Unterm Birnbaum
Theodor Fontane
Unterm Birnbaum
Roman
© 2009 buecher.de, Augsburg
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Kriminalgeschichte (1885)
Erstes Kapitel
Vor dem in dem großen und reichen Oderbruchdorfe Tschechin
um Michaeli 20 eröffneten Gasthaus und Materialwarengeschäft
von Abel Hradscheck (so stand auf einem über der Tür
angebrachten Schild) wurden Säcke, vom Hausflur her, auf
einen mit zwei magern Schimmeln bespannten Bauerwagen geladen.
Einige von den Säcken waren nicht gut gebunden oder hatten
kleine Löcher und Ritzen, und so sah man denn an dem, was
herausfiel, daß es Rapssäcke waren. Auf der Straße
neben dem Wagen aber stand Abel Hradscheck selbst und sagte zu
dem eben vom Rad her auf die Deichsel steigenden Knecht: »Und
nun vorwärts, Jakob, und grüße mir Ölmüller
Quaas. Und sag ihm, bis Ende der Woche müßt ich das
Öl haben, Leist in Wrietzen warte schon. Und wenn Quaas nicht
da ist, so bestelle der Frau meinen Gruß und sei hübsch
manierlich. Du weißt ja Bescheid. Und weißt auch,
Kätzchen hält auf Komplimente.«
Der als Jakob Angeredete nickte nur statt aller Antwort, setzte
sich auf den vordersten Rapssack und trieb beide Schimmel mit
einem schläfrigen »Hüh« an, wenn überhaupt
von Antreiben die Rede sein konnte. Und nun klapperte der Wagen
nach rechts hin den Fahrweg hinunter, erst auf das Bauer Orthsche
Gehöft samt seiner Windmühle (womit das Dorf nach der
Frankfurter Seite hin abschloß) und dann auf die weiter
draußen am Oderbruch-Damm gelegene Ölmühle zu.
Hradscheck sah dem Wagen nach, bis er verschwunden war, und trat
nun erst in den Hausflur zurück. Dieser war breit und tief
und teilte sich in zwei Hälften, die durch ein paar Holzsäulen
und zwei dazwischen ausgespannte Hängematten voneinander
getrennt waren. Nur in der Mitte hatte man einen Durchgang gelassen.
An dem Vorflur lag nach rechts hin das Wohnzimmer, zu dem eine
Stufe hinaufführte, nach links hin aber der Laden, in den
man durch ein großes, fast die halbe Wand einnehmendes Schiebefenster
hineinsehen konnte. Früher war hier die Verkaufsstelle gewesen,
bis sich die zum Vornehmtun geneigte Frau Hradscheck das Herumtrampeln
auf ihrem Flur verbeten und auf Durchbruch einer richtigen Ladentür,
also von der Straße her, gedrungen hatte. Seitdem zeigte
dieser Vorflur eine gewisse Herrschaftlichkeit, während der
nach dem Garten hinausführende Hinterflur ganz dem Geschäft
gehörte. Säcke, Zitronen- und Apfelsinenkisten standen
hier an der einen Wand entlang, während an der andern übereinandergeschichtete
Fässer lagen, Ölfässer, deren stattliche Reihe
nur durch eine zum Keller hinunterführende Falltür unterbrochen
war. Ein sorglich vorgelegter Keil hielt nach rechts und links
hin die Fässer in Ordnung, so daß die untere Reihe
durch den Druck der obenaufliegenden nicht ins Rollen kommen konnte.
So war der Flur. Hradscheck selbst aber, der eben die schmale,
zwischen den Kisten und Ölfässern frei gelassene Gasse
passierte, schloß, halb ärgerlich, halb lachend, die
trotz seines Verbotes mal wieder offenstehende Falltür und
sagte: »Dieser Junge, der Ede. Wann wird er seine fünf
Sinne beisammen haben!«
Und damit trat er vom Flur her in den Garten.
