Nun gut, ich ließ es mir gern gefallen, daß es etwas so Schönes in der Welt und der Natur gab, und ging immer weiter, an mein dummes Gedicht denkend und spekulierend. Auch gibt es wirklich Epochen in unserem Leben, in welchen man die sogenannte Zeit völlig vergißt. So war es mit mir. Der Abend hatte mich ausgehn sehn und die stille Nacht fand mich noch draußen. Wie ich noch so fortwandelte, deucht mir, es erhebe sich im Osten eine Art von lichtem Grau, ein klarer, wallender Schimmer, und wie ich mich noch darüber verwundre (denn ich hatte ganz vergessen, daß es wohl Morgen sein könne), fahre ich im Schrecken zurück, denn wieder blitzt eine solche Glutmaschine, so ein Jupiter, als wenn er eben einer Liebschaft wegen zur Erde gesunken wäre, mir entgegen, ein göttlich glänzender Stern, dicht auf dem grünen Boden, äugelnd im feuchten Grase und den triefenden Granaten liebkosend – und siehe da, was ich für einen zerschnittnen Vollmond hielt – nur reiner, weißer glänzend – sei es Jupiter, Mars, Sirius – mir war es, dem Unwissenden, die göttliche Aphrodite, die Göttin der Liebe. –
Ihr holdseligen Frauenbilder, da besann ich mich mit wahrer Andacht auf euch; Ihr Julia seid mein leuchtender Abend –, Ihr Vittoria mein strahlender Morgenstern und nun ließ es mir keine Ruhe, bis ich wieder hierher zu euch kam. Mag der Himmel mit Millionen Gestirnen prangen, für mich hat er doch nur die eine Venus. Nicht wahr Gevatterin?«
»Ihr seid galant, Don Cesare«, erwiderte Julia, »und dabei ein Poet. Wie schade, daß Ihr und so manche Euresgleichen doch Weiberfeinde seid.«
»Glaubt Ihr an das Märchen?« fragte Caporale. »Nur häßliche Männer, und die von den Frauen nicht begünstigt worden, stellen sich als Weiberfeinde. Es ist keinem Sterblichen Ernst damit und kann es auch nicht sein. Denn diese Kaprice der Natur, daß sie Weiber geschaffen hat, ist es doch einzig nur, weshalb es sich, der Mühe lohnt, zu leben. Alle die Schwächen, Widersprüche, Treulosigkeit, Mangel an Charakter, ausgemachte Schlechtigkeit selbst, was diese Moralisten immer und immer wieder aus heiserer Kehle ausschreien, ist ja immer nur die weibliche Natur, die sie nicht zu würdigen wissen. Wer jemals ein Weib geliebt hat, wen jemals auch nur ein Weib wahrhaft beglückt hat, der wird ihre Lügen und Albernheiten höher als Aristoteles, Wahrheit und Platons Weisheit schätzen. Und so – kann ich den Morgenstern kritisieren? Verlang ich Tugend oder Moral von ihm? O du ewige, unbegreifliche Schönheit, du himmlisches, unsterbliches und doch so vergängliches Kleinod der Liebe und Wollust, wie roh gehn auch mit dir die Menschen um, und hantieren so abgeschmackt mit der Göttlichkeit, als wenn es eben auch ein Brett oder hölzernes Gestell wäre, um alten vergessenen Plunder darauf aufzubewahren.«
»Werdet nicht so ernsthaft«, sagte die Mutter, »und erzählt uns lieber, was Ihr in Rom Neues erfahren habt.« –
