Es macht mir Freude, wenn man meine Toilette bewundert, meinen Geschmack. Ich küsse meinen Mann nicht, blicke ihn nicht zärtlich an; aber ich bin zufrieden, wie ein Kind an der Mutterbrust. Es saugt und saugt, hält still, schaut zur Mutter auf und saugt weiter und ist ausserordentlich befriedigt vom Dasein. Es ist wirklich wie in der Zeit, als man ein ganz kleines Thierchen war.

So lebe ich! Ich glaube, alle glücklichen Frauen leben so. Wie sollen sie denn leben?! Vielleicht in einem Sturme von Gefühlen?! Das ist ja nicht das Glück. Das Glück ist die Bewegung, die Ruhe geworden ist. Das ist das Glück!«

Jetzt sass sie, in einem Seidenkleide von Heliotropefarbe, im Stadtgarten, zwischen ihrem Gatten und Herrn Albert und athmete den feuchten kühlen Duft der Wiesen, den süssen Hauch der Mandelblüthen, der Akazien ein.

Sie sagte: »Dichten Wir – – –!«

»Bitte sehr!«, sagte Albert.

»Sie sassen auf drei eisernen federnden Sesseln –«, dichtete die junge Frau.

Albert: »Es roch nach Mandelblüthen – –«.

»Nein«, sagte der Gatte, »es roch nach den Battistkleidern der kleinen Mädchen, nach Staub und nach Gummibällen.«

Sie: »Maria starrte auf die Fahne des Rathhausthurmes – – –.«

Er: »Albertus starrte auf die Fahne des Rathhausthurmes – – –.«

Sie (erröthend): »Sie dürfen mir nicht Alles nachsprechen; Sie müssen selbstständig dichten – – –.«

Er: »Auf der Fahne des Rathhausthurmes begegneten sich ihre Blicke – – –.«

»Guten Abend, Franzi«, sagte der Gatte und unterbrach die Poëten.

Das kleine Mädchen hatte ein rosenrothes Kleid an, wie ein Hemd. Die rundlichen Arme waren nackt und der Hals und die rosigen Beine auch.

Sie stand kerzengerade da und sagte: »Guten Abend.«

Dann setzte sie sich auf den Schooss des jungen Mannes, der die »Begegnung auf der Thurmfahne« gedichtet hatte.

Er legte seinen Arm um sie und drückte sie sanft, zärtlich an sich.

Er sagte ihr leise ins Ohr: »Bertini Nmr. 18 –.«

»Pst!« sagte sie und wurde ganz roth.

Er stand auf und verabschiedete sich von dem jungen Ehepaare.

»Ich muss Frau M. aufsuchen«, sagte er.

»Ja gehen Sie,« sagte die junge Frau im Heliotropekleide, »man wird Sie schon erwarten – –.«

Sie reichte Ihm lächelnd ihre wunderschöne Hand.

Er spürte diese warme weiche sanfte Innenfläche. Wenn er sie freiliess, spürte die junge Frau dabei immer seine Bitte: »Oh, lass' sie mir noch ein bischen – – ein bischen. Was schadet es Dir?!« »Ich begleite Dich«, sagte das kleine Mädchen und hängte sich in ihn ein.

Arm in Arm gingen sie durch die dunstigen blüthenduftenden Alléen.

Er blieb stehen und grüsste.

Da sass eine Dame mit geistvollen nervösen Gesichtszügen und ein junges Mädchen mit aschblonden Haaren und einem bleichen edlen Antlitz.

Sie trug einen mattbraunen Strohhut mit weissen Chrysanthemen.

»Wir warten schon eine Stunde«, sagte die Mutter. »Wo waren Sie?!«

»Fräulein Franzi«, sagte der junge Mann und stellte seine kleine Freundin im rosenrothen Hemde vor.

Wo er war, sagte er nicht.

Die Kleine starrte das bleiche junge Mädchen an.

Ah, Kinderahnung, Kinderahnung – – –.

»Ich muss zurück zu Papa«, sagte sie.

»Nein, bleibe noch da,« sagte Albert.

Er setzte sich neben das junge Mädchen mit dem bleichen Antlitz und nahm die Kleine auf seinen Schooss.

»Haben Sie den Albert gern?«, sagte das junge Mädchen und wurde ganz roth.

»Zuerst kommt der Grosspapa, dann kommt Jemand Anderer (es war die verstorbene Mutter) und dann kommt ›Er‹.«

»Und der Papa?!«, sagte die ältere Dame.

»Der kommt viel später«, sagte das kleine Mädchen fest und sicher.

»Du bist ein dummer Kerl«, sagte Albert und küsste das Kind.

Dieses schmiegte sich zärtlich an ihn an. Dann sprang sie auf, sagte adieu und lief davon.

»He, Franzi«, rief er ihr nach.

»Was denn?«, sagte das rosenrothe Hemd.

»Nichts!«, sagte der Herr.

»Ihre kleine Freundin scheint Sie sehr zu lieben«, sagte das junge Mädchen.

»Sie verderben selbst Kinder von elf Jahren«, sagte die Mutter gereizt.

»Ich gebe ihr das, was ihr lebendiger Vater und ihre todte Mutter ihr nicht geben können – – Liebe!«

Die Mutter sagte: »Man sollte Frauen, von neun Jahren an, nicht mehr mit Ihnen verkehren lassen.«

Sie meinte aber: »Alle, minus zwei« – – ihre Tochter und sie.

