Denn die Gelegenheit ist eine
gleichgültige Göttin, sie begünstigt das Gute wie das Böse.
In der Gegend, die er besuchen sollte, fand er alles weit
vorteilhafter, als man geglaubt hatte. Jedermann ging in dem alten
Schlendrian handwerksmäßig fort. Von neuentdeckten Vorteilen hatte
man keine Kenntnis, oder man hatte keinen Gebrauch davon gemacht. Man
wendete nur mäßige Summen Geldes auf und war mit einem mäßigen Profit
zufrieden, und er sah bald ein, daß man mit einem gewissen Kapital,
mit Vorschüssen, Einkauf des ersten Materials im großen, mit Anlegung
von Maschinen durch die Hülfe tüchtiger Werkmeister eine große und
solide Einrichtung würde machen können.
Er fühlte sich durch die Idee dieser möglichen Tätigkeit sehr erhoben.
Die herrliche Gegend, in der ihm jeden Augenblick seine geliebte
Ottilie vorschwebte, ließ ihn wünschen, daß sein Vater ihn an diesen
Platz setzen, ihm das neue Etablissement anvertrauen und ihn so auf
eine reichliche und unerwartete Weise ausstatten möchte.
Er sah alles mit größerer Aufmerksamkeit, weil er alles schon als das
Seinige ansah. Er hatte zum erstenmal Gelegenheit, seine Kenntnisse,
seine Geisteskräfte, sein Urteil anzuwenden. Die Gegend sowohl als
die Gegenstände interessierten ihn aufs höchste, sie waren Labsal und
Heilung für sein verwundetes Herz; denn nicht ohne Schmerzen konnte er
sich des väterlichen Hauses erinnern, in welchem er wie in einer Art
von Wahnsinn eine Handlung begehen konnte, die ihm nun das größte
Verbrechen zu sein schien.
Ein Freund seines Hauses, ein wackerer, aber kränklicher Mann, der
selbst den Gedanken eines solchen Etablissements zuerst in Briefen
gegeben hatte, war ihm stets zur Seite, zeigte ihm alles, machte ihn
mit seinen Ideen bekannt und freute sich, wenn ihm der junge Mensch
entgegen-, ja zuvorkam. Dieser Mann führte ein sehr einfaches Leben
teils aus Neigung, teils weil seine Gesundheit es so forderte. Er
hatte keine Kinder, eine Nichte pflegte ihn, der er sein Vermögen
zugedacht hatte, der er einen wackern und tätigen Mann wünschte, um
mit Unterstützung eines fremden Kapitals und frischer Kräfte dasjenige
ausgeführt zu sehen, wovon er zwar einen Begriff hatte, wovon ihn aber
seine physischen und ökonomischen Umstände zurückhielten.
Kaum hatte er Ferdinanden gesehen, als ihm dieser sein Mann zu sein
schien, und seine Hoffnung wuchs, als er soviel Neigung des jungen
Menschen zum Geschäft und zu der Gegend bemerkte. Er ließ seiner
Nichte seine Gedanken merken, und diese schien nicht abgeneigt. Sie
war ein junges, wohlgebildetes, gesundes und auf jede Weise
gutgeartetes Mädchen. Die Sorgfalt für ihres Oheims Haushaltung
erhielt sie immer rasch und tätig und die Sorge für seine Gesundheit
immer weich und gefällig. Man konnte sich zur Gattin keine
vollkommnere Person wünschen.
Ferdinand, der nur die Liebenswürdigkeit und die Liebe Ottiliens vor
Augen hatte, sah über das gute Landmädchen hinweg oder wünschte, wenn
Ottilie einst als seine Gattin in diesen Gegenden wohnen würde, ihr
eine solche Haushälterin und Beschließerin beigeben zu können. Er
erwiderte die Freundlichkeit und Gefälligkeit des Mädchens auf eine
sehr ungezwungene Weise, er lernte sie näher kennen und sie schätzen;
er begegnete ihr bald mit mehrerer Achtung, und sowohl sie als ihr
Oheim legten sein Betragen nach ihren Wünschen aus.
Ferdinand hatte sich nunmehr genau umgesehen und von allem
unterrichtet. Er hatte mit Hülfe des Oheims einen Plan gemacht und
nach seiner gewöhnlichen Leichtigkeit nicht verborgen, daß er darauf
rechne, selbst den Plan auszuführen. Zugleich hatte er der Nichte
viele Artigkeiten gesagt und jede Haushaltung glücklich gepriesen, die
einer so sorgfältigen Wirtin überlassen werden könnte. Sie und ihr
Onkel glaubten daher, daß er wirklich Absichten habe, und waren in
allem um desto gefälliger gegen ihn.
Nicht ohne Zufriedenheit hatte Ferdinand bei seinen Untersuchungen
gefunden, daß er nicht allein auf die Zukunft vieles von diesem Platze
zu hoffen habe, sondern daß er auch gleich jetzt einen vorteilhaften
Handel schließen, seinem Vater die entwendete Summe wiedererstatten
und sich also von dieser drückenden Last auf einmal befreien könne.
