Aber wenigstens mache ich nun meiner sogenannten Cousine meinen Besuch auf höchst aristokratische Weise. Der Vater Goriot kostet mich schon mindestens zehn Franken, der Halunke! Meiner Treu, ich werde Frau von Beauséant mein Abenteuer berichten; vielleicht bringe ich sie zum Lachen. Sicherlich weiß sie Bescheid über das Geheimnis der verbrecherischen Beziehungen dieser alten, schwanzlosen Ratte zu jener schönen Frau. Es ist wichtiger, ich gefalle meiner Cousine, als daß ich mich jenem unmoralischen Weib aufdränge, was übrigens ein Vermögen kosten würde. Wenn schon der Name der schönen Vicomtesse so mächtig ist, wieviel einflußreicher muß ihre Persönlichkeit sein! Wenden wir uns nach oben! Will man etwas im Himmel erreichen, so muß man sich an Gott halten.‹
Das war der hauptsächliche Inhalt der tausendundein Gedanken, die ihn bewegten. Als er den Regen strömen sah, gewann er etwas Ruhe und Sicherheit zurück. Er sagte sich, daß die beiden Hundertsousstücke, die er jetzt opfern müsse, wenigstens gut angewendet seien, um Anzug, Hut und Schuhzeug zu schonen. Mit großer Befriedigung vernahm er des Kutschers befehlerisches »Das Tor auf, bitte!«. Ein Schweizer in rotgoldner Livree öffnete das knarrende Portal, und Rastignac sah mit süßer Freude seinen Wagen durch den Torweg rollen, im Hofe wenden und unter dem Schutzdach der Freitreppe anhalten; der Kutscher, im groben blauen, rot besetzten Mantel, kam und ließ das Trittbrett herunter. Als Eugen aus dem Wagen stieg, vernahm er von der Vorhalle her unterdrücktes Gelächter. Drei oder vier Bedienstete höhnten bereits über die spießbürgerliche Hochzeitskutsche. Im selben Augenblick fand der Student Gelegenheit, seinen Wagen mit einem der elegantesten Coupés von Paris zu vergleichen. Dieses Coupé war mit zwei stolzen Rossen bespannt, die an den Ohren mit Rosetten geschmückt waren und in den Gebissen schäumten; ein schön gekleideter Kutscher mit gepudertem Haar hielt sie am Zügel. In der Chaussée d'Antin hatte Frau von Restaud in ihrem Hofe das hübsche Kabriolett des jungen Mannes von sechsundzwanzig Jahren; im Faubourg Saint-Germain harrte im Hof der prächtige Wagen eines Grandseigneurs, ein Wagen, der mehr als dreißigtausend Franken kosten mußte.
›Wer mag hier sein?‹ fragte sich Eugen, der ein bißchen verspätet einsah, daß in Paris recht wenig Frauen zu treffen sein dürften, die nicht beschäftigt wären, und daß es zur Eroberung einer dieser Königinnen mehr bedürfe als Blut. ›Teufel! Meine Cousine hat sicherlich auch ihren Maxime!‹
Er erstieg die Freitreppe, – den Tod im Herzen. Bei seinem Erscheinen öffnete sich die Glastür; die Diener standen ernsthaft wie geprügelte Esel. Das Fest, dem er vor einigen Tagen beigewohnt, hatte in den im Erdgeschoß gelegenen Empfangsräumen stattgefunden. Da ihm zwischen der Einladung und dem Balle keine Zeit geblieben war, seiner Cousine einen Besuch abzustatten, war er in die Privatgemächer Frau von Beauséants noch nicht eingedrungen. Er sollte also zum ersten Male die Wunder eines persönlichen Geschmacks gewahren, den eine vornehme Frau in ihren Zimmern zum Ausdruck zu bringen weiß. Ein um so interessanteres Studium, als sich Vergleiche mit dem Salon der Frau von Restaud anstellen ließen. Von halb fünf Uhr an war die Vicomtesse zu sprechen. Fünf Minuten früher würde sie ihren Vetter nicht empfangen haben. Eugen, der noch nichts von den Pariser Formen und Gebräuchen ahnte, ließ sich auf einer blumengeschmückten prächtigen Treppe mit vergoldetem Geländer und roten Teppichen zu Frau von Beauséant geleiten, noch unbekannt mit deren Geschichte, – einem der vielen Histörchen, die man sich abends in den Salons von Ohr zu Ohr erzählte.
Die Vicomtesse unterhielt seit drei Jahren Beziehungen zu einem der berühmtesten und reichsten Edelleute Portugals, dem Marquis d'Ajuda-Pinto. Es war eines jener reinen Liebesverhältnisse, die so innig gestaltet sind, daß ein Dritter im Bunde unzulässig wäre. So hatte denn auch der Vicomte von Beauséant der Öffentlichkeit ein Beispiel gegeben, indem er wohl oder übel diese morganatische Verbindung achtete. Diejenigen, die in den ersten Tagen jenes Freundesbundes die Vicomtesse um zwei Uhr besuchen kamen, fanden stets den Marquis d'Ajuda-Pinto dort. Frau von Beauséant, die ihre Tür nicht verschließen konnte, was sehr unpassend gewesen wäre, empfing die Besucher so kalt und blickte so starr und gelangweilt zur Decke, daß jeder bald begriff, wie ungelegen er kam. Als Paris wußte, daß Besuche zwischen zwei und vier Uhr Frau von Beauséant störend seien, ließ man sie bald unbehelligt. Sie besuchte die Theater in Begleitung des Herrn von Beauséant und des Herrn d'Ajuda-Pinto; aber als ein Mann von Lebensart ließ Herr von Beauséant seine Frau und den Portugiesen allein, sobald er sie in der Loge untergebracht hatte.
Herr d'Ajuda aber wollte heiraten. Er bewarb sich um ein Fräulein von Rochefide.
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