Aus der matten Wirkung der Mythologie auf die neuere Dichtkunst, und so aller Götter-Lehren, der indischen, nordischen, der christlichen, der Maria und aller Heiligen, ersieht man die Wirkung des Unglaubens daran. Freilich will und muß man jetzo durch eine zusammenfassende philosophische Beschreibung des wahrhaft Göttlichen, welches den Mythen aller Religionen in jeder Brust zum Grunde liegt, d.h. durch einen philosophischen unbestimmten Enthusiasmus den persönlichen bestimmten dichterischen zu ersetzen suchen; indes bleibt doch die neuere Poeten-Zeit, welche den Glauben aller Völker, Götter, Heiligen, Heroen aufhäuft, aus Mangel an einem einzigen Gott, dem breiten Saturn sehr ähnlich, der sieben Trabanten und zwei Ringe zum Leuchten besitzt und dennoch ein mattes kaltes Blei-Licht wirft, bloß weil der Planet von der warmen Sonne etwas zu weit abstehet; ich möchte lieber der kleine, heiße, helle Merkur sein, der keine Monde, aber auch keine Flecken hat, und der sich immer in die nahe Sonne verliert.
Wenig kann daher das stärkste Geschrei nach Objektivität aus den verschiedenen Musen- und andern Sitzen verfangen und in die Höhe helfen, da zu Objektivität durchaus Objekte gehören, diese aber neuerer Zeiten teils fehlen, teils sinken, teils (durch einen scharfen Idealismus) gar wegschmelzen im Ich. Himmel, wie viel anders greift der herzige, trauende Naturglaube nach seinen Gegenständen, gleichsam nach Geschwistern des Lebens, als der laue Nichtglaube, der mühsam sich erst einen zeitigen kurzen Köhlerglauben verordnet, um damit das Nicht-Ich (durchsichtiger und unpoetischer kann kein Name sein) zu einem halben Objekte anzuschwärzen und es in die Dichtung einzuschwärzen! Daher tut der Idealismus in dieser Rücksicht der romantischen Poesie so viele Dienste, als er der plastischen versagt und als die Romane ihm früher erwiesen, wenn es wahr ist, daß Berkeley durch diese auf seinen Idealismus gekommen, wie dessen Biograph behauptet.
Der Grieche sah selber und erlebte selber das Leben; er sah die Kriege, die Länder, die Jahrszeiten, und las sie nicht; daher sein scharfer Umriß der Wirklichkeit; so daß man aus der Odyssee eine Topographie und Küsten-Karten ziehen kann. Die Neuern hingegen bekommen aus dem Buchladen die Dichtkunst samt den wenigen darin enthaltenen und vergrößerten Objekten, und sie bedienen sich dieser zum Genusse jener; ebenso werden mit zusammengesetzten Mikroskopen sogleich einige Objekte, ein Floh, ein Mückenfuß und dergl., dazu verkauft, damit man die Vergrößerungen der Gläser dagegen prüfe. Der neue Dichter trägt sich daher auf seinen Spaziergängen die Natur für den Objektenträger seiner objektiven Poesie zusammen.
Der griechische Jugend-Blick richtete sich als solcher am meisten auf die Körperwelt; in dieser sind aber die Umrisse schärfer als in der Geisterwelt; und dies gibt den Griechen eine neue Leichtigkeit der Plastik. Aber noch mehr! Mit der Mythologie war ihnen eine vergötterte Natur, eine poetische Gottes-Stadt sogleich gegeben, welche sie bloß zu bewohnen und zu bevölkern, nicht aber erst zu erbauen brauchten. Sie konnten da verkörpern, wo wir nur abbildern oder gar abstrahieren; da vergöttern, wo wir kaum beseelen; und konnten mit Göttern die Berge und die Haine und die Ströme füllen und heiligen, denen wir mühsam personifizierende Seelen einblasen. Sie gewannen den großen Vorzug, daß alle ihre Körper lebendig und veredelt, und alle ihre Geister verkörpert waren. Der Mythus hob jede Lyra dem schreitenden Epos und Drama näher.
