Daß Omar ein gewöhnlicher Eseltreiber war, kann nichts an dieser Sache ändern; da gibt es keinen Unterschied, sondern da handelt der Niedrigste genau so wie der Höchste. Aber wie kam gerad ich, der ich doch vor gestern abend nie mit ihm gesprochen hatte, zu dieser ganz besonderen Zuneigung? Der alte Ibrahim Effendi kannte mich ziemlich genau und mochte viel von mir erzählt haben; aber auch das war für mich noch kein hinreichender Grund. Wahrscheinlich lag dieser in irgend einem Umstande, den ich gar nicht beachtet und also wohl vergessen hatte.
Als er fort war, sah ich nach den Papieren auf dem Tisch. Zunächst glaubte ich, daß kein beschriebenes fehle; dann aber dachte ich an die vier Zeilen, welche ich heute Nacht geschrieben hatte, und bemerkte nun, daß diese fehlten. Das war mir fatal, denn ich konnte nun nachdenken, soviel ich wollte, so war es mir unmöglich, mich der Strophe so, wie sie gewesen war, genau zu entsinnen. Ich erinnerte mich zwar des Hauptgedankens, daß es dem Christen nicht zieme, Tempel zu entweihen, da selbst auch dem heidnischen Götterdienste eine von der Erde emporhebende Idee zu Grunde liege, welche zu achten sei und nicht entheiligt werden dürfe; aber dieser Sinn wollte absolut nicht so leicht, ungezwungen und rein in die Reime fließen, wie er es in den verloren gegangenen Zeilen getan hatte.
Ich trat also hinaus auf den Balkon, von welchem man den ganzen, großen Vorplatz übersehen konnte; aber es war leider nirgends ein Papier zu sehen. Der kräftige Wind hatte es wohl in die Scharia Kahmel oder hinüber nach dem Platze Ibrahim Pascha getrieben.
Nun ging ich hinunter, um das Frühstück einzu- einzunehmen. Im Büro ließ ich nach dem Menahouse-Hotel in Gizeh um das Zimmer telephonieren, welches ich zu bekommen trachte, sooft ich draußen bin. Es führt aus demselben eine gut verschließbare Türe direkt ins Freie, so daß man zu jeder Tages- und auch anderer Zeit nach den Pyramiden gehen kann, ohne von den anderen Gästen beachtet zu werden oder den Schließer belästigen zu müssen. Es wurde mir zugesagt.
Im Speisesaale angekommen, sah ich, daß die Chinesen schon gefrühstückt haben mußten. Sie waren nicht da, aber das gebrauchte Geschirr stand noch auf ihrem Tische. An dem zu meiner andern Hand saß Mr. Waller ganz allein. Er hatte die leere Tasse vor sich, sah höchst gelangweilt aus und schien auf seine Tochter zu warten. Als der Kellner mich bediente und dabei an ihm vorüberging, fragte er ihn nach Monsieur Fu und Monsieur Tsi.
»Stehen eben im Begriff, abzufahren,« lautete die Antwort.
»Was? Sie reisen ab?«
»Nein. Sie bleiben noch für längere Zeit hier, um die Umgebung Kairos ebenso genau wie die Stadt selbst kennen zu lernen. Heut wollen sie nach Gizeh. Sie schlafen in Menahouse und gehen morgen nach den Pyramiden von Sakkara.«
Das interessierte nicht nur den Missionar, sondern auch mich. Ich hatte also Gelegenheit, sie heut und morgen an den angegebenen Orten zu sehen, und nahm mir vor, einer etwaigen Gelegenheit, mit ihnen dort zu verkehren, nicht aus dem Wege zu gehen.
Nach einiger Zeit kam Mary, und ihr Vater ließ servieren. Ich erfuhr, ohne die Absicht zu hegen, sie zu belauschen, daß die Miß von einem Ausgange zurückkehrte. Sie hatte einige kleine Einkäufe gemacht. Als die Gegenstände betrachtet worden waren, teilte ihr der Vater mit, daß die Chinesen nach den Pyramiden seien, und fragte sie, ob sie nicht Lust habe, heut auch hinauszufahren. Sie schien nicht sehr dafür gestimmt zu sein, vermutlich aus Rücksicht auf Fu und Tsi, auf welche es ihr Vater wahrscheinlich wieder abgesehen hatte; aber sie war gewöhnt, sich seinen Wünschen zu fügen, und so beschlossen sie, seinen Gedanken auszuführen und gleich nach Tisch und trotz der dann großen Hitze hinauszufahren.
Die üble Laune Mr. Wallers schien durch diese Fügsamkeit der Tochter gehoben worden zu sein. Er begann, gesprächiger zu werden, und nun, wo ich meine Aufmerksamkeit nicht zu teilen brauchte, wie gestern, fiel mir an ihm ein eigentümliches, nervöses, ich möchte fast sagen ängstliches Springen von einer Idee auf eine andere, ihr völlig fremde, auf. Es war, als ob sich seine Psyche auf der Flucht vor einer anderen, aber auch in ihm lebenden, befinde. Das war ein ruheloses Haschen und Jagen von einem Gegenstande zum andern. Er erwähnte seine verstorbene Frau, die er sehr lieb gehabt zu haben schien, auffällig oft und unterließ es natürlich nicht, auch von seiner zukünftigen Missionstätigkeit zu sprechen. Als ihn das mit unfehlbarer Sicherheit auf die einzustürzenden Säulen und Tempel brachte, fiel ihm die Tochter in die Rede. Sie griff in die Tasche, zog ein zusammengefaltetes Papier heraus und sagte:
»Ich habe dir etwas mitzuteilen, was hierauf Bezug hat, lieber Vater.
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