Hier war es schon herbstlich, nur noch Astern und Reseda blühten
zwischen den Buchsbaumrabatten, und eine Hummel umsummte den Stamm
eines alten Birnbaums, der mitten im Garten hart neben dem breiten
Mittelsteige stand. Ein paar Möhrenbeete, die sich, samt
einem schmalen, mit Kartoffeln besetzten Ackerstreifen, an eben
dieser Stelle durch eine Spargelanlage hinzogen, waren schon wieder
umgegraben, eine frische Luft ging, und eine schwarzgelbe, der
nebenanwohnenden Witwe Jeschke zugehörige Katze schlich,
mutmaßlich auf der Sperlingssuche, durch die schon hoch
in Samen stehenden Spargelbeete.
Hradscheck aber hatte dessen nicht acht. Er ging vielmehr rechnend
und wägend zwischen den Rabatten hin und kam erst zu Betrachtung
und Bewußtsein, als er, am Ende des Gartens angekommen,
sich umsah und nun die Rückseite seines Hauses vor sich hatte.
Da lag es, sauber und freundlich, links die sich von der Straße
her bis in den Garten hineinziehende Kegelbahn, rechts der Hof
samt dem Küchenhaus, das er erst neuerdings an den Laden
angebaut hatte. Der kaum vom Winde bewegte Rauch stieg sonnenbeschienen
auf und gab ein Bild von Glück und Frieden. Und das alles
war sein! Aber wie lange noch? Er sann ängstlich nach und
fuhr aus seinem Sinnen erst auf, als er, ein paar Schritte von
sich entfernt, eine große, durch ihre Schwere und Reife
sich von selbst ablösende Malvasierbirne mit eigentümlich
dumpfem Ton aufklatschen hörte. Denn sie war nicht auf den
harten Mittelsteig, sondern auf eins der umgegrabenen Möhrenbeete
gefallen. Hradscheck ging darauf zu, bückte sich und hatte
die Birne kaum aufgehoben, als er sich von der Seite her angerufen
hörte:
»Dag, Hradscheck. Joa, et wahrd nu Tied. De Malvesieren kümmen
all von sülwst.«
Er wandte sich bei diesem Anruf und sah, daß seine Nachbarin,
die Jeschke, deren kleines, etwas zurückgebautes Haus den
Blick auf seinen Garten hatte, von drüben her über den
Himbeerzaun kuckte.
»Ja, Mutter Jeschke, 's wird Zeit«, sagte Hradscheck.
»Aber wer soll die Birnen abnehmen? Freilich wenn Ihre Line
hier wäre, die könnte helfen. Aber man hat ja keinen
Menschen und muß alles selbst machen.«
»Na. Se hebben joa doch den Jungen, den Ede.«
»Ja, den hab ich. Aber der pflückt bloß für
sich.«
»Dat sall woll sien«, lachte die Alte. »Een in
't Töppken, een in 't Kröppken.«
Und damit humpelte sie wieder nach ihrem Hause zurück, während
auch Hradscheck wieder vom Garten her in den Flur trat.
Hier sah er jetzt nachdenklich auf die Stelle, wo vor einer halben
Stunde noch die Rapssäcke gestanden hatten, und in seinem
Auge lag etwas, als wünsch er, sie stünden noch am selben
Fleck oder es wären neue statt ihrer aus dem Boden gewachsen.
Er zählte dann die Fässerreihe, rief, im Vorübergehen,
einen kurzen Befehl in den Laden hinein und trat gleich danach
in seine gegenübergelegene Wohnstube.
Diese machte neben ihrem wohnlichen zugleich einen eigentümlichen
Eindruck, und zwar, weil alles in ihr um vieles besser und eleganter
war, als sich's für einen Krämer und Dorfmaterialisten
schickte. Die zwei kleinen Sofas waren mit einem hellblauen Atlasstoff
bezogen, und an dem Spiegelpfeiler stand ein schmaler Trumeau,
weißlackiert und mit Goldleiste. Ja, das in einem Mahagonirahmen
über dem kleinen Klavier hängende Bild (allem Anscheine
nach ein Stich nach Claude Lorrain) war ein Sonnenuntergang mit
Tempeltrümmern und antiker Staffage, so daß man sich
füglich fragen durfte, wie das alles hierherkomme. Passend
war eigentlich nur ein Stehpult mit einem Gitteraufsatz und einem
Kuckloch darüber, mit Hilfe dessen man, über den Flur
weg, auf das große Schiebefenster sehen konnte.
Hradscheck legte die Birne vor sich hin und blätterte das
Kontobuch durch, das aufgeschlagen auf dem Pulte lag.
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