– Das half nichts. Korporal Trims Schilderung hatte seine Einbildungskraft erhitzt; mein Onkel konnte kein Auge zuthun. Je mehr er darüber nachdachte, desto reizender kam ihm die Sache vor, so daß er bereits zwei Stunden vor Tagesanbruch einen festen Entschluß gefaßt hatte, und mit sich darüber im Reinen war, er wolle mit Korporal Trim zusammen das bisherige Standquartier verlassen.
Mein Onkel besaß in demselben Dorfe, wo meines Vaters Besitzung lag, in Shandy, ein kleines Landhaus, welches ihm, nebst einem mäßigen Einkommen von etwa 100 Pfund jährlich, ein alter Onkel hinterlassen hatte. Unmittelbar hinter dem Hause befand sich ein Küchengarten etwa 11/2 Morgen groß, und am Ende dieses Gartens, durch eine hohe Hecke davon getrennt, ein Rasenplatz, der gerade so groß war, wie Korporal Trim ihn brauchte, so daß, als Trim von zwei bis drei Quadratfaden Terrain sprach, »womit man machen könnte, was man wollte«, dieser Rasenplatz meinem Onkel Toby sogleich in den lebhaftesten Farben vor die Augen trat; das war es gewesen, was ihm, wie wir oben sahen, das Blut so heftig ins Gesicht getrieben hatte.
Nie eilte ein Verliebter zu der Geliebten seines Herzens mit heftigerer Glut, in seligerer Erwartung heimlichen Genusses, – als mein Onkel zu diesem Rasenplatze; ich sage heimlichen Genusses, – denn der Platz war, wie schon erwähnt, der hohen Hecke wegen vom Hause aus nicht zu sehen, und auf den andern drei Seiten war er durch wildes Rosengebüsch und dichtes blühendes Gesträuch vor jedem Blicke geschützt, so daß der Gedanke, hier ganz unbeobachtet zu sein, nicht wenig zu dem angenehmen Gefühl beitrug, welches mein Onkel schon im Voraus empfand. Eitle Hoffnung! mein guter Onkel Toby. Wie dicht das Gesträuch auch immer sein mochte, konntest Du wirklich glauben, es würde Dir vergönnt sein eine Heimlichkeit ganz allein zu genießen und vor dem Offenbarwerden zu schützen, zu der zwei bis drei Quadratfaden Terrain nöthig waren?
Auf welche Weise mein Onkel Toby und Korporal Trim die Sache angriffen, und wie ihre Campagnen, denen es keineswegs an Ereignissen gebrach, verliefen, alles das wird eine nicht uninteressante Episode im Verlauf und in der Entwickelung dieses Dramas ausmachen. Jetzt aber muß die Scene wechseln, und wir sehen uns vor den Kamin im Familienzimmer zurückversetzt.
Einunddreißigstes Kapitel.
Was machen sie nur da oben, Bruder? sagte mein Vater. – Ich meine, erwiederte mein Onkel Toby, der seine Pfeife aus dem Munde nahm und die Asche ausklopfte, während er seine Rede begann, – ich meine, erwiederte er, daß es gut sein würde, Bruder, wenn wir klingelten.
Was bedeutet der Lärm über unsern Köpfen, Obadiah? fragte mein Vater; mein Bruder und ich, wir können kaum unser eigenes Wort hören.
Herr, entgegnete Obadiah, indem er sich nach links hin verbeugte, – Madame ist plötzlich sehr unwohl geworden. – Und was läuft Susanna dort durch den Garten, als ob der böse Feind hinter ihr her wäre? – Herr, entgegnete Obadiah, sie läuft auf dem kürzesten Wege nach der Stadt, um die alte Hebamme zu holen. – Dann sattle ein Pferd, sagte mein Vater, und reite gleich zu Dr. Slop, dem Geburtshelfer; – bestell' ihm meine Empfehlung, und die Wehen bei Deiner Herrin hätten sich eingestellt, und ich ließe ihn bitten, so schnell als möglich herzukommen.
Es ist sonderbar, wandte sich mein Vater zu meinem Onkel Toby, als Obadiah zur Thür hinaus war, – da ist nun ein so geschätzter Arzt wie Dr. Slop ganz in der Nähe, und doch besteht meine Frau in ihrem unverzeihlichen Eigensinne darauf, das Leben meines Kindes, das schon Ein Mißgeschick betroffen, der Unwissenheit eines alten Weibes anzuvertrauen; und nicht das Leben meines Kindes allein, Bruder, sondern auch das ihrige und das aller der Kinder, die ich vielleicht noch später mit ihr erzeugen könnte.
Vielleicht, Bruder, erwiederte mein Onkel Toby, thut es meine Schwägerin der Kosten wegen. – Dummheit! entgegnete mein Vater, der Doktor muß so oder so bezahlt werden, mag er nun Hand anlegen oder nicht, – ja vielleicht noch besser, damit er sich nicht ärgert.
