Das Okularglas des Perspektivs ordnet durch einoptische Anamorphose den Wirrwarr alternder Linien auf dem heute empfangenen Medallion der Schwester zu einer holden jungen Gestalt, und das Objektivglas gibt dem unreifen Bilde der Mutter die Merkmale des längern reifern Lebens zurück. – Dann drücket er den Ringfinger, und sogleich fängt die stumme kalte Figur mit dem Crayon in das Souvenir zu schreiben an und bezeichnet ihm mit einigen Worten den Ort des Sarges, von dessen Schlüssel er den wächsernen Abdruck hat. Im Sarge liegt eine schwarze Marmorstufe, in Gestalt einer schwarzen Bibel; und wenn er sie zerschlagen hat, trifft er einen Kern darin, aus dem der Christbaum seines ganzen Lebens wachsen soll. – Ist die Stufe nicht im Sarge, so gibt er dem letzten Ringe des Ohrfingers einen Druck – was aber dann dieses hölzerne Guerikes-Wettermännchen seines Schicksals beginne, wußte der Ritter selber nicht vorauszusagen. – –

Ich bin völlig der Meinung, daß man dem bizarren Testamente leicht das Repetier- und das halbe Räderwerk- so wie man jetzt in London Uhren bloß aus zwei Rädern bauet – ausbrechen könnte, ohne das Vorlege- oder Zeigerwerk zu beschädigen.

Auf Alban wirkte das testamentarische Getriebe und Gebläse wider meine Erwartung – fast nichts; ausgenommen eine weichere Liebe gegen die gute Mutter, welche so sorgend, da sie unten im Strome des Lebens das fliegende Bild vom niederfallenden Habicht des Todes erblickte, nur den Sohn bedachte. Seinem Vater schauete er unter dem Berichte, mit zärtlichem Danke für diese Mühe des Gedächtnisses und der Erzählung, fast auf Kosten seiner Aufmerksamkeit, in das befestigte eiserne Angesicht; und im Mondschein und vor seiner Phantasie wuchs der Ritter zu einem rhodischen, die halbe Gegenwart verdeckenden Kolossus auf, für welchen ihm dieses testamentarische Memorienwerk fast zu kleinlich schien.

Bisher hatte Don Gaspard bloß als echter Weltmann gesprochen, der von seinem Gespräche (ohne besondere nähere Verhältnisse) stets jede Erwähnung oder Schmeichelei eines Ichs, des fremden so gut wie des eignen, ausschließet und sogar historischer Personen nur als Bedingungen von Sachen gedenkt – so daß zwei solche Nicht-Ichs mit ihrer grimmigen Kälte nur zwei sprechende Logiken oder Wissenschaften zu sein scheinen, aber keine Wesen mit schlagenden Herzen: o! wie sanft floß es, wie eine weiche Tonart, in Albanos liebewundes Herz – das der hellere und lauere Mond und der insularische dämmernde Kindergarten seiner ersten Vorzeit und die in seiner Seele laut fort- und nachklingende Stimme seiner Mutter gewaltsam auflöseten –, als nun der Vater sagte: »Das hab' ich von der Gräfin zu sagen. Von mir hab' ich dir nichts zu sagen als meine bisherige Zufriedenheit mit deinem bisherigen Leben.« – »O geben Sie, teuerster Vater, meinem künftigen Gebote, Lehre und Rat«, sagte der begeisterte Mensch, und Gaspards rechter Hand, die nach dem schnellern Herzen zuckte, folgt' er mit seiner Linken an die sieche Stelle und drückte heftig das hysterische Herz, als könn' er diesem bergab umkreisenden Lebensrade in die Speiche greifen. – Der Ritter versetzte: »Ich habe dir weiter nichts zu sagen. Die Lindenstadt (Pestitz) ist dir nun geöffnet; deine Mutter hatte sie dir verschlossen. Der Erbprinz, der bald Fürst sein wird, und der Minister von Froulay, der mein Freund ist, werden die deinigen sein; ich glaub' es wird dir nützen, ihre Bekanntschaft zu kultivieren.«

