Aber die Liebe tust du mir und lösest dich möglichst in Luft und unverbrüchliches Schweigen auf, und nachher, drunten in der Stadt, machst du mich in der übrigen Bekanntschaft nicht lächerlicher, als es unbedingt nötig ist. Die Rote Schanze hat es mir nun einmal angetan, und das arme Mädchen darüber unter seiner Hundebande kann auch nichts dafür, wenn es mich gleichfalls zu einem Narren gemacht hat. Es ist eben so geschrieben, und ich habe einfach das Schicksal in mich hineinzufressen. Guten Tag, Fräulein Valentine!«
»Guten Tag, Herr Schaumann.«
Sie sah, wie sie mit untergeschlagenen Armen am Torpfeiler lehnte, nicht danach aus, als ob es in Wahrheit ihr Ernst damit sei, jemandem in der Welt einen guten Tag zu bieten. Man blickte unwillkürlich danach um, ob nicht eine geladene Büchsflinte neben ihr am Eingang der Schanze lehne oder ob sie nicht ein scharfes spitzes Messer in der rechten Faust unter der linken Achsel verborgen und zum schnellen Gebrauch bereithalte. Auch so was wie von einer wilden Katze hatte sie an sich, die im Notfall keiner künstlichen Waffe bedurfte, sondern nur jedem mit den echtgewachsenen Krallen ins Gesicht zu fahren brauchte und sich mit den Zähnen festzubeißen, um in jedem Kampfe für sich und um ihres Vaters Haus, Hof und Herd die Oberhand zu behalten.
Nicht groß und nicht klein, nicht mager und nicht fett, nicht hübsch und nicht häßlich, nicht städtisch und nicht dörfisch, nicht Kind und nicht Jungfrau stand sie, Valentine Quakatz, des Mordbauern Andreas Quakatzen einzige Tochter, und bewachte ihres blutig berüchtigten Vaters Anwesen, die Rote Schanze, in der friedlichen, sonnebeglänzten, laubgrünen und ährenblonden Landschaft.
Ich rufe nicht mehr: »Da sind eure Postsachen, eure Schreibsachen, eure Zeitung, du rote Giftkatze«, Störzers Amtsgeschäfte am Eingangstor der Roten Schanze ausrichtend. Sie aber, Fräulein Quakatz, duckt die Hunde wie damals und fast mit den nämlichen wunderlichen Zurufen wie damals. Die Köter beruhigen sich langsam und widerwillig und behalten uns, leise fortknurrend, fest und mißtrauisch im Auge.
»Der Vater ist nicht zu Hause«, sagte Valentine. »Und die Leute sind im Felde«, fügt sie hinzu.
»Schön!« sagt Stopfkuchen. »Da sind wir ja wieder einmal unter uns beiden, Tinchen; denn dem da habe ich es eben schon klar genug auseinandergesetzt, daß er sich gegenwärtig vollständig als Luft zu betrachten habe. Natürlich, wenn er nicht mein bester Freund wäre, würde ich ihm meine Meinung in Hinsicht auf seine heutige völlige Überflüssigkeit hier noch deutlicher zum Bewußtsein gebracht haben. Aber er ist mein Freund und also auch, natürlich soweit das mir paßt, der deinige, Tinchen; und so dumm bist du nicht, Mädchen, daß du nicht Bescheid wüßtest, daß er über euch, die Rote Schanze, so gut Bescheid weiß wie die übrige edle, christliche Menschheit auf fünf Meilen im Umkreis. Herrgott, darum allein könnte man schon mit Wonne Theologie studieren, um einmal so recht von der Kanzel aus unter sie fahren zu dürfen, die edle Menschheit nämlich! Und nun kommt endlich ins Haus. Die letzte Nase voll des übeln Geruches der Roten Schanze zum Mitnehmen in die reinere, die bessere Luft da draußen, jenseits der eben erwähnten fünf Meilen!«
Zum »Sich äußern« – zum »Worte machen« – zum »Reden halten«, kurz zum »Predigen« war er immer sofort da, der dicke Heinrich. Wenn es darauf angekommen wäre, müßte er unbedingt heute, wenn nicht cismontaner Papst, so doch Kardinal oder zum mindesten Archiepiscopus, aber wahrhaftig nicht der jetzige Bauer auf der Roten Schanze sein.
»Wo ist denn der alte Mann?« fragt er fürs erste noch.
