Wie ich es sehe
Altenberg, Peter
Wie ich es sehe
Peter Altenberg
Wie ich es sehe
A rebours, J.-K. Huysmans, page 264:
»De toutes les formes de la littérature, celle du poème en prose était la forme préférée du duc.
Maniée par un alchimiste de génie, elle devait, suivant lui, renfermer, dans son petit volume, la puissance du roman dont elle supprimait les longueurs analytiqes et les superfétations descriptives.
Bien souvent, le duc avait médité sur cet inquiétant problème, écrire un roman concentré en quelques phrases qui contiendraient le suc de centaines de pages.
Alors les mots ouvriraient de telles perspectives que le lecteur pourrait rêver, pendant des semaines entières, sur son sens, tout à la fois précis et multiple, constaterait le présent, reconstruirait le passé, devinerait l'avenir d'âmes des personnages, révélé par les lueurs de ces épithètes uniques!
Le roman, ainsi condensé en une page ou deux, deviendrait une communion de pensée entre un écrivain et un idéal lecteur, une collaboration spirituelle consentie entre dix personnes supérieures éparses dans l'univers!
En un mot, le poème en prose représentait, ainsi composé, pour le duc le suc concret, l'osmazome de la littérature, l'huile essentielle de l'art, l'art bavard réduit en sobre silence, la mer de la prose réduite en une goutte de poésie!«
Un mot de monsieur P.A. sur monsieur P.A.:
»Il avait la chance de n'être ni poète lyrique ni romancier ni philosophe. De là cette union littéraire et unique de trois talens qu'on n'a pas!«
See-Ufer
Neun und elf
Margueritta stand nahe bei Ihm.
Sie lehnte sich an Ihn.
Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie fest. Manchesmal drückte sie sie sanft an ihre Brust.
Und doch war sie erst elf Jahre alt.
»Margueritta ist die Menschenfreundin« sagte die Mutter zu dem jungen Manne, »Rositta ist anders – –. Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Thiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann. Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn – – – aber es ist eine unglückliche Liebe.«
»Wieso unglücklich – –?!« sagte das Kind, »ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn – –. Das macht mich doch glücklich?!«
Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich. Margueritta sagte: »O, Rositta ist übertrieben –!« »Wieso?!« fragte die Schwester und erbleichte –. »Ja, du bist übertrieben – –! Sie will Sennin werden am Patscherkofl und Cither lernen!«
Rositta: »Der Wirth in Igls hat so schön Cither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewusst, dass er schön singt – –! Er ist dagesessen und hat gesungen – – –.«
Margueritta: »Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: ›O, meine Berge, meine Berge – –!‹ Aber übertrieben ist sie doch – – –!«
Die Mutter sagte: »Das ist doch kein Lied: ›O meine Berge – –!?‹«
Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, verlegen.
Margit sagte: »O ja, das ist ein Lied – –! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr – – –?!«
Der junge Mann sagte: »Ja!«
Er dachte: »Es ist eine tönende Menschenseele – – ein Lied!«
Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen.
Margueritta war die rosige Morgenröthe – – man konnte es nicht anders sagen.
Aber die Andere, die Sennin am Patscherkofl, die bleiche zarte, die Cither lernen wollte und die mit einer Altstimme sang: »O meine Berge, meine Berge« – –?!
Es wurde Abend.
Er sass zwischen den beiden Kindern auf einer Bank an der Esplanade.
Margueritta legte ihr blondes Köpfchen auf seinen Schooss und schlief ein – –.
Rosie sass da und blickte auf den See hinaus – – Beide weisse süsse Kinderseelen waren ihm zugeflogen.
Aber wirklich liebte ihn nur Margueritta und wirklich liebte er nur sie.
Was ist das »wirklich«?!
Über der Anderen schwebte das Schicksal. In ihr sang es: »O, meine Berge – – –«. Und doch küsste sie ihn so sanft und sagte: »Du, Herr Albert – – –«
Aber den Herrn von Bergmann mit dem gelben Fellchen und den krummen Beinchen und den riesigen Ohren – – – den liebte sie »wirklich«!
