Sie kannten sie seit Jahren, und in ihrer
Kinderzeit war sie ihre beste Spielgefährtin gewesen, denn sie konnte fast
ebenso gut wie die beiden reiten und klettern. Nun war sie zu ihrer
Verwunderung eine erwachsene junge Dame und obendrein die entzückendste auf der
ganzen Welt geworden. Zum erstenmal wurden sie gewahr, wie es in ihren grünen
Augen schillerte, wie tief ihre Grübchen waren, wenn sie lachte, was für
zierliche Hände und Füße und was für eine schlanke Taille sie hatte. Bei den
klugen Bemerkungen der Zwillinge lachte sie fröhlich auf, und beseelt von dem
Gedanken, in Scarletts Augen ein ansehnliches Paar vorzustellen, übertrafen die
beiden sich selbst. Es war ein denkwürdiger Tag im Leben der Zwillinge. Wenn
sie sich später darüber unterhielten, so wunderten sie sich stets, daß ihnen
Scarletts Zauber bis dahin entgangen war. Die richtige Antwort darauf fanden
sie nie. Die hätte gelautet, daß Scarlett gerade an jenem Tag beschlossen
hatte, die beiden auf sich aufmerksam zu machen. Ihrem Temperament war es
unerträglich, irgendeinen Mann in irgendeine andere Frau als sich selbst
verliebt zu sehen, und der Anblick von India Wilkes und Stuart bei der
Versammlung war für ihren Raubtiersinn zuviel gewesen. An Stuart allein hatte
sie nicht genug, sie hatte es zugleich auf Brent abgesehen, und zwar so
gründlich, daß alle beide überwältigt wurden.
Nun waren
sie beide in sie verliebt, und India Wilkes und Letty Munroe aus Lovejoy, der
Brent halben Herzens den Hof gemacht hatte, waren bei ihnen gänzlich in den
Hintergrund getreten. Was der tun sollte, der Scarlett einmal nicht bekam,
falls sie einen von ihnen erhörte, danach fragten sie nicht weiter. Das
Hindernis wurde genommen, wenn es soweit war. Für den Augenblick waren sie
völlig zufrieden, wieder eines Sinnes über ein Mädchen zu sein; Eifersucht gab
es zwischen ihnen nicht. Die Nachbarn hatten ihren Spaß daran, und die Mutter
ärgerte sich, denn sie hatte nichts für Scarlett übrig.
»Wenn die
schlaue kleine Person einen von euch nimmt, geschieht es euch ganz recht«,
sagte sie. »Am Ende nimmt sie euch alle beide, und dann müßt ihr nach Utah
ziehen, falls die Mormonen euch haben wollen - was ich mir nicht recht denken
kann ... Meine einzige Sorge ist, daß ihr euch beide nächstens einmal betrinkt
und wegen dieses kleinen doppelgesichtigen grünäugigen Frauenzimmers
eifersüchtig aufeinander werdet, und dann schießt ihr einander tot. Übrigens
gar kein schlechter Gedanke.«
Seit jener
Versammlung hatte Stuart sich in Indias Gegenwart unbehaglich gefühlt. Nicht,
daß India ihm Vorwürfe gemacht oder ihn auch nur durch eine Bewegung hätte
fühlen lassen, daß sie sein jähes Abschwenken bemerkt hatte. Dazu war sie zu
sehr Dame. Aber Stuart fühlte sich schuldig und befangen vor ihr. India liebte
ihn, und das war seine Schuld. Sie liebte ihn immer noch. Er wußte es und hatte
tief im Innern das Gefühl, sich nicht ganz als Gentleman benommen zu haben. Er
mochte sie noch immer gern und hatte große Hochachtung vor ihrer kühlen
Wohlerzogenheit, ihrer Liebe zu Büchern, ihrer Bildung und all den gediegenen
Eigenschaften, die sie sonst noch besaß. Aber sie war nun einmal so verdammt
farblos und uninteressant und ewig sich selber gleich neben Scarletts
glänzenden, stets wechselnden Reizen. Man wußte immer, wie man mit India daran
war, und bei Scarlett hatte man nie die leiseste Ahnung davon. Das reichte wohl
hin, einem den Kopf zu verdrehen.
»Gut,
gehen wir also zu Cade Calvert zum Abendessen. Scarlett sagte, Cathleen sei aus
Charleston zurück. Vielleicht wissen sie etwas Neues über Fort Sumter, was wir
noch nicht gehört haben.«
»Cathleen?
Nein. Ich wette zehn gegen eins, sie weiß nicht einmal, daß das Fort da draußen
im Hafen liegt, und noch viel weniger, daß es voll von Yankees steckte, bis wir
sie hinausgeschossen haben.
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