»Potz Blitz!« rief der Poet aus, »das ist eben das Kennzeichen unsers Jahrhunderts, daß es gar nichts Neues gibt. Wenn Ihr das nicht etwa so nennt, wodurch jeder Quark eine Neuigkeit wird. So bastelt unser Heiliger Vater Gregor immer und ewig an seinem neuen Kalender, als wenn wir damit ein reelles Gut gewönnen, daß das Dümmste und Unbegreiflichste der Schöpfung, die Zeit, neu eingeteilt würde. Das neue Jahr soll nun nicht mehr mit Ostern und dem Frühling, sondern mit dem kalten trivialen ersten Januar anheben; und so mehr dergleichen. Bis jetzt glaubten wir, daß die Päpste nur für die sogenannte Ewigkeit sorgten, aber jetzt werfen sie sich auch in die irdische Zeit, um da aufzuräumen. – Neues in Rom? Nun, daß die Kardinäle gegeneinander intrigieren, daß viele Fremde wegen des Jubiläums nach Rom gekommen sind, daß die Kirchen und die heiligen Orter besucht werden, daß man erzählte: der ruchlose Ambrosio sei mit einer ganzen Bande eingefangen worden.«
»Ambrosio?« fragte die Mutter; »wo ist der Bösewicht gefangen worden?«
»Man sagt in Subiaco«, antwortete der Dichter ruhig: »die Bande hatte dort in der Nacht das Haus der Magistratsperson erbrochen und geplündert, den Mann aber selbst höher in das Gebirge hinaufgeschleppt, um an ihm Rache zu nehmen, weil er sich im Verfolgen der Räuber besonders tätig erwiesen hatte. Doch haben die freiwilligen Milizen sie in ihrem Schlupfwinkel überrascht und das ganze Nest aufgehoben.«
Die Matrone ward nachdenkend, und Caporale begriff nicht, wie diese Neuigkeit sie so verstimmen könne. »Es ist furchtbar«, nahm Vittoria das Wort, »wie diese Räuberscharen sich in unsrer Zeit vermehren und noch täglich anwachsen. Von den Großen und Mächtigen beschützt, hat fast jede Familie ihre Bande, man bekämpft sich öffentlich, wie in einem Kriege.«
»Ja«, sagte Cesare: »diese Orsini, Colonna, die Florentiner, die Ferrareser, alles hat seine geworbenen kleinen Heere in unserer Stadt und dem römischen Gebiet. Der Heilige Vater sieht durch die Finger und fühlt sich zu schwach, dem Unwesen zu steuern. Rache und Meuchelmord werden als Edeltat angesehn und es herrscht eigentlich nur so viel Sicherheit, als jene Mörder uns gönnen wollen. Auch der Privatmann ist fast gezwungen, mit dieser oder jener Bande einverstanden zu sein, um nicht von allen beschädigt zu werden.«
»Ich mag an alles dies gar nicht denken«, warf jetzt die Mutter ein; »denn ein Grauen befällt mich, als wenn unser Eigentum und Leben nur vom Zufall abhingen und wir jedem Entsetzen preisgegeben wären. Alle Gespenstergeschichten, die ich in meiner Jugend hörte, erwachen dann in meinem Innern, und unser Geist ist der Sklave von nichtswürdigen Vorstellungen, die in unsern Nerven auf und ab rieseln und uns das Haar emporsträuben.«
»Nein, Mutter«, rief Vittoria: »scheltet mir nicht auf meine lieben Gespenster und das poetische Grauen, das bei Anhören dieser Geschichten unsern Geist gefangennimmt. Das ist wie kühler Morgenwind, der durch den Eichenwald braust und alle Blätter in zitternde Bewegung setzt. So erfrischend und wundersam sind auch die Legenden von wiederkehrenden Gestorbenen, von den dunkeln Dämonen, die an einsamen Seen ihr Wesen treiben, jener seltsamen Kobolden, die uns in gefährliche Sümpfe, oder im Gebirge an Abstürze locken sollen; dann die Orakelstimmen in einsam abgelegenen Tälern, die Fähigkeit Wahnsinniger oder Kranken, die Zukunft deutlich zu sehn, oder in fernen Gegenden den Freund wahrzunehmen, und alle die Märchen von Zauberern und Beschwörern, von den Bündnissen mit bösen Geistern. Schon des wunderlichen und rätselhaften Abano oder Pietro Apone wegen möcht ich gar zu gern einmal nach Padua reisen, um mir sein Haus mit dem großen Saal und seinen Brunnen zu betrachten.
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