Wenn er vorüberwatschelte, hatte sie eine tiefe Sehnsucht – – –. Sie stand da mit ihren verschmähten Zuckerstückchen und warf sie in's Wasser – –
Der junge Mann fühlte die Tiefe.
Die Mutter sagte einfach: »Rositta ist schwer zu behandeln. Ich sehe darauf, dass sie viel schläft. Ich möchte Aufregungen von ihr ferne halten – – –.
Auch das Mutterherz fühlte das »schwebende Schicksal.«
Der junge Mann behandelte Beide gleich. Beide küsste er, mit Beiden ging er Hand in Hand über die Esplanade, mit beiden ruderte er in den Abendstunden langsam auf und ab – – –. Beiden schenkte er zum Abschied, im Herbst, zwei goldene Kuhglöckchen als Brosche, mit dem eingeätzten Worte »See-Ufer«.
Rositta sang am nächsten Morgen in der Stadt mit ihrer Altstimme: »O meine Berge, meine Berge –!«
Es war doch ein Lied – – ein Lied!
Margueritta hörte zu und dachte: »Du Dichterin, Du Sängerin – – –!«
Dann sagte sie einfach: »Rosie, Du bist übertrieben – – –!«
Zwölf
»Das Fischen muss sehr langweilig sein« sagte ein Fräulein, welche davon so viel verstand wie die meisten Fräulein.
»Wenn es langweilig wäre, thäte ich es ja nicht« sagte das Kind mit den braunblonden Haaren und den Gazellenbeinen.
Sie stand da, mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers. Sie nahm das Fischlein von der Angel und schleuderte es zu Boden.
Das Fischlein starb – – –
Der See lag da, in Licht gebadet und flimmernd. Es roch nach Weiden und dampfenden verwesenden Sumpfgräsern. Vom Hôtel her hörte man das Geräusch von Messern, Gabeln und Tellern. Das Fischlein tanzte am Boden einen kurzen originellen Tanz wie die wilden Völker – – – und starb.
Das Kind angelte weiter mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers.
»Je ne permettrais jamais, que ma fille s'adonnât à une occupation si cruelle« sagte eine Dame, welche in der Nähe sass.
Das Kind nahm das Fischlein von der Angel und schleuderte es wieder zu Boden, in die Nähe der Dame.
Das Fischlein starb – – –. Es schnellte empor und fiel todt nieder – – ein einfacher sanfter Tod! Es vergass sogar zu tanzen, es marschierte ohne weiteres ab – – –.
»Oh – – –« sagte die Dame.
Und doch lag im Antlitz des grausamen braunblonden Kindes eine tiefe Schönheit und eine künftige Seele – – –.
Das Antlitz der edlen Dame aber war verwittert und bleich – – –.
Sie wird Niemandem mehr Freude geben, Licht und Wärme – – –.
Darum fühlte sie mit dem Fischlein.
Warum soll es sterben, wenn es noch Leben in sich hat – – –!?
Und doch schnellt es empor und fällt todt nieder – – – ein einfacher sanfter Tod.
Das Kind angelt weiter, mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers. Es ist wunderschön, mit seinen grossen starren Augen, seinen braunblonden Haaren und seinen Gazellenbeinen.
Vielleicht wird es auch einst das Fischlein bemitleiden und sagen: »Je ne permettrais jamais, que ma fille s'adonnât à une occupation si cruelle – – –!«
Aber diese zarten Regungen der Seele erblühen erst auf dem Grabe aller zerstörten Träume, aller getödteten Hoffnungen – – –.
Darum angle weiter, liebliches Mädchen!
Denn, nichts bedenkend, trägst du noch dein schönes Recht in dir – – –!
Tödte das Fischlein und angle!
Neunzehn
Sie wohnte in dem wunderschönen Hôtel am See-Ufer.
Abends speiste sie unter den grünen Laubengängen, die in elektrischem Lichte schimmerten.
Der Tag war lang – – bis zum Abend.
Sie stand spät auf – –. Dann sass sie auf der schattigen Promenade auf einer Bank –.
Nach dem Speisen ging sie in ihr kühles Zimmer. Um fünf, um sechs, machte sie einen Spaziergang mit den Eltern, den Geschwistern.
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