§ 18
Schönheit oder Ideal
Die zweite Hauptfarbe der Griechen, das Ideale oder das Schöne, mischt sich aus ihrer Helden- und ihrer Götter-Lehre und aus deren Mutter, der harmonischen Mitte aller Kräfte und Lagen. In der Mythologie, in diesem Durchgange durch eine Sonne, einen Phöbus, hatten alle Wesen das Gemeine und den Überfluß der Individualität abgestreift; jeder Genuß hatte auf dem Olymp seinen Verklärung-Tabor gefunden. Ferner durch die wilden barbarischen Kräfte der Vorzeit, von der Entfernung ins Große gebildet, von früher Poesie ins Schöne gemalt, wurden Ahnen und Götter in ein glänzendes Gewebe gereihet und der goldene Faden bis in die Gegenwart herübergezogen, so daß nirgends die Vergötterung aufhörte. Mußte diese Nähe des Olymps am Parnasse nicht auch lauter glänzende Gestalten auf diesen herübersenden und ihn mit seinem himmlischen Lichte überziehen? – Eine Hülfe zur innern Himmelfahrt der Dichter war, daß ihre Gesänge nicht bloß auf, sondern meist auch für Götter gemacht waren und sich also schmücken und erheben mußten für ihre künftige Thronstelle in einem Tempel oder unter gottesdienstlichen Spielen. Endlich wenn Schönheit – die Feindin des Übermaßes und der Leere – nur wie das Genie im Ebenmaße aller Kräfte, nur im Frühling des Lebens, fast wie der Jahrszeit, blüht: so mußte sie in der gemäßigten Zone aller Verhältnisse am vollsten ihre Rosen öffnen; die Krampf-Verzerrungen der Knechtschaft, des gefesselten Strebens, des barbarischen Luxus, der religiösen Fieber und dergleichen waren den Griechen erspart. Gehört Einfachheit zum Schönen: so wurde sie ihnen fast von selber zuteil, da sie nicht, wie wir Nachahmer der Jahrhunderte, das Beschriebene wieder zu beschreiben und also das Schöne zu verschönern hatten. Einfachheit der Einkleidung wird nur durch Fülle des Sinns entschuldigt und errungen, so wie ein König und Krösus leicht in ungesticktem Gewande sich zeigt. Einfachheit an sich würde mancher bequem und willig nachahmen, aber was hätt' er davon, wenn er seine innere Armut noch in äußere einkleidete und in einen Bettler Rock den Bettelmusikanten? – Die geistige Plastik konnte so die Farbenzier verschmähen wie die körperliche jede an den Statuen, welche sich bloß mit der einzigen Farbe ihres Stoffs bekleiden.
Doch gibt es noch eine reine frische Nebenquelle des griechischen Ideals. – Alles sogenannte Edle, der höhere Stil begreift stets das Allgemeine, das Rein-Menschliche und schließt die Zufälligkeiten der Individualität aus, sogar die schönen. Daher die Griechen (nach Winckelmann) ihren weiblichen Kunstgebilden das reizende Grübchen nicht liehen, als eine zu individuelle Bestimmung. Die Poesie fodert überall (ausgenommen die komische, aus künftigen Gründen) das Allgemeinste der Menschheit; das Ackergeräte z.B. ist edel, aber nicht das Backgeräte; – die ewigen Teile der Natur sind edler als die des Zufalls und des bürgerlichen Verhältnisses; z.B. Tigerflecke sind edel, Fettflecke nicht; – der Teil, wieder in Unterteile zerlegt, ist weniger edel39, z.B. Kniescheibe statt Knie; – so sind die ausländischen Wörter, als mehr eingeschränkt, nicht so edel als das inländische Wort, das für uns als solches alle fremde der Menschheit umschließt und darbietet; z.B. das Epos kann sagen die Befehle des Gewissens, aber nicht die Dekrete, Ukasen etc. desselben40 – so reicht und herrscht diese Allgemeinheit auch durch die Charaktere, welche sich erheben, indem sie sich entkleiden, wie Verklärte, des individuellen Ansatzes.
Warum oder daß vor uns alles in dem Verhältnisse, wie wir das Zufällige zurückwerfen, von Stufe zu Stufe schöner und lichter aufsteigt – so daß das Allgemeinste zugleich unvermutet das Höchste wird, nämlich endliches Dasein, dann unendliches Sein, nämlich Gott –: dies ist ein stiller Beweis oder eine stille Folge einer heimlichen angebornen Theodizée.
Nun sucht der Jüngling, welcher aus Güte, Unkunde und Kraft stets nach dem Höchsten strebt, das Allgemeine früher als das Besondere; daher ihm das Lyrische leicht und das Komische mit seiner Individualisierung so schwer wird. Die Griechen waren aber frische Jünglinge der Welt41; folglich half ihr schöner Lebensfrühling das Blühen aller idealen Geschöpfe begünstigen.
§ 19
Ruhe und Heiterkeit der Poesie
Heitere Ruhe ist die dritte Farbe der Griechen. Ihr höchster Gott wurde, ob er gleich den Donner in der Hand hatte, (nach Winckelmann) stets heiter abgebildet. Hier ziehen wieder Ursachen und Wirkungen organisch durcheinander. In der wirklichen Welt sind Ebenmaß, Heiterkeit, Schönheit, Ruhe wechselnd füreinander Mittel und Folgen; in der poetischen ist jene frohe Ruhe sogar ein Teil oder eine Bedingung der Schönheit. Unter den äußern Ursachen jener griechischen Freude gehören außer den hellern Lebensverhältnissen und der steten öffentlichen Ausstellung der Poesie – denn wer wird zu öffentlichen Festspielen und vor einer Menge düstere Schattenwelten vorführen? – noch die Bestimmung für Tempel.
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