Nur noch der Kopf des Esels geht über den Halmen. Ihr nach, an einem Stabe im Mantel gebeugt, eine Kapuze spitz über den Kopf, der Mann.

Rings um sie steigt blauer Blütenrauch aus der Wiese. Blasse leuchtende Düfte aus dem Graugrün und Graugelb. Ein müder dünner Spinnwebenflaum belegt jede Lichtpore, die Luft steht verdichtet, wie zartes Horn über allen Farben.

Am Horizont ein Streif, rosig wie süße Weindünste, aber noch ein Lila darin, das blutet wie aus weher Narbe.

Wie ganz dünner Schaum schwimmen die Blütensträucher über der Wiese. Ihr Duft saugt die Halme zur Höhe und beugt den Himmel nieder.

Durch die behutsame Stille ziehen der Mann und die Frau auf dem Esel. Unter ihrem Mantel, am Herzen hält sie ein schlafendes Kind. Und alles umher wacht und hütet den Schlummer des Kindes.

Die Farben treten so leise auf. Das Blau nur gedämpft wie behauchte Türkisen. In der Wiese das Rot, nur die Spuren von Rot, als ob Tränen des Glückes und der Rührung darüber schleiern.

Dies das Geleite des Friedens, das mit den Ziehenden schwebt. Es sammelt sich über dem Haupte der heiligen Frau zu einem beschützenden goldnen Lichtschild.

Oben am Himmel im Vergißmeinnichthauch ein schmaler Mond ohne Leuchten, nur wie Wolkenflaum.

Und unten auf der Wiese nur Farbenstaub wie auf Schmetterlingsflügeln, draußen am Horizont das zögernd sickernde Frühlicht.

Diese zögernden Stimmen aller Farben gehen um die Fliehenden in tröstender beruhigender Melodie. Und die Luft rings ist erfüllt von dem Dufte des schlafenden Kindes, und seinem warmen Atem und dem Duft seiner Träume.

Der leuchtende blaue Duft legt sich in die Falten der Gewänder, dämpft das Rauschen, steigt zum Himmel und zur Ferne, zerdrückt das Mondlicht, wehrt der Tageshelle, senkt sich über die Wiese in die Halme, und es ist da nur noch ein Wimperzittern aller Farben, eine rieselnde Erregung, die sich um das schlummernde Kind drängt, ein kosender rosiger Jubel und ein bebender blaßblauer Jubel und unter Tränen eine unendliche Beglückung.

 

Faun

 

Im Walde Faun,

Tief im Grase.

Die Ohren gereckt, mit schnuppernder Nase,

Horcht über die Halme zur sinkenden Sonne.

 

Und die Affenstirne in Falten geschoben,

Und zitternd die geballte Rechte gehoben:

»Verfluchte Gewalt, du sollst mich nicht zwingen!«

 

Die Sonne sinkt.

Die Nachtdüfte steigen,

Aus der Waldtiefe

Schwillt rot das Schweigen.

 

Faun kriecht zusammen,

In die harten Blätter am Boden,

Scharrt Moos, Steine auf:

»Erde, laß mich hinein!«

Und er wühlt die Stirn in die Erde ein,

Beißt um sich, zerfetzt, hackt –

Aber alles bleibt reglos.

Sie hören ihn nicht.

Nur Stille rings mit versteintem Gesicht.

Mondlicht brennt.

Im Walde jagen die weißen eisigen Feuer,

Und von brünstigen Flammen entfacht,

Tanzt Faun und lacht,

Und tanzt und lacht,

Mit wunden Augen in brünstigen Flammen.

 

 

Vision

 

! Stöhnendes Graugelb.

Aber das Stöhnen nur im Blick.

Lautlos sonst und mit unterdrücktem Atem.

 

! Und ein Blau,

Ein Blau, aus dem ganz zarte silberne Glocken spiele singen,

Und ein Duft geht von Sonnenwärme und Mandelblüten.

 

! Silber darüber.

Duftleeres, schneekühles Silber.

Aber aus allem hebt sich steif

Und hebt sich fahl, wie Gewitterlicht,

Das stumme Graugelb.

