Er wirft sich, in einen Sessel. – – Ich bin – – – Moralist!
ELFRIEDE. Und darüber wollen Sie sich bei Ihrem Schicksal. beklagen?! Darüber, daß Ihnen die Macht verliehen wurde, andere Menschen glücklich zu machen?! Sich ihm nach, kurzem inneren Kampf zu Füßen werfend. Heiraten Sie mich doch um Gottes Barmherzigkeit willen! Ich habe mir, bevor ich Sie sah, die Möglichkeit niemals denken können, daß ich mich einem Manne hingebe! Ich bin noch vollkommen unerfahren; das kann ich Ihnen mit den heiligsten Eiden schwören. Ich habe bis zu dieser Stunde nicht geahnt, was das Wort Liebe bedeutet. Bei Ihnen hier fühle ich es zum erstenmal! Die Liebe hebt den Menschen über sein unseliges Selbst empor. Ich bin ein alltägliches Durchschnittsweib, aber meine Liebe zu Ihnen macht mich so frei und kühn, daß es nichts Unmögliches für mich gibt! Schreiten Sie in Gottes Namen von Verbrechen zu Verbrechen; ich gehe Ihnen voran! Gehen Sie aus dem Zuchthaus; ich gehe Ihnen voran! Lassen Sie sich – ich beschwöre Sie! – die günstige Gelegenheit nicht entgehen! Heiraten Sie mich! Heiraten Sie mich! Heiraten Sie mich! – so ist uns beiden armseligen Menschenkindern geholfen!
CASTI PIANI streichelt ihr, ohne sie anzusehen, den Kopf. Ob Sie braves Tier mich lieben oder ob Sie mich nicht lieben, das ist mir vollkommen gleichgültig. – Sie können ja allerdings nicht wissen, wieviel tausendmal ich schon die gleichen Gefühlsausbrüche über mich habe ergehen lassen müssen! Ich unterschätze die Liebe gewiß nicht. Leider aber muß die Liebe auch all den unzähligen Weibern als Rechtfertigung herhalten, die nur ihre Sinnlichkeit befriedigen, ohne den geringsten Entgelt dafür zu fordern, und die uns durch ihre würdelose Preisgabe nur den Markt verderben.
ELFRIEDE. Heiraten Sie mich! Es ist für Sie immer noch Zeit, ein neues Leben zu beginnen! Die Ehe macht einen geordneten Menschen aus Ihnen. Sie können sozialistischer Zeitungsredakteur, Sie können Reichstagsabgeordneter werden! Heiraten Sie mich, dann erfahren doch auch Sie einmal in Ihrem Leben, welch übermenschlicher Opfer ein Weib in seiner grenzenlosen Liebe fähig ist!
CASTI PIANI ihr das Haar streichelnd, ohne sie anzusehen. Ihre übermenschlichen Opfer würden mir im besten Falle die Eingeweide umkehren. Zeit meines Lebens liebte ich Tigerinnen. Bei Hündinnen war ich immer ein Stück Holz. Mein Trost ist nur der, daß die Ehe, die Sie so begeistert preisen und für die die Hündinnen gezüchtet werden, eine Kultureinrichtung ist. Kultureinrichtungen entstehen, um überwunden zu werden. Die Menschheit wird die Ehe so gut überwinden, wie sie die Sklaverei überwunden hat. Der freie Liebesmarkt, auf dem die Tigerin ihre Triumphe feiert, gründet sich auf ein urewiges Naturgesetz der unabänderlichen Schöpfung. Und wie stolz steht das Weib in der Welt, sobald es das Recht erkämpft hat, sich, ohne gebrandmarkt zu werden, zum höchsten Preis, den der Mann ihm bietet, verkaufen zu können! Uneheliche Kinder sind bei der Mutter dann besser versorgt als die ehelichen beim Vater. Stolz und Ehrgeiz des Weibes sind dann nicht mehr der Mann, der ihm seine Stellung anweist, sondern die Welt, in der es sich den höchsten Platz erkämpft, den sein Wert ihm ermöglicht. Welch herrlichen, lebensfrischen Klang dann das Wort Freudenmädchen erhält! In der Geschichte des Paradieses steht, daß der Himmel dem Weib die Macht der Verführung verlieh. Das Weib verführt, wen es will. Das Weib verführt, wann es will. Es wartet nicht auf Liebe. Diese höllische Gefahr für unsere heilige Kultur bekämpft die bürgerliche Gesellschaft damit, daß sie das Weib in künstlicher Geistesumnachtung erzieht. Das heranwachsende Weib darf nicht wissen, was ein Weib zu sein bedeutet. Alle Staatsverfassungen könnten darüber den Hals brechen! Kein Henkerskniff ist der bürgerlichen Gesellschaft zu ihrer Verteidigung zu gemein! Mit jedem Kulturfortschritt dehnt sich der Liebesmarkt aus. Je klüger die Welt wird, um so größer der Liebesmarkt. Und diese Millionen von Freudenmädchen weist unsere gefeierte Kultur im Namen der Sittlichkeit auf den Hungertod hin oder raubt ihnen im Namen der Sittlichkeit Ehre und Lebensberechtigung, stößt sie im Namen der Sittlichkeit ins Tierreich hinab! Wie manches Jahrhundert lang soll noch himmelschreiende Unsittlichkeit die Welt mit dem Henkerbeile der Sittlichkeit verwüsten!
ELFRIEDE tonlos wimmernd.
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