Und es versteht das und antwortet mit einem dumpfen, giftigen Gewinsel und Geknurr: wir drei aber haben jetzt wahrhaftig wundervoll den Nachmittag allein auf der Roten Schanze. –
Erfreulich war der Anblick grade nicht, wenn man die Hunde und das Tor hinter sich hatte. Verwildert und verwahrlost erschien alles umher, jede Arbeit nur halb und nachlässig und widerwillig getan. Es war keine rechte Ordnung im Garten, im Hofe, im Hause, und in der Scheune wahrscheinlich auch nicht. Alles Geräte lag und stand umher, wie man es eben aus der Hand hatte fallen lassen oder beiseite gestellt hatte. Das Gebüsch und Unkraut wuchs ungehindert. Die Jauche konnte sich keine bessern Tage wünschen als wie auf der Roten Schanze, und sie suchte sich denn auch ihre Rinnsale, wo es ihr beliebte. Die Hühner scharrten, wo sie wollten im Garten. Enten und Gänse watschelten ebenso, wo sie wollten im Hofe und im Hause. Dem Stallvieh sah man es an, daß der Herr häufig nicht zu Hause war und auch dann nicht sein Auge, wie es sein sollte, bei ihm hatte. Daß das Kind vom Hause nicht alles allein besorgen konnte und daß das Gesinde es deshalb sehr »sachte angehen ließ«, das war nur zu augenscheinlich. Was aber den letztern Punkt, das Gesinde, anbetraf, so hatte das mit dessen Nichtsnützigkeit seine besten Gründe. Der Bauer auf der Roten Schanze hatte sich, was Knechte, Mägde und Jungen anging, eben mit dem zu begnügen, was niemand sonst mochte – mit dem Abhub und dem Bodensatz der Gegend.
Es tat für einen rechtlichen Menschen, für ein ordentlich Mädchen nicht gut, auf der Roten Schanze zu dienen und da ehrlich nach der Ordnung zu sehen. Hoher Lohn und gute Behandlung kamen da gar nicht in Betracht. Jeder Groschen, den der Bauer Quakatz hergab, hatte ja einen Blutgeruch an sich. Wer von der Roten Schanze kam und einen andern Dienst suchte, der brachte denselben Geruch in den Kleidern mit, und man ließ es mit verzogner Nase ihm merken und schickte ihn um ein Haus weiter. Bis der Bauer Andreas Quakatz endlich eingestand, daß er Kienbaum totgeschlagen habe, oder bis der Hof auf der Roten Schanze im ganzen unter den Hammer gebracht oder noch besser für Maiholzen im einzelnen ausgeschlachtet worden war, konnte sich hieran nichts, gar nichts ändern. Und die Erbtochter der Roten Schanze, Valentine Quakatz, änderte auch nichts, gar nichts daran; sie hatte nur ihr bitter Teil an der bösen Verfemung mitzutragen. Es ist Stopfkuchen, der, wie die langen Wogen des Weltmeeres mich wieder auf dem »Hagebucher« der neuen Heimat zutragen, fragt:
»Was meinst du, Eduard? Sieht das hier nicht niedlich aus?«
Knecht und Magd haben, da der Herr wieder mal in »Beleidigungs- und Ehrensachen-Kränkungsgeschäften« von Hause ist, sich ihre Arbeit nach Gutdünken draußen gesucht, liegen vielleicht auch irgendwo unter einem Busch und lassen unsern Herrgott den besten Meister sein. Kein Laut ringsumher als das Schrillen der Grillen und das Gekreisch zankender Spatzen auf den Dächern oder in den Hecken! Auch Tinchen schluchzt nicht mehr zornig aus sich heraus oder erbittert-giftig in sich hinein. Sie ist uns voran in die Stube gegangen, ohne sich danach umgesehen zu haben, ob wir ihr auch gefolgt sind. Wir sind ihr, doch ein wenig scheu und befangen, gefolgt, und nun sitzt sie am Tische, mit dem Rücken an der Wand, und hat beide Arme, die Hände flach ausgebreitet, auf die altersschwarze Eichenplatte gelegt, und Stopfkuchen und ich stehen vor ihr und sehen, in der dunkeln, niedern Bauernstube vom Lichte da draußen geblendet, auf sie hin; – man kann eine Meile weit jede Fliege summen hören. Ja, die Fliegen der Roten Schanze! Sie haben das Schanzwerk des Prinzen Xaver von Sachsen auch nicht aufgegeben. Sie sind noch vorhanden in der Stube des Bauern Quakatz, einerlei, ob er Kienbaum totgeschlagen hat oder nicht. Es gibt nichts innerhalb der vier Wände, was sie nicht beschmitzt haben, vor allem die Bilder an den Wänden: die Zehn Gebote, des Jägers Begräbnis, den unter die Räuber gefallenen Mann im Evangelio. An des Jägers Begräbnis haben sie mit allen übrigen Tieren sehr teilgenommen und dem Sarge alle Ehren erwiesen. Ebenso dem Wort: Du sollst nicht töten. Es hängt übrigens kein neues Bild zu ihrer Begutachtung an der Wand. An der Schanze des Siebenjährigen Krieges ist selbst die neueste Weltgeschichte vorbeigezogen, ohne ein Zeichen hinterlassen zu haben. Kein Schlachtenbild aus Neu-Ruppin vom Düppelsturm, keins von Sechsundsechzig, keins von Siebenzig! Nicht Kaiser Wilhelm, Fürst Bismarck und Graf Moltke! Was ging die Weltgeschichte den Bauer von der Roten Schanze an? Er hatte seinen Kienbaum; er hatte viel zu schwer an seinem eigenen Dasein auf dieser Erde zu tragen, um sich viel um das anderer Leute kümmern zu können, und wenn es die Ersten dieser Welt waren! Ihm hatte diese Welt überall in seinem Hause, wo er auf eine Wand sah, Kienbaumen drangehängt, und er brauchte dazu nicht Malerkunst und Glas und Rahmen: er sah den Mann jederzeit, und selbst bei geschlossenen Augen, so genau und deutlich vor sich, wie kein Maler, und wenn es der allerbeste gewesen wäre, ihn ihm hätte malen können.
Ich gaffe von dem bunten Bilderbogen der Zehn Gebote verlegen und unruhig auf das uns anstarrende Mädchen, da sagt Heinrich:
»Nun, Tinchen, laß das dumme Zeug und stiere nicht die beiden besten Lateiner und firmsten Griechen des diesmaligen Oster- Abgangs-Schwindels – grinse nicht, Eduard! – aus ihrer guten Meinung von sich selber heraus.
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