Die Deutsch-Franzosen, die Juden-Deutschen, die Papenzenden, die Griechenzenden, kurz die Zwischengeister der Geistlosigkeit stehen in zu greller Menge da. Lieber zu den Genien und Halbgenien! In Betreff der Länder kann man Lichtenberg zitieren, der in der Prose ein Bindegeist zwischen England und Deutschland ist – Pope ist ein Quergäßchen zwischen London und Paris – höher verbindet Voltaire umgekehrt beide Städte – Schiller ist, wenn nicht der Akkord, doch der Leitton zwischen britischer und deutscher Poesie und im ganzen ein potenziierter verklärter Young, mit philosophischem und dramatischem Übergewicht. –

In Rücksicht der Zeiten (welche freilich wieder Länder werden) ist Tieck ein schöner barocker Blumen-Mischling der altdeutschen und neudeutschen Zeit, wiewohl mehr den genialen Empfängern als Gebern verwandt. Wieland ist ein Orangenbaum französischer Blüten und deutscher Früchte zugleich – Goethens hoher Baum treibt die Wurzel in Deutschland und senkt den Blütenüberhang hinüber ins griechische Klima – Herder ist ein reicher blumiger Isthmus zwischen Morgenland und Griechenland – –

Wir sind jetzo nach der stetigen Weise der Natur, bei deren Übergängen und Überfahrten niemals Strom und Ufer zu unterscheiden sind, endlich bei den aktiven Genien angelandet.

 

III. Programm

 

Über das Genie

 

§ 11

Vielkräftigkeit desselben

Der Glaube von instinkmäßiger Einkräftigkeit des Genies konnte nur durch die Verwechslung des philosophischen und poetischen mit dem Kunsttriebe der Virtuosen kommen und bleiben. Den Malern, Tonkünstlern, ja dem Mechaniker muß allerdings ein Organ angeboren sein, das ihnen die Wirklichkeit zugleich zum Gegenstande und zum Werkzeuge der Darstellung zuführt; die Oberherrschaft eines Organs und einer Kraft, z.B. in Mozart, wirkt alsdann mit der Blindheit und Sicherheit des Instinktes.

Wer das Genie, das Beste, was die Erde hat, den Wecker der schlafenden Jahrhunderte, in »merkliche Stärke der untern Seelenkräfte« setzt, wie Adelung, und wer, wie dieser in seinem Buche über den Stil, sich ein Genie auch ohne Verstand denken kann: der denkt sich es eben – ohne Verstand. Unsere Zeit schenkt mir jeden Krieg mit dieser Sünde gegen den heiligen Geist. Wie verteilen nicht Shakespeare, Schiller u.a. alle einzelne Kräfte an einzelne Charaktere, und wie müssen sie nicht oft auf einer Seite witzig, scharfsinnig, verständig, vernunftend, feurig, gelehrt und alles sein, noch dazu bloß, damit der Glanz dieser Kräfte nur wie Juwelen spiele, nicht wie Licht-Endchen der Notdurft erhelle! – Nur das einseitige Talent gibt wie eine Klaviersaite unter dem Hammerschlage einen Ton; aber das Genie gleicht einer Windharfen-Saite; eine und dieselbe spielet sich selber zu mannigfachem Tönen vor dem mannigfachen Anwehen. Im Genius25 stehen alle Kräfte auf einmal in Blüte; und die Phantasie ist darin nicht die Blume, sondern die Blumengöttin, welche die zusammenstäubenden Blumenkelche für neue Mischungen ordnet, gleichsam die Kraft voll Kräfte. Das Dasein dieser Harmonie und dieser Harmonistin begehren und verbürgen zwei große Erscheinungen des Genius.

 

§ 12

 

Besonnenheit

Die erste ist die Besonnenheit. Sie setzt in jedem Grade ein Gleichgewicht und einen Wechselstreit zwischen Tun und Leiden, zwischen Sub- und Objekt voraus. In ihrem gemeinsten Grade, der den Menschen vom Tier, und den Wachen vom Schläfer absondert, fodert sie das Äquilibrieren zwischen äußerer und innerer Welt; im Tiere verschlingt die äußere die innere, im bewegten Menschen diese oft jene. Nun gibt es eine höhere Besonnenheit, die, welche die innere Welt selber entzweit und entzweiteilt in ein Ich und in dessen Reich, in einen Schöpfer und dessen Welt. Diese göttliche Besonnenheit ist so weit von der gemeinen unterschieden wie Vernunft von Verstand, eben die Eltern von beiden. Die gemeine geschäftige Besonnenheit ist nur nach außen gekehrt und ist im höhern Sinne immer außer sich, nie bei sich, ihre Menschen haben mehr Bewußtsein als Selbstbewußtsein, welches letzte ein ganzes Sichselbersehen des zu- und des abgewandten Menschen in zwei Spiegeln zugleich ist. So sehr sondert die Besonnenheit des Genies sich von der andern ab, daß sie sogar als ihr Gegenteil öfters erscheint, und daß diese ewige fortbrennende Lampe im Innern, gleich Begräbnis-Lampen, auslöscht, wenn sie äußere Luft und Welt berührt.26 – Aber was vermittelt sie? Gleichheit setzet stärker Freiheit voraus als Freiheit Gleichheit. Die innere Freiheit der Besonnenheit wird für das Ich durch das Wechseln und Bewegen großer Kräfte vermittelt und gelassen, wovon keine sich durch Übermacht zu einem After-Ich konstituiert, und die es gleichwohl so bewegen und beruhigen kann, daß sich nie der Schöpfer ins Geschöpf verliert.

