Es führt von ihm aus ein ziemlich breiter, auch fahrbarer Weg hinauf, welcher, um nicht vom Sande verschüttet zu werden, zu beiden Seiten mit Mauern versehen ist. Er gleicht einem Hohlwege, weil der Sand die Höhe der Mauern erreicht. Auf diese Höhe gibt es keinen eigentlichen Weg, doch führte aus dem von mir bestellten Zimmer eine Tür heraus auf sie, und man konnte da, allerdings nur über ungebahntes Geröll, direkt nach den Pyramiden kommen, ohne unterwegs von den in dem Hohlwege befindlichen Passanten gesehen zu werden. Es ist nicht ohne Absicht, daß ich diesen Umstand besonders in Erwähnung bringe.
Am östlichen Fuße der Pyramiden liegt das arabische Dorf el Kafr, dessen Bewohner, von den Touristen vollständig verdorben, in rücksichts- und charakterloser Aufdringlichkeit das Menschenmöglichste leisten. Sie halten, vereinzelt aufgestellt, schon in weiter Entfernung von den Pyramiden auf der Straße Wache, um über die aus der Stadt kommenden Fremden herzufallen und, wenn sie auch nicht engagiert werden, doch wenigstens ihre falschen Münzen, geschickt nachgemachten Skarabäen und andere wertlose Imitationen an den Mann zu bringen.
Heut sah ich keinen einzigen von ihnen auf der Lauer stehen. Es mußte irgend ein Grund vorhanden sein, der sie abhielt, ihrer einträglichen Herumlungerei jetzt obzuliegen. Ich erfuhr ihn sogleich, als ich das Hotel erreichte. Die gestern auf dem Platze Ibrahim Pascha beobachteten fremden Pilger waren heut heraus nach den Pyramiden gezogen, um ihnen, die für den Wüstenbewohner noch größere Wunderwerke als für uns zivilisierte Menschen sind, einen Besuch abzustatten. Sie hatten in das Hotel eindringen wollen, waren aber abgewiesen worden, was freilich mit der allergrößten Vorsicht hatte geschehen müssen, um ihre Rachgier nicht herauszufordern. Der mich nach meinem Zimmer führende Kellner teilte mir lachend mit, daß man mit einigen wie zufällig vorübergetragenen, geräucherten Würsten und Schweineschinken diesen Zweck sehr schnell und ohne alle üblen Folgen erreicht habe. Die über diesen Anblick ganz entsetzten Mohammedaner waren schreiend davongelaufen und hatten es nun ganz gewiß aufgegeben, das für sie jetzt für verpestet geltende Haus zu betreten. Sie hatten dann zunächst el Kafr einen Besuch gemacht, um sich Nahrungsmittel zu erbetteln, und waren dann nach dem Granittempel gestiegen, um an der Sphinx vorüber nach der Cheopspyramide zu kommen und diese zu besteigen. Natürlich hatte sich Alles, was in Kafr wohnte und laufen konnte, diesen Pilgern angeschlossen, welche im Bahr bela Ma (* »See ohne Wasser.«) zwischen Setrah und dem Dschebel Burgheh zu Hause waren.
Es verstand sich nun eigentlich ganz von selbst, daß es keinem der Bewohner oder Gäste des Hotels einfallen konnte, nach den Pyramiden zu gehen, solange sich diese fanatischen Menschen oben befanden, doch als ich mich nach den beiden Chinesen erkundigte, erfuhr ich, daß sie hinauf gegangen seien, und Mr. Waller war ihnen mit seiner Tochter später nachgefolgt.
Welch eine Unvorsichtigkeit! Freilich nur von dem Amerikaner, denn als die Chinesen aufgebrochen waren, hatten sich die Pilger noch nicht eingestellt gehabt; Waller aber war erst nach deren Ankunft weggegangen und durch keine Warnung von diesem Wagnisse abzu- abzuhalten gewesen. Es war mir ganz, als ob ich ihnen folgen müsse, doch konnte ich dadurch leicht den Anschein erwecken, als ob ich für sie ein größeres Interesse besitze, als sie mir erlauben wollten, und so unterließ ich es. Ich öffnete die erwähnte Tür meines Zimmers; nahm einen Stuhl mit hinaus und saß nun oben auf dem hoch aufgewehten Sand. Der tief in demselben eingeschnittene Weg nach den Pyramiden lag so weit von mir entfernt, daß ich seinen Grund nur an derjenigen Stelle sehen konnte, wo er einer Krümmung nach links herüber folgte.