Und hebt sich lautlos stöhnend wie Asche,

Mit welkem darbenden Blick.

 

! Ein Gesicht – die starre Maske eines Toten –

Ein Kopf – aus dem Blau – aus dem blauen, glatten Wasser.

Braunviolette Strähne – Haare in die Stirn,

Das eine Auge schief, spitze Wangenknochen,

Und trieft von den Schläfen das braunviolette Haar

Über das öde aschige Gelb.

 

Und darüber: über das blaue Wasser

Silbern ein Schwan.

Silbern die Reflexe von Wolken,

Duftleer, schneekühl.

 

In das Blau,

In das Silber

Ragt der gelbaschige Kopf des Ertrunkenen.

Und der Schwan zieht reglos vorbei,

Reglos die Reflexe der Wolken.

 

 

Schwarz

 

Abgestürzt.

Die Spätnachmittagssonne in der Hauptstraße von Partenkirchen. Die Häuser gelb vom Licht gestreift. Das Schweigen schwemmt die Straße hinunter.

Beim Bader vor der Treppe ein Gehilfe, erklärt, gestikuliert mit schwülstiger Gebärde – die Hände wölben sich um den Kopf: So – von da bis dahin – den ganzen Schädel habe es ihm gespalten!

Und die Frau mit dem Knaben unten windet sich und biegt sich von seiner Beschreibung fort: Nein, ach Gott, nein, Gott, der arme Mensch!

Und weiter oben bei der Kirche die Obstverkäuferin: Ja, die glatten Eisen an den Schuhen seien es gewesen. Und so – einen Sprung habe er gemacht und dann ausgeglitten – zwischen – vor ihm ein Freund und hinter ihm und er zwischen ihnen gerade in der Mitte hinunter – und gleich fünfhundert Meter.

Und in der Badeanstalt die Frau schaut vom Tor auf den Kirchturm: Fünf Uhr.

Oben im Turmfenster biegt sich ein Junge heraus.

Die Frau zu zwei Damen: Um fünf Uhr würde der Abgestürzte zum Bahnhof gebracht. Vom Krankenhaus, droben vom Krankenhaus aus. Es wäre ein Offizierssohn. Die müßten jetzt gleich läuten dort oben. Ja, er wäre ohne Führer gegangen.

Die Schustersfrau in der Küchentüre und hinter ihr der Qualm von braunem Mehl und Schmalz:

Ganz zerschmettert sei er. Nur die Kleider hätten ihn noch zusammengehalten. Seine Freunde natürlich hätten gewollt, daß man ihn noch am Abend suchen sollte. Aber bei Nacht, das ginge doch nicht.

Die armen Eltern, das sag' ich auch. Ja, wenn er nur gleich tot war! –

Zwei Herren gehen die Seitenstraße höher hinauf. Die Leute in Gruppen vor den Türen.

Die beiden Herren in Schwarz, und Hut schwarz und Handschuhe.

Die Sonne ringsum störrisch blendend an den weißen Häusern entlang und auf dem Akazienlaub und in roten und blauen Knäueln auf Nelken und Rittersporn vor den Fenstern und in den kleinen Gärten.

Durch die wache Helle geht das Schwarz gesenkt, dumpf und steil wie tiefe Stirnfalten. Und die Helle und die Farben wirbeln verletzt auf und umstacheln das Schwarz.

Die Leute halten die Hände über die Augen. Beklommenheit sieht dem Schwarz nach. Aber das Schwarz geht in unbeirrtem Schweigen. Und besonders dies Schwarz der Handschuhe, dies Schwarz, das um die Hände gepackt, das kauert zusammengekrampft und reglos und verblüfft die Helle.

Das Licht schwirrt nervöser, heftig gereizt. Die schwarzen Hände greifen manchmal nach dem Hut, lüften ihn. Dann mit dem weißen Taschentuch über den Nacken.

Das weiße Tuch in den schwarzen Händen, ein kindliches großäugiges Weiß. Das Schwarz ist nicht Klammer um das Weiß, nicht eine Überwältigung, ihre Kontraste kosen sich.