Stets war sie bereit, den Armen zu helfen. In vielen äußeren und inneren Eigenschaften unterschied sie sich von ihrem Manne. Henrys Vater war von kleiner Figur, ernst und verschlossen, pflichttreu in jeder Hinsicht, fast ganz von seiner Arbeit in Anspruch genommen, doch ab und zu der Geselligkeit und munterem Geplauder nicht abgeneigt. In ihm steckte mehr Franzosen- wie Yankeeblut. Beiden Eltern gemeinsam war die Vorliebe für die Natur. Viele Jahre hindurch sah man sie in Fair Haven, am Walden und an anderen Plätzen in Wäldern und auf Hügeln umherstreifen, wo sie, wenn immer ihre Pflichten es erlaubten, botanisierten und mit verständnisvollen Augen die unendliche Mannigfaltigkeit der Natur beobachteten. Henrys Mutter hatte eine so große Vorliebe für diese Wanderungen, daß für eines ihrer Kinder der "Leehügel" beinahe zum Geburtsort geworden wäre.

 

Als dieser Eltern drittes Kind ward Henry David Thoreau am 12. Juli 1817 auf einer Farm in der Nähe von Concord, Massachusetts, geboren. Dort wuchs er unter urkräftigen Farmern, die weder Armut noch Reichtum kannten, unter harmlosen, pflichttreuen Menschen in einem Hause heran, in welchem eine frohsinnige Mutter mit bescheidenen Mitteln Sonnenschein und Behaglichkeit verbreitete, und wo ein ernster Vater in emsiger, hochgeschätzter Arbeit die Seinen treu versorgte. Schon mit zwölf Jahren nahm Thoreau sein Gewehr unter den Arm und durchstreifte jagend Moor und Wald, ruderte auf dem Musketaquid oder auf dem Assabet oder wanderte zum Waldenteich. In der guten kleinen Schule zu Concord lernte er die besten lateinischen und griechischen Klassiker kennen, doch sagte er selbst, daß er hier – und später auch in Harvard – manche Stunde, die er dem Studium widmen sollte, zum Durchstreifen der Wälder und zum Erforschen der Ströme und Teiche seiner engeren Heimat verwendete.

 

Im Alter von sechzehn Jahren bezog Thoreau die Universität Harvard. Da der Vater allein mit seinen bescheidenen Einnahmen den Universitätsbesuch seines Sohnes nicht bestreiten konnte, leisteten einige entfernte Verwandte und auch die ältere Schwester, die bereits Schullehrerin war, freundwillig Beihilfe. Thoreau selbst aber übte die größte Sparsamkeit. In den Ferien unterrichtete er privatim Schüler oder nahm vorübergehend Lehrerstellen auf dem Lande an. Als er 1835 an der Distriktschule in Canton während der Universitätsferien lehrte, begann er mit einem Pfarrer die deutsche Sprache zu studieren. In Harvard selbst zeichnete er sich weder durch hervorragende Geisteseigenschaften noch durch ein freundliches Wesen aus. Meistens hielt er sich von seinen Kameraden fern, las eifrig und viel, und übte strenge Selbstzucht, indem er über all sein Tun von sich selber Rechenschaft verlangte. Man hat bisweilen darauf hingewiesen, daß Thoreau der Harvarduniversität viel verdanke. Er selbst sagt jedoch in einem Brief aus dem Jahre 1843, daß er dort hauptsächlich gelernt habe, sich "gut auszudrücken" und dauernden Gewinn nur aus der Bibliothek davontrug. Er las nicht nur die lateinischen und griechischen Klassiker, sondern auch besonders englische Literatur, Chaucer, Spenser und vor allem Milton. Im übrigen beschäftigte er sich mit Naturwissenschaften. Seine Liebe zum Freiluftleben erkaltete in Harvard nicht, er sehnte sich fort "aus diesen düsteren, wenn auch klassischen Mauern" nach seiner alten, geliebten Freundin Natur.

 

Als er, zwanzig Jahre alt, Harvard verließ und nach Concord zurückkehrte, widmete er sich zunächst der Schulmeisterei, von dem Präsidenten der Universität, von Emerson, und dem allgemein beliebten Pfarrer Ripley mit besten Empfehlungen versehen. Mit seinem Bruder John, der seinem Herzen vielleicht von allen Menschen am nächsten stand, eröffnete er eine Privatschule und lehrte an der "Akademie" in Concord, ohne jedoch Befriedigung zu finden. Nach kurzer Zeit sehen wir ihn schon in der Bleistiftfabrik des Vaters. So oft und wann auch immer seine Arbeit es ihm ermöglichte, eilte er ins Freie, um sein Amt als "selbsternannter Inspektor der Schneestürme und Regengüsse" zu versehen, um den dämmernden Morgen und die sinkende Sonne zu überwachen und den Botschaften des Windes zu lauschen. Er entwickelte eine außerordentliche Geschicklichkeit in allen technischen Dingen, erfreute sich bald eines vorzüglichen Rufes als Landmesser, begann auch dichterisch sich zu betätigen und hielt ab und zu Vorträge im "Lycaeum" zu Concord. 1839 baute er sich selbst ein Boot und machte mit seinem Bruder John eine Ferienreise auf den Concord- und Merrimacflüssen. Eine farbensatte, gedankenreiche Schilderung dieses Ausflugs erschien zehn Jahre später (1849) unter dem Titel: A week on the Concord and Merrimac river. Das Buch ist voll herrlicher Landschaftsbilder und voll begeisterter Worte über seine Lieblingsdichter. In dem Kapitel "Montag" preist Thoreau vor allen die alten indischen Schriften.