Sie verbarg ihr Erstaunen, bat
die Tante, ihr einige Zeit zu lassen, um gelegentlich mit ihrem Manne
über die Sache zu sprechen, versicherte, daß sie Ottilien für eine
vorteilhafte Partie halte und daß es nicht unmöglich sei, ihren Sohn
nächstens auf eine schickliche Weise auszustatten.
Als die Tante sich entfernt hatte, hielt sie es nicht für rätlich,
ihrem Manne die Entdeckung zu vertrauen. Ihr lag nur daran, das
unglückliche Geheimnis aufzuklären, ob Ferdinand, wie sie fürchtete,
die Geschenke von dem entwendeten Geld gemacht habe. Sie eilte zu dem
Kaufmann, der diese Art Geschmeide vorzüglich verkaufte, feilschte um
ähnliche Dinge und sagte zuletzt, er müsse sie nicht überteuern, denn
ihrem Sohn, der eine solche Kommission gehabt, habe er die Sachen
wohlfeiler gegeben. Der Handelsmann beteuerte: nein! zeigte die
Preise genau an und sagte dabei, man müsse noch das Agio der Geldsorte
hinzurechnen, in der Ferdinand zum Teil bezahlt habe. Er nannte ihr
zu ihrer größten Betrübnis die Sorte; es war die, die dem Vater fehlte.
Sie ging nun, nachdem sie sich zum Scheine die nächsten Preise
aufsetzen lassen, mit sehr bedrängtem Herzen hinweg. Ferdinands
Verirrung war zu deutlich, die Rechnung der Summe, die dem Vater
fehlte, war groß, und sie sah nach ihrer sorglichen Gemütsart die
schlimmste Tat und die fürchterlichsten Folgen. Sie hatte die
Klugheit, die Entdeckung vor ihrem Manne zu verbergen; sie erwartete
die Zurückkunft ihres Sohnes mit geteilter Furcht und Verlangen. Sie
wünschte sich aufzuklären und fürchtete, das Schlimmste zu erfahren.
Endlich kam er mit großer Heiterkeit zurück. Er konnte Lob für seine
Geschäfte erwarten und brachte zugleich in seinen Waren heimlich das
Lösegeld mit, wodurch er sich von dem geheimen Verbrechen zu befreien
gedachte.
Der Vater nahm seine Relation gut, doch nicht mit solchem Beifall auf,
wie er hoffte, denn der Vorgang mit dem Gelde machte den Mann
zerstreut und verdrießlich, um so mehr, als er einige ansehnliche
Posten in diesem Augenblicke zu bezahlen hatte. Diese Laune des
Vaters drückte ihn sehr, noch mehr die Gegenwart der Wände, der
Mobilien, des Schreibtisches, die Zeugen seines Verbrechens gewesen
waren. Seine ganze Freude war hin, seine Hoffnungen und Ansprüche; er
fühlte sich als einen gemeinen, ja als einen schlechten Menschen.
Er wollte sich eben nach einem stillen Vertriebe der Waren, die nun
bald ankommen sollten, umsehen und sich durch die Tätigkeit aus seinem
Elende herausreißen, als die Mutter ihn beiseite nahm und ihm mit
Liebe und Ernst sein Vergehen vorhielt und ihm auch nicht den
mindesten Ausweg zum Leugnen offen ließ. Sein weiches Herz war
zerrissen; er warf sich unter tausend Tränen zu ihren Füßen, bekannte,
bat um Verzeihung, beteuerte, daß nur die Neigung zu Ottilien ihn
verleiten können und daß sich keine anderen Laster zu diesem jemals
gesellt hätten. Er erzählte darauf die Geschichte seiner Reue, daß er
vorsätzlich dem Vater die Möglichkeit, den Schreibtisch zu eröffnen,
entdeckt und daß er durch Ersparnis auf der Reise und durch eine
glückliche Spekulation sich imstande sehe, alles wieder zu ersetzen.
