Denn der Mensch achtet (nach Jacobi) nur das, was nicht mechanisch nachzumachen ist; die Besonnenheit aber scheint eben immer nachzumachen und mit Willkür und Heucheln göttliche Eingebung und Empfindung nachzuspielen und folglich – aufzuheben. Und hier braucht man die Beispiele ruchloser Geistes-Gegenwart nicht aus dem Denken, Dichten und Tun der ausgeleerten Selbstlinge jetziger Zeit zu holen, sondern die alte gelehrte Welt reicht uns besonders aus der rhetorischen und humanistischen in ihren frechen kalten Anleitungen, wie die schönsten Empfindungen darzustellen sind, besonnene Gliedermänner wie aus Gräbern zu Exempeln. Mit vergnügter ruhmliebender Kälte wählt und bewegt z.B. der alte Schulmann seine nötigen Muskeln und Tränendrüsen (nach Peucer oder Morhof), um mit einem leidenden Gesicht voll Zähren in einer Threnodie auf das Grab eines Vorfahrers öffentlich herabzusehen aus dem Schul-Fenster, und zählt mit dem Regenmesser vergnügt jeden Tropfen.
Wie unterscheidet sich nun die göttliche Besonnenheit von der sündigen? – Durch den Instinkt des Unbewußten und die Liebe dafür.
§ 13
Der Instinkt des Menschen
Das Mächtigste im Dichter, welches seinen Werken die gute und die böse Seele einbläset, ist gerade das Unbewußte. Daher wird ein großer wie Shakespeare Schätze öffnen und geben, welche er so wenig wie sein Körperherz selber sehen konnte, da die göttliche Weisheit immer ihr All in der schlafenden Pflanze und im Tierinstinkt ausprägt und in der beweglichen Seele ausspricht. Überhaupt sieht die Besonnenheit nicht das Sehen, sondern nur das abgespiegelte oder zergliederte Auge; und das Spiegeln spiegelt sich nicht. Wären wir uns unserer ganz bewußt, so wären wir unsre Schöpfer und schrankenlos. Ein unauslöschliches Gefühl stellet in uns etwas Dunkles, was nicht unser Geschöpf, sondern unser Schöpfer ist, über alle unsre Geschöpfe. So treten wir, wie es Gott auf Sinai befahl, vor ihn mit einer Decke über den Augen.
Wenn man die Kühnheit hat, über das Unbewußte und Unergründliche zu sprechen: so kann man nur dessen Dasein, nicht dessen Tiefe bestimmen wollen. Zum Glück kann ich im folgenden mit Platons und Jacobis Musenpferden pflügen, obwohl für eignen Samen.
Der Instinkt oder Trieb ist der Sinn der Zukunft; er ist blind, aber nur, wie das Ohr blind ist gegen Licht und das Auge taub gegen Schall. Er bedeutet und enthält seinen Gegenstand ebenso wie die Wirkung der Ursache; und wär' uns das Geheimnis aufgetan, wie die mit der gegebenen Ursache notwendig ganz und zugleich gegebene Wirkung doch in der Zeit erst der Ursache nachfolget: so verständen wir auch, wie der Instinkt zugleich seinen Gegenstand fodert, bestimmt, kennt und doch entbehrt. Jedes Gefühl der Entbehrung setzt die Verwandtschaft mit dem Entbehrten, also schon dessen teilweisen Besitz voraus27; aber doch nur wahre Entbehrung macht den Trieb, eine Ferne die Richtung möglich. Es gibt, wie körperlich-organische, so geistig organische Zirkel; wie z.B. Freiheit und Notwendigkeit oder Wollen und Denken sich wechselseitig voraussetzen.
Nun gibt es im reinen Ich so gut einen Sinn der Zukunft oder Instinkt wie im unreinen Ich und am Tiere, und sein Gegenstand ist zugleich so entlegen als gewiß; es müßte denn gerade im Menschen-Herzen die allgemeine Wahrhaftigkeit der Natur die erste Lüge sagen. Dieser Instinkt des Geistes – welcher seine Gegenstände ewig ahnet und fodert ohne Rücksicht auf Zeit, weil sie über jede hinauswohnen – macht es möglich, daß der Mensch nur die Worte Irdisch, Weltlich, Zeitlich u.s.w. aussprechen und verstehen kann; denn nur jener Instinkt gibt ihnen durch die Gegensätze davon den Sinn. Wenn sogar der gewöhnlichste Mensch das Leben und alles Irdische nur für ein Stück, für einen Teil ansieht: so kann nur eine Anschauung und Voraussetzung eines Ganzen in ihm diese Zerstückung setzen und messen. Sogar dem gemeinsten Realisten, dessen Ideen und Tage sich auf Raupenfüßen und Raupenringen fortwälzen, macht ein unnennbares Etwas das breite Leben zu enge; er muß dieses Leben entweder für ein verworren-tierisches, oder für ein peinlich-lügendes, oder für ein leeres zeit-vertreibendes Spiel ausrufen, oder, wie die ältern Theologen, für ein gemein-lustiges Vorspiel zu einem Himmel-Ernst, für die kindische Schule eines künftigen Throns, folglich für das Widerspiel der Zukunft. So wohnt schon in irdischen, ja erdigen Herzen etwas ihnen Fremdes, wie auf dem Harze die Korallen-Insel, welche vielleicht die frühsten Schöpfung-Wasser absetzten.
