Die Nachtluft war nach dem Khamsin des vorigen Tages so erquickend kühl, ein Hochgenuß, den man im Schlaf nicht mehr bewußt genießen kann, und so nahm ich mir vor, zu der aufgezeichneten Strophe noch eine zweite, dritte und vierte zu schreiben. Ich zerlegte den Hauptgedanken in seine Teile und sann über die Verbindung zwischen ihnen nach, um zu einer festen, logisch klaren Disposition zu kommen; aber der unverwüstliche, alte und wohlbekannte Papa Morpheus schien sich aus den Tempeltrümmern meines Traumes heraus- und über mich hergemacht zu haben, und er wurde mit mir eher fertig, als ich mit meiner Disposition. Und er gab mich für dieses Mal nicht eher frei, als bis ein lautes Klopfen an meiner Tür ihn zwang, von mir hinweg und nach Griechenland zu eilen, wo im »hohen Olymp« noch einige unbeschädigte Tempel stehen sollen, welche die Nachwelt als Auszüglerwohnungen oder Altenteil der einst dort Thronenden zu respektieren hat.
Ich sah nach der Uhr. Punkt acht! O wehe! Wahrscheinlich stand Sejjid Omar schon draußen!
»Istan'ni schubai'je - warte ein wenig!« rief ich so laut, daß er es hören konnte, und machte mich schnell fertig, ihn hereinzulassen.
Obgleich ich mich im Zimmer befand, bemerkte ich, daß der Khamsin heut noch schärfer wehte als gestern, wenn auch jetzt am Vormittage noch nicht mit der erst später zu erwartenden Hitze. Als ich das Zeichen gab, daß der Wartende kommen könne, trat er ein. Ja, es war Sejjid Omar. Er hatte sein bestes Gewand angelegt und den Turban aufgesetzt, während er für gewöhnlich den roten Tarbusch (* So wird in Aegypten der Fez genannt.) trug. Das geschah in der Absicht, mir zu zeigen, daß die zu besprechende Angelegenheit für ihn eine ungewöhnlich wichtige sei. Nach Art der Araber, welchen bei dem hiesigen Klima ein Verschließen der Wohnräume nicht geläufig ist, ließ er, als er hereingekommen war, die Tür weit offen stehen. Draußen auf dem Korridore stand wahrscheinlich ein Fenster auf, und da meine Balkontür auch offen war, so entstand ein Luftzug, dessen plötzlicher Stoß so stark war, daß er die auf dem Tisch liegenden Papiere emporhob und eines derselben hinaus auf den Balkon führte, wo es zwar zunächst liegen blieb, aber so lebhaft bewegt wurde, daß es jeden Augenblick weiter fliegen konnte. Omar sprang sofort dienstfertig hinaus. Er hob es auf, betrachtete es und warf es dann in die Luft, die es wirbelnd mit sich nahm.
»Es stand wohl nichts darauf?« fragte ich.
»O ja, es war beschrieben,« antwortete er.
»Aber, warum hast du es da nicht hereingebracht, sondern weggeworfen?«
»Es war ja nicht arabisch!«
Er sagte das im Tone der unendlichsten Selbstverständlichkeit, daß alles nicht arabisch Geschriebene für das ganze Reich der Schöpfung vollständig gleichgültig und wertlos sei. Dabei lag auf seinem Gesichte eine solche Befriedigung, als ob es für mich gar keine Möglichkeit gebe, hierüber anders als er zu denken.
»Höre, Omar,« belehrte ich ihn, »ich schreibe deutsch, aber trotzdem ist Alles, was ich geschrieben habe, mehr wert, als wenn zum Beispiel du es arabisch geschrieben hättest. Auch das Papier kostet Geld, und dieses Blatt gehörte mir, aber nicht dir. Wie kommst du dazu, es wegzuwerfen? Wenn ein Franzose dich mit einem goldenen Napoleon bezahlt, wirfst du diesen auch weg, nur weil die darauf zu lesende Schrift nicht arabisch ist?«
Er errötete, was seinem Gesichte bei dessen dunklem Teint eine eigentümliche Färbung gab, ließ die Arme wie ganz kraftlos sinken und hielt den Blick zu Boden gerichtet. Er besaß ein sehr stark entwickeltes Ehrgefühl, und mein Verweis wirkte bei ihm tiefer, als er bei einem andern gewirkt hätte.
»Sihdi, was soll ich sagen!« stieß er hervor. »Es ist der Wunsch meines Herzens, dein Diener werden zu dürfen, und jetzt, wo ich es noch gar nicht bin und dich noch nicht einmal begrüßt habe, mache ich mich schon eines solchen Fehlers schuldig! Kannst du denn deine Bücher nicht arabisch schreiben, damit ich, wenn ich die Blätter liegen sehe, gleich lesen kann, ob sie wichtige sind oder ob ich sie wegwerfen darf?«
»Du hast in Zukunft nichts, gar nichts wegzuwerfen, sondern grad die von mir beschriebenen Blätter mit der größten Sorgfalt zu behandeln! Sie sind mehr Geld wert, als du denkst!«
»Maschallah! So habe ich Geld weggeworfen?«
»Wahrscheinlich. Ich werde dann nachsehen, was mir fehlt.«
»So verzeihe mir, Sihdi! Oder, ich werde auch etwas auf ein Blatt schreiben; das wirfst du weg, und dann sind wir quitt!«
Das war im vollsten Ernst gesagt. Ich konnte natürlich gar nicht anders, ich mußte herzlich lachen. Das gab ihm wieder Mut. Er hob die Arme und den Blick wieder empor und fragte:
»Was hast du über meinen Wunsch, mit dir zu gehen, beschlossen?«
»Kannst du reiten?«
»Ja.«
»Auch zu Pferde?«
»Ja; prüfe mich! Ich weiß vom alten Ibrahim Effendi, was für Ritte du schon hast machen müssen. Du wirst mich brauchbar finden.«
»So komm am Nachmittag um drei Uhr wieder. Ich werde Pferde besorgen. Wir reiten nach Gizeh und morgen nach Sakkara, Bedraschehn und vielleicht auch nach Heluan. Aber denke nicht, daß wir uns auf Touristenwegen halten werden! Wie du reitest, und wie bald oder spät du ermüdest, davon wird es abhängen, ob dein Wunsch erfüllt wird oder nicht.«
Da holte er tief Atem und versicherte in frohem Tone:
»Hamdulillah!
(* Allah sei Dank!). Ich werde dein Diener sein; ich weiß es ganz gewiß! Hast du jetzt noch einen Befehl für mich?«
»Nein. Du kannst gehen.«
»Allah jesallimak - Gott segne dich!«
Er griff nach meiner Hand, beugte sich zu ihr nieder und drückte sie an seine Lippen. Das geschah in einer Weise, der man es ansah, daß ihm diese herzliche Art der Ehrenerweisung ganz und gar nicht geläufig sei. Ich war geneigt, sie ihm hoch anzurechnen. Wenn ein Araber, der so wie dieser Sejjid Omar um die Erfüllung seiner religiösen Pflichten besorgt ist, einem Christen die Hand küßt, so ist ganz gewiß sein Herz dabei im Spiele.
1 comment