Der scharfblickende Gaspard sah hier plötzlich über des Jünglings reine offne Gestalt wunderbare Bewegungen und heiße Rosen fliegen, die aus der Gegenwart mit nichts zu erklären waren und die sogleich wie getötet vergingen, als er so fortfuhr: »Für einen Mann von Stande sind gelehrte und schöne Wissenschaften, die für andre Endzweck sind, nur Mittel und Erholung; und so groß deine Neigung dafür sein mag: so wirst du doch am Ende Handlungen den Vorzug vor Genüssen geben; du wirst dich nicht geboren fühlen, die Menschen bloß zu belehren oder zu belustigen, sondern zu behandeln und zu beherrschen.

Es wäre gut, wenn du den Minister gewännest und dadurch die Kenntnisse des Regierungs- und Kammerwesens, die er dir geben kann; denn in dem Abrisse eines Landes, so wie eines Hofes, besitzest du die Grundzüge eines jeden größern, wozu du auch gelangen und dich bilden sollst. Es ist mein Wunsch, daß du sogar dem Fürsten und dem Hofe lieb wirst, weniger weil du Konnexionen als weil du Erfahrungen brauchst. Nur durch Menschen besiegt und übersteigt man Menschen, nicht durch Bücher und Vorzüge. Man muß nicht seinen Wert auslegen, um die Menschen zu gewinnen, sondern man muß sie gewinnen, und dann erst jenen zeigen. Unglück ist nichts wie Unverstand, und nicht sowohl durch Tugend als durch Verstand wird man furchtbar und glücklich. – Du hast höchstens die Menschen zu fliehen, die dir zu ähnlich sind, besonders die ädeln.« – Das ätzende Sublimat seines Spottes bestand hier nicht darin, daß er »ädel« mit einem akzentuierten ironischen Tone sagte, sondern daß ers wider Erwarten kalt ohne einen sagte. Albanos Hand war in seiner schon längst vom Herzen an der stählernen eckigen Ordenskette herabgeglitten auf das goldene metallisch-kalte Lamm daran. Der Jüngling hatte, wie alle Jünglinge und Einsiedler, zu harte Begriffe von Hof- und Weltleuten, er hielt sie für ausgemachte Basilisken und Drachen – wiewohl ich das noch entschuldigen will, wenn er nur mit den Naturforschern unter den Basilisken nichts versteht als ungeflügelte Eidechsen, und unter den Drachen nichts als geflügelte, so daß er sie für nichts als für kalte, fast so fatale Amphibien, wie Linné solche definiert, ansieht –; ferner hegt' er (so leicht wird Plutarch der Verführer von Jünglingen, deren Biograph er hätte sein können wie ich) mehr Grimm als Achtung gegen die Artolatrie (den Brotdienst) unsers Zeitalters, das aber umgekehrt immer den Gott ins Brot verwandeln will, gegen die besten Brotstudien oder Brotwagen, gegen das Machen einer Carrière, gegen jeden, der kein Waghals war und der statt der Sturmbalken und Kriegsmaschinen etwa unsichtbare Magnetstäbe, Saugwerke und Schröpfköpfe ansetzte und damit etwas zog. Jeder Jüngling hat ein schönes Zeitalter, wo er kein Amt, und jede Jungfrau eines, wo sie keinen Mann annehmen will; dann ändern sich beide und nehmen oft sich einander noch dazu.