Er eröffnete seinem Freunde die Absicht seiner Spekulation, der eine
außerordentliche Freude darüber hatte und ihm alle mögliche Beihülfe
leistete; ja er wollte seinem jungen Freunde alles auf Kredit
verschaffen, das dieser jedoch nicht annahm, sondern einen Teil davon
sogleich von dem überschusse des Reisegeldes bezahlte und den andern
in gehöriger Frist abzutragen versprach.
Mit welcher Freude er die Waren packen und laden ließ, war nicht
auszusprechen; mit welcher Zufriedenheit er seinen Rückweg antrat,
läßt sich denken. Denn die höchste Empfindung, die der Mensch haben
kann, ist die, wenn er sich von einem Hauptfehler, ja von einem
Verbrechen durch eigne Kraft erhebt und losmacht. Der gute Mensch,
der ohne auffallende Abweichung vom rechten Pfade vor sich hinwandelt,
gleicht einem ruhigen, lobenswürdigen Bürger, da hingegen jener als
ein Held und überwinder Bewunderung und Preis verdient, und in diesem
Sinne scheint das paradoxe Wort gesagt zu sein, daß die Gottheit
selbst an einem zurückkehrenden Sünder mehr Freude habe als an
neunundneunzig Gerechten.
Aber leider konnte Ferdinand durch seine guten Entschlüsse, durch
seine Besserung und Wiedererstattung die traurigen Folgen der Tat
nicht aufheben, die ihn erwarteten und die sein schon wieder
beruhigtes Gemüt aufs neue schmerzlich kränken sollten. Während
seiner Abwesenheit hatte sich das Gewitter zusammengezogen, das gerade
bei seinem Eintritte in das väterliche Haus losbrechen sollte.
Ferdinands Vater war, wie wir wissen, was seine Privatkasse betraf,
nicht der Ordentlichste, die Handlungssachen hingegen wurden von einem
geschickten und genauen Associé sehr richtig besorgt. Der Alte hatte
das Geld, das ihm der Sohn entwendete, nicht eben gemerkt, außer daß
unglücklicherweise darunter ein Paket einer in diesen Gegenden
ungewöhnlichen Münzsorte gewesen war, die er einem Fremden im Spiel
abgewonnen hatte. Diese vermißte er, und der Umstand schien ihm
bedenklich. Allein was ihn äußerst beunruhigte, war, daß ihm einige
Rollen, jede mit hundert Dukaten, fehlten, die er vor einiger Zeit
verborgt, aber gewiß wiedererhalten hatte. Er wußte, daß der
Schreibtisch sonst durch einen Stoß aufgegangen war, er sah als gewiß
an, daß er beraubt sei, und geriet darüber in die äußerste Heftigkeit.
Sein Argwohn schweifte auf allen Seiten herum. Unter den
fürchterlichsten Drohungen und Verwünschungen erzählte er den Vorfall
seiner Frau; er wollte das Haus um und um kehren, alle Bedienten,
Mägde und Kinder verhören lassen, niemand blieb von seinem Argwohn
frei. Die gute Frau tat ihr möglichstes, ihren Gatten zu beruhigen;
sie stellte ihm vor, in welche Verlegenheit und Diskredit diese
Geschichte ihn und sein Haus bringen könnte, wenn sie ruchbar würde,
daß niemand an dem Unglück, das uns betreffe, Anteil nehme als nur, um
uns durch sein Mitleiden zu demütigen, daß bei einer solchen
Gelegenheit weder er noch sie verschont werden würden, daß man noch
wunderlichere Anmerkungen machen könnte, wenn nichts herauskäme, daß
man vielleicht den Täter entdecken und, ohne ihn auf zeitlebens
unglücklich zu machen, das Geld wiedererhalten könne. Durch diese und
andere Vorstellungen bewog sie ihn endlich, ruhig zu bleiben und durch
stille Nachforschung der Sache näher zu kommen.
Und leider war die Entdeckung schon nahe genug. Ottiliens Tante war
von dem wechselseitigen Versprechen der jungen Leute unterrichtet.
Sie wußte von den Geschenken, die ihre Nichte angenommen hatte. Das
ganze Verhältnis war ihr nicht angenehm, und sie hatte nur geschwiegen,
weil ihre Nichte abwesend war. Eine sichere Verbindung mit Ferdinand
schien ihr vorteilhaft, ein ungewisses Abenteuer war ihr unerträglich.
Da sie also vernahm, daß der junge Mensch bald zurückkommen sollte,
da sie auch ihre Nichte täglich wieder erwartete, eilte sie, von dem,
was geschehen war, den Eltern Nachricht zu geben und ihre Meinung
darüber zu hören, zu fragen, ob eine baldige Versorgung für Ferdinand
zu hoffen sei und ob man in eine Heirat mit ihrer Nichte willige.
Die Mutter verwunderte sich nicht wenig, als sie von diesen
Verhältnissen hörte. Sie erschrak, als sie vernahm, welche Geschenke
Ferdinand an Ottilien gegeben hatte.
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