Der eigentliche Körper der Pyramiden wurde in Stufenform aufgebaut und dann mit einer platten Bekleidung belegt, unter welcher die Stufenform verschwand. Von dieser Bekleidung ist jetzt nur noch an der Spitze der zweiten, derjenigen des Chefren, ein Rest zu sehen, während von der Cheopspyramide die Spitze ganz verschwunden ist, wodurch sich oben eine vielleicht zehn Quadratmeter große Fläche gebildet hat, zu welcher man von der nordöstlichen Kante aufsteigen kann, weil dort die vielleicht einen Meter hohen Stufen am gangbarsten sind. Der Aufstieg geschieht gewöhnlich mit Hilfe dreier Beduinen, von denen zwei stets voran sind, um zu ziehen, während der dritte schiebend hinterher zu folgen hat.
Ist man oben angelangt, so hat man, in umgekehrter Richtung der Aussicht vom Dschebel Mokattam, nach Osten zu das Grün des kanalisierten Landes in der Nähe, die Stadt aber in ziemlich weiter Ferne liegen. Nach Nordwest, West und Süd dehnt sich die Wüste mit ihren braungelben Sandflächen, aus denen hungernd und dürstend nackte Klippen ragen. Nach Südwest steigen die andern Pyramiden auf; tief unten aber schaut die Sphinx nach Osten, doch kann sie den Aufgang der Sonne nicht mehr sehen, weil der Sand von Jahrhunderten rund um sie her so hoch »gewachsen« ist, daß es für sie einen Morgen nicht mehr gibt.
Der Name Sphinx ist für die ägyptischen Steingebilde falsch angewendet; er ist griechisch, und sie aber hatten mit der thebaischen Tochter des Typhon und der Schlange Echidna nichts zu tun. Sie hießen bei den Aegyptern »Neb«, d. i. »Herr«. Ihre aus dem Felsen herausgewachsene, für unzerstörbar gehaltene und in majestätischer Einfachheit und Größe vor den Tempeln ruhende Vereinigung der Tier- mit der Menschenform sprach wohl auch ein tiefes, schweres Rätsel aus, fügte aber, sie durch sich selbst verratend, sogleich die Lösung hinzu, daß nur die aus dem Geist geborene Kraft die Welt regiere. Materialisten also waren die alten Aegypter nicht, und gerade darum gelang es ihnen, den Stoff selbst in seiner gewaltigsten Schwere mit Hilfe der einfachsten Gesetze zu beherrschen.
Wo Sejjid Omar jetzt war und was er tat, das wußte ich nicht. Er hatte mich bei unserer Ankunft gefragt, was er nun vornehmen solle, und von mir den Bescheid erhalten, daß er die Pferde gut zu versorgen und sich erst am Abend wieder bei mir zu melden habe. Jetzt brauchte ich ihn ja nicht; heut Abend aber sollte er mich begleiten; ich wollte beim Mondschein einen längeren Spaziergang nach den Pyramiden unternehmen.
Da standen sie vor mir, so nahe und doch so fern.
Nur drei Minuten trennten mich von der mir nächsten, der großen, und doch waren es eigentlich nicht drei Minuten, sondern viertausend und neunhundert Jahre. Die Gestalten der Araber, welche ich deutlich an ihr auf- und niederklettern sah, so pygmäisch, so ameisenwinzig, sie gehörten diesen drei Minuten an. Was bleibt nach ihrem Tode von ihnen übrig?! Aber das Andenken derer, welche diese Quadern aufeinander türmten, es ist nach fast fünftausend Jahren noch nicht vergessen.
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