkeit meiner Extremitäten und überhaupt meine Veranlagung zum Idiotentum anerschaffen? Hätte ich die Wahl gehabt, so wäre ich ja zehntausendmal lieber als Qualle in der bittern Salzflut denn als Schaumanns Junge, der dicke, dumme Heinrich Schaumann, in die Erscheinung getreten. Sauber seid ihr mit mir umgegangen und habt euer schändliches Menschenrecht genommen. Leugne es nicht, Eduard!«
»Du gibst keine Ausnahme zu, Heinrich?«
»Keine! Soll ich etwa dich ausnehmen, du mein bester, liebster Freund? Bilde dir das nicht ein! Frage nachher nur Tinchen bei Tische, was sie darüber denkt. Sie hat dich ja auch damals mit den andern vor ihres Vaters Burgwall gehabt. Hast du nicht mit den Wölfen geheult, so hast du mit den Eseln geiahet, und jedenfalls bist auch du mit den andern gelaufen und hast Stopfkuchen mit seiner unverstandenen Seele gleichwie mit einem auf die gute Seite gefallenen Butterbrot auf der Haustürtreppe, auf der faulen Bank in der Schule und am Feldrain vor der Roten Schanze sitzenlassen. Jawohl hast du dich schön nach mir umgesehen, wenn du nicht etwa etwas Besseres, sondern wenn du etwas Vergnüglicheres wußtest.«
»Heinrich, das kannst du doch wirklich nicht sagen!«
»Eduard, säße ich sonst so hier? Und dann – übrigens, mache ich dir einen Vorwurf daraus? Habe ich euch – dich nicht laufen lassen, und habe ich nicht etwa mein Butterbrot aus dem Erdenstaube aufgehoben und es gefressen – mit einem Viertel Wehmut und drei Vierteln Hochgenuß in meiner – Einsamkeit? Habe ich euch – habe ich dich etwa nicht ruhig laufen lassen? Habe ich mich je euch durch Gewinsel hinter euren leichter beschwingten Seelen und bewegungslustigern Körpern her noch lächerlicher, als ich schon war, gemacht?«
»Wahrhaftig nicht! Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich – wir haben dich einfach sitzenlassen, wie und wo du dich hingesetzt hattest!«
»Seht ihr! Siehst du! Und ich hoffe es dir im Laufe des Tages doch noch zu beweisen, daß auch die einsame Haustürtreppe, der unterste Platz in jeder Schulklasse, der tränenreiche Sitz am Wiesenrain den Menschen doch noch zu einem gewissen Weltüberblick und einem Zweck und Ziel im Erdendasein gelangen lassen können. Zum Laufen hilft eben nicht immer ›schnell sein‹, lieber Eduard.«
»Das weiß der liebe Gott!« seufzte ich aus voller Seele, aus allen Lebenserrungenschaften und vom untern Ende Afrikas her.
»Ein Indianer am Pfahl konnte es unter dem Kriegsgeheul und Hohngebrüll seiner Feinde nicht schöner haben als Stopfkuchen in euerm muntern Kreise. Nette Siegestänze eurer Überlegenheit habt ihr um mich armen maulfaulen, feisten, schwitzenden Tropf aufgeführt. Und so helle Köpfe waret ihr allesamt! Jawohl habe ich mein Brot mit Tränen gegessen in eurer lieben Kameradschaft. Was blieb mir da anders übrig, als mich an meinen Appetit zu halten und mich auf mich selber zu beschränken und euch mit meinen herzlichsten Segenswünschen die Rückseite zuzudrehen.«
»Heinrich –«
»Na, na, laß das nur sein. Es liegt jetzt hinter uns beiden, und Tinchen ist in ihrer Küche für dein und mein Wohl heute beschäftigt, wie es sich gehört. Das Herzblatt! Laß uns jetzt dem näherzukommen suchen, und also – vivat der Prinz Xaver von Sachsen, und nochmals und zum dritten Male hoch der Comte de Lusace, Prinz Xaverius von Sachsen!«
»Er lebe! Aber was er mit deiner – meiner – unserer und deiner Frau Geschichte zu tun hat, das bleibt mir augenblicklich noch ein Rätsel, Schaumann! Du hast eben wohlberechtigte Worte zu mir gesprochen; aber deinen Grafen von der Lausitz, deinen mir völlig unbekannten Prinzen von Sachsen, brauche ich mir doch nicht so ohne weiteres gefallen zu lassen, Heinrich! Jetzt, ehe deine Frau zum Essen ruft, was hat dieser sonderbare Prinz Xaver, Xaverius, mit ihr, mit dir, mit mir noch zu tun an diesem wundervollen, windstillen, himmelblauen, blättergrünen, sonnigen Sommermorgen?«
Das Schiff stößt heute ein wenig mehr als gestern.
»Und wenn du auch die halbe neue Weltgeschichte miterlebt und in Afrika selber mitgemacht hast, Eduard, das mußt du doch auch noch wissen, daß in meines Vaters Hausgiebel eine Kanonenkugel stak und heute noch steckt, die er – der Xaverl – damals im Siebenjährigen Kriege zu uns in die Stadt hineingeschossen hat! Sei nur ganz still und unterbrich mich nicht; wir kommen dem Tinchen an ihrem Küchenherde auf der Roten Schanze näher und immer näher.
1 comment