Als der Ritter die obigen, gewiß keinem Weltmanne anstößigen Sätze vorbrachte: so stieg in seinem Sohne ein heiliger menschenfreundlicher Stolz empor – es war diesem, als werde von einem steigenden Genius sein Herz und sogar sein Körper, wie der eines betenden Heiligen, gehoben über die Laufbahnen einer gierigen kriechenden Zeit – die großen Menschen einer größern traten unter ihre Triumphbogen und winkten ihm, näher zu ihnen zu kommen – in Osten lag Rom und der Mond und vor ihm der Alpen-Zirkus, eine große Vergangenheit neben einer großen Gegenwart – er ergriff mit dem liebend-stolzen Gefühl, daß es noch etwas Göttlicheres in uns gebe als Klugheit und Verstand, den Vater und sagte: »Der ganze heutige Tag, lieber Vater, war eine zunehmende Erschütterung meines Herzens – kann vor Bewegung nicht sprechen und nichts recht bedenken – Vater, ich besuche alle – ich werde mich über die Menschen hinausreißen aber ich verschmähe den schmutzigen Weg des Ziels – ich will im Weltmeer wie ein Lebendiger durch Schwimmen aufsteigen, aber nicht wie ein Ertrunkner durch Verwesen – Ja, Vater, das Schicksal werfe einen Grabstein auf diese Brust und zermalme sie, wenn sie die Tugend und die Gottheit und ihr Herz verloren hat.«

Albano sprach darum so warm, weil er einer unaussprechlichen Verehrung für die kraftvolle Seele des Ritters nicht entsagen konnte; er stellte sich immer die Qualen und das lange Sterben eines so starken Lebens, den scharfen Rauch eines so großen, kalt ausgegossenen Feuers vor und schloß aus den Regungen seiner eignen lebendigen Seele auf die der väterlichen, die nach seiner Meinung nur langsam auf einer breiten Unterlage schwarzer kalter Menschen so zerfallen war, wie man Diamanten nicht anders verflüchtigt als auf einer Unterlage von ausgebrannten toten Schmiedekohlen. – –

Don Gaspard, der die Menschen selten und nur gelinde tadelte – nicht aus Liebe, sondern aus Gleichgültigkeit –, antwortete dem Jüngling geduldig: »Deine Wärme ist zu loben. Mit der Zeit wird sich alles geben. – Jetzt laß uns essen.«

 

6. Zykel

 

Der Speisesaal unserer Eiländer war im reichen Palaste der abwesenden borromäischen Familie. Man gab der schönen Insel den Parisapfel und Lorbeerkranz. Augusti und Gaspard schrieben ihr das Belobungsschreiben in einem leichten klaren Stil, nur Gaspard mit mehr Antithesen. Albanos Brust war mit einer neuen Welt gefüllt, sein Auge mit einem Schimmer, seine Wangen mit freudigem Blut. Der Baumeister erhob sowohl den Geschmack als den Kammerbeutel des Erbprinzen, der durch beide zwar nicht artistische Meister, aber doch Meisterstücke in sein Land mitbrachte und auf dessen Veranlassung eben dieser Dian nach Italien ging, um für ihn Abgüsse von den Antiken da zu nehmen. Schoppe versetzte: »Ich hoffe, der Deutsche ist so gut mit Malerakademien und mit Malerkoliken versehen als irgendein Volk; unsere Ballenbilder – unsere Thesesbilder in Augsburg – unsere Leisten über Zeitungsblättern und unsere Buchdruckerstöcke in jedem dramatischen Werke, durch die wir eine frühere Shakespeare-Gallery besaßen als London – unsere Effigie-Gehangnen am Galgen sind jedem bekannt und zeigen am ersten, wie weit wirs treiben. – Aber ich will auch zulassen, daß Griechen und Welsche so malen wie wir: so ragen wir doch dadurch über sie hinweg, daß wir, gleich der Natur und den adeligen Sponsierern, nie die Schönheit isoliert ohne angebognen Vorteil suchen. Eine Schönheit, die wir nicht nebenher braten, verauktionieren, anziehen oder heiraten können, gilt bei uns nur das, was sie wert ist; Schönheit ist bei uns (hoff' ich) nie etwas anders als Anschrot und Beiwerk des Vorteils, so wie auch auf dem Reichstage nicht die angestoßenen Konfekttischchen, sondern die Sessionstafeln die eigentlichen Arbeitstische des Reichs-corpus sind. Echte Schönheit und Kunst wird daher bei uns nur auf Sachen gesetzt, gemalt, geprägt, welche dabei nützen und abwerfen: z.B.