Er kam nicht zurück und ich habe erfahren, daß er bei keinem einzigen Vaquero gesehen wurde. Er war ein Anhänger von Juarez und floh deshalb. Sein Lieblingsdiener ist mit ihm verschwunden.“

„So befindet sich wenigstens Señor Pardero hier.“

„Pardero? Ah, der Leutnant Verdojas? Nein; er ist nicht hier.“

Das gab Sternau zu denken. Waren diese beiden Männer mit ihren Gefangenen entflohen? Möglich war es. Oder hatten sie sich vor den Regierungstruppen in die Pyramide geflüchtet? Welch ein Los erwartete da die beiden Mädchen! Es lag auf der Hand, daß keiner der Offiziere von dem verbrecherischen Tun Verdojas etwas ahnte. Sollte Sternau es ihnen erzählen? Vielleicht war es gut, vielleicht auch nicht.

„Sie sind mit Verdoja und Pardero Freund?“ fragte der Rittmeister.

„Nein“, antwortete Sternau. „Diese Männer sind die größten Schurken, welche ich jemals kennenlernte. Ich kam, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.“

„Ach, ich teile Ihre Meinung vollständig; umsomehr tut es mir leid, daß Sie diese Leute nicht finden.“

„Sie haben wirklich keine Ahnung, wo sie zu suchen sind?“

„Nicht die geringste.“

„So habe ich Sie umsonst inkommodiert und bitte, mich zu entschuldigen.“ Man hatte während der kurzen Unterhaltung noch nicht daran gedacht, ihm einen Sessel anzubieten, jetzt, als er sich mit einer Verbeugung verabschieden wollte, sagte der Rittmeister:

„Nehmen Sie doch Platz, Señor! Sie bleiben diese Nacht doch hier?“

„Nein.“

„Ach, nicht? Sie wollen weiter? Die beiden Männer suchen?“

„Ja, allerdings.“

„Hören Sie, das ist gefährlich! Sie sind fremd, und es ist gewissermaßen Revolution im Land. Es streifen wilde Indianer gerade in dieser Gegend herum, und ich will Ihnen aufrichtig sagen, daß wir sogar diese Nacht einen Überfall der Apachen hier erwarten. Wenn Sie diesen Schuften in die Hände fallen, so sind Sie verloren.“

„O, ich fürchte sie nicht, Señor!“

„Nicht? Hm, Sie sind ein Neuling im Land.“

„Nicht so ganz! Übrigens weiß ich, daß die Indianer im Grunde genommen bessere Menschen sind, als man zu meinen gewohnt ist.“

„Sie irren, Sie irren sehr. Da liegt neben der hiesigen Besitzung eine weite Länderei, welche dem Grafen Rodriganda gehört. Er hat eine Anzahl Pueblos-Indianer angestellt, und vorige Woche haben sie den Majordomus mit fast sämtlichen Weißen abgeschlachtet.“

„Das ist mir leid, hat seinen Grund aber jedenfalls in der nicht menschenfreundlichen Administration des Señor Cortejo.“

„Ah, Sie kennen diesen Cortejo, der die Güter des Grafen verwaltet?“

„Ja, er wohnt in Mexiko.“

„Das ist richtig. Dieser Graf Rodriganda ist einer der reichsten Grundbesitzer dieses Landes. Ich möchte wünschen, sein Sohn oder Erbe zu sein.“

Sternau lächelte und verbeugte sich verbindlich.

„Dann wären wir Verwandte“, sagte er.

„Verwandte?“ fragte der Offizier.

„Ja. Meine Frau ist eine Contessa de Rodriganda y Sevilla, die einstige Erbin der Güter, von denen Sie sprachen.“

Der Rittmeister fuhr empor.

„Nicht möglich!“ rief er. „Eine Gräfin Rodriganda, die Frau eines Arztes.“

„Es ist dennoch so!“

„Dann sind Sie von Adel?“

„Nein.“

„Aber ich bitte Sie! Das wäre ja kaum zu verstehen.“

Sternau griff in die Tasche und zog den letzten Brief hervor, den er von Rosa erhalten hatte. Er zeigte dem Rittmeister die Über- und die Unterschrift, den Stempel des Bogens und das Siegel des Kuverts.

„Bitte überzeugen Sie sich“, sagte er.

„Wahrhaftig, das ist das Siegel der Rodriganda, ich kenne es sehr genau. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mit Alfonzo de Rodriganda, der sich jetzt in Spanien befindet, sehr befreundet war. Ich habe von ihm erfahren, daß er eine Schwester besitzt, welche Rosa heißt, und sehe also, daß Sie die volle Wahrheit sagen. Nun müssen Sie bei uns Platz nehmen, denn es versteht sich ganz von selbst, daß ich Sie nicht fort lasse.“

Sternau lächelte abermals und sagte:

„Ihre Freundlichkeit verpflichtet mich zum größten Dank, aber ich darf nicht bleiben.“

„Warum?“

„Ich werde erwartet.“

„Wo? Außerhalb der Hacienda Verdoja?“

„Ja.“

„Teufel, wo könnte das sein? Bis zur nächsten Besitzung hat man fast einen Tag zu reiten. Und daß Ihre Gesellschaft im Freien campiert, nehme ich doch nicht an.“

„Und doch ist es so. Ich werde von den Apachen erwartet.“

Sternau sprach diese Worte mit unendlichem Gleichmut aus, und doch war die Wirkung ganz dieselbe, als ob eine Bombe geplatzt wäre. Die Herren Offiziere fuhren von ihren Sitzen auf und dann weit auseinander.

„Von den Apachen?“ sagte der Rittmeister mit offenem Munde.

„Ja.“

„Alle Wetter, das ist ein Spaß! Erklären Sie mir das!“

„Die Erklärung ist sehr einfach, ich bin der Anführer der Apachen.“

Die Bestürzung der Herren verdoppelte sich; sie waren das, was man perplex nennt.

„Ihr Anführer? Aber das ist ja unmöglich!“

„Es ist im Gegenteil nicht nur möglich, sondern wirklich. Soll ich es Ihnen beweisen?“

„Ja, ich bitte Sie darum, ich bitte Sie recht sehr darum!“

„Nun, Sie haben einen Comanchen hier?“

„Das stimmt. Aber was hat das mit Ihrem Beweis zu tun?“

„Und den anderen Comanchen haben wir“, fuhr Sternau unbeirrt fort.

„Sie haben ihn?“ fuhr der Offizier auf.

„Ja. Diese beiden Comanchen beobachteten uns, und dann trennten sie sich. Der eine ging nach dieser Hacienda und der andere folgte unserer Fährte. Er war dabei unvorsichtig, wurde ertappt und von einem der Apachen erstochen.“

Da griff der Rittmeister an seinen Degen und donnerte:

„Señor, ist das wahr?“

„Ja.“

„Und das sagen Sie uns, die wir mit den Comanchen verbündet sind! Sie wagen es, in dieses Haus zu kommen!“

„Ah, pah, ich wage nichts! Ich kam in dieses Haus, um mit Verdoja eine Abrechnung zu halten, und nun ich ihn nicht finde, halte ich es für meine Pflicht, Ihren Leuten zu sagen, daß sie schlafen gehen können. Die Apachen werden keinen Angriff auf die Hacienda unternehmen.“

„Aber, zum Teufel, träume ich denn?“ fragte der Offizier, indem er sich an den Kopf griff.

„Nein, Sie wachen. Mein Besuch hier mag ein wenig ungewöhnlich erscheinen, ist aber sehr leicht zu erklären.