Da, mit Einem Male – die Veränderung ging wirklich wie ein Blitz vor sich – fing er an, nach Genesung zu seufzen, klagte meinem Vater, wurde ungeduldig gegen den Wundarzt, und eines Morgens, als er denselben die Treppe heraufkommen hörte, schlug er seine Bücher zu, warf seine Instrumente bei Seite und machte ihm die bittersten Vorwürfe wegen der Verzögerung der Heilung, die, wie er sagte, sicherlich nun schon lange hätte beendigt sein können. Lange verweilte er bei den Schmerzen, die er ausgestanden, und bei der Pein, welche eine vierjährige traurige Gefangenschaft ihm auferlegt habe, indem er hinzufügte, daß er solchem Elend gewiß schon längst erlegen wäre, wenn nicht die Liebesbeweise und die herzlichen Ermunterungen seines trefflichen Bruders ihn aufrecht erhalten hätten. Mein Vater war gegenwärtig. Onkel Toby's Beredsamkeit trieb ihm Thränen in die Augen: es kam so unerwartet. Von Natur war mein Onkel Toby nicht beredt, deshalb wirkte es um so mehr. – Der Wundarzt gerieth in Verlegenheit; nicht daß hier kein Anlaß zur Ungeduld gewesen wäre, selbst eine viel heftigere wäre gerechtfertigt gewesen, – aber es kam so unerwartet. In den vier Jahren, daß er ihn bedient hatte, war ihm so etwas nie an meinem Onkel Toby vorgekommen, derselbe hatte nie ein Wort des Aergers oder der Unzufriedenheit geäußert, er war immer so geduldig, so ergeben gewesen.

Zuweilen verlieren wir das Recht, uns zu beklagen, wenn wir nicht davon Gebrauch machen, aber oft verdreifachen wir dadurch seine Wirkung; der Wundarzt war höchlich erstaunt, aber noch viel mehr wurde er es, als mein Onkel fortfuhr und darauf bestand, die Wunde müsse sogleich geheilt werden oder er würde zu Monsieur Ronjat, dem Leibchirurgus des Königs, schicken, der würde es schon zu Wege bringen.

Das Verlangen nach Leben und Gesundheit ist dem Menschen eingeboren; die Sehnsucht nach Freiheit und nach Verbesserung seines Zustandes ist diesem Verlangen verwandt. Das hatte mein Onkel Toby mit der ganzen Gattung gemein, und alles dies trug zu seinem lebhaften Wunsche bei, hergestellt zu werden und das Zimmer verlassen zu können; aber ich sagte schon früher, daß in unserer Familie alles anders vor sich ging als bei andern Leuten, und aus der Zeit, wie aus der Art, in welcher dieses heftige Verlangen sich jetzt kund that, wird der scharfsinnige Leser wohl schon vermuthet haben, daß es damit eine besondere Bewandniß, einen Haken in meines Onkels Toby Kopfe haben mußte. Dem war allerdings so, und es soll der Gegenstand des nächsten Kapitels sein, zu zeigen, welches diese Bewandniß und dieser Haken war. Sobald dies geschehen, wird es dann wohl Zeit sein, zum Kamine im Familienzimmer zurückzukehren, wo wir meinen Onkel Toby mitten in seiner Rede sitzen ließen.

 

Dreißigstes Kapitel.

 

Wenn der Mensch sich von seiner Leidenschaft beherrschen läßt, oder, mit anderen Worten, wenn sein Steckenpferd mit ihm durchgeht, dann ist es mit der ruhigen Vernunft und Ueberlegung zu Ende.

