»Wie könnt ich es verantworten«, sagte sie eilig, »wenn ich nicht meine Mutter und den Bruder davon benachrichtigte, welchen Gast wir heute bewirtet haben.«

Als die Männer allein waren, sprach Graf Pepoli mit großem Verstande zu Tasso, über das Glück, ihn persönlich kennengelernt zu haben. Tasso war aufgeregt und konnte mit den Lobsprüchen, die der gebildete Mann ihm mit der größten Überzeugung und Aufrichtigkeit spendete, wohl zufrieden sein. Die Mutter und Flaminio erschienen, und der Gast sah sich, von so vielfältiger Verehrung und Freundschaft angeregt, um so mehr veranlaßt, jene berühmte und schöne Stelle seines Gedichtes, die damals von so vielen anmaßlichen Kennern und Kritikern verworfen wurde, mit Freude und Genugtuung vorzutragen.

»Wie trocken und nüchtern«, sagte die begeisterte Vittoria am Schlusse, »muß die Seele dessen sein, der die Schönheit dieser Dichtung nicht empfindet. – O teurer, einziger Mann! ich hoffe, wenn Ihr nur irgend in Rom verweilt, daß wir uns noch wiedersehn; aber für jetzt schlagt mir meine Bitte nicht ab, daß ich die Hand, die so schöne, so himmlische Worte niederschrieb, in innigster Verehrung an meine Lippen drücken darf.«

Tasso erhob sich und sagte: »Beschämt mich nicht so sehr, schöne Jungfrau. Aber der Dichter dürfte vielleicht vor allen andern sterblichen Menschen ein andres Anrecht in Anspruch nehmen, welches ihm die Musen verliehen haben. Laßt mich, in Gegenwart Eurer verehrten Mutter, zum ewigen Angedenken dieser schönen Stunde, einen Kuß von diesen schönen Lippen pflücken.«

Die beiden dichtenden schönen Wesen umarmten und küßten sich innig, und es blieb, in diesem poetischen Taumel, nicht bei dem einen erbetenen Kusse, da Tasso fühlte, daß sie seine begeisterte Berührung mit den süßen, vollen Lippen erwiderte.

Als man Abschied nahm, sagte der Graf: »Ich würde um die Erlaubnis nachsuchen, morgen meinen Besuch wiederholen zu dürfen, wenn mich nicht teure Verpflichtungen nach Rom hinzwängen. Ein Verwandter von mir, ein ferner Vetter, aber ein reicher Mann, ist von den Banditen aus Subiaco, dort im Gebirge, fortgeraubt worden, und die Räuber verlangen für ihn ein unermeßliches Lösegeld. Das schlimmste aber ist, daß keiner weiß, wohin sie den Armen geschleppt haben. Nun sind viele eingefangen und nach Rom gebracht worden, und von diesen ist mir einer bezeichnet, der vielleicht die Kunde, die genaueste, von jenem Vorfall haben mag.«

Die Fremden beurlaubten sich und Flaminio geleitete sie, um dem großen Tasso, den er innigst verehrte, noch einige Zeit näher zu bleiben.

»Wir reisen morgen auch nach Rom«, sagte die Mutter plötzlich zur Tochter.

»Himmel!« rief Vittoria, »wie erschreckst du mich, Mutter! Ich hoffte, wir würden die Villagiettura noch recht fröhlich hier fortsetzen, da jetzt erst so manche unsrer Freunde herausziehn werden; denn der Herbst hat ja erst angefangen.«

»Es muß sein«, sagte die Matrone.

»O Mutter!« klagte die Tochter, »ich kann es dir nicht aussprechen, wie schrecklich und gespenstisch mir diesmal die Stadt vorkommt. Dies große, ewige Rom, um das uns so viele Fremde beneiden, und den Aufenthalt dort als einen glückseligen preisen – o wie greulich, furchterfüllt, entsetzlich erscheinen mir diesmal seine Straßen und Plätze! Ich habe eine Vorempfindung, als wenn mir dort das allergrößte Unglück meines Lebens begegnen, als wenn ich dort untergehen müsse. O laß uns noch verweilen. Warum diese Hast?«

»Warum?« rief die geängstete Mutter; »weil ich Kinder habe, die mein Stolz und meine Freude sein sollten, und die mir zur Höllenqual werden. So wisse denn, Unglückselige, daß sie unsern Marcello zum zweitenmal eingefangen haben: in dem Briefe, den ich heute erhielt, spricht man von Hinrichtung, wenigstens von der Galeere. Er hat sich wieder bei den Banditen betreffen lassen. Ich muß nach Rom; unser Schützer, der Kardinal Farnese, muß sich unserer annehmen, sonst sind wir verloren.«

