Käme so ein großes oder kleines Gespenst in mein einsames Zimmer, so würde ich freilich erschrecken, aber mich auch dieses Erschreckens freuen, und es recht bis in meine innersten Kräfte hinein mit meinem Bewußtsein durchgenießen. Ansehn würd ich mir das Wesen, das mich seiner Bekanntschaft würdigte, und gewiß ohne fieberhaftes Entsetzen von ihm Abschied nehmen. Ich habe mir den Fall oft genau durchgedacht und bin meiner Fassung gewiß. Nein, das Geisterreich bietet uns die Schrecken nicht, die der Wirklichkeit zu Gebote stehn.«

»Wie meint Ihr das, Ihr poetische Amazone?« fragte Don Cesare.

»Eine Vorstellung«, antwortete die Jungfrau, »verfolgt und ängstigt mich von meiner frühesten Jugend. Ich bin allein in der tiefen Nacht, meine Familie ist schlafen gegangen, meine Dienerin ist verabschiedet, ich will mein Lager besteigen und die Lampe löschen, als plötzlich vor mir schreckliche Bösewichter mit geschwärzten Gesichtern und dräuenden Waffen stehn: ich wende mich um, Hülfe rufend, und auch von dort treten mir scheußliche, unbekannte Figuren entgegen. Nirgend Rettung, Hülfe; das Wort stockt mir im Munde, der Atem versagt, die Brust klopft zum Zerspringen; ganz ohnmächtig und doch klar alles sehend, rücken die Verruchten und der Mord mir näher und näher. – Seht, indem ich davon spreche, bin ich halb wahnsinnig vor Entsetzen. – Hinweg du abscheuliches Bildnis! – Und könnt Ihr leugnen, daß nicht dergleichen schon hie und da vorgefallen ist? Wir alle haben von solchen Überfällen gelesen! Und kann dergleichen sich nicht wiederholen?«

»O Kind«, rief Cesare, »Ihr ängstigt mich über die Maßen. Beruhigt Euch, entfernt diese niederträchtigen Vorstellungen aus Eurem Gemüt, verbannt sie völlig, zerstreut Euch und entwurzelt diesen Unsinn, der in Euren Geist so scheint es, schon tief hineingewachsen ist. Denn Eure Darstellung erweckt zu meinem Grausen auch mir eine alte Grille in meinem Innern. Ich kann mich nämlich durchaus nicht von dem Aberglauben losmachen, daß dergleichen, wenn man es sich immer und immer wiederholt am Ende eben dadurch, wie durch unbewußte Magie zur Wirklichkeit hinauswächst. Die Phantasie ist auf die Weise der Boden, in welchem später dieses giftige Unkraut als wahrhaftiges hervorsprießt. Um Gottes willen, laßt diese fatalen Spiele der Imagination bleiben.«

Die Mutter schauderte. »Sollte denn«, sagte sie nach einer Pause, »unsre Seele diese ungeheure Kraft besitzen, durch die Vermittlung der Imagination so was zu erzeugen? Oder ist es nur die Fähigkeit, das Unvermeidliche der Zukunft vorauszusehn, die sich in dergleichen Furcht und gespenstige Vision umbildet? Was ist doch überhaupt mein Ich? Warum sagen wir immer so leicht hin: mein Geist, meine Seele, als wenn noch ein andrer Regent höher über diesen Regierenden in uns stände?«

»Ja wohl«, sagte Caporale, »kommt man mit dem Denken über diese Geheimnisse niemals zu Ende. Wir erkennen uns nur in den Funktionen unserer Kräfte, in unserer Tätigkeit: so wendet sich unser Bewußtsein und unsre Denkkraft immerdar von uns ab, und sieht sich nur entstaltet und unkenntlich in einem trüben, schlecht geschliffenen Spiegel, der unser Wesen verzerrt. Ist nun unser Geist, oder unsre Seele schon einmal dagewesen? Ist er ein gesunkener Geist, der in bestimmten Perioden seiner Verwandlung in einen frühern seligen Zustand durch Tat, Reue, Buße, hiesiges Leben zurückkehrt? Ist er ein Funke aus Gott, bei der Geburt neu entflammt herabgesendet?«

»Ihr seid ein arger Ketzer«, sagte die Mutter.

