So war er der Geschäftige, alles Besorgende im Haushalt, der Aufseher der Dienerschaft, der Bote über Land, der Ratgeber anderer Jünglinge und der Liebling junger Mädchen, um deren Wohlwollen er aber, so freundlich er in seinem Betragen war, sich nicht sonderlich bemühte. Denn es schien, daß er seine ganze Liebe dem jüngsten Wesen in der Familie, seiner holdseligen Schwester Vittoria, oder Virginia, wie sie auch zuweilen genannt wurde, zugewendet hatte. Ein Fremder, der sie beobachtete, hätte ihn eher für den verliebten Bräutigam, als den Bruder der lieblichen Erscheinung halten sollen.
Diese Vittoria glänzte wie ein Wunder, oder wie eines jener Bilder aus der alten Zeit, die der entzückte Beschauer, einmal gesehn, niemals wieder vergessen kann. Kaum in das siebenzehnte Jahr getreten, war sie fast schon so groß wie ihre Mutter, ihr Antlitz war blaß und nur mit leichter Röte gefärbt, die oft, bei selbst schwacher Bewegung des Gemütes völlig entfloh, oder sich, schnell wechselnd, so seltsam erhöhte, daß sie dann als ein anderes, dem vorigen fast unähnliches Wesen erschien. Ihr zart geformter Mund glühte in rubinroter Farbe; sein Lächeln unendlich erfreuend, sein Zürnen oder Schmollen erschreckend. Die längliche, sanft gekrümmte Nase hatte den edelsten Charakter im Oval des schönen Antlitzes, und die Augenbrauen fein gezogen, dunkelschwarz, belebten den Ausdruck des feurigen Auges. Ihr Haar war dunkel, und hatte im Lichte Purpurschimmer, es floß geregelt über Nacken und Schulter: saß sie nach denkend, die langen schneeweißen Finger in die Fülle des Haares halb vergraben, so hätte Tizian kein holderes Modell zu seinem schönsten Bildnisse antreffen können.
Aber weder Tizian, noch irgendein Maler hätten den Blick des Auges, das fast schwarz zu nennen war, den Ausdruck und das Feuer desselben auch nur schwach andeuten können. Dieser Ernst des Blickes, dieser Tiefsinn, dann wieder die aufblühende Freundlichkeit übten einen seltsamen Zauber, das Zornfeuer war selbst dem Frechen unerträglich. Es war ein liebliches Naturspiel, daß die langen Augenwimpern fast blond, oder gelb waren, so daß sie wie Strahlen in der Bewegung blitzten, oder so wundersam schimmerten, wie jene lichten Goldstrahlen, die wir zuweilen an altgriechischen Bildnissen der Minerva wahrnehmen.
Wie mit beschränkten Mitteln die verständige Mutter Julia allen ihren Kindern auch eine gute Erziehung, Unterricht und Wissenschaft hatte geben können, so war doch Vittoria, diese hohe Erscheinung, ihr Liebling, und diejenige, auf welche sie ihre stolzesten Hoffnungen gründete. Sie selber war oft über den früh gereiften Verstand dieses ihres Kindes erstaunt, sie mußte das Gedächtnis bewundern, in welchem Vittoria alles Gelesene und Gelernte aufbewahrte, wie sich die Mutter nicht weniger des Talentes erfreute, welches aus den Versen der Tochter hervorleuchtete.
