Ich bin in diesem Augenblicke, offen gesagt, ganz außerstande, Ihre Behauptungen daraufhin zu untersuchen, ob sie richtig oder unrichtig sind. – Aber wie in aller Welt ist es denn möglich, daß ein Mann von Ihrer Bildung, von Ihren sozialen Anschauungen, von Ihrer geistigen Überlegenheit sein Leben unter den würdelosesten Elementen der menschlichen Gesellschaft verbringt! – Gott weiß, vielleicht hat mich nur Ihre viehische Brutalität dazu gezwungen, Ihre Auseinandersetzungen ernst zu nehmen! Aber ich fühle ganz deutlich, daß Sie mir auf lange Zeit hin allerhand zu denken gegeben haben, worauf ich selber in meinem Leben nie gekommen wäre. Seit Jahren höre ich Winter für Winter zwölf bis zwanzig Vorträge von allen weiblichen und männlichen Autoritäten über Frauenbewegung. Ich kann mich nicht erinnern, je ein Wort gehört zu haben, das so wie Ihre Behauptungen der Sache auf den Grund ging!

CASTI PIANI skandierend. Seien wir uns im Leben immer sonnenklar darüber, mein gnädiges Fräulein, daß wir auf einem Dachfirst nachtwandeln und daß uns jede unvorhergesehene Erleuchtung das Genick brechen kann.

ELFRIEDE ihn anstarrend. Wie meinen Sie das wieder? – Sie denken sich etwas Ungeheuerliches dabei?!

CASTI PIANI sehr ruhig. Ich sage das nur in bezug auf Ihre Ansichten, bei denen Sie sich bis jetzt so unbedingt sicher fühlten, daß Sie Urteile wie »anständig« und »würdelos« freigebig austeilten, als wären Sie ganz allein von Gott dazu beauftragt, über Ihre Mitmenschen zu Gericht zu sitzen.

ELFRIEDE ihn anstarrend. Sie sind ein großer Mensch! – Sie sind ein edler Mensch!

CASTI PIANI. Ihre Worte treffen die Todeswunde, die ich mit auf die Welt gebracht habe und an der ich voraussichtlich einmal sterben werde. Er wirft sich, in einen Sessel. – – Ich bin – – – Moralist!

ELFRIEDE. Und darüber wollen Sie sich bei Ihrem Schicksal. beklagen?! Darüber, daß Ihnen die Macht verliehen wurde, andere Menschen glücklich zu machen?! Sich ihm nach, kurzem inneren Kampf zu Füßen werfend. Heiraten Sie mich doch um Gottes Barmherzigkeit willen! Ich habe mir, bevor ich Sie sah, die Möglichkeit niemals denken können, daß ich mich einem Manne hingebe! Ich bin noch vollkommen unerfahren; das kann ich Ihnen mit den heiligsten Eiden schwören. Ich habe bis zu dieser Stunde nicht geahnt, was das Wort Liebe bedeutet. Bei Ihnen hier fühle ich es zum erstenmal! Die Liebe hebt den Menschen über sein unseliges Selbst empor. Ich bin ein alltägliches Durchschnittsweib, aber meine Liebe zu Ihnen macht mich so frei und kühn, daß es nichts Unmögliches für mich gibt! Schreiten Sie in Gottes Namen von Verbrechen zu Verbrechen; ich gehe Ihnen voran! Gehen Sie aus dem Zuchthaus; ich gehe Ihnen voran! Lassen Sie sich – ich beschwöre Sie! – die günstige Gelegenheit nicht entgehen! Heiraten Sie mich! Heiraten Sie mich! Heiraten Sie mich! – so ist uns beiden armseligen Menschenkindern geholfen!

CASTI PIANI streichelt ihr, ohne sie anzusehen, den Kopf. Ob Sie braves Tier mich lieben oder ob Sie mich nicht lieben, das ist mir vollkommen gleichgültig. – Sie können ja allerdings nicht wissen, wieviel tausendmal ich schon die gleichen Gefühlsausbrüche über mich habe ergehen lassen müssen! Ich unterschätze die Liebe gewiß nicht. Leider aber muß die Liebe auch all den unzähligen Weibern als Rechtfertigung herhalten, die nur ihre Sinnlichkeit befriedigen, ohne den geringsten Entgelt dafür zu fordern, und die uns durch ihre würdelose Preisgabe nur den Markt verderben.

ELFRIEDE. Heiraten Sie mich! Es ist für Sie immer noch Zeit, ein neues Leben zu beginnen! Die Ehe macht einen geordneten Menschen aus Ihnen. Sie können sozialistischer Zeitungsredakteur, Sie können Reichstagsabgeordneter werden! Heiraten Sie mich, dann erfahren doch auch Sie einmal in Ihrem Leben, welch übermenschlicher Opfer ein Weib in seiner grenzenlosen Liebe fähig ist!

CASTI PIANI ihr das Haar streichelnd, ohne sie anzusehen. Ihre übermenschlichen Opfer würden mir im besten Falle die Eingeweide umkehren. Zeit meines Lebens liebte ich Tigerinnen. Bei Hündinnen war ich immer ein Stück Holz. Mein Trost ist nur der, daß die Ehe, die Sie so begeistert preisen und für die die Hündinnen gezüchtet werden, eine Kultureinrichtung ist. Kultureinrichtungen entstehen, um überwunden zu werden. Die Menschheit wird die Ehe so gut überwinden, wie sie die Sklaverei überwunden hat. Der freie Liebesmarkt, auf dem die Tigerin ihre Triumphe feiert, gründet sich auf ein urewiges Naturgesetz der unabänderlichen Schöpfung. Und wie stolz steht das Weib in der Welt, sobald es das Recht erkämpft hat, sich, ohne gebrandmarkt zu werden, zum höchsten Preis, den der Mann ihm bietet, verkaufen zu können! Uneheliche Kinder sind bei der Mutter dann besser versorgt als die ehelichen beim Vater. Stolz und Ehrgeiz des Weibes sind dann nicht mehr der Mann, der ihm seine Stellung anweist, sondern die Welt, in der es sich den höchsten Platz erkämpft, den sein Wert ihm ermöglicht.