Das Kapitel "Donnerstag" enthält manches Interessante über Goethe, der "Mittwoch" wiederum Gedanken über Freunde und Freundschaft, die in ihrer psychologischen Tiefe und in ihrer heißen Sehnsucht nur mit dem herrlichsten, was Nietzsche über diese Dinge sagte (im Nachgesang "Aus hohen Bergen" z.nbsp;B.) verglichen werden können. Als Thoreau 1853 von seinem Verleger siebenhundert Exemplare dieses Buches zurückerhielt, schrieb er einem Freunde: "Ich besitze jetzt seit einiger Zeit eine ziemlich umfangreiche Bibliothek, mehr als siebenhundert Bände, die ich fast alle selbst geschrieben habe."

 

Allmählich erhielt Thoreau's einziger und vertrauter Freund John einen Nebenbuhler in Emerson, der seit 1834 in Concord lebte und für den jungen Henry wachsendes Interesse empfand. 1837 hatten sie sich zuerst getroffen und schon im nächsten Jahre schrieb Emerson: "Ich habe Herzensfreude an meinem jungen Freunde. Nie, glaube ich, ist mir ein solch freimütiger, fester Charakter begegnet." Bald darauf ward Thoreau eng mit Emerson befreundet, und seit 1840 willkommener Gast in dem Hause dieses schon damals hochberühmten Mannes. Durch Emersons Aufenthalt wurde Concord gleichsam zum amerikanischen Weimar. Reges geistiges Leben entfaltete sich in der kleinen, nur zweitausend Einwohner zählenden Stadt. In Emersons und Ripleys Hause kamen die "Transzendentalisten" zusammen, Leute, deren höchster Lebenszweck, wie Knortz sagt, das Streben nach Wahrheit war, die religiöse Zeremonien verabscheuten und christliche Ethik in den Vordergrund stellten. Transzendentalismus wurde aus Europa eingeführt. Nur wenige Schriften von Kant, Fichte und Schelling fanden den Weg über den Ozean. Nur wenige Leute lasen um diese Zeit Deutsch, manche dagegen Französisch. Ausländische Zeitungen berichteten über die Fortschritte der deutschen und französischen Spekulation. 1804 hielt Degérando in Paris bereits Vorlesungen über Kant. Schellings leitende Ideen wurden durch Coleridge verbreitet. Fouriers Bestrebungen wurden lebhaft aufgenommen und ins Praktische übersetzt. Die Schriften Carlyles über deutsche Literatur und über Goethe wurden durch Emerson dem amerikanischen Publikum zugänglich gemacht. Margarete Fuller, die Rahel des Emerson-Kreises, übersetzte Goethes Gespräche mit Eckermann, Ripley schrieb über Goethe und Schiller – kurz, eine Renaissance in Religion, Ethik, Kunst und Politik dämmerte herauf, und ernst wurde in den Zeitschriften um die neue Weltanschauung gekämpft, deren Ideen hauptsächlich das von Emerson und Margarete Fuller herausgegebene "Dial" und die New-Yorker Tribüne vertraten. "Die transzendentale Bewegung", sagt Lowell, "war der protestantische Geist des Puritanismus, der nach neuer Betätigung drängte und aus alten Formen und Dogmen, welche ihn eher verschleierten als enthüllten, sich losringen wollte. Und obwohl diese Bewegung nur kurze Zeit bestand, nur von wenigen, allerdings hervorragenden Menschen geleitet wurde, war der Einfluß auf die Zeitgenossen groß. Emerson, Theodore Parker, Bronson Alcott und Thoreau erzielten durch Kampf und Arbeit den praktischen Erfolg, daß ihre Mitmenschen nicht nur wißbegieriger, sondern auch zufriedener mit ihrer Lage, menschlicher in ihren Empfindungen, bescheidener in ihren Hoffnungen und glücklicher in ihrem Familienleben wurden.

 

Die Herausgabe des "Dial" machte viel Arbeit. Emerson war außerdem häufig von Concord abwesend, um in der weiteren Umgegend Vorträge zu halten und konnte sich wenig um Haus und Hof bekümmern. Darum bat er 1841 Thoreau, "den jungen Dichter voll von Melodien und Einfällen", wie er an Carlyle um diese Zeit schrieb, in sein Haus zu ziehen. Thoreau nahm diese Aufforderung an und erwies Emerson hierdurch einen Freundschaftsdienst. Andere Deutungen sind unrichtig. Es ist selbstverständlich, daß das häufige und nunmehr ganz intime Zusammensein mit einem Manne von Emersons Persönlichkeit auf den vierzehn Jahre jüngeren Thoreau starken Einfluß ausüben mußte. Doch war Emerson sicher nicht allein der Gebende. Thoreau machte sich, dank seiner hervorragenden technischen Geschicklichkeit, nicht nur in Haus und Hof wohlverdient, er war es auch, der Emerson einen tieferen Einblick in die Natur eröffnete und durch seine denkbar einfachste Lebensweise dem älteren Freund geradezu als Vorbild diente. Emersons Sohn selber sagt, daß sein Vater sich "freudig von diesem helläugigen, wahrhaftigen und ernsten Manne zu den heiligsten Altären des Waldgottes führen ließ". Thoreaus Gedichte und Essays aus dieser Zeit fanden im "Dial" Aufnahme.

 

Inmitten dieses sympathischen Kreises traf Thoreau der härteste Schlag seines Lebens: der Verlust seines Bruders John. Er wurde teilnahmlos gegen seine Umgebung und machte den Eindruck, als ob er sich selbst hasse. Trost suchte und fand er in der ewig gütigen Natur.