Die Familie saß im Saale beisammen, als Marcello seinen Hut und Mantel nahm, den Degen umgürtete, und von der Mutter Abschied nehmen wollte, indem diese mit ernster Miene fragte: »Wohin wieder?«
»Freunde, Bekannte besuchen«, erwiderte der ungestüme Jüngling; »der Morgen ist so schön, und ihr alle werdet mich nicht vermissen.«
»Man hat mir sagen wollen«, erwiderte die Mutter, »du haltest im Gebirge mit dem verdächtigen Ambrosio Umgang. Der rohe Mensch soll ja mit jenen Banditen in Verbindung stehn, die in der Gegend von Subiaco streifen.«
»Ei! meine Mutter«, sagte Marcello, »man nennt heutzutage alles Banditen, was nicht Schulmeister, Priester, oder Advokat ist. Und doch plündern diese oft mehr, als jene freien Menschen die sich zuzeiten aus sehr gegründeten Ursachen mit dem langweiligen Staate überworfen haben, und unter denen man angesehene Grafen, tugendhafte Leute, ja Männer antrifft, die von fürstlichen Häusern abstammen.«
»Mein Sohn«, sagte Julia sehr ernst und nahm dem übermütigen Sohne den Hut aus der Hand, den sie auf den Tisch legte: »du sprichst, wie ein unbesonnener Knabe, der weder mit Welt noch Moral bekannt ist: magst du kindisch bleiben, wenn das dein Stolz ist, nur das vergiß niemals, daß dein herrlicher Vater, so wie dein verehrter Großvater Advokaten waren.«
»Gewiß nicht«, sagte Marcello, »stehn doch ihre Namen in so manchem verdrießlichem Buche verzeichnet, daß man schon deshalb versucht wird, ein ganz entgegengesetztes Metier zu ergreifen.«
Hastig riß er den Hut vom Tische hinweg, und sprang so eilig aus der Tür, daß der Mutter die beginnende Rede auf der zürnenden Lippe erstarb.
Flaminio stand auf und schloß die Türe wieder, die der Fortstürmende in seiner eilenden Hast offen gelassen hatte.
Vittoria sah von ihrem Buche auf, um mit einem sanften Lächeln dem Auge der Mutter zu begegnen. »Was denkst du, mein Kind?« fragte Julia.
»Ich bin schon seit lange der Überzeugung«, antwortete die Tochter, »daß man den Burschen gewähren lassen muß. Er sucht einen männlichen Stolz und Trost darin, dir nicht zu gehorchen, sondern zu widersprechen: je mehr du also ermahnst, je mehr sucht und findet er Gelegenheit, das zu tun, was du verbietest. Zeigst du dich seinetwegen unbekümmert, so wird er von selbst zur Vernunft zurückkehren, weil er sich dann einbilden kann, als freier Mensch zu handeln.«
»Wenn nur nicht vorher Unglück geschieht«, bemerkte die Mutter seufzend.
»Das, wie alles, muß man der Vorsehung anheimstellen«, sagte Vittoria, »denn er ist doch der Erziehung und Ermahnung entwachsen.«
»Woher nur«, fing die Mutter wieder an, »hat der Knabe diese Unbändigkeit? Sein Vater war milde und sanft, nachgiebig, folgsam, ein Feind alles wilden ungestümen Wesens: die Ruhe und Gesetztheit selbst. – Von wem?«
»Gewiß von dir«, sagte Vittoria lachend.
Die Mutter stand auf, ging nach dem Fenster, sah in die Landschaft hinaus, kehrte dann um, betrachtete die Tochter ganz nahe mit großen Augen und sagte kurz und schneidend: »Von mir?«
Vittoria ließ sich nicht irremachen, schloß ihr Buch, legte es in die Kapsel und sagte ruhig: »So denke ich mir die Anstammung dieses tobenden Blutes. Dein fester Sinn, dein großes, starkes Gemüt, dein edles Wesen, das für seine Überzeugung Blut und Leben hingeben würde, ist in ihm als Mann in diese jugendliche Roheit umgeschlagen, die sich später selber erziehn wird. War ich doch auch ein wildes Kind, und gewiß warst du nicht allzu zahm, als du noch mit deinem Püppchen spieltest.«
»Du magst recht haben«, antwortete die Mutter, »mir ist der Gedanke noch nicht eingefallen. Freilich vergessen wir nur allzuleicht in späteren Verhältnissen, wie wir in unsern frühesten Jahren waren.
Ich habe da wieder den Camillo Mattei gesehen«, fing die Matrone von neuem an; »er schien auf unser Haus zuzugehn: ich weiß nicht, was er immer hier will.«
»Er ist ja ein allerliebstes Kind«, sagte Vittoria erfreut; »man neckt sich mit ihm so hübsch, er ist dabei so ehrlich und treu, daß man ihn liebhaben muß.« –
»Was soll er uns?« fragte Julie, und wendete das Haupt unwillig ab; »er ist unwissend, einfältig, von geringem Herkommen; nun liegt er schon dem armen Weltpriester, seinem Ohm, seit Wochen zur Last: kann er nicht nach Rom zu seinen Eltern, den Bürgersleuten zurückkehren, um seine Schulstudien fortzusetzen?«
»Laß ihn, liebe Mutter«, bat Virginia, »er gefällt mir, und uns allen im Hause; unsere Familie ist als eine gastfreundliche bekannt; sollen wir bei diesem guten Mattei eine Ausnahme machen? Frage nur unsre Amme, oder unsern alten Guido, wie gut und lieb dieser immer freundliche Camillo ist.«
Die Mutter zwang sich heiter zu erscheinen, als Camillo eintrat, sich demütig verbeugte und schüchtern stehnblieb, bis sich Flaminio zu ihm gesellte, und ihm einen Sessel in seiner Nähe anbot.
