In Rom war aus dem Mittags-Schlaf ein Südostwehen aufgestanden und hatte sich unterwegs fliegend in Limoniengipfeln und in tausend Bächen und Schatten gekühlt und lag nun gewiegt auf Zypressenarmen. Da erkletterte er den Baum, um sich wenigstens zu ermüden. Aber wie dehnte sich die Welt vor ihm aus mit Bergen, mit Inseln und Wäldern, da er das donnernde Gewölke über Roms sieben Hügeln liegen sah, gleichsam als rede aus dem Dunkel noch der alte Geist, der in den Hügeln wie in sieben Vesuven gearbeitet hatte, welche vor der Erde so viele Jahrhunderte lang mit feurigen Säulen, mit aufgerichteten Gewittern standen und sie mit glühenden Strömen, mit Aschenwolken und mit Fruchtbarkeit übergossen, bis sie sich selber zersprengten! Die Spiegelwand der Gletscher stand wie sein Vater unzerrüttet vor der Wärme des Himmels und wurde nur glänzend und nicht warm und nicht weich – aus dem weiten See schienen überall die warmen Hügel wie aus ihrem Bade auszusteigen, und die kleinen Schiffe der Menschen schienen in der Ferne strandend zu stocken – und im weiten Wehen um ihn gingen die großen Geister der Vergangenheit vorüber, und unter ihren unsichtbaren Tritten bogen sich nur die Wälder nieder, aber die Blumenbeete wenig. – Da wurde in Albano die fremde Vergangenheit zur eignen Zukunft – keine Wehmut, sondern ein Durst nach allem Großen, was den Geist bewohnt und hebt, und ein Schauder vor den schmutzigen Ködern der Zukunft zogen sein Auge recht schmerzlich zusammen, und schwere Tropfen fielen daraus. – Er stieg herab, weil das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde. Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den gehaltenen Gang der Natur verehrte, hatte den Knospengarten seiner Kräfte vor frühzeitiger Morgensonne und schnellem Aufspringen bewahret; aber durch die Erwartung des Abends und durch die Reise wurde der Tag seines Lebens jetzt zu warm und zu treibend.
Zufällig und träumend verlor er sich unter Orangeblüten; plötzlich war ihm, als mache ein süßes Wühlen im innersten Herzen dieses beklemmend weit und leer und wieder voll. Ach er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er hier in seiner Kindheit so oft in die Brust gesogen, und welche nun jede Phantasie und Erinnerung der Vergangenheit dunkel, aber gewaltsam zurückriefen, eben weil Düfte, ungleich den abgenützten Merkmalen des Auges und des Ohres, seltener kommen und also leichter und heftiger die verblichene Empfindung erneuern. Aber als er in eine Arkade des Palastes, welche bunte Steine und Muscheln stickend färbten, geriet, und als er die Wogen spielend auf die Schwelle der Grotte hüpfen sah: so deckte sich ihm auf einmal eine bemoosete Vergangenheit auf – er durchsuchte seine Erinnerungen – die Farbensteine der Grotte lagen gleichsam voll Inschriften der vorigen Zeit vor seinem Gedächtnis. – – Ach hier war er ja tausendmal mit seiner Mutter gewesen, sie hatte ihm die Muscheln gezeigt und die Nähe der Wellen verboten, und einmal, da die Sonne aufging und da der durchwehte See und alle Steinchen glänzten, war er auf ihrem Schoße mitten unter den Lichtern aufgewacht. –
O war denn nun die Stelle nicht geheiligt und auf ihr seine überwältigende Sehnsucht nicht entschuldigt, die er heute so lange gehabt, die schöne Armwunde dem tobenden und quälenden Blute aufzumachen?
Er ritzte sich, aber zufällig zu tief; und mit einem schönen kühlen Heben seines leichter atmenden Wesens sah er der roten Quelle seines Armes in der Abendsonne zu und wurde wie nach abgefallnen Bürden leichter – nüchtern – still – und weich. Er dachte an die verschwundne Mutter, deren Liebe nun ewig unvergolten blieb – ach er hätte dieses Blut gern für sie vergossen –; und nun quoll heißer als je in seiner Brust die Liebe für den kränklichen Vater auf: o komme bald, sagte sein Herz, ich will dich so unaussprechlich lieben, du lieber Vater!
