Was hat sie alles gesehn, erlebt und erfahren. Wie müssen ihr die Welt und deren Fürsten, die Widersprüche, die Schwächen der Menschen, Unglück und Glück erscheinen.«

»Ja wohl«, antwortete Donna Julia, »nun bewohnt sie seit einiger Zeit diese Villa, wird aber, wie sie mir neulich sagte, vielleicht noch in diesem Jahr zu ihren Schlössern in den Abruzzen und dem Neapolitanischen reisen. Sie schien heut sehr im Gespräch vertieft, da sie uns außerdem wohl angeredet hätte, denn sie zeigte sich immer meiner Familie, vorzüglich meiner Tochter, sehr gnädig und huldreich.«

»Sie ist eine einzige Frau«, rief jetzt Caporale. »wenigstens habe ich noch nie eine ähnliche gekannt, oder von ihr gehört. Glaubt ihr wohl, daß sie noch jetzt auf der Jagd, so alt sie ist, die rüstigsten Weidmänner müde macht? Sie tummelt sich auf jedem Rosse und scheut sich auch vor dem wildesten nicht, sie reitet und jagt allen Stallmeistern voraus, kurz sie ist eine echte Virago, in der edelsten Bedeutung dieses Wortes.«

Jetzt eilte der junge Mann, der mit der Fürstin vorher gesprochen hatte, auf die Gesellschaft zu, und bat den alten Dichter Caporale, ihn der Familie vorzustellen, der er schon seinen Besuch zugedacht hatte. Caporale sagte: »Nehmt meinen jungen, trefflichen Freund wohlwollend auf, verehrte Damen, den Grafen Pepoli aus Bologna.«

»Wir haben von Euch und Eurer edlen Wohltätigkeit gehört«, sagte die Mutter: »kein Bolognese kommt zu uns, der nicht Euren Ruhm singt.«

Der Graf verbeugte sich zierlich und erwiderte mit einer andern diese Artigkeit. Sie gingen hierauf nach Hause und alle setzten sich zu einem einfachen Mittagsmahle nieder. Es gibt Charaktere, die, wenn sie auch nicht einen starken oder ausgezeichneten Geist besitzen, doch durch unverkennbares Wohlwollen und Menschenfreundlichkeit, sowie durch feines Betragen alle Herzen gewinnen. Zu diesen gehörte der Graf. Auch war man bald mit ihm vertraut, als wenn er schon lange zur Familie gehört hätte. Er bildete einen angenehmen Kontrast gegen den zweiten Fremden, der viel edler, aber nicht so vornehm erschien: das freie, leichte Betragen des Grafen war so, daß man fühlte, er habe sich von Jugend auf in den glänzendsten Kreisen bewegt, daß er zum Edelmanne erzogen sei und den großer angeerbter Reichtum von den frühesten Jahren, nicht nur über jede Not, sondern selbst Unbequemlichkeit des Lebens hinweggehoben hatte. Der andere Gast, dessen lebhaftes Auge so geistreich glänzte, dessen Lippe so fein zu lächeln verstand, glich doch mehr einem Gelehrten, ob man gleich keinen Professor einer Universität und noch weniger einen Geistlichen in ihm erkennen mochte.

Nach Tisch begaben sich alle in einen kleinen Gartensaal, wo man sich an der Frische und der Aussicht in die schöne Landschaft erfreute. »Hier, in diesem lieblichen Aufenthalt«, rief Caporale, »sollten wir, wie es jetzt allenthalben geschieht, eine kleine poetische Akademie formieren, und über ein gegebenes Thema improvisieren; oder sollte die Deklamation zu unbequem fallen, so entwerfe man schnell aus dem Stegreif auf diesen Blättern hier ein kleines Gedicht, oder auch ein größeres, wie es nun gerade die Muse begehrt.«

Die Mutter entschuldigte sich und ging um notwendige Geschäfte zu besorgen, und Flaminio begleitete sie, um ihr hülfreich zu sein. Die übrigen setzten sich um den runden Tisch, und Caporale sagte: das Thema sei die Gewalt der Liebe.

