Und was hatte mir den fürchterlichen Lärm vorgegaukelt? Was hatte bei dem Spek-takel Jabes’ Rolle gespielt? Nur der Zweig einer Föhre, der im Sturm manchmal gegen das Fenster schlug und dessen trok-kene Zapfen seltsam rasselten! Argwöhnisch lauschte ich einen Augenblick, entdeckte den Störenfried und drehte mich auf die andere Seite, schlummerte ein und träumte wieder, wenn möglich noch unangenehmer als vorher.

Dieses Mal war ich mir bewußt, in dem Eichenkabinett zu liegen, und vernahm deutlich den tobenden Wind und das Schneetreiben draußen. Ich hörte auch den Föhrenzweig mit seinem aufreizenden Geräusch, das ich nun der richtigen Ursache zuschrieb; aber es ärgerte mich so sehr, daß ich beschloß, es zum Schweigen zu bringen; ich glaubte aufzustehen und mich zu bemühen, den Fensterflügel loszuhaken. Der Haken war in der Krampe festgelötet, ein Umstand, den ich im Wachen bemerkt, aber wieder vergessen hatte. »Das muß trotzdem auören!« murmelte ich, stieß meine Faust durch die Scheibe und streckte den Arm aus, um den lästigen Zweig zu packen. Statt dessen schlossen sich meine Finger um eine kleine, eiskalte Hand! Das schreckhae Entsetzen eines Alpdruckes überfiel mich. Ich versuchte meinen Arm freizube-kommen, aber die Hand klammerte sich daran fest, und eine todtraurige Stimme schluchzte: »Laß mich hinein, laß mich hinein!« »Wer bist du?« fragte ich und versuchte mit Macht, mich zu befreien. »Catherine Linton«, antwortete es bebend.

(Warum dachte ich nur an Linton? Ich hatte zwanzigmal öer Earnshaw gelesen als Linton.) »Ich bin wieder da, ich hatte mich im Moor verirrt!« Während es sprach, nahm ich dunkel das Gesicht eines Kindes wahr, das durch das Fenster blickte.

Das Entsetzen machte mich grausam: Da es zwecklos schien, das Geschöpf abzuschütteln, zog ich sein Handgelenk an das zerbrochene Glas und rieb es hin und her, bis das Blut herun-terrann und die Bettücher befleckte. Und immer noch weh-klagte es: »Laß mich hinein!«, hielt mich mit zähem Griff fest und machte mich fast wahnsinnig vor Angst. »Wie kann ich

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denn!« sagte ich endlich. »Laß mich los, wenn ich dich einlassen soll!« Die Finger lockerten sich, ich zog meinen Arm mit einem Ruck durch das Loch zurück, türmte hastig die Bücher zu einer Pyramide davor auf und hielt mir die Ohren zu, um das klägliche Flehen nicht mehr zu hören. So hielt ich wohl eine Viertelstunde lang aus; doch kaum lauschte ich wieder, so war das traurige Weinen wieder da, das ohne Pause wimmer-te. »Geh weg«, rief ich, »ich werde dich nie hereinlassen, und wenn du zwanzig Jahre bettelst!« »Es sind zwanzig Jahre«, klagte die Stimme, »zwanzig Jahre! Ich bin seit zwanzig Jahren heimatlos!« Jetzt war draußen ein schwaches Kratzen zu vernehmen, und der Bücherstapel bewegte sich, als wenn er mir entgegenstürzen wollte. Ich versuchte aufzuspringen, konnte aber kein Glied rühren und schrie in rasendem Entsetzen laut auf. Zu meiner Bestürzung entdeckte ich, daß der Schrei nicht geträumt war. Hastige Schritte näherten sich meiner Zimmertür, jemand stieß sie mit kräiger Hand auf, und ein Licht schimmerte durch die Öffnungen oben an meinem Bett. Ich saß noch schaudernd da und wischte mir den Schweiß von der Stirn, da schien der Eindringling zu zögern und murmelte etwas vor sich hin. Schließlich sagte er flüsternd, offenbar ohne eine Antwort zu erwarten: »Ist jemand hier?« Ich hielt es für das beste, meine Anwesenheit zu bekennen, denn ich erkannte Heathcliffs Stimme und fürchtete, er würde weitersuchen, wenn ich mich ruhig verhielte.

Deshalb wandte ich mich um und schob die Türen auseinander. Nie werde ich die Wirkung vergessen.

Heathcliff stand in Hemd und Hose an der Tür, eine Kerze trope über seine Finger, und sein Gesicht war so weiß wie die Wand hinter ihm. Das erste Knacken des Holzes durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag, das Licht flog weit weg aus seiner Hand, und seine Aufregung war so heig, daß er kaum imstande war, die Kerze wieder aufzuheben.

»Es ist nur Ihr Gast, Mr. Heathcliff«, rief ich laut, denn ich wollte ihm die Demütigung ersparen, seine Feigheit noch länger zu offenbaren. »Ich hatte das Mißgeschick, im Schlaf zu schreien. Ein furchtbarer Alpdruck ängstigte mich. Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe.«

»Hol Sie der Teufel, Mr. Lockwood! Ich wollte, Sie wären in

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der Hölle!« rief mein Wirt und stellte die Kerze auf einen Stuhl, weil er merkte, daß er sie nicht ruhig halten konnte.