Die Mutter, die nicht gleich nachgeben konnte, bestand darauf, zu
wissen, wo er mit den großen Summen hingekommen sei, denn die
Geschenke betrügen den geringsten Teil. Sie zeigte ihm zu seinem
Entsetzen eine Berechnung dessen, was dem Vater fehlte; er konnte sich
nicht einmal ganz zu dem Silber bekennen, und hoch und teuer schwur er,
von dem Golde nichts angerührt zu haben. Hierüber war die Mutter
äußerst zornig. Sie verwies ihm, daß er in dem Augenblicke, da er
durch aufrichtige Reue seine Besserung und Bekehrung wahrscheinlich
machen sollte, seine liebevolle Mutter noch mit Leugnen, Lügen und
Märchen aufzuhalten gedenke, daß sie gar wohl wisse: wer des einen
fähig sei, sei auch alles übrigen fähig. Wahrscheinlich habe er unter
seinen liederlichen Kameraden Mitschuldige, wahrscheinlich sei der
Handel, den er geschlossen, mit dem entwendeten Gelde gemacht, und
schwerlich würde er davon etwas erwähnt haben, wenn die übeltat nicht
zufällig wäre entdeckt worden. Sie drohte ihm mit dem Zorne des
Vaters, mit bürgerlichen Strafen, mit völliger Verstoßung; doch nichts
kränkte ihn mehr, als daß sie ihn merken ließ, eine Verbindung
zwischen ihm und Ottilien sei eben zur Sprache gekommen. Mit
gerührtem Herzen verließ sie ihn in dem traurigsten Zustande. Er sah
seinen Fehler entdeckt, er sah sich in dem Verdachte, der sein
Verbrechen vergrößerte. Wie wollte er seine Eltern überreden, daß er
das Gold nicht angegriffen? Bei der heftigen Gemütsart seines Vaters
mußte er einen öffentlichen Ausbruch befürchten; er sah sich im
Gegensatze von allem dem, was er sein konnte. Die Aussicht auf ein
tätiges Leben, auf eine Verbindung mit Ottilien verschwand. Er sah
sich verstoßen, flüchtig und in fremden Weltgegenden allem Ungemach
ausgesetzt.
Aber selbst alles dieses, was seine Einbildungskraft verwirrte, seinen
Stolz verletzte, seine Liebe kränkte, war ihm nicht das Schmerzlichste.
Am tiefsten verwundete ihn der Gedanke, daß sein redlicher Vorsatz,
sein männlicher Entschluß, sein befolgter Plan, das Geschehene
wiedergutzumachen, ganz verkannt, ganz geleugnet, gerade zum Gegenteil
ausgelegt werden sollte. Wenn ihn jene Vorstellungen zu einer dunkeln
Verzweiflung brachten, indem er bekennen mußte, daß er sein Schicksal
verdient habe, so ward er durch diese aufs innigste gerührt, indem er
die traurige Wahrheit erfuhr, daß eine übeltat selbst gute Bemühungen
zugrunde zu richten imstande ist. Diese Rückkehr auf sich selbst,
diese Betrachtung, daß das edelste Streben vergebens sein sollte,
machte ihn weich; er wünschte nicht mehr zu leben.
In diesen Augenblicken dürstete seine Seele nach einem höhern Beistand.
Er fiel an seinem Stuhle nieder, den er mit seinen Tränen benetzte,
und forderte Hülfe vom göttlichen Wesen. Sein Gebet war eines
erhörenswerten Inhalts: der Mensch, der sich selbst vom Laster wieder
erhebt, habe Anspruch auf eine unmittelbare Hülfe; derjenige, der
keine seiner Kräfte ungebraucht lasse, könne sich da, wo sie eben
ausgehen, wo sie nicht hinreichen, auf den Beistand des Vaters im
Himmel berufen.
In dieser überzeugung, in dieser dringenden Bitte verharrte er eine
Zeitlang und bemerkte kaum, daß seine Türe sich öffnete und jemand
hereintrat. Es war die Mutter, die mit heiterm Gesichte auf ihn zukam,
seine Verwirrung sah und ihn mit tröstlichen Worten anredete. "Wie
glücklich bin ich", sagte sie, "daß ich dich wenigstens als keinen
Lügner finde und daß ich deine Reue für wahr halten kann. Das Gold
hat sich gefunden; der Vater, als er es von einem Freunde
wiedererhielt, gab es dem Kassier aufzuheben, und durch die vielen
Beschäftigungen des Tages zerstreut, hat er es vergessen. Mit dem
Silber stimmt deine Angabe ziemlich zusammen, die Summe ist nun viel
geringer.
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