Daher ist der Dichter, wie der Philosoph, ein Auge; alle Pfeiler in ihm sind Spiegelpfeiler; sein Flug ist der freie einer Flamme, nicht der Wurf durch eine leidenschaftlich-springende Mine. Daher kann der wildeste Dichter ein sanfter Mensch sein – man schaue nur in Shakespeares himmelklares Angesicht oder noch lieber in dessen großes Dramen-Epos –; ja der Mensch kann umgekehrt auf dem Sklavenmarkte des Augenblicks jede Minute verkauft werden und doch dichtend sich sanft und frei erheben, wie Guido im Sturme seiner Persönlichkeit seine milden Kinder und Engelsköpfe ründete und auflockte, gleich dem Meere voll Ströme und Wellen, das dennoch ein ruhendes reines Morgen und Abendrot gen Himmel haucht. Nur der unverständigte Jüngling kann glauben, geniales Feuer brenne als leidenschaftliches, so wie etwan für die Büste des nüchtern-dichterischen Platons die Büste des Bacchus ausgegeben wird. Der ewig zum Schwindel bewegte Alfieri fand auf Kosten seiner Schöpfungen weniger Ruhe in als außer sich. Der rechte Genius beruhigt sich von innen; nicht das hochauffahrende Wogen, sondern die glatte Tiefe spiegelt die Welt.

Diese Besonnenheit des Dichters, welche man bei den Philosophen am liebsten voraussetzt, bekräftiget die Verwandtschaft beider. In wenigen Dichtern und Philosophen leuchtete sie aber so hell als in Platon, der eben beides war; von seinen scharfen Charakteren an bis zu seinen Hymnen und Ideen hinauf, diesen Sternbildern eines unterirdischen Himmels. Man begreift die Möglichkeit, wie man zwanzig Anfänge seiner Republik nach seinem Tode finden konnte, wenn man im Phädrus, der alle unsere Rhetoriken verurteilt, die besonnene spielende Kritik erwägt, womit Sokrates den Hymnus auf die Liebe zergliedert. Die geniale Ruhe gleicht der sogenannten Unruhe, welche in der Uhr bloß für das Mäßigen und dadurch für das Unterhalten der Bewegung arbeitet. Was fehlte unserem großen Herder bei einem solchen Scharf-, Tief- und Viel- und Weitsinne zum höhern Dichter? Nur die letzte Ähnlichkeit mit Platon; daß nämlich seine Lenkfedern (pennae rectrices) im abgemessenen Verhältnis gegen seine gewaltigen Schwungfedern (remiges) gestanden hätten.

Mißverstand und Vorurteil ists, aus dieser Besonnenheit gegen den Enthusiasmus des Dichters etwas zu schließen; denn er muß ja im Kleinsten zugleich Flammen werfen und an die Flammen den Wärmemesser legen; er muß mitten im Kriegfeuer aller Kräfte die zarte Waage einzelner Silben festhalten und muß (in einer andern Metapher) den Strom seiner Empfindungen gegen die Mündung eines Rheins zu leiten. Nur das Ganze wird von der Begeisterung erzeugt, aber die Teile werden von der Ruhe erzogen. Beleidigt übrigens z.B. der Philosoph den Gott in sich, weil er, so gut er kann, einen Standpunkt nach dem andern zu ersteigen sucht, um in dessen Licht zu blicken, und ist Philosophieren über das Gewissen gegen das Gewissen? – Wenn Besonnenheit als solche könnte zu groß werden: so stände ja der besonnene Mensch hinter dem sinnlosen Tiere und dem unbesonnenen Kinde, und der Unendliche, der obwohl uns unfaßbar, nichts sein kann, was er nicht weiß, hinter dem Endlichen!

Gleichwohl muß jenem Mißverstand und Vorurteil ein Verstand und Urteil vor- und unterliegen.