Die Sonne erkaltete an der feuchten Erde – nur noch die zackige Mauerkrone aus den Goldstufen der Gletscherspitzen glühte über ausgelöschten Wolken – und die Zauberlaterne der Natur warf ihre Bilder nur noch gezogner und matter: da ging eine lange Gestalt in einem offnen roten Mantel langsam um die Zedratobäume auf ihn zu, rieb mit der Rechten an der Stelle des Herzens, woran kleine Funken verglommen, und zerdrückte mit der halb erhobnen Linken eine Wachslarve zum Klumpen und blickte in die eigne Brust. Plötzlich erstarrete sie an der Wand des Palastes in versteinerter Stellung. Albano drückte die Hand auf die kleine Wunde und ging nahe zu dem Versteinerten – Welche Gestalt! – Aus einem vertrockneten hagern Angesicht erhob sich zwischen Augen, die halb unter den Augenknochen fortbrannten, eine verachtende Nase mit stolzem Wurf- ein Cherub mit dem Keime des Abfalls, ein verschmähender gebietender Geist stand da, der nichts lieben konnte, nicht sein eignes Herz, kaum ein höheres, einer von jenen Fürchterlichen, die sich über die Menschen, über das Unglück, über die Erde und über das – Gewissen erheben, und denen es gleich gilt, welches Menschenblut sie hingießen, ob fremdes oder ihres. –
Es war Don Gaspard.
Die Funken-werfende Ordenskette aus Stahl und Edelsteinen verriet ihn. Die Starrsucht, seine alte Krankheit, hatt' ihn ergriffen. »O Vater!« sagte Albano erschrocken und umfaßte die unbewegliche Gestalt, aber er drückte gleichsam den kalten Tod ans Herz. Er schmeckte die Bitterkeit einer Hölle – er küßte die starre Lippe und rief lauter – endlich trat er vor ihm mit fallenden Armen zurück, und die aufgedeckte Wunde blutete ungefühlt nieder – und er blickte, zähneknirschend vor wilder junger Liebe und vor Schmerz, und mit großen Eistropfen in den Augen, den Stummen an und riß ihm die Hand vom Herzen. – – Hier schlug erwachend Gaspard die Augen auf und sagte: »Willkommen, mein lieber Sohn!« – Da sank ihm mit unüberschwenglicher Seligkeit und Liebe das Kind ans Vaterherz und weinte und schwieg. »Du blutest, Albano,« sagte Gaspard, ihn sanft zurückstemmend, »verbinde dich!«- »Laß mich bluten, ich will mit dir sterben, wenn du stirbst – o wie hab' ich so lange nach dir geschmachtet, mein guter Vater!« sagte Albano, noch tiefer erschüttert von dem kranken väterlichen Herzen, das er jetzt an seinem heftiger schlagen fühlte.
»Recht gut, verbinde dich aber!« sagt' er; und als der Sohn es tat und während des schnellsten Umwickelns mit unersättlicher Liebe in das väterliche Auge schauete, und als das Auge nur kalte Blitze warf wie sein Ring-Juwel – so schlug auf den Kastaniengipfeln, dem heutigen Throne der Morgensonne, der leise Mond sein frommes Auge stillend auf, und dem entflammten Albano war es an diesem kindlichen und mütterlichen Wohnplatze, als schaue der Geist seiner Mutter vom Himmel und rufe: »Ich werde weinen, wenn ihr euch nicht liebt.« Sein wallendes Herz zerfloß, und er sagte sanft zu dem im Mondlicht bleichern Vater: »Liebst du mich denn nicht?« – »Lieber Alban,« versetzte der Vater, »man kann dir nicht genug antworten – du bist recht gut – es ist recht gut.« Aber mit dem Stolze der Liebe, die sich kühn mit der väterlichen maß, ergriff er fest die Hand mit der Larve und sah den Ritter mit feurigen Tränen an. »Mein Sohn,« versetzte der Müde, »ich habe dir heute noch viel zu sagen und wenig Zeit, weil ich morgen reise – und ich weiß nicht, wie lange mein Herzklopfen mich sprechen lässet.« – Ach also war das vorige Zeichen einer gerührten Seele nur ein Zeichen eines nervenkranken Pulses gewesen.... Du armer Sohn, wie mußte vor dieser scharfen Luft dein bewegtes Meer erstarren – ach wie an einem eiskalten Metall mußte deine warme Hand ankleben und davon sich wundgeschält abziehen!
