Vittoria sprang ihm nach, und warf einen buntgefärbten Ball, den sie bei sich trug, dem kleinen weißen Tiere nach. Der Ball rollte den Hügel hinab, nach dem Flusse zu, der sich hier mit Brausen von bedeutender Höhe in die Tiefe stürzte, und mit seinem Strudel unten einen Trichter bildete, den viele die Grotte des Neptun nannten. Aus Furcht, der Ball möchte vom Strudel fortgeführt werden, rannte sie so eilig hinab, daß Camillo ihr kaum folgen konnte, aber auch so unbesonnen, daß sie, unten angelangt, und sich zu eilig und stark nach dem glänzenden Spielzeuge hinabbeugend, wirklich in den tosenden Strudel stürzte. Überwältigt und besinnungslos schrie Camillo laut auf und stürzte sich nach, erfaßte die schöne Gestalt, die sich nur eben noch an einem vorragenden Gesteine festhielt, fiel hart auf das Geklipp, und rang sich mit der Beute, Brust an Brust verzweifelnd gedrängt, empor: er gewann Kraft, und schneller, als es sich spricht, hatte er sich mit ihr gerettet. Unbewußt und mit der Verzweiflung Riesenkraft trug der Kleinere die größere Gestalt fort, zwar nur wenige Schritte empor, aber doch enfernt genug, um in Sicherheit im blitzenden Grase neben der Geretteten ruhen zu können. Die Strahlen des nahen Wasserfalles spritzten, abstäubend vom fernen Fels wie Staub, oder gewebter farbiger Glanz über ihre Körper und Angesichter. Leichenblaß, aber still lächelnd, saß Vittoria im Grase, dankbar blickte sie ihren Retter an, und reichte ihm die zitternde Hand. Camillo, erschrocken noch und entzückt, taumelnd, betäubt, küßte die dargebotene schöne Rechte mit Inbrunst. -»Wie kann ich dir lohnen?« fragte sie. -»So!« rief er aus, indem der Blöde, Verschämte, brennende Küsse auf die schönen Lippen drückte. – Sie schwieg, wehrte ihn nicht ab, und nur, als der Berauschte von neuem und heftiger begann, wandte sie das Antlitz ab und schlug ihn lächelnd mit den glänzenden Fingern auf seinen heißen Mund.

Jetzt besann er sich, und es wurde ihm nun erst möglich, sie zu sehn und zu betrachten. Der Hut war mit dem Balle in den Wogen verlorengegangen, die schwarzen Locken des Haares waren aufgelöst, noch floß und triefte das Wasser vom Haupte, der schöne Busen mit seinen jugendlichen festen Marmorhügeln war fast ganz frei und glänzte blendend im lichten Dämmer, das Baum und Fels lieblich verbreiteten, an Leib und Hüfte schmiegte sich, die herrliche Form bezeichnend, das nasse Gewand, und so erschien sie dem Jüngling, wie man wohl die Nymphen der Quellen in schönen Gemälden abbildet, oder Amphitriten selbst, die hehre Gemahlin des göttlichen Neptun, der sie vielleicht vor wenigen Augenblicken von Liebe betört in seiner Grotte hatte zu sich entraffen wollen. Sie erfreute sich des Spiels, welches die Sonnenstrahlen in Dunst und Nebel des stäubenden Wassers trieben, denn viele glänzende Regenbogen tanzten und wogten wie selbstständige Wesen im aufgelösten Kristall. »Sieh, Camillo!« rief sie freudig aus, »ich halte die Fabel und das Unmögliche hier sichtbar in meiner Hand. Ja, ich kann sogar, so spielen die Geister der Natur, dir sichtlich und körperlich diese bunt glänzende Woge hinreichen, das lachende Kind der Sonne. Und sieh! zu meinen Füßen spielen ebenso im Grase die lieblichen, neckischen Gespenster, die Tages-Irrlichter, die dem Apollo mit freundlicher Widerspenstigkeit aus dem Dienst gelaufen sind. Und nun noch, Freund, hat uns der Waldvogel von drüben zum besten, der schreit ein höhnendes Triumphlied, als wenn wir ins Wasser gefallen wären, um uns unter die Fische anwerben zu lassen.«

»Aber«, sagte Camillo zögernd und warnend, »wir müssen zur Mutter zurück und nach Hause; du wirst dich erkälten, und davon und vom Schreck krank werden.«

»Der Schreck ist längst verschwunden«, sagte sie, indem sie sich zögernd erhob und ihr Busentuch ordnen wollte, dessen Verlust sie erst jetzt mit einer kleinen Beschämung gewahr wurde. »Ja wohl müssen wir zurück«, sagte sie dann mit leiser Stimme. -»Müssen wir? – O über alles dies Müssen in unserer Alltagswelt. Freilich, die Fabel fliegt fort mit Schmetterlingen, Schwalben und Nachtigallen, wir kommen immer an das letzte Wort auch des schönsten Gedichtes, machen das Buch zu und legen es in den hölzernen Schrank. Nach dem herrlichsten Gesang erschallt die heisere Stimme des elenden Dieners, und ladet die Gesellschaft an den Eßtisch. Muß denn das alles so sein? Oder könnten wir nicht mit einem Gott oder einem hohen Geist ein Pactum schließen, daß es anders sich gestaltete?«

Camillo sah sie mit großen Augen an, und führte sie an der Hand den hohen und steilen Berg hinauf. Flaminio kam ihnen oben mit der Mutter schon entgegen. Wie erschraken beide, als ihnen Camillo mit kurzen, eiligen Worten das Abenteuer und die überstandene Gefahr erzählte. Flaminio erblaßte und ward so schwach, daß er sich an einen Baum lehnen mußte. Die Mutter ergoß sich in Danksagung und Lob Camillos über seine Kühnheit und Geistesgegenwart. »Kommt mit uns«, beschloß sie, »teuerster Freund, kleidet Euch um, Flaminio wird Euch von seinen Kleidern geben, wärmt Euch in einem Bett, trinkt glühenden Wein und laßt Euch unsre Pflege gefallen.«

»Nein! nein!« rief Camillo, »Eure Güte und huldreiche Freundlichkeit erkenne ich mit Dank, aber ich bedarf sie nicht. Ich fühle vom Wasser nichts, die Sonne scheint warm, ich laufe zu meinem Oheim, der gar nicht weit ist, und kleide mich um. Meine Wonne, daß ich Euch so habe dienen und Euch Eure herrliche Tochter retten können. Ein unverdientes Glück!«

So lief er fort, und die Matrone, ohne zu sprechen, führte ihre Kinder nach ihrem Hause.