Der griechische zärtere Sinn fand vor Gott nicht die enge Klage, welche in keinen Himmel, sondern ins dunkle Land der Täuschung gehört, aber wohl die Freude anständig, welche ja der Unendliche mit den Endlichen teilen kann.
Poesie soll, wie sie auch in Spanien sonst hieß, die fröhliche Wissenschaft sein und wie ein Tod zu Göttern und Seligen machen. Aus poetischen Wunden soll nur Ichor fließen, und wie die Perlenmuschel muß sie jedes ins Leben geworfene scharfe oder rohe Sandkorn mit Perlenmaterie überziehen. Ihre Welt muß eben die beste sein, worin jeder Schmerz sich in eine größere Freude auflöset und wo wir Menschen auf Bergen gleichen, um welche das, was unten im wirklichen Leben mit schweren Tropfen auffällt, oben nur als Staubregen spielet. Daher ist ein jedes Gedicht unpoetisch, wie eine Musik unrichtig, die mit Dissonanzen schließet.
Wie drückt nun der Grieche die Freude in seiner Dichtkunst aus? – Wie an seinen Götter-Bildern: durch Ruhe. Wie diese hohen Gestalten vor der Welt ruhen und schauen: so muß der Dichter und sein Zuhörer vor ihr stehen, selig-unverändert von der Veränderlichkeit. Tretet einmal in einen Abgußsaal ihrer Götter-Bildsäulen. Die hohen Gestalten haben Grabes-Erde und Himmels-Wolke abgeworfen und decken uns eine selig-stille Welt auf in ihrer und in unserer Brust. Schönheit bewegt sonst im Menschen den Wunsch und die Scheu, wenn auch nur leise; aber die ihrige ruht einfach und unverrückt wie ein blauer Äther auf der Welt und Zeit; und nur die Ruhe der Vollendung, nicht der Ermüdung stillt ihr Auge und schließt den Mund. Es muß eine höhere Wonne geben als die Pein der Lust, als das warme weinende Gewitter der Entzückung. Wenn der Unendliche sich ewig freuet und ewig ruhet, so wie es am Ende, es mögen noch so viele ziehende Sonnen um gezogne Sonnen gehen, eine größte geben muß, welche allein still schwebt: so ist die höchste Seligkeit, d.h. das, wornach wir streben, nicht wieder ein Streben nur im Tartarus wird ewig das Rad und der Stein gewälzt –, sondern das Gegenteil, ein genießendes Ruhen, das far niente der Ewigkeit, wie die Griechen die Inseln der Seligen in den westlichen Ozean setzten, wo die Sonne und das Leben zur Ruhe niedergehen. Die alten Theologen kannten das Herz besser, wenn sie die Freude der Seligen, gleich der göttlichen, in ewiger Unveränderlichkeit und im Anschauen Gottes bestehen ließen und uns nach den eilf irdischen beweglichen Himmeln einen letzten festen gaben.42 Wie viel reiner ahneten sie das Ewige, obwohl Unbegreifliche als die Neuern, welche die Zukunft für eine ewige Jagd durch das Weltall ausgeben und mit Vergnügen von den Sternsehern immer mehre Welten als Kauffahrteischiffe in Empfang nehmen, um sie mit Seelen zu bemannen, welche wieder auf Schiffen anlanden, und mit neuen immer tiefer in die Schöpfung hineinsegeln; so daß, wie in einem Konzert, ihr Adagio des Alters oder Todes zwischen dem jetzigen Allegro und dem künftigen Presto steht. Heißet das nicht, da alles Streben Kampf mit der Gegenwart ist, ewigen Krieg ausschreiben statt ewigen Frieden und, wie die Sparter, auch Götter bewaffnen?
In Satyrs und in Porträts legten die Alten die Unruhe, d.h. die Qual des Strebens. Es gibt keine trübe Ruhe, keine stille Woche des Leidens, sondern nur die des Freuens, weil auch der kleinste Schmerz regsam und kriegerisch bleibt. Eben die glücklichen Indier setzen das höchste Glück in Ruhen, eben die feurigen Italiener reden von dolce far niente. Pascal hält den Menschen-Trieb nach Ruhe für eine Reliquie des verlornen göttlichen Ebenbildes.43 Mit Wiegenliedern der Seele nun zieht uns der Grieche singend auf sein großes glänzendes Meer, aber es ist ein stilles.
