Entferne das Mißtrauen aus deiner Brust
und laß mir die ganze reine Hoffnung, dich bald wieder in meinen Armen
zu sehen!"
Nachdem er auf alle Weise seine Gattin zu beruhigen gesucht, schiffte
er sich den andern Morgen ein; seine Fahrt war glücklich, und er
gelangte bald nach Alexandrien.
Indessen lebte seine Gattin in dem ruhigen Besitz eines großen
Vermögens nach aller Lust und Bequemlichkeit, jedoch eingezogen, und
pflegte außer ihren Eltern und Verwandten niemand zu sehen, und indem
die Geschäfte ihres Mannes durch getreue Diener fortgeführt wurden,
bewohnte sie ein großes Haus, in dessen prächtigen Zimmern sie mit
Vergnügen täglich das Andenken ihres Gemahls erneuerte.
So sehr sie aber auch sich stille hielt und eingezogen lebte, waren
doch die jungen Leute der Stadt nicht untätig geblieben. Sie
versäumten nicht, häufig vor ihrem Fenster vorbeizugehen, und suchten
des Abends durch Musik und Gesänge ihre Aufmerksamkeit auf sich zu
ziehen. Die schöne Einsame fand anfangs diese Bemühungen unbequem und
lästig, doch gewöhnte sie sich bald daran und ließ an den langen
Abenden, ohne sich zu bekümmern, woher sie kämen, die Serenaden als
eine angenehme Unterhaltung sich gefallen und konnte dabei manchen
Seufzer, der ihrem Abwesenden galt, nicht zurückhalten.
Anstatt daß ihre unbekannten Verehrer, wie sie hoffte, nach und nach
müde geworden wären, schienen sich ihre Bemühungen noch zu vermehren
und zu einer beständigen Dauer anzulassen. Sie konnte nun die
wiederkehrenden Instrumente und Stimmen, die wiederholten Melodien
schon unterscheiden und bald sich die Neugierde nicht mehr versagen,
zu wissen, wer die Unbekannten und besonders wer die Beharrlichen sein
möchten. Sie durfte sich zum Zeitvertreib eine solche Teilnahme wohl
erlauben.
Sie fing daher an, von Zeit zu Zeit durch ihre Vorhänge und Halbläden
nach der Straße zu sehen, auf die Vorbeigehenden zu merken und
besonders die Männer zu unterscheiden, die ihre Fenster am längsten im
Auge behielten. Es waren meist schöne, wohlgekleidete junge Leute,
die aber freilich in Gebärden sowohl als in ihrem ganzen äußern
ebensoviel Leichtsinn als Eitelkeit sehen ließen. Sie schienen mehr
durch ihre Aufmerksamkeit auf das Haus der Schönen sich merkwürdig
machen als jener eine Art von Verehrung beweisen zu wollen.
"Wahrlich", sagte die Dame manchmal scherzend zu sich selbst, "mein
Mann hat einen klugen Einfall gehabt! Durch die Bedingung, unter der
er mir einen Liebhaber zugesteht, schließt er alle diejenigen aus, die
sich um mich bemühen und dir mir allenfalls gefallen könnten. Er weiß
wohl, daß Klugheit, Bescheidenheit und Verschwiegenheit Eigenschaften
eines ruhigen Alters sind, die zwar unser Verstand schätzt, die aber
unsre Einbildungskraft keinesweges aufzuregen noch unsre Neigung
anzureizen imstande sind. Vor diesen, die mein Haus mit ihren
Artigkeiten belagern, bin ich sicher, daß sie kein Vertrauen erwecken,
und die, denen ich mein Vertrauen schenken könnte, finde ich nicht im
mindesten liebenswürdig."
In der Sicherheit dieser Gedanken erlaubte sie sich immer mehr, dem
Vergnügen an der Musik und an der Gestalt der vorbeigehenden Jünglinge
nachzuhängen, und ohne daß sie es merkte, wuchs nach und nach ein
unruhiges Verlangen in ihrem Busen, dem sie nur zu spät zu
widerstreben gedachte. Die Einsamkeit und der Müßiggang, das bequeme,
gute und reichliche Leben waren ein Element, in welchem sich eine
unregelmäßige Begierde früher, als das gute Kind dachte, entwickeln
mußte.
