Wenn Scarlett wütend ist, merkt man es immer sofort. Sie hält nicht an sich wie andere Mädchen.«

»Stimmt, das mag ich gern an ihr. Sie geht nicht mit verbissenem Gesicht umher, wenn sie wütend ist, sondern sagt, was los ist; aber irgend etwas müssen wir gesagt oder getan haben, was ihr in die Quere kam. Ich könnte schwören, daß sie eigentlich vorhatte, uns zum Abendessen dazubehalten.«

»Es kann doch wohl nicht deswegen sein, weil wir rausgeworfen worden sind?«

»Zum Teufel, sei nicht so dumm, sie hat sich doch ausgeschüttet vor Lachen, als wir davon erzählten, und außerdem gibt sie auf Bücher und Lernen nicht mehr als wir.«

Brent wandte sich im Sattel um und rief den Negerjungen: »Jeems!«

»Master?«

»Hast du gehört, was wir mit Miß Scarlett sprachen?«

»Nein, nicht, Master Brent! Wie ich dazu kommen, bei Herrschaften spionieren!«

»Mein Gott, spionieren! Ihr Schwarzen wißt doch über alles Bescheid, was vorgeht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, du Schuft, wie du dich um die Ecke geschlängelt und an der Mauer im Jasmingebüsch gesessen hast. Nun also, hast du irgend etwas gehört, was Miß Scarlett hätte wütend machen können?«

Als Jeems sich überführt sah, leugnete er nicht mehr und runzelte seine schwarze Stirn.

»Nein, ich gewiß nichts gehört, was sie wütend machen. Mir kam vor, sie freute sich, Masters zu sehen, und hatte Sie vermißt und zwitscherte lustig wie ein Vögelchen immer und immer, bis wo Masters auf Mr. Ashley und Miß Melly Hamilton kamen und daß sie sich heiraten wollten. Da sein Miß Scarlett auf einmal still wie Vogel, wenn oben der Habicht fliegt.«

Die Zwillinge sahen einander an und nickten, begriffen aber nichts.

»Jeems hat recht, aber das verstehe ich nicht«, sagte Stuart. »Mein Gott, Ashley ist ihr doch nicht mehr als ein Freund, in ihn verliebt ist sie nicht. Verliebt ist sie in uns.«

Brent nickte eifrig zustimmend.

»Aber vielleicht«, sagte er, »hat Ashley ihr nichts davon erzählt, und nun ist sie wütend, weil sie es nicht eher erfahren sollte als die anderen Leute. Mädchen nehmen es immer krumm, wenn sie etwas nicht zuerst erfahren.«

»Mag sein, aber was ist denn dabei, es sollte doch eine Überraschung sein, und man hat doch wohl das Recht, seine eigene Verlobung geheimzuhalten.«

»Hätte Mellys Tante nicht geschwatzt, so wüßten wir auch nichts davon. Scarlett muß doch gewußt haben, daß er Miß Melly einmal heiraten will, das wissen wir ja seit Jahren. Wilkes und Hamiltons heiraten immer ihre eigenen Cousinen.«

»Ach was, ich gebe es auf, aber schade, daß sie uns nicht eingeladen hat. Ich sage dir, ich habe keine Lust, nach Hause zu gehen und Ma toben zu hören. Ja, wenn es die erste Ausweisung gewesen wäre!«

»Vielleicht hat Boyd sie inzwischen beruhigt Du weißt, wie geschickt der Kleine reden kann. Er beschwichtigt sie jedesmal.«

»Kann sein, aber es braucht Zeit, er muß im großen Bogen drum herumreden, bis es bei Ma so durcheinandergeht, daß sie es aufgibt und ihm sagt, er solle seine Stimme für die Anwaltspraxis schonen. Ich wette, Ma ist noch so aufgeregt über den Hengst, daß sie noch nicht einmal gemerkt hat, daß wir wieder da sind, bis sie sich heute abend zu Tisch setzt und Boyd sieht. Dann legt sie sich ins Zeug und speit Feuer. Dann wird es zehn, bis Boyd Gelegenheit hat, zu sagen, es wäre für uns unehrenhaft gewesen, zu bleiben, nachdem der Rektor so mit uns geredet hat. Und dann wird es Mitternacht, bis er sie herumkriegt und sie so wütend über den Rektor wird, daß sie Boyd fragt, warum er ihn nicht niedergeschossen hat. Nein, vor Mitternacht können wir nicht nach Hause.«

Die Zwillinge sahen einander trübselig an. Sie hatten nicht die geringste Angst vor wilden Pferden, Schießereien und dem Zorn ihrer Nachbarn, aber sie hatten einen heillosen Respekt vor ihrer Mutter und der Reitpeitsche, die sie ihnen über die Hosen zu ziehen pflegte.

»Höre«, sagte Brent, »laß uns hinüber zu Wilkes, die freuen sich, wenn wir bei ihnen essen.«

Stuart war mit diesem Vorschlag nicht recht zufrieden. »Nein, lieber nicht, da steht schon alles auf dem Kopf wegen des Festes morgen, und außerdem ... «

»Ach, das habe ich ganz vergessen. Nein, da gehen wir lieber nicht hin.«

Sie schnalzten ihren Pferden und ritten schweigend weiter. Stuarts gebräunte Wangen waren vor Verlegenheit rot geworden. Bis zum vorigen Sommer hatte er India Wilkes mit Billigung beider Familien und der ganzen Nachbarschaft den Hof gemacht. Vielleicht hatte man in der Provinz die Hoffnung, die kühle Art India Wilkes könnte einen beruhigenden Einfluß auf ihn haben. Stuart hätte die Verbindung wohl eingehen können, aber Brent war nicht einverstanden gewesen. Er mochte India wohl, aber er fand sie reizlos und konnte sich einfach nicht in sie verlieben, nur um Stuart Gesellschaft zu leisten. Die Wege der Zwillinge gingen da zum erstenmal auseinander, und Brent verübelte es seinem Bruder, daß er einem Mädchen den Hof machte, an dem er selbst nicht den geringsten Gefallen fand.

Dann hatten sie beide vorigen Sommer in Jonesboro bei einer Versammlung im Freien plötzlich Scarlett O'Hara gesehen.