Dann, sagte mein Onkel Toby in der Unschuld seines Herzens, dann kann es durchaus nichts Anderes sein als Schamgefühl. Ich wette darauf, setzte er hinzu, sie will nicht, daß ein Mann ihr so nahe komme – – Nun vermöchte ich nicht zu sagen, ob mein Onkel Toby damit den Satz beendigt hatte oder nicht; – zu seinen Gunsten nehme ich das Erstere an, denn ich meine durch jedes Wort mehr wäre der Satz schlechter geworden.
Hätte dagegen mein Onkel Toby seinen Satz wirklich nicht beendigt gehabt, so verdankt die Welt dem Umstande, daß meines Vaters Pfeife zerbrach, eines der artigsten Beispiele zu der Redefigur, welche die Rhetoriker Aposiopesis nennen. Gerechter Himmel! wie sehr kommt es bei der Schönheitslinie eines Satzes, wie bei der einer Bildsäule auf das poco piu und poco meno der italienischen Künstler, auf das unmerkliche Mehr oder Weniger an! Wie verleihen gerade die leichten Striche des Meißels, des Pinsels, der Feder, des Fiedelbogens u.s.w. jenen rechten Ausdruck, welcher den wahren Genuß erzeugt. O, liebe Landsleute! seid keusch, seid vorsichtig in Eurer Sprache und vergeßt nie, o nie! von was für kleinen Partikeln Eure Beredsamkeit und Euer Ruhm abhängt.
Wahrscheinlich, sagte mein Onkel Toby, will meine Schwägerin nicht, daß ihr ein Mann so nahe komme – Macht man einen Gestankenstrich, so ist dies eine Aposiopesis; nimmt man den Gedankenstrich weg und schreibt »an ihren Hintern«, so ist das eine Unanständigkeit; streicht man Hintern aus und setzt dafür »gedeckten Weg«, so ist das eine Metapher, und da meinem Onkel Toby die Befestigungskunst immer im Sinne lag, so glaube ich, es würde dies das Wort gewesen sein, welches er an seine Rede gefügt hätte, wäre es überhaupt dazu gekommen.
Ob das nun aber in seiner Absicht gelegen oder nicht, oder ob das verhängnißvolle Zerbrechen der Tabakspfeife meines Vaters zufällig, ob aus Aerger geschah, das wird seiner Zeit gemeldet werden.
Zweiunddreißigstes Kapitel.
Obgleich mein Vater von Natur ein guter Philosoph war, so hatte er doch auch etwas von einem Moralisten an sich; deshalb hätte er, als er seine Tabakspfeife mitten durchgebrochen, nichts Anderes thun sollen, als die beiden Stücke ruhig ins Feuer werfen. Das that er aber nicht; er schleuderte sie vielmehr mit aller Gewalt hinein und sprang, wahrscheinlich des größeren Nachdrucks wegen, dabei von seinem Sitze auf.
Das sah wie Heftigkeit aus, und die Art, wie er meinem Onkel Toby antwortete, bewies, daß er wirklich heftig war.
»Will nicht, daß ein Mann so nahe komme!« rief mein Vater aus, indem er Onkel Toby's Worte wiederholte. Bei Gott, Bruder, Du könntest einen Hiob aus seiner Geduld bringen; habe ich denn nicht ohnedies schon Schererei genug! – Wie so? warum? weswegen? woher? in wie fern? erwiederte mein Onkel Toby ganz erstaunt. – Ein Mann in Deinen Jahren, Bruder, sagte mein Vater, und kennt die Weiber so wenig! – Ich kenne sie gar nicht, erwiederte mein Onkel Toby, und ich meine die Unannehmlichkeit, die ich ein Jahr nach der Zerstörung von Dünkirchen mit der Wittwe Wadmann hatte, – eine Unannehmlichkeit, die ich mir bei einiger Kenntniß des schönen Geschlechtes nie zugezogen hätte, – berechtigt mich wohl zu sagen, daß ich von Allem, was die Frauen betrifft und angeht, nichts weiß und nichts wissen will. – Du solltest doch aber, sagte mein Vater, das rechte Ende, bei dem ein Weib angegriffen sein will, von dem unrechten unterscheiden können.
Aristoteles sagt uns in seinem Meisterwerke: »daß Jemand, der an Vergangenes denke, vor sich hin zur Erde blicke, während der, welcher an Zukünftiges denkt, zum Himmel auf schaue«.
Mein Onkel dachte wahrscheinlich weder an das Eine, noch an das Andere, denn er sah geradeaus. Das rechte Ende! murmelte mein Onkel Toby vor sich hin und richtete dabei unbewußt seine Augen auf eine kleine Ritze, die durch zwei schlecht verbundene Kacheln im Mantel des Kamines gebildet wurde, – das rechte Ende bei einem Weibe! – Ich erkläre, davon nicht mehr zu verstehen, als von dem Mann im Monde; und wenn ich, fuhr mein Onkel Toby fort und hielt die Augen noch immer fest auf die Ritze gerichtet, – und wenn ich diesen ganzen Monat darüber nachdächte, ich brächte es sicher nicht heraus.
