Um ihn her
war alles still, und nur aus der halb offenstehenden Hinterstube
vernahm er den Schlag einer Schwarzwälder Uhr.
Es war fast, als ob das Ticktack ihn störe, wenigstens ging
er auf die Tür zu, anscheinend, um sie zu schließen;
als er indes hineinsah, nahm er überrascht wahr, daß
seine Frau in der Hinterstube saß, wie gewöhnlich schwarz,
aber sorglich gekleidet, ganz wie jemand, der sich auf Figurmachen
und Toilettendinge versteht. Sie flocht eifrig an einem Kranz,
während ein zweiter, schon fertiger an einer Stuhllehne hing.
»Du hier, Ursel! Und Kränze! Wer hat denn Geburtstag?«
»Niemand. Es ist nicht Geburtstag. Es ist bloß Sterbetag,
Sterbetag deiner Kinder. Aber du vergißt alles. Bloß
dich nicht.«
»Ach, Ursel, laß doch. Ich habe meinen Kopf voll Wunder.
Du mußt mir nicht Vorwürfe machen. Und dann die Kinder.
Nun ja, sie sind tot, aber ich kann nicht trauern und klagen,
daß sie's sind. Umgekehrt, es ist ein Glück.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Und ist nur zu gut zu verstehn. Ich weiß nicht aus
noch ein und habe Sorgen über Sorgen.«
»Worüber? Weil du nichts Rechtes zu tun hast und nicht
weißt, wie du den Tag hinbringen sollst. Hinbringen, sag
ich, denn ich will dich nicht kränken und von Zeit totschlagen
sprechen. Aber sage selbst, wenn drüben die Weinstube voll
ist, dann fehlt dir nichts. Ach, das verdammte Spiel, das ewige
Knöcheln und Tempeln. Und wenn du noch glücklich spieltest!
Ja, Hradscheck, das muß ich dir sagen, wenn du spielen willst,
so spiele wenigstens glücklich. Aber ein Wirt, der nicht
glücklich spielt, muß davonbleiben, sonst spielt er
sich von Haus und Hof. Und dazu das Trinken, immer der schwere
Ungar, bis in die Nacht hinein.«
Er antwortete nicht, und erst nach einer Weile nahm er den Kranz,
der über der Stuhllehne hing, und sagte: »Hübsch.
Alles, was du machst, hat Schick. Ach, Ursel, ich wollte, du hättest
bessere Tage.«
Dabei trat er freundlich an sie heran und streichelte sie mit
seiner weißen, fleischigen Hand.
Sie ließ ihn auch gewähren, und als sie, wie beschwichtigt
durch seine Liebkosungen, von ihrer Arbeit aufsah, sah man, daß
es ihrerzeit eine sehr schöne Frau gewesen sein mußte,
ja, sie war es beinah noch. Aber man sah auch, daß sie viel
erlebt hatte, Glück und Unglück, Lieb und Leid, und
durch allerlei schwere Schulen gegangen war. Er und sie machten
ein hübsches Paar und waren gleichaltrig, Anfang vierzig,
und ihre Sprech- und Verkehrsweise ließ erkennen, daß
es eine Neigung gewesen sein mußte, was sie vor länger
oder kürzer zusammengeführt hatte.
Der herbe Zug, den sie bei Beginn des Gesprächs gezeigt,
wich denn auch mehr und mehr, und endlich fragte sie: »Wo
drückt es wieder? Eben hast du den Raps weggeschickt, und
wenn Leist das Öl hat, hast du das Geld. Er ist prompt auf
die Minute.«
»Ja, das ist er. Aber ich habe nichts davon, alles ist bloß
Abschlag und Zins. Ich stecke tief drin und leider am tiefsten
bei Leist selbst. Und dann kommt die Krakauer Geschichte, der
Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn. Er kann jeden Tag
dasein.«
Hradscheck zählte noch anderes auf, aber ohne daß es
einen tieferen Eindruck auf seine Frau gemacht hätte. Vielmehr
sagte sie langsam und mit gedehnter Stimme: »Ja, Würfelspiel
und Vogelstellen...«
»Ach, immer Spiel und wieder Spiel! Glaube mir, Ursel, es
ist nicht so schlimm damit, und jedenfalls mach ich mir nichts
draus. Und am wenigsten aus dem Lotto; 's ist alles Torheit und
weggeworfen Geld, ich weiß es, und doch hab ich wieder ein
Los genommen. Und warum? Weil ich heraus will, weil ich heraus
muß, weil ich uns retten möchte.«
»So, so«, sagte sie, während sie mechanisch an
dem Kranze weiterflocht und vor sich hin sah, als überlege
sie, was wohl zu tun sei.
»Soll ich dich auf den Kirchhof begleiten?« frug er,
als ihn ihr Schweigen zu bedrücken anfing. »Ich tu's
gern, Ursel.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Weil, wer den Toten einen Kranz bringen will, wenigstens
an sie gedacht haben muß.«
Und damit erhob sie sich und verließ das Haus, um nach dem
Kirchhof zu gehen.
Hradscheck sah ihr nach, die Dorfstraße hinauf, auf deren
roten Dächern die Herbstsonne flimmerte. Dann trat er wieder
an sein Pult und blätterte.
Zweites Kapitel
Eine Woche war seit jenem Tage vergangen, aber das Spielglück,
das sich bei Hradscheck einstellen sollte, blieb aus und das Lottoglück
auch. Trotz alledem gab er das Warten nicht auf, und da gerade
Lotterie-Ziehzeit war, kam das Viertellos gar nicht mehr von seinem
Pult.
1 comment