Aber guter Jüngling! Wer von uns könnte dich tadeln, daß Wunden dich gleichsam mit Blut an deinen wahren oder falschen Halbgott binden – wiewohl ein Halbgott sich öfter mit einem Halbtier als mit einem Halbmenschen schließet – und daß du so schmerzlich liebst? Ach welche warme Seele sprach nicht einmal die Bitte der Liebe vergeblich aus und konnte dann, gelähmt vom erkaltenden Gifte, gleich andern Vergifteten, die schwere Zunge und das schwere Herz nicht mehr bewegen? – Aber liebe fort, du warme Seele; gleich Frühlingsblumen, gleich Nachtschmetterlingen durchbricht die zarte Liebe zuletzt doch den hartgefrornen Boden, und jedes Herz, das nichts anderes verlangt als ein Herz, findet endlich seine Brust! –
5. Zykel
Der Ritter nahm ihn auf eine über steinerne Säulen geführte Galerie hinauf, die überall Limonienbäume mit Düften und kleinen, regen, vom Monde silbern geränderten Schatten vollstreueten. Er zog zwei Medaillons aus seiner Brieftasche; das eine bildete ein sonderbar-jugendlich aussehendes weibliches Gesichtchen vor, mit der Umschrift: »Nous ne nous verrons jamais, mon fils.«9 »Hier ist deine Mutter« (sagte Gaspard und gab es ihm) -»und hier deine Schwester«, und reichte ihm das zweite, dessen Züge zu einer unkenntlichen veralteten Gestalt einliefen, mit der Umschrift: »Nous nous verrons un jour, mon frère.«10 Er fing nun seine Rede an, die er in so vielen zwanglosen Heften (das eine Komma oft am einen Ende der Galerie, das andere am andern) und so leise und in einem solchen Wechsel von schnellem und trägem Gehen lieferte, daß in das Ohr eines unter der Galerie mitlaufenden Visitators fremder Gespräche, wenn einer drunten stand, nicht drei zusammengehörende Laute tropfen konnten. »Deine Aufmerksamkeit, lieber Alban,« fuhr er fort, »nicht deine Phantasie sollte jetzt gespannt sein; du bist leider heute zu romantisch bei dem Romantischen, was du hören sollst. Die Gräfin von Zesara liebte das Feierliche von jeher; du wirst es aus dem Auftrage sehen, den sie mir wenige Tage vor ihrem Tode gab, und den ich gerade an diesem Karfreitage auszurichten versprechen mußte.«
Er sagte noch, bevor er anfing, daß er, da seine Katalepsie und sein Herzklopfen bedenklich stiegen, nach Spanien eilen müsse, seine Sachen und noch mehr die seiner Mündel – der Gräfin von Romeiro – zu ordnen. Alban tat noch eine Bruderfrage über seine liebe, so lang' entrückte Schwester; der Vater ließ ihn hoffen, daß er sie bald sehen werde, da sie mit der Gräfin die Schweiz besuchen wolle.
Da ich nicht absehe, was die Menschen davon haben, wenn ich die mir beschwerlichen Gänsefüße samt dem ewigen »er sagte« hersetze: so will ich den Auftrag in Person erzählen. Es werden einmal – (sagte der Ritter) – drei Unbekannte, einer am Morgen, einer mittags und einer abends, zu ihm kommen, und jeder wird ihm ein eingesiegeltes Kartenblatt zustellen, worauf bloß der Name der Stadt und des Hauses steht, worin das Bilderkabinett, das Albano noch dieselbe Nacht besuchen muß, zu finden ist. Im Kabinett soll er alle Nägel der Bilder durchtasten und drücken, bis er auf einen kommt, hinter welchem der Druck eine in die Wand eingebaute Repetieruhr zwölf zu schlagen nötigt. Hier findet er unter dem Bilde eine geheime Tapetentür, hinter welcher eine weibliche Gestalt mit einem offnen Souvenir und mit drei Ringen an der Linken und mit einem Crayon in der Rechten sitzt. Drückt er den Ring des Mittelfingers, so richtet sich die Gestalt unter dem Rollen des innern Getriebes auf, tritt in das Zimmer, und das auslaufende Gehwerk stockt mit ihr an einer Wand, woran sie mit dem Crayon ein verstecktes Fach bezeichnet, in welchem ein Taschenperspektiv und der wächserne Abdruck eines Sargschlüssels liegen.
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