Onkel Toby's Wunde war im Heilen, und sobald der Wundarzt sich von seinem Erstaunen erholt hatte und zu Worte kommen konnte, sagte er ihm, daß sie eben anfange sich zu schließen, und daß, wenn keine neue Ausschwärung einträte, sie allen Anzeichen nach in fünf bis sechs Wochen gänzlich geheilt sein würde. Ebenso viel Olympiaden würden noch 12 Stunden vorher meinem Onkel Toby ein kürzerer Zeitraum gedünkt haben. Jetzt jagten sich seine Gedanken, er brannte vor Ungeduld, sein Vorhaben ins Werk zu setzen, und ohne Jemand zu Rathe zu ziehen, was jedenfalls das Beste ist, wenn man einmal nicht den Willen hat, fremden Rath zu befragen, befahl er seinem Diener Trim, Charpie und Kleider zusammenzupacken und eine vierspännige Kutsche zu miethen, mit der Weisung, daß dieselbe Punkt zwölf Uhr, wo er wußte, daß mein Vater auf der Börse war, vor der Thür halten sollte. Und nachdem er für des Wundarztes Bemühung eine Banknote und für meinen Vater einen Brief voll herzlichen Dankes auf den Tisch gelegt, packte er seine Pläne, Fortifikationsbücher, Instrumente u.s.w. zusammen, setzte sich in die Kutsche, wobei ihn auf der einen Seite seine Krücke, auf der andern Trim unterstützte, und fuhr nach Shandy-Hall ab.

Der Grund dieser plötzlichen Auswanderung, oder vielmehr die Veranlassung dazu war Folgendes:

Der Tisch in Onkel Toby's Zimmer, an welchem er den Abend vor dieser plötzlichen Veränderung, umgeben von seinen Plänen u.s.w., saß, genügte seiner Größe nach den Anforderungen nur sehr wenig, welche die unendliche Menge größerer und kleinerer Werkzeuge der Wissenschaft, mit denen er gewöhnlich bedeckt war, an ihn stellte; so geschah es, daß mein Onkel Toby, als er nach seinem Tabaksbeutel langte, seinen Zirkel herunterwarf, daß er, als er sich dann bückte, um den Zirkel aufzunehmen, das Reißzeug und die Schnupftabaksdose mit dem Aermel vom Tische schob, und als er vergebliche Versuche machte, die Dose aufzufangen, – das Glück war ihm nun einmal entgegen, – Mr. Blondel zu Boden warf, auf den dann zuletzt noch der Graf von Pagan zu liegen kam.

Lahm, wie mein Onkel Toby war, konnte er es nicht unternehmen, sich hier selbst helfen zu wollen, er schellte also nach seinem Diener Trim. »Trim«, sagte mein Onkel, »sieh nur, was für eine Verwirrung ich hier angerichtet habe; ich muß das bequemer haben, Trim; nimm doch das Lineal und miß die Länge und Breite dieses Tisches, dann geh und bestelle mir einen, der noch einmal so groß ist.« – »Sehr wohl, Ew. Gnaden«, erwiederte Trim und verbeugte sich; »aber ich hoffe, Ew. Gnaden werden wohl bald gesund genug sein, um aufs Land zu ziehen; da können wir das Ding mit der Befestigung, woran Ew. Gnaden so viel Vergnügen finden, aus dem ff treiben.«

Ich muß hier erwähnen, daß dieser Diener meines Onkels Toby als Korporal in seiner Kompagnie gedient hatte und eigentlich James Butler hieß; aber da ihm im Regimente der Spitzname Trim gegeben worden war, so nannte ihn auch Onkel Toby nicht anders, ausgenommen wenn er sich über ihn ärgerte.

Der arme Bursche war, zwei Jahre vor der Affaire bei Namur, in der Schlacht bei Landau von einer Flintenkugel am linken Bein verwundet und dadurch dienstunfähig geworden; da er aber in dem Regimente sehr beliebt und überdies ein anstelliger Mensch war, so hatte ihn mein Onkel Toby in seine Dienste genommen, und treffliche Dienste leistete er ihm im Lager wie im Standquartier als Kammerdiener, Reitknecht, Barbier, Koch, Schneider und Krankenwärter; von Anfang bis ans Ende pflegte er ihn und diente ihm mit der größten Treue und Anhänglichkeit.

