»Und wer hat Sie in dieses Zimmer gewiesen?« fuhr er fort, bohrte seine Nägel in die Handflächen und knirschte mit den Zähnen, um das Zucken seiner Kinnbacken zu unterdrücken.
»Wer war das? Ich habe nicht übel Lust, ihn augenblicklich aus dem Hause zu jagen.«
»Es war Ihre Magd Zillah«, erwiderte ich, sprang aus dem Wandbett und suchte eilig meine Kleider zusammen. »Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie es täten, Mr. Heathcliff; sie hat es reichlich verdient. Ich glaube, sie wollte auf meine Kosten wieder mal feststellen, daß es hier spukt. Das tut es! Es wim-melt hier von Gespenstern und Kobolden! Ich versichere Ihnen, Sie haben alle Ursache, den Raum zu verschließen. Niemand wird Ihnen für einen Schlummer in einer solchen Bude Dank wissen.«
»Was meinen Sie damit?« fragte Heathcliff, »und was tun Sie da? Legen Sie sich nieder bis zum Morgen, da Sie nun doch einmal hier sind. Aber um Himmels willen, machen Sie nicht noch einmal solch schrecklichen Lärm; der wäre nicht zu entschuldigen, außer wenn Ihnen die Kehle durchgeschnitten würde!«
»Wenn die kleine Teufelin durch das Fenster hereingekommen wäre, so hätte sie mich wahrscheinlich erwürgt!« entgegnete ich. »Ich denke nicht daran, die Verfolgungen Ihrer gastlichen Ahnen noch einmal zu erdulden. War nicht der hochwürdige Jabes Branderham mütterlicherseits mit Ihnen verwandt? Und dieser Racker, Catherine Linton, oder Earnshaw, oder wie sie hieß, muß ein Wechselbalg gewesen sein, das schlechte kleine Geschöpf! Sie hat mir erzählt, sie habe seit zwanzig Jahren keine Ruhe auf Erden gefunden; ohne Zweifel die gerechte Strafe für ihre Sünden in dieser Welt!«
Kaum hatte ich diese Worte herausgebracht, da erinnerte ich mich der Verbindung von Heathcliffs und Catherines Namen in dem Buch, das meinem Gedächtnis bis zu meinem Erwachen völlig entfallen war. Ich errötete über meine Unüber-legtheit, ließ mir jedoch nicht merken, daß ich mir einer Kränkung bewußt war, und fuhr hastig fort: »Tatsache ist, daß ich den ersten Teil der Nacht damit verbracht habe« – hier brach
ich wieder ab, denn ich hatte sagen wollen: ›in den alten Bänden dort zu lesen‹, aber das hätte meine Kenntnis ihres ge-schriebenen und gedruckten Inhalts offenbart, darum fuhr ich, mich berichtigend, fort: »den Namen zu buchstabieren, der in den Fenstersims eingeritzt ist. Eine eintönige Beschäigung, die mich einschläfern sollte, so wie Zählen oder …«
»Was soll das heißen, daß Sie so zu mir sprechen?« donnerte Heathcliff in wilder Leidenscha. »Wie … wie wagen Sie das, unter meinem Dach? – Allmächtiger! Er ist wahnsinnig, daß er so spricht!« Und er schlug sich wie rasend vor die Stirn, Ich wußte nicht, ob ich diese Sprache übelnehmen oder in meiner Erklärung fortfahren sollte; aber er schien so vollkommen außer sich zu sein, daß ich von Mitleid ergriffen wurde und meine Träume weiter erzählte. Ich versicherte, daß ich den Namen Catherine Linton nie zuvor gehört, daß aber das wiederholte Lesen auf mich die Wirkung ausgeübt habe, daß er Gestalt annahm, als ich meine Vorstellungskra nicht mehr in der Gewalt hatte. Heathcliff zog sich immer mehr in den Schatten des Bettes zurück, während ich sprach, und war, als er sich hinsetzte, fast dahinter verborgen. An seinen unregelmäßigen und unterbrochenen Atemzügen jedoch erkannte ich, daß er mit aller Macht versuchte, einen Ausbruch heiger Gemütsbewegung niederzukämpfen. Ich wollte ihm nicht zeigen, daß ich seine Aufregung wahrnahm, und fuhr ziemlich geräuschvoll fort, mich anzuziehen, sah nach der Uhr und hielt ein Selbstgespräch über die Länge der Nacht: »Was, noch nicht drei Uhr? Ich hätte darauf geschworen, es wäre sechs.
Die Zeit bleibt hier stehen; wir sind gewiß um acht zur Ruhe gegangen.«
»Im Winter um neun, und um vier stehen wir immer auf«, sagte mein Wirt, ein Stöhnen unterdrückend, und eine Bewegung seines Armschattens ließ mich ahnen, daß er eine Träne aus den Augen wischte. »Mr. Lockwood«, fügte er hinzu, »Sie können in mein Zimmer gehen; Sie würden unten so früh nur im Wege sein, und Ihr kindischer Angstschrei hat meinen Schlaf zum Teufel gejagt.«
»Meinen auch«, erwiderte ich. »Ich werde im Hof umherge-hen, bis es dämmert, und dann werde ich verschwinden. Sie brauchen keine Sorge zu haben, daß ich meinen Besuch noch
einmal wiederholen werde. Jetzt bin ich völlig davon geheilt, Geselligkeit zu suchen, sei es auf dem Lande oder in der Stadt.
Ein verständiger Mensch sollte ausreichende Gesellscha in sich selbst finden.«
»Höchst erfreuliche Gesellscha!« murmelte Heathcliff.
»Nehmen Sie die Kerze und gehen Sie, wohin Sie wollen, ich komme gleich nach. Vermeiden Sie jedoch den Hof – die Hunde sind los – und das ›Haus‹; dort hält Juno Schildwache, und … nein, Sie können nur im Treppenhaus und in den Gängen hin und her gehen. Also fort jetzt! Ich komme in zwei Minuten!«
Ich gehorchte insofern, als ich das Zimmer verließ; dann aber blieb ich stehen, weil ich nicht wußte, wohin der schmale Korridor führte, und wurde der unfreiwillige Zeuge eines Ausbruchs von Aberglauben bei meinem Gutsherrn, der in auffal-lendem Gegensatz zu dem Wesen stand, das er sonst zur Schau trug. Er ging auf das Bett zu, stieß den Fensterflügel auf und brach dabei in leidenschaliche Tränen aus. »Komm herein!
Komm herein!« schluchzte er. »Cathy, komm doch! Oh, komm noch einmal! Oh, mein Herzensliebling! Höre mich wenigstens dieses eine Mal!« Das Gespenst zeigte sich so launisch, wie Gespenster eben sind: es gab kein Zeichen seines Daseins, aber der Schnee und der Wind wirbelten heig herein, bis dorthin, wo ich stand, und bliesen das Licht aus.
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