Sie fing nun an, jedoch mit stillen Seufzern, unter den Vorzügen ihres
Gemahls auch seine Welt—und Menschenkenntnis, besonders die Kenntnis
des weiblichen Herzens zu bewundern. "So war es also doch möglich,
was ich ihm so lebhaft abstritt", sagte sie zu sich selbst, "und so
war es also doch nötig, in einem solchen Falle mir Vorsicht und
Klugheit anzuraten! Doch was können Vorsicht und Klugheit da, wo der
unbarmherzige Zufall nur mit einem unbestimmten Verlangen zu spielen
scheint! Wie soll ich den wählen, den ich nicht kenne? Und bleibt
bei näherer Bekanntschaft noch eine Wahl übrig?"
Mit solchen und hundert andern Gedanken vermehrte die schöne Frau das
übel, das bei ihr schon weit genug um sich gegriffen hatte. Vergebens
suchte sie sich zu zerstreuen; jeder angenehme Gegenstand machte ihre
Empfindung rege, und ihre Empfindung brachte, auch in der tiefsten
Einsamkeit, angenehme Bilder in ihrer Einbildungskraft hervor.
In solchem Zustande befand sie sich, als sie unter andern
Stadtneuigkeiten von ihren Verwandten vernahm, es sei ein junger
Rechtsgelehrter, der zu Bologna studiert habe, soeben in seine
Vaterstadt zurückgekommen. Man wußte nicht genug zu seinem Lobe zu
sagen. Bei außerordentlichen Kenntnissen zeigte er eine Klugheit und
Gewandtheit, die sonst Jünglingen nicht eigen ist, und bei einer sehr
reizenden Gestalt die größte Bescheidenheit. Als Prokurator hatte er
bald das Zutrauen der Bürger und die Achtung der Richter gewonnen.
Täglich fand er sich auf dem Rathause ein, um daselbst seine Geschäfte
zu besorgen und zu betreiben.
Die Schöne hörte die Schilderung eines so vollkommenen Mannes nicht
ohne Verlangen, ihn näher kennenzulernen, und nicht ohne stillen
Wunsch, in ihm denjenigen zu finden, dem sie ihr Herz, selbst nach der
Vorschrift ihres Mannes, übergeben könnte. Wie aufmerksam ward sie
daher, als sie vernahm, daß er täglich vor ihrem Hause vorbeigehe; wie
sorgfältig beobachtete sie die Stunde, in der man auf dem Rathause
sich zu versammeln pflegte! Nicht ohne Bewegung sah sie ihn endlich
vorbeigehen, und wenn seine schöne Gestalt und seine Jugend für sie
notwendig reizend sein mußten, so war seine Bescheidenheit von der
andern Seite dasjenige, was sie in Sorgen versetzte.
Einige Tage hatte sie ihn heimlich beobachtet und konnte nun dem
Wunsche nicht länger widerstehen, seine Aufmerksamkeit auf sich zu
ziehen. Sie kleidete sich mit Sorgfalt, trat auf den Balkon, und das
Herz schlug ihr, als sie ihn die Straße herkommen sah. Allein wie
betrübt, ja beschämt war sie, als er wie gewöhnlich mit bedächtigen
Schritten, in sich gekehrt und mit niedergeschlagenen Augen, ohne sie
auch nur zu bemerken, auf das zierlichste seines Weges vorbeiging.
Vergebens versuchte sie mehrere Tage hintereinander auf ebendiese
Weise, von ihm bemerkt zu werden. Immer ging er seinen gewöhnlichen
Schritt, ohne die Augen aufzuschlagen oder da—und dorthin zu wenden.
