Als man zu der gesprengten Tür kam, war so viel Mauer und Decke mit fortgerissen, daß man nicht vorwärts konnte. Man mußte den Schutt forträumen. Dies gab eine bedeutende Arbeit, worüber mehrere Stunden vergingen. Die Decke mußte gestützt werden, und es fehlte an Material dazu.
Noch während man damit beschäftigt war, kam ein Bote und rief die Häuptlinge nach außen. Sie sagten sich, daß das Wohl und Weh, ja das Leben der Eingesperrten an einem einzigen Augenblick hänge, aber da draußen standen zweihundert Apachen, deren Schicksal ihnen anvertraut war. Sie mußten dem Ruf folgen.
Als sie vor der Pyramide anlangten, sahen sie, daß die Comanchen einen weiten Ring um dieselbe gezogen hatten. Sie waren eingeschlossen. Als sie die Feinde zählten, waren es nicht viel über hundert, aber alle hatten Pferde.
„Sie haben sich mit den Pferden, welche zur Hacienda Verdoja gehören, beritten gemacht“, sagte Sternau. „Die anderen streifen weiter, um Pferde zu finden. Sie beginnen den Kampf nicht eher, als bis sie alle Tiere besitzen. Wir sind also jetzt noch sicher und können an unser Werk zurückkehren.“
Es darf nicht Wunder nehmen, daß sich hundert Indianer auf einer einzigen Hacienda beritten machten; es gibt Hazienderos, welche viele tausend Stück halbwilder Pferde auf den freien Weiden haben. Gibt es doch in den ungarischen Pußten und Steppen Rußlands Pferdeherden von mehreren tausend Stück.
Während die Gefahr des Kampfes sich der Pyramide immer weiter näherte, saßen die vier Gefangenen im Inneren derselben und erwogen die Möglichkeit der Rettung untereinander. Sie hatten auf Sternau gerechnet, aber es waren nun bereits zwei Nächte vorüber, und das ist in solchen Verhältnissen eine Ewigkeit. Das Wasser war fast zu Ende, der Proviant reichte nur noch kurze Zeit, die Leichen Parderos und des Wärters verbreiteten bereits einen fast unerträglichen Gestank, und aus dem Brunnen erklang in regelmäßigen Zwischenräumen ein wahnsinniges Schmerzgebrüll oder ein markerschütternder Jammerschrei Verdojas. Es war, als ob ein wildes Tier am Spieß lebendig gebraten werde.
Karja, die Indianerin, war wortkarg, aber Emma konnte ihrer Angst nicht gebieten. Sie glaubte nicht mehr an die Möglichkeit einer Rettung. Sie hatten die Messer an der Tür versucht, sie aber als unzulänglich befunden. Rettung konnte nur von außen kommen, und wer sollte da der Retter sein? Das Innere der Pyramide war Geheimnis, und diejenigen, welche allein es kannten, lagen tot oder gelähmt in der Zelle und in der Tiefe des Brunnens.
Emma faltete die Hände und flehte:
„O, heilige Mutter Gottes, bitte für uns in dieser entsetzlichen Not! Laß uns nicht verschmachten und verderben in dieser Finsternis! Laß uns das Licht des Tages wiedersehen, und ich will deine Güte preisen, so lange ich lebe.“
Der Steuermann war still geworden, aber Mariano ergriff die Hand der Señorita und bat mit trostvoller Stimme:
„Verzagen Sie noch nicht! Ich kenne Gott, der allmächtig ist, und ich kenne Sternau, den man fast auch allmächtig nennen mag. Er bringt fertig, was kein anderer vermag. Er weiß, was für ein Schicksal unser bei Verdoja und Pardero erwartet, und wird alles wagen und tun, um uns zu finden und zu retten.“
„Aber wer soll ihm sagen, daß wir uns hier befinden?“
„Dafür lassen Sie Gott und ihn sorgen. Er findet uns, ich bin überzeugt.“
„Aber wenn ihm selbst ein Unfall widerfährt?“
„Ihm geschieht nichts Böses. Er weiß, was für uns davon abhängt, daß er in keine Fährlichkeit gerät, und wird vorsichtig sein. Vielleicht ist gerade diese Vorsicht schuld, daß wir warten müssen. Es sind ja erst zwei Tage verflossen; es ist ja sehr leicht möglich, daß er jetzt erst in dieser Gegend eintrifft. Nun wird er nach Spuren suchen; er wird sie finden. Er wird auch ein Mittel entdecken, zu uns zu gelangen. Es ist mir, als – horch!“
Sie lauschten, hörten aber nichts.
„Was war es?“ fragte Emma.
„Es war mir, als ob ich ein leises Rollen hörte, fast wie fernen Donner.“
„Das war eine Täuschung, Señor. In diese Tiefe dringt kein lebendiger Ton!“
Es trat wieder eine Stille ein, bis der Steuermann aus seinem Grübeln auffuhr: „Hol's der Teufel, ich finde nichts!“
„Was suchen Sie?“ fragte Mariano.
„Nach einem Mittel, diese verteufelte Pyramide in die Luft zu sprengen, aber natürlich so, daß wir unbeschädigt sitzen bleiben.“
„Geben Sie sich keine Mühe, es ist alles vergeblich. Wir können nur von außen Hilfe erwarten.“
„Nun, dann mag sie bald kommen, nicht um meinetwillen, denn ich halte etwas aus, sondern um dieser Señoritas willen, die so etwas nicht verdient haben. Es muß ein miserabler Tod sein, hier unten so langsam – horch!“
Jetzt horchten sie alle auf, denn alle hatten einen Donner vernommen.
„Das war ganz wie vorhin, aber stärker“, sagte Mariano.
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