»Ich frage nur zweifelnd an«, antwortete der Dichter, »was unsre Seele sei, so wie Schrift und Kirche, soweit ich sie kenne, auch nichts Bestimmtes darüber aussagen. Es bleibt immer nur übrig: Ich bin ich.«

»Kinderei!« rief lachend Vittoria: »wer es wissen will, was die Seele ist, der komme nur zu mir, denn ich weiß es ganz genau.«

»Du?« sagte die Mutter, indem sie groß aufsah.

»Ich möchte mich«, sagte der Poet, »zu Euren Füßen niederwerfen, und so, demütig im Staube, von der hohen Sybille das heilige Orakel empfangen.«

»Vernehmt!« rief die Tochter – »die Seele ist ihrem wahren Wesen nach, eine kleine graue Maus.«

»Virginia!« rief die Mutter zürnend, »schämst du dich nicht, so albern zu sein? Oder soll diese Kinderei Witz und schalkhafte Laune bedeuten?«

»Auch in Bernis Gedichten«, sagte Caporale, »die doch so manches Unbegreifliche erzählen, erinnere ich mich nicht, diesen oder auch nur einen ähnlichen Ausspruch gefunden zu haben.«

»Es soll aber auch gar nicht Spaß bedeuten«, erwiderte die Jungfrau, »sondern es ist mein vollkommener Ernst. Die Kenntnis der Sache ist mir auch schon vor mehreren Jahren geworden, wo sie mir in einem allerliebsten Buche vorkam, dessen Titel ich leider nachher in meinem Leichtsinn vergessen habe. Es ist nämlich eine Geschichte, der ich meinen Glauben verdanke, und diese will ich euch jetzt erzählen:

Vor alten, uralten Zeiten gab es einen Herzog von Burgund, der irgendwo in von hier weit, weit abgelegenen Gegenden sein Land, seine Herrschaften, und hochgelegenen Schlösser hatte. Irre ich nicht ganz, so lebte und regierte er in einem Teile von Deutschland, nicht fern vom Rheinstrom. Nun war dieser Herr oft von seinen Feinden bedrängt, doch war er immer siegreich aus allen Kämpfen nach seinem Schlosse zurückgekehrt. Es war schon damals eine Erfindung und ein Unglück aufgekommen, welche uns auch in den neuesten Zeiten oft quälen. Der Herr hatte nämlich Schulden; der Krieg hatte für Vasallen und Söldner seinen Schatz gänzlich ausgeleert. Sooft er in seine Schatzkammer ging, sah er nur die leeren Wände, und wenn er Truhen und Schränke aufschloß und hineinschaute, so blickte ihm immer wieder ein trostloses Nichts entgegen. Um sich zu zerstreuen, ritt er mit einem vertrauten Knappen in einen schönen dichten Wald hinein. Es lief schon seit Jahrhunderten im Volk ein Märchen um, daß irgendwo, aber kein Mensch konnte den Ort bestimmen, ein unendlicher Schatz von Gold, Perlen und Juwelen aus Bosheit sei versteckt und verzaubert worden, so daß keine Wünschelrute, kein Beschwörer und Hexenmeister diese Fülle unermeßlicher Kostbarkeiten je wiederentdecken könne. Wie es wohl die Armen, Notgedrängten zu machen pflegen, so hatte sich auch der gute Herzog mit seinem treuherzigen Knappen von diesen verzauberten Goldklumpen unterhalten, und sich an diesen versteckten und verlornen Diamanten und Rubinen getröstet und erfrischt. Müde vom Reiten und Schwatzen, nachdem sie tief in den schönen grünen Wald hineingeritten waren, stieg der Fürst vom Pferde und band es an einen Baum. ›Wir haben selbst den Fußsteig verloren, hier ist es so schön ruhig und einsam still‹, sagte der Herzog; ›bewahre und bewache mich, mein getreuer Gottfried, denn eine süße Müdigkeit schleicht mir in mein Gehirn und drückt mir die müden Augen zu.‹ So geschah es, der Herzog fiel in einen erquickenden Schlaf, und der Diener wachte, daß kein Tier oder Gewürm seinem verehrten Herrn nahen und ihn beschädigen möge. Der Atem des Fürsten, die Brust ging hin und her und auf und ab: er lächelte, denn ihn mochte ein angenehmer Traum besuchen.