Je mehr sie ihn aber ansah, desto mehr schien er ihr derjenige zu sein,
dessen sie so sehr bedurfte. Ihre Neigung ward täglich lebhafter und,
da sie ihr nicht widerstand, endlich ganz und gar gewaltsam. "Wie!"
sagte sie zu sich selbst, "nachdem dein edler, verständiger Mann den
Zustand vorausgesehen, in dem du dich in seiner Abwesenheit befinden
würdest, da seine Weissagung eintrifft, daß du ohne Freund und
Günstling nicht leben kannst, sollst du dich nun verzehren und
abhärmen zu der Zeit, da dir das Glück einen Jüngling zeigt, völlig
nach deinem Sinne, nach dem Sinne deines Gatten, einen Jüngling, mit
dem du die Freuden der Liebe in einem undurchdringlichen Geheimnis
genießen kannst? Töricht, wer die Gelegenheit versäumt, töricht, wer
der gewaltsamen Liebe widerstehen will!" Mit solchen und vielen
andern Gedanken suchte sich die schöne Frau in ihrem Vorsatze zu
stärken, und nur kurze Zeit ward sie noch von Ungewißheit hin und her
getrieben. Endlich aber, wie es begegnet, daß eine Leidenschaft,
welcher wir lange widerstehen, uns zuletzt auf einmal dahinreißt und
unser Gemüt dergestalt erhöht, daß wir auf Besorgnis und Furcht,
Zurückhaltung und Scham, Verhältnisse und Pflichten mit Verachtung als
auf kleinliche Hindernisse zurücksehen, so faßte sie auf einmal den
raschen Entschluß, ein junges Mädchen, das ihr diente, zu dem
geliebten Manne zu schicken und, es koste nun, was es wolle, zu seinem
Besitze zu gelangen.
Das Mädchen eilte und fand ihn, als er eben mit vielen Freunden zu
Tische saß, und richtete ihren Gruß, den ihre Frau sie gelehrt hatte,
pünktlich aus. Der junge Prokurator wunderte sich nicht über diese
Botschaft; er hatte den Handelsmann in seiner Jugend gekannt, er wußte,
daß er gegenwärtig abwesend war, und ob er gleich von seiner Heirat
nur von weitem gehört hatte, vermutete er doch, daß die
zurückgelassene Frau in der Abwesenheit ihres Mannes wahrscheinlich in
einer wichtigen Sache seines rechtlichen Beistandes bedürfe. Er
antwortete deswegen dem Mädchen auf das verbindlichste und versicherte,
daß er, sobald man von der Tafel aufgestanden, nicht säumen würde,
ihrer Gebieterin aufzuwarten. Mit unaussprechlicher Freude vernahm
die schöne Frau, daß sie den Geliebten nun bald sehen und sprechen
sollte. Sie eilte, sich aufs beste anzuziehen, und ließ geschwind ihr
Haus und ihre Zimmer auf das reinlichste ausputzen. Orangenblätter
und Blumen wurden gestreut, der Sofa mit den köstlichsten Teppichen
bedeckt. So ging die kurze Zeit, die er ausblieb, beschäftigt hin,
die ihr sonst unerträglich lang geworden wäre.
Mit welcher Bewegung ging sie ihm entgegen, als er endlich ankam, mit
welcher Verwirrung hieß sie ihn, indem sie sich auf das Ruhebett
niederließ, auf ein Taburett sitzen, das zunächst dabeistand! Sie
verstummte in seiner so erwünschten Nähe, sie hatte nicht bedacht, was
sie ihm sagen wollte; auch er war still und saß bescheiden vor ihr.
Endlich ermannte sie sich und sagte nicht ohne Sorge und Beklommenheit:
"Sie sind noch nicht lange in Ihrer Vaterstadt wiederangekommen, mein
Herr, und schon sind Sie allenthalben für einen talentreichen und
zuverlässigen Mann bekannt. Auch ich setze mein Vertrauen auf Sie in
einer wichtigen und sonderbaren Angelegenheit, die, wenn ich es recht
bedenke, eher für den Beichtvater als für den Sachwalter gehört. Seit
einem Jahre bin ich an einen würdigen und reichen Mann verheiratet,
der, solange wir zusammenlebten, die größte Aufmerksamkeit für mich
hatte und über den ich mich nicht beklagen würde, wenn nicht ein
unruhiges Verlangen zu reisen und zu handeln ihn seit einiger Zeit aus
meinen Armen gerissen hätte.
Als ein verständiger und gerechter Mann fühlte er wohl das Unrecht,
das er mir durch seine Entfernung antat.
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