»Um Gottes willen«, sagte Vittoria in Tränen, »– dieser unglückliche Bruder – diese seine Unruhe und Wildheit, die er für Kraft und Tugend hält! Aber Liebste, o du meine einzige Freundin! schütze mich nur dort vor allen den rohen, unbändigen Gesellen, die mich zu lieben vorgeben, die meine Freier vorstellen wollen. O dieser abscheuliche Luigi Orsini, dieser entsetzliche Mensch, so im Wesen, wie ich mir den Herzog Alexander Medici von Florenz, oder gar den verruchten Cesar Borgia denke – nur vor diesem und andern seines Gelichters beschütze mich – sonst wäre mir ja wahrlich besser gewesen, dort im Wassersturz unterzusinken.«

»Darüber beruhige dich, meine Tochter«, tröstete die Mutter, »– dieser Orsini, dieser Ludwig, soll nicht über unsre Schwelle schreiten.«

»Gib mir noch ein Versprechen!« rief Vittoria. –

»Nun?« –

»Daß du deine Einwilligung gibst, daß ich mich gar nicht zu vermählen brauche! Ich hasse, ich verachte die Männer! Ich könnte eher einen vergiften, als mich ihm unterwerfen. Dies scheint mir das ärgste, schändlichste aller Verbrechen. Nein, Mutter, zwinge mein Gemüt nicht, daß es sich empört und sich lieber in alle Greuel taucht, die Namen haben, als daß es sich der Gemeinheit ergibt, die so viele jämmerliche Menschen Tugend und Notwendigkeit nennen.« –

»Tochter! Tochter!« sagte Julia geängstigt, »vielleicht empfinde ich in Zukunft um dich noch mehr Angst, als mir jetzt der unglückliche Marcello macht. O Gott! Was ist das Leben? Rüste dich zur Reise.«

Als sich Vittoria allein sah, blickte sie zum Abendhimmel empor. – Der Mondschein zeigte ihr die Berge, sie hörte in der Stille der Nacht den Wasserfall brausen. »Lebt wohl«, rief sie, »alle ihr geliebten, teuren Wiesen und Bäume! – hab ich nicht heut gesehn, daß dieser göttliche Tasso auch nur ein Mann, ein schwacher Mann war? – Nicht stärker als Camillo. – Wo find ich ein Wesen, das ich ehren und lieben könnte? – Gut denn: der Tiberstrom wird immer noch ebenso tief sein, wie der Teverone; – wenn man frei sein will, wahrhaft will, so gibt es kein Schicksal, das uns Ketten anlegen könnte!«

 

Zweites Buch

 

Erstes Kapitel

Als die Familie in Rom angekommen war, richtete sie sich in ihrer einfachen Wohnung wieder auf die frühere Weise ein. Es fehlte nicht an Besuchen, als die Römer erfahren hatten, daß alle aus Tivoli zurückgekehrt seien. Die Mutter suchte sogleich ihre mächtigen Beschützer in Anspruch zu nehmen, um ihren unglücklichen Sohn von der Schande oder einem noch härteren Lose zu befreien. Sie fand aber jetzt mehr Schwierigkeiten, als sie sich dort in ihrer ländlichen Einsamkeit hatte vorbilden können, denn fast alle Parteien waren einstimmig der Meinung, die Gerichte wären bis jetzt zu nachgiebig gewesen, und es sei zum Wohl des Ganzen notwendig, dem Volke wie den Räubern ein auffallendes und abschreckendes Beispiel zu geben. Am schwierigsten zeigte sich, was die Mutter am wenigsten vermutet hatte, der mächtige Kardinal Farnese, der vieljährige Freund und Beschützer der Familie. Die Fürstin Margareta von Parma hatte sich auf dringendes Ansuchen des Grafen Pepoli persönlich an den Kardinal gewendet, ihr und der guten Sache in diesem schändlichen Handel beizustehn, und wenigstens den Anstalten, welche die Regierung für notwendig halten würde, nichts in den Weg zu legen. Farnese war so aufrichtig und mitteilend, daß er der Matrone selbst den Brief der Fürstin zu lesen übergab. »Die letzte Äußerung, werte Freundin«, sagte er dann lächelnd, »werdet Ihr ebensogut begreifen, als ich selber.