»Wieder vorm Gericht in der Stadt«, spricht grimmig die Tochter und Erbin der Roten Schanze. »Er hat's ja wieder mit dem Schulzen von Maiholzen da gehabt und ihm die Faust vors dumme Gesicht gehalten und ihn in der alten Sache wegen Kienbaum von neuem einen Verleumder geheißen. Da ist er denn von neuem verklagt worden.«
Und Stopfkuchen zeigt, daß er ungemein melodisch zu flöten versteht. Er läßt seine Gefühle in einer langgezogenen Kadenz verklingen und nimmt sie tätlich wieder auf, indem er den Arm dem Mädchen um die Hüften legt und, zu mir gewandt, sagt:
»Schöner konnten wir's ja wieder mal nicht treffen.«
Da aber begibt sich etwas, was vor allem diesen längst vergangenen Jugendtag mir wieder in vollster Lebendigkeit vor die Seele stellt: Valentine Quakatz gibt ihre Wacht am Eingangstor der Roten Schanze auf – vollständig! Der bösverkniffene Mund wird zu einem weinerlichen verzogen – das Mädchen kämpft, kämpft mit seinen Tränen, aber sie sind mächtiger als es. Tinchen schluchzt, weint laut hinaus und springt Stopfkuchen nicht mit den Fingernägeln ins Gesicht, sondern legt sich ihm um den Hals, hängt ihm am Halse und jammert:
»Heinrich, du bist zu schlecht!«
»Na, na!«
»Du bist so schlecht wie die ganze andere Welt.«
»Na, so hetze mir doch deine Köter an den Hals, verrücktes Frauenzimmer! Was sagst du dazu, Eduard? Ich so schlecht wie die ganze übrige Welt?«
Ich sage gar nichts. Ich stehe nur wie ein dummer Junge mit offenem Munde und sehe, wie der dicke Freund das Mädchen ein Mädchen, wie als was ganz Selbstverständliches, ebenfalls im Arme hält, ihm auf den Rücken klopft, ihm über die Haare streichelt, ihm das Kinn aufhebt und ihm einen Kuß gibt. Ich sehe, wie er mühsam hinten in der Rocktasche nach seinem Taschentuch angelt, wie es ihm gelingt, dasselbe hervorzuholen, und wie er mit demselben dem Mädchen – einem Mädchen, einem fremden, erwachsenen Mädchen die Tränen aus den Augen wischt, und ich sehe Stopfkuchen mit einem Male mit ganz andern Augen an, als mit welchen ich ihn bis zu dieser verblüffenden Stunde gesehen habe. Blutübergossen wünsche ich mich bis in die fernsten Fernen weg und möchte zugleich den mal sehen, dem ich folgte, wenn er mich beim Ellbogen nähme und sagte: »Komm, Eduard, du hast doch hier gar nichts zu suchen!«
Glücklicherweise hat Stopfkuchen aber viel zuviel mit dem Mädchen zu tun und widmet mir nur dann und wann beiläufig eine höfliche Bemerkung.
»Herze von 'ner Gans, kann ich denn was dafür? Gehe ich etwa aus freien Stücken? Muß ich nicht? Habe ich nicht die Verpflichtung, wenigstens einmal durchs Examen zu fallen meinen guten Eltern zuliebe? Wie gerne ich dir zuliebe hierbliebe, Tinchen, das weißt du, also sei ein gutes Mädchen und laß das dumme Gewimmer. Guck nur, wie der Taps, der Eduard, guckt und sich überlegt, was er zu Hause alles erzählen kann! Da – hast du noch mal mein Taschentuch, und nun blamiere uns nicht länger in freier Luft. Glaubst du, daß darum der Herr Graf von der Lausitz diesen Wall aufgeworfen habe, daß Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen, von ihm herab sich dem Nest drunten von seiner weichsten Seite zeige? Bilde dir das nicht ein. Bombardieren werde ich noch mal von ihm aus das Philistertum da unten, daß der kursächsische Staberl-Xaverl sich heute noch als balsamiertes Leder- und Knochenbündel in seiner Fürstengruft darüber freuen soll. Komm mit, Eduard, da du da bist. Wir wollen endlich hinein ins Haus; denn nämlich, Eduard, nicht immer holt man draußen in der freien Luft am freiesten Atem, welche Erfahrung ich dir, mein Junge, zu möglichem Gebrauche gerne gratis überlasse. Dumme Witze verbitte ich mir natürlich, jetzt hier und nachher drunten in der Stadt im Kreise deiner lieben Verwandten und nähern und weitern Bekannten. Wir drei sind also ganz allein auf der Roten Schanze? Wundervoll! Sag's deinen Kötern so eindringlich als möglich, was sie zu tun haben, Tinchen.« Fräulein Valentine wendet sich zu ihrer vierbeinigen Wachtmannschaft, das heißt, sie hebt die Faust gegen sie und schüttelt dieselbe dann gegen die lachende, freundliche Sommerlandschaft jenseits des Grabens. Das bedeutet, daß das Vieh noch weniger als sonst jemandem ungestraft den Eintritt in das Bollwerk des Grafen von der Lausitz gewähren soll.
1 comment