Dafür liebte ihn auch mein Onkel Toby, und was ihn noch mehr an den Mann fesselte, war die gleiche Kenntniß von denselben Dingen: denn Korporal Trim, wie ich ihn fortan nennen werde, war in diesen vier Jahren durch gelegentliches Aufmerken auf seines Herrn Auseinandersetzungen und dadurch, daß er auf dessen Pläne u.s.w. ein neugieriges und forschendes Auge geworfen hatte, – das gar nicht gerechnet, was von seines Herrn Steckenpferd auf ihn den Kammerdiener (nicht steckenpferdisch per se) übergehen mußte, – so weit in der Wissenschaft gekommen, daß er bei dem Stubenmädchen und der Köchin für einen Mann galt, der von dem Wesen der Festungen mehr verstünde als selbst mein Onkel Toby.

Noch einen Zug zu Korporal Trims Charakter muß ich hinzufügen, es ist der einzige dunkle darin. Der Bursche liebte Rath zu ertheilen und sich selbst sprechen zu hören; jedoch war sein Betragen stets ehrfurchtsvoll, und es war leicht, ihn beim Schweigen zu erhalten, wenn man wollte; aber war seiner Zunge einmal der Anstoß gegeben, so war kein Haltens mehr – sie lief mit ihm davon. Das fortwährende Dareinwerfen von »Ew. Gnaden« und die ehrfurchtsvolle Art des Korporals verliehen jedoch seiner Schwatzhaftigkeit einen solchen Charakter, daß man ihm darüber nicht böse werden konnte, wie belästigt man sich auch fühlte. Bei meinem Onkel war übrigens weder das Eine, noch das Andere der Fall, wenigstens störte dieser Fehler Trims das Verhältniß nicht. Wie ich sagte, mein Onkel liebte den Mann, und da er einen treuen Diener stets wie einen sich unterordnenden Freund ansah, so konnte er es nicht über sich gewinnen, ihm den Mund zu stopfen. – So war Korporal Trim.

Wenn ich mich unterstehen darf, fuhr Trim fort, Euer Gnaden einen Rath zu geben und meine Meinung in dieser Sache auszusprechen – Du darfst, Trim, sagte mein Onkel Toby, sprich nur aus ohne Furcht, Mann, was Du darüber denkst – Nun dann, erwiederte Trim, der jetzt nicht etwa die Ohren hängen ließ und sich wie ein Dorflümmel den Kopf kratzte, sondern sich die Haare aus der Stirn strich und kerzengerade wie vor seiner Kompagnie dastand – nun dann, sagte Trim, und schob sein linkes Bein, das lahme, etwas vor, indem er mit der rechten Hand auf einen Plan von Dünkirchen wies, der an der Wand hing – nun dann, meine ich, sagte Korporal Trim, Eurer Gnaden besseres Urtheil in Ehren, daß diese Ravelins, Bastionen, Wälle und Hornwerke hier auf dem Papier nur ein armseliges, verächtliches und lumpiges Stück Arbeit sind, wenn man sie mit dem vergleicht, was wir, Euer Gnaden und ich, zu Stande bringen könnten, wenn wir auf dem Lande wären und nur zwei oder drei Quadratfaden Terrain hätten, mit dem wir machen könnten, was wir wollten. Da es jetzt Sommer wird, fuhr Trim fort, so könnten Euer Gnaden draußen im Freien sitzen, – und dann gäben Sie mir die Nographie (Ichnographie mußt Du sagen, warf mein Onkel ein) von der Stadt oder der Citadelle, vor der sich Ew. Gnaden vorher gefälligst festgesetzt hätten, und Ew. Gnaden sollten mich auf dem Glacis derselben Stadt todtschießen lassen, wenn ich sie Ihnen nicht befestigte, wie es Ew. Gnaden belieben würde.