§ 20
Sittliche Grazie der griechischen Poesie
Die vierte Hauptfarbe ihrer ewigen Bildergalerie ist sittliche Grazie. Poesie löset an sich schon den rohen Krieg der Leidenschaften in ein freies Nachspielen derselben auf, so wie die olympischen Spiele die ernsten Kriege der Griechen unterbrachen und aussetzten und die Feinde durch ein sanfteres Nachspielen der Kämpfe vereinigten. Da jede moralische Handlung als solche und als eine Bürgerin im Reiche der Vernunft frei, absolut und unabhängig ist, so ist jede wahre Sittlichkeit unmittelbar poetisch, und die Poesie wird wiederum jene mittelbar. Ein Heiliger ist dem Geiste eine poetische Gestalt, so wie das Erhabne in der Körperwelt. Freilich spricht die Poesie sich nicht sittlich aus durch das Auswerfen klingender Sentenzen (so wenig als die Gothaner unter Ernst I. sich sehr durch die Dreier werden gebessert haben, auf welche er Bibel-Sprüche prägen lassen), sondern durch lebendige Darstellung, in welcher der sittliche Sinn – so wie der Weltgeist und die Freiheit sich hinter das mechanische Räderwerk der Weltmaschine verbergen – als unsichtbarer Gott mitten über eine sündige freie Welt regieren muß, die er erschafft.
Das Unsittliche ist nie als solches poetisch, sondern wird es nur durch irgendeine Zumischung; z.B. durch Kraft, durch Verstand; daher ist, wie ich später zeigen werde, nur ein rein-unsittlicher Charakter, nämlich grausame und feige Ehrlosigkeit, unpoetisch, nicht aber ihr Gegensatz, der rein-sittliche Charakter höchster Liebe, Ehre und Kraft. Je größer das Dichtergenie, desto höhere Engelbilder kann dasselbe aus seinem Himmel auf unsere Erde herunterlassen; da es sie aber, so wenig als eine neue Anschauung, willkürlich zusammenbauen oder erfinden, sondern nur in sich finden kann: so besiegelt dies wieder den Bund zwischen Sittlichkeit und Poesie. Man wende nicht ein: je größer ein Milton, desto größer seine Teufel. Denn zur Schilderung der Teufelsuperlativen als umgekehrter Götter ist nicht eine bejahende innere Anschauung, sondern nur eine Verneinung alles Guten vonnöten; wer also am reichsten zu bejahen weiß, vermag am reichsten zu verneinen.
Wir wollen uns hier nicht in die sittliche Zartheit der Griechen im Leben selber einlassen – denen andere Völker mehr in sittlicher als in ästhetischer Bedeutung Barbaren hießen, und welche Philipps Privatbriefe so wie den Rat eines ungerechten Siegs-Mittels gar nicht vorgetragen haben wollten, oder welche Euripides' Lobpreisung des Reichtums und Sokrates' Ankläger verabscheuten –, sondern wir schauen ihre sittliche Dichtkunst an. Wie lassen Sonne und Mond Homers, die Ilias und Odyssee, und das Siebengestirn des himmlischen Sophokles ein zartes scharfes Licht auf jeden Auswuchs, auf jeden Frevel, so wie auf jede heilige Scheu und Sitte fallen! Wie rein umschreibt sich im Herodot die sittliche Gestalt des Menschen! Wie jungfräulich spricht Xenophon, die attische honigvolle und stachellose Biene! – Der wie alle große Komiker sittlich verkannte Aristophanes, dieser patriotische Demosthenes im Sokkus, läßt ja wie ein Moses seinen Froschregen auf den Euripides nur zur Strafe seiner schlaffen und erschlaffenden Sittlichkeit fallen – weniger bestochen als Sokrates von dessen Sittensprüchen bei vorwaltender Unsittlichkeit im ganzen – und verschont dagegen mit dem kleinsten rauhen Anhauche nicht etwan seinen gekrönten Liebling Äschylos, sondern den religiösen Sophokles, welcher selber dem Euripides, wie Shakespeare dem Dichter Ben Jonson, zu große Achtung bewiesen. Stünde nun ein solcher von Aristophanes sittlich verurteilter Euripides in den jetzigen Ländern wieder auf: was würden die Länder machen? Ehrenpforten zu einem Ehrentempel für ihn; »denn«, würden sie sagen, »es darf uns wohltun, endlich einmal den Wiederhersteller reiner Sittlichkeit auf unsern besudelten Bühnen zu begrüßen.«
Ferner unterschieden sich die Griechen noch durch eine doppelte Umkehrung von uns. Wir verlegen die sinnliche Seligkeit auf die Erde, und das sittliche Ideal in die Gottheit. Die Griechen geben den Göttern das Glück, den Menschen die Tugend.
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