Dann will ich Dir's erklären, Bruder, sagte mein Vater.
Jedes Ding in der Welt, fuhr mein Vater fort und stopfte sich eine neue Pfeife, jedes Ding in der Welt, lieber Bruder Toby, hat zwei Handhaben. Nicht immer, sagte mein Onkel Toby. – Wenigstens jedes hat zwei Seiten, an denen man es fassen kann, was auf dasselbe herauskommt. Wenn nun ein Mann sich hinsetzt und das ganze Machwerk, die Gestalt, Bildung, Leistungsfähigkeit und Zweckmäßigkeit der einzelnen Theile jenes Thieres, Weib genannt, in Betracht zieht und sie nach den Gesetzen der Analogie – Ich verstehe das Wort nicht recht, sagte mein Onkel Toby.
Analogie, erwiederte mein Vater, ist ein gewisser Grad von Verwandtschaft und Uebereinstimmung mit – Hier brach ein entsetzliches Klopfen an der Thür die Auseinandersetzung meines Vaters mitten durch (wie vorher seine Tabakspfeife) und drückte damit einer so beachtenswerthen und interessanten Abhandlung, wie nur je eine dem Mutterleibe der Spekulation entsprungen, den Kopf ein. Es dauerte einige Monate, ehe mein Vater die geeignete Gelegenheit fand, sie sicher an den Mann zu bringen, und wenn ich die Verwirrung und die Unfälle erwäge, welche nun massenhaft über unser Haus hereinbrachen, so scheint es mir zur Zeit ebenso problematisch zu sein, als es der Gegenstand der Abhandlung selbst ist, ob ich im Stande sein werde, in diesem Bande noch einen Platz dafür zu finden, oder nicht.
Dreiunddreißigstes Kapitel.
Es ist ohngefähr anderthalb Stunden gemächlichen Lesens her, daß mein Onkel die Glocke zog und Obadiah den Befehl erhielt, ein Pferd zu fatteln und nach Dr. Slop, dem Geburtshelfer, zu reiten; also wird Niemand vernünftiger Weise behaupten können, ich hätte – poetisch gesprochen, und die Dringlichkeit wohl erwogen, – dem Obadiah nicht Zeit genug gelassen, den Weg hin und her zu machen, obgleich dieselbe Zeit in Wirklichkeit für ihn kaum hingereicht hätte, seine Stiefel anzuziehen.
Wenn ein Kritiker sich hier einbeißen und etwa einen Pendel nehmen wollte, um die wahre Zeitdifferenz zwischen dem Läuten der Glocke und dem Klopfen an der Thür zu messen, mir dann aber wegen Verletzung der Einheit oder vielmehr der Wahrscheinlichkeit der Zeit zu Leibe ginge, weil er fände, daß diese Differenz nicht mehr als 2 Minuten 133/5 Sekunden beträgt, so würde ich ihn daran erinnern, daß die Idee der Zeitdauer und ihrer einzelnen Grade nur von der Folgenreihe unserer Gedanken hergenommen wird, und daß dies der wahre scholastische Pendel ist, vor welchem ich als Gelehrter meine Sache ausfechten will, indem ich die Gerichtsbarkeit jedes andern Pendels mit Verachtung zurückweise.
Ich würde ihn daher ersuchen, doch gefälligst in Betracht ziehen zu wollen, daß es von Shandy-Hall bis zu des Geburtshelfers Dr. Slop Hause nicht weiter als lumpige acht Meilen ist, und daß ich, während Obadiah besagte Meilen hin- und herritt, meinen Onkel Toby von Namur durch ganz Flandern nach England brachte, ihn fast vier Jahre lang krank auf den Händen hatte, und ihn dann mit Korporal Trim fast zweihundert Meilen weit in einer vierspännigen Kutsche nach Yorkshire schaffte, was alles zusammen des Lesers Einbildungskraft für das Auftreten des Dr. Slop auf unserer Bühne gewiß nicht schlechter vorbereitet haben wird, als ein Tanz, eine Arie oder ein Koncert während des Entreacts.
Wenn aber mein Hyperkritikus, nachdem ich alles, was ich zu meinen Gunsten vorbringen konnte, gesagt habe, dennoch keine Vernunft annehmen will und dabei beharrt, daß 2 Minuten 133/5 Sekunden doch immer nur 2 Minuten 133/5. Sekunden sind, und daß diese Rechtfertigung, obgleich sie mich als Dramatiker entlastet, doch als Biograph verdammt, indem sie mein Buch, welches bis dahin wenigstens als apokryph gelten konnte, in die Klasse der gänzlich erdichteten verweist, – so will ich seinem Einspruch und der ganzen Controverse durch die Mittheilung ein Ende machen, daß Obadiah noch nicht fünfzig Schritt weit vom Stalle geritten war, als er auf Dr.
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