»Camillo«, fing Vittoria an, »Ihr habt neulich die Zeichnungen von den Bildern sehen wollen, die der Kardinal Farnese in seinem neuen Schlosse Caprarola von Zuccheri hat malen lassen: seht, hier ist das schöne Buch, er hat es uns gestern geschickt.«
Camillo blätterte und sagte dann etwas beschämt: »Ich verstehe zuwenig von diesen großen und sinnreichen Sachen. Und an diesen Kämpfen und Schlachten kann ich mich vollends nicht erfreuen. Freilich wohl, die Schlacht des Konstantin, oder Attila von Raffael –«
»Läppischer Mensch!« rief Vittoria, halb zürnend und halb lachend, »wenn er mit Raffael kommt, muß sich alles verkriechen. Und doch meint der Kardinal wohl, und sein Maler noch mehr, er könne es mit dem jungen Manne und seinen vatikanischen Zimmern aufnehmen, und stehe auf der Leiter der Kunst noch einige Stufen höher. Und diese Bilder hier aus dem Saale des Schlafs und der Träume sind auch echt poetisch; diese herrlichen Erfindungen werden immer als Muster gelten können.«
»Kann alles sein«, erwiderte Camillo etwas verdrießlich: »es ist aber ein so schöner klarer Morgen, und dabei noch gar nicht heiß, daß wir lieber mit den verehrten Damen einen Spaziergang machen sollten.«
Die Mutter nahm ihren Sonnenhut, und Vittoria folgte ihrem Beispiel. »Gehn wir dann nach der Villa Este«, sagte die Matrone, »und besehen einmal wieder die Herrlichkeiten des neuen Palastes und alle die Künste und Schönheiten des Gartens.«
»O nein!« rief Vittoria unwillig, »alle diese kleinen Springbrunnen und Bildchen in Marmor, so fein gelegt und geschnitzt – wären nicht die Zypressen hingesetzt, die doch dazwischen ein ernstes Wort reden, so wäre diese Anstalt ganz unerfreulich. Nein! hin zu den allerliebsten Wasserfällen! Zu Mäcens Villa, der Neptuns-Grotte, da löst sich unser Herz und Gemüt, und die liebliche, unendlich schöne Natur faßt mich wie ein großer Dichter vertraulich bei der Hand, und sagt mir so herzliche, rührende, erhebende und lustige Dinge in mein horchendes Ohr, wie sie in keinem Buche und in keiner Handschrift stehn.«
Flaminio führte die Mutter und Camillo ging an der Jungfrau Seite. Man konnte es ihm ansehn, daß er sich neben der hohen schönen Gestalt beschämt und klein fühlte, und doch zugleich geschmeichelt, daß er mit ihr so vertraulich wandeln durfte.
Als sie in die Nähe der Wasserfälle gekommen waren, setzte sich die Mutter mit ihrem Sohne in den Schatten der Olivenbäume, und ließ ihr Auge sinnend an den Formen der schönen ölbekränzten Hügel umherschweifen. Vittoria aber sprang an ihr vorüber, um sich in der Nähe des Wassers zu ergötzen. »Wie vieles wißt Ihr«, fing Camillo leise an, »wie Unermeßliches – und ich – –«
»Laßt alle den Kram«, rief Vittoria übermütig und ging schneller. »O seht die alltäglichen Wunder dieser Landschaft und diese Wasser, diese Märchen und goldenen Fabeln, die es nicht müde werden, sich immer wieder selbst alles das poetische Zeug vorzuerzählen, und die uns doch, sosehr wir sie auswendig wissen, immer neu bleiben. Hier laßt uns Kinder sein, wahre Kinder, die sich immer in ihrem Spielwerk vergessen.«
Indem lief ihr ein Kaninchen vorüber, in den Berg hinein.
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