Alle dichteten, und nach einer stillen Pause, als alle ihre Blätter beschrieben hatten, sagte Cesare: »Ich bin kein Dichter, sondern nur ein Spaßmacher und so spricht es auch dies Sonett aus.« Er las es, es enthielt eine Entschuldigung, er habe immer nur der Parodie gehuldigt, und seine Eitelkeit bestehe darin, daß man seine Gedichte nicht unzüchtig nennen könne, wenn er auch in Spaß und Witz einen Berni, oder andre berühmte Poeten niemals erreichen könne.

Der Graf Pepoli sagte: »Wer ist jetzt in Italien wohl nicht ein Dichter? Es gehört zur Erziehung eines jeden Gebildeten, Verse machen zu können, und wir haben den großen Vorteil daß unsre schöne, fein ausgebildete Sprache schon selber für uns dichtet. Ohne nachahmen zu wollen, wiederholt der Dilettant, selbst ohne es zu wissen, das schon oft Gesagte.« – Seine fein gewendeten Stanzen erzählten in zartem Bilde von dem unerwarteten Glück, in so ausgewählter Gesellschaft auf wenige Minuten den Dichter spielen zu dürfen.

Der Fremde las ein Sonett, daß die nahe, begeisternde Schönheit der edelsten Jungfrau, die Mutter derselben, die große Fürstin, deren Anblick er gewürdigt worden, ein Garten zur himmlischen Wollust und Traumseligkeit erschaffen, alles dies ihn zwinge, die höchsten Töne der Poesie anzuschlagen; aber die Muse schüttle das Haupt und lege den schönen Finger auf die Lippen, ihm zuflüsternd: »Eben weil du zu glücklich bist und zu selig im Genuß, kannst du in diesem Augenblick nicht dichten, lebe und sei zufrieden: Schmerzen und Poesie werden schon zu dir zurückkommen.«

Vittoria sah den Fremden verwundert an und dann sinnend vor sich nieder, denn dieses Sonett schien ihr vortrefflich und von einem echten Dichter herzurühren. Dann sagte sie mit großer Lebhaftigkeit: »Die Herrn alle, selbst unser Vorstand, haben in ihren Versen das aufgegebene Thema nicht einmal erwähnt viel weniger durchgeführt; alle verbeugen sich mit der höflichen Entschuldigung, nicht dichten zu können, und ich Ärmste habe mich, wie wir unterdrückte Weiber immer müssen, geschmiegt und im Gehorchen ein schlechtes und langes Gedicht geschrieben.« – Sie las eine Kanzone, deren Inhalt ohngefähr dieser war: –

 

»Gewalt der Liebe.«

 

»Alles, so sagen die Dichter und viele andre Sterbliche, wird von der Liebe regiert. Ich, zu jung, um sie zu kennen, zu schüchtern, um sie herauszufordern, wie soll ich sie besingen? Wohl sind mir viele der Hymnen bekannt, die ihre Gottheit verherrlichen sollen; aber auch andere dithyrambische Gesänge, in welchen Venus und Amor nicht minder kräftig geschmäht und gelästert werden. Da erscheinen alte Fabeln und große historische Sagen vor meinem Blick. Das mächtige Kind der Tauben, die hohe Semiramis, fand sich plötzlich als Königin von Babylon. Eine große und schöne Stadt, doch zu klein und unbedeutend für ihre schaffende Phantasie. Ihre ganze Seele ward trunken, als sie den großen Schatz des Goldes, die unermeßlichen Reichtümer in ihren Kammern entdeckte. Künstler, Staatsmänner, Diener und Bürger, Maurer, Steinmetzen und Handlanger kamen nun ihren königlichen Träumen willig entgegen.