Es ist einerlei, wie man diesen überirdischen Engel des innern Lebens, diesen Todesengel des Weltlichen im Menschen nennt oder seine Zeichen aufzählt: genug, wenn man ihn nur nicht in seinen Verkleidungen verkennt. Bald zeigt er sich den in Schuld und Leib tief eingehüllten Menschen als ein Wesen, vor dessen Gegenwert, nicht vor dessen Wirkung wir uns entsetzen28; wir nennen das Gefühl Geisterfurcht, und das Volk sagt bloß: »Die Gestalt, das Ding lässet sich hören«, ja oft, um das Unendliche auszudrücken, bloß: es. Bald zeigt sich der Geist als den Unendlichen, und der Mensch betet. Wär' er nicht, wir wären mit den Gärten der Erde zufrieden; aber er zeigt uns in tiefen Himmeln die rechten Paradiese. – Er zieht die Abendröte vom romantischen Reiche weg, und wir blicken in die schimmernden Mond-Länder voll Nachtblumen, Nachtigallen, Funken, Feen und Spiele hinein.
Es gab zuerst Religion – Todesfurcht- griechisches Schicksal – Aberglauben – und Prophezeiung29 – und den Durst der Liebe den Glauben an einen Teufel – die Romantik, diese verkörperte Geisterwelt, so wie die griechische Mythologie, diese vergötterte Körperwelt.
Was wird nun der göttliche Instinkt in gemeiner Seele vollends werden und tun in der genialen?
§ 14
Instinkt des Genies oder genialer Stoff
Sobald im Genius die übrigen Kräfte höher stehen, so muß auch die himmlische über alle, wie ein durchsichtiger reiner Eisberg über dunkle Erden-Alpen, sich erheben. Ja eben dieser hellere Glanz des überirdischen Triebes wirft jenes Licht durch die ganze Seele, das man Besonnenheit nennt; der augenblickliche Sieg über das Irdische, über dessen Gegenstände und unsere Triebe dahin, ist eben der Charakter des Göttlichen, ein Vernichtungkrieg ohne Möglichkeit des Vertrags, wie ja schon der moralische Geist in uns als ein unendlicher nichts außer sich für groß erkennt. Sobald alles eben und gleich gemacht worden, ist das Übersehen der Besonnenheit leicht.
Hier ist nun der Streit, ob die Poesie Stoff bedürfe oder nur mit Form regiere, leichter zu schließen. Allerdings gibt es einen äußern mechanischen Stoff, womit uns die Wirklichkeit (die äußere und die psychologische) umgibt und oft überbauet, welcher, ohne Veredlung durch Form, der Poesie gleichgültig ist und gar nichts; so daß es einerlei bleibt, ob die leere Seele einen Christus oder dessen Verräter Judas besinge.
Aber es gibt ja etwas Höheres, als was der Tag wiederholt. Es gibt einen innern Stoff- gleichsam angeborne unwillkürliche Poesie, um welche die Form nicht die Folie, sondern nur die Fassung legt. Wie der sogenannte kategorische Imperativ (das Bild der Form, so wie die äußere Handlung das Bild des äußern Stoffs) der Psyche nur den Scheideweg zeigt, ihr aber nicht das weiße Roß30 vorspannen kann, das ihn geht und das schwarze überzieht; und wie die Psyche das weiße zwar lenken und pflegen, aber nicht erschaffen kann: ebenso ists mit dem Musenpferd, das am Ende jenes weiße ist, nur mir Flügeln. Dieser Stoff macht die geniale Originalität, welche der Nachahmer bloß in der Form und Manier sucht; so wie er zugleich die geniale Gleichheit erzeugt; denn es gibt nur ein Göttliches, obwohl vielerlei Menschliches. Wie Jacobi den philosophischen Tiefsinn aller Zeiten konzentrisch findet, aber nicht den philosophischen Scharfsinn31: so stehen die dichterischen Genies zwar wie Sterne bei ihrem Aufgange anfangs scheinbar weiter auseinander, aber in der Höhe, im Scheitelpunkt der Zeit, rücken sie wie die Sterne zusammen.
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