»Warum?«, dachte er, »ich kenne ein junges Weib von 23 Jahren; sie hat wunderschöne weisse Hände und unsere Blicke begegnen sich auf der Rathhausfahne – – –. Was habe ich der gethan?! Was schade ich ihr?!«

Das junge Mädchen starrte auf den Kies in der Allée.

Albert sagte leise: »Bist Du böse, dass ich Dich warten liess – –?!«

Sie starrte auf den Kies in der Allée.

Sie dachte: »Böse, böse – –?! Was sind das für goldene Zeiten, in welchen man so reich ist, dass man noch böse sein darf. Königinnen zürnen, um die Versöhnung zu geniessen; doch Bettlerinnen – –?!«

Aber sie dachte das einfacher, rührender. Eigentlich dachte sie es gar nicht, sie empfand es.

Und sie starrte auf den Kies in der Allée, auf die kleinen runden Wiesen mit den dunklen Guirlanden und den hellen Butterblümchen, auf die vergoldeten Spitzen des Gartengitters – – –.

Die weissen Mandelblüthen, die weissen Akazien, die gelben Goldregensträucher dufteten in der warmen dunstigen Juniluft – –.

Albert sagte: »Die Welt ist reich und schön – –!«

Aber es war seine »innere Welt«. Denn die Welt um ihn herum war armselig und alltäglich.

Ist denn das auch unsere »innere Welt«, die duftenden Mandelblüthen, die weissen Akazien?! Und eine weisse Hand?! Und das Lächeln eines Kindes?! Und eine gebrochene Frauenseele?!

Auch!!

 

Frau Fabrikdirektor von H.

 

(Studien-Reihe)
Ein poetischer Abend

Vor jedem Teller stand ein Kelchglas mit glänzend rothen Zwerg-Georginen. Auf dem Tische lag ein Tischläufer, der mit rother Seide reich bestickt war. In zwei tiefen rothen Glasschüsseln lagen ganz rothe Blutorangen und die kleinen Bäckereien auf den silbernen Aufsätzen waren Alle mit rother Himbeer-Glasur überzogen.

Der Leutnant hatte rothe Aufschläge, das Fräulein neben ihm hatte rothe Wangen, die Braut erröthete, so oft der Bräutigam sie küsste und der rothseidene Lampenschirm überfluthete den Raum mit rothem feurigem Dunste. Nur die junge Hausfrau war bleich. Sie hatte diese ganze »Symphonie in Roth« componirt zu Ehren des Brautpaares und war wie alle Dichternaturen nervös und bleich.

Nach dem Souper kam Maitrank in schönen grünen Gläsern und die junge Hausfrau gruppirte Alle um sich und las mit einer wunderbar zarten Betonung ein liebliches Gedicht vor, das sie auf das Brautpaar verfasst hatte.

Sie musste es noch einmal vortragen und wieder las sie es mit dieser wunderbar zarten Betonung.

Das Ganze klang wie eine Stelle aus dem Septett Beethoven's. Das Cello singt da in ganz reiner Freude vor sich hin, es tanzt fast, ja es tanzt wie die kleinen Mädchen, die sich die Schürzen halten, auf den Wiesen tanzen. Dann aber breitet das Cello plötzlich ein Paar Flügel aus und schwingt sich in die Sterne – – –.

Ganz so machte es das Gedicht. Es tanzte – –. Dann breitete es ein Paar Flügel aus und flog in den Himmel!

Später sagte die Hausfrau: »Macht Musik – –!«

Der rothe Leutnant und das rosige Fräulein spielten à quatre mains den Clavier-Auszug aus »Bajazzo.«

Weil Alle es bei den »Italienern« gehört hatten, machte es einen riesigen Eindruck.

Einer sagte: »Die sind auf einander eingespielt – – –.«

Besonders das Lied »povre Bajazzo« zündete. Die Herren sangen es im Chore mit, obzwar es ein Solo ist. Sogar der junge Englishman sagte: »allright – –«. Und das war das Höchste!

Dieses Lied klingt wirklich wie »gemordete Liebe.«

Die blühende Liebe aber, die wachsende, lehnte Hand in Hand am offenen Fenster und starrte in die milde Nacht hinaus und athmete die Luft, die vom Kahlengebirge herzog und Düfte brachte von Gras, auf dem der Schnee zerrinnt – – –.

Das war ein poetischer Abend.

Als Alle fort waren, sagte der Hausherr: »Anita, Alles regt dich so auf, Gesellschaften sind Nichts für dich, du gehst in den Sachen auf – – –. Wozu?!«

Die Dame nahm die rothen Zwerggeorginen aus den Kelchgläsern, schnitt ein Stückchen Stengel bei jeder unten ab, damit sie besser Wasser saugen könnten, legte Alle in eine flache Wasserschüssel, stellte dieselbe vor das Fenster.

»Komm' – –«, sagte der Hausherr, »es ist spät und Du bist müde – – –.«

»Nächstens mache ich Alles in Blau« sagte sie, »einen blauseidenen Lampenschirm, blaue Hyazinthen, oh, giebt es eine blaue Zuckerglasur?! Vielleicht Heidelbeersaft – – –?!«

»Kindskopf – –«, sagte der Hausherr und küsste sie.

 

Die Dienstboten

 

Das Kindermädchen.

Das Kindermädchen mit den hellblonden seidenen Haaren öffnete die Hausthüre.