So erhob sich aus diesen Kammern und ihrem Geiste dies Babylon, das Wunder der Welt. – Wie aber, wenn ein andrer Geist, vielleicht ebenso stark und kühn, diese Paläste, Türme, hängenden Gärten und ewige Mauern aufführen wollte, und fände nur ein kleines, kleines Kapital in seinem Vermögen? Ein lächerliches Unding würde entstehen, ein armseliger, verächtlicher Versuch, vor jedermann zum Spott, oder zum Mitleid den Bauenden hinstellend. – So vergleiche ich dem großen, mächtigen Willen dieser schaffenden Phantasie die Liebe, und der Gegenstand, auf den diese Liebe sich wirft, sind (ein seltner Fall) die unerschöpflichen Goldkammern der Semiramis – oder – das armselige Vermögen, aus welchem sich mit Sicherheit und als vollendet nur eine Hütte zusammenflicken läßt. Laß ruhen das Bauen, und entsage der Liebe, wenn der Geist, den du lieben und anbeten, ihm gehören möchtest, nicht in seinen Tiefen die göttlichen Kräfte aufbewahrt, durch die allein die Liebe ihre Würdigung finden kann. Darum bleibe mir fern, holdselige Venus, mit deinen Gaben; denn nur im Fabelreiche wohnt der Held, dessen Seele mir als Goldstrom jener Taubentochter entgegenleuchten könnte, um die himmelhohen Türme, Paläste und schwebenden Gärten meiner Phantasie aufzubauen.« –

 

Der Fremde neigte sich bewundernd, und küßte die schöne Hand der Dichterin, der Graf sagte in feinen Worten eine zierliche Schmeichelei, und Caporale rief ein herzhaftes: »Brava! – Nun«, fuhr er fort, »teilt uns nach Versprechen noch ein Fragment, einige Verse aus Eurem größeren Gedichte mit, an dem Ihr arbeitet, mein verehrter Freund.«

Der Fremde nahm einige zierlich geschriebene Blätter aus seinem Mantel, indem er sagte: »Ich will Euch eine Episode des Werkes vorlesen, und mir über diese Euer freimütiges Urteil erbitten, da viele Verständige sie schon bekrittelt, oder selbst völlig verworfen haben.«

Er fing an zu lesen, von Erminien und ihrer Liebe, als Vittoria ahnungsvoll rief: »Und der Name Eures Werkes?«

»Das befreite Jerusalem,« sagte der Fremde, wie beschämt und etwas errötend.

»Oh, um Gottes willen!« sagte Vittoria, laut schreiend -»so seid Ihr ja jener Torquato Tasso, von dessen Gedicht schon ganz Italien spricht – der schon vor vielen Jahren uns den herrlichen Rinaldo gab – von dem der himmlische Aminta herrührt, von welchem uns der tückische Caporale einzelne Stellen, wie die über das goldene Zeitalter, mitgeteilt hat. – Ha! Bösewicht!« so wendete sie sich an diesen – »also so boshaft könnt Ihr sein, den großen Dichter so zu verschweigen?«

»Es geschah in guter Absicht«, sagte der Alte lächelnd. »Wußtet Ihr, wer Euer Gast war, so hieltet Ihr gewiß mit Eurem Wesen an Euch; denn das liegt einmal in unsrer Natur, daß wir es einem Fürsten oder großen Manne durchaus recht machen und keine Blöße geben wollen, keinen Widerspruch versuchen. Wußtet Ihr, wer dieser Unbekannte war, hättet Ihr Euch gewiß nicht mit ihm gezankt. So aber seid Ihr nun wie alte Bekannte und ich bin mit mir zufrieden, daß ich es durchgesetzt habe: denn er wollte erst gar nicht einwilligen, weil er meinte, es setze Eitelkeit und Stolz voraus, so inkognito in eine liebe Familie einzutreten.«

»Niederknieen müßte man«, rief das lebhafte Mädchen wieder: »so ist es ziemlich, wenn eine Gottheit den Sterblichen würdigt, seine niedere Hütte zu besuchen.«

Sie erhob sich und eilte in heftiger Bewegung zur Tür.