In der Ferne lag ein Wäldchen von Tannenbäumen.
Der Herr Fabriksdirektor stand bei ihr.
Sie verstand Alles – – –.
Er sprach über die Rübe, die Wohngebäude, das kleine Leben – –.
Er war wie ein Aristokrat. Er stand über den Sachen, ohne Leidenschaft. Er führte Conversation wie ein feiner Schauspieler – – –.
Was war er denn?!
Ein gewissenhafter Beamter, ein Streber, ein Resignirter, ein Verbannter –?!
Jedesfalls hatte er feine Manieren, so als Gegensatz – – –.
Wahrscheinlich dachte er: »Dieses gottverfluchte Nest« und »Ich bin des Zucker-Königs Kanzler« und »Oh blonde Jozsika, Verwaltersgattin – –!«
Die Suppengemüse standen aus der Erde heraus wie »Julienne naturelle«. Sie wirkten gleichsam belebend auf die Geschmacksnerven. Man empfand sie bereits als stundenlang gesotten, gleichsam trocken gesotten in der lieben Nachmittagssonne – – –,
Der Fabriksdirektor und das Fräulein sassen im Schatten der weissen Mauer.
Die Akazien sandten schwere dicke Parfums.
Von der Ebene kamen frische Winde, angefüllt mit Erdgeruch und süssem Kukuruzduft – – –.
Der Fabriksdirektor sass neben ihr und sprach wie ein feiner Schauspieler.
Sie verstand Alles – – –.
»Du bist der Feind – – –«, fühlte sie, »der Feind alles dessen, was in dieser Einsamkeit in Frieden blüht, der Feind dieses grossen stinkenden Hofes, der Feind deines Herren, der Feind deines Berufes, der Feind deiner Frau, der Feind deiner Leute, der Feind dieser grossen Ebene mit ihren wunderbaren blauen Flachsfeldern und den endlosen Reihen weisser Bäume – –, der Feind von Allem, was Du nicht begreifst, der Feind deiner selbst – – –.«
»Was ist das für ein Vogel, der heute den ganzen Vormittag gesungen hat – – –?!« sagte sie.
»Ich habe keinen gehört – – –.«
»Er hat immer ›trrrr – – trrrr – – trrrr – –‹ gesungen.«
»Die Wiesenschnarre – –« sagte er.
Sie wurde ganz roth – –.
»Es war wie Gesang – –«, sagte sie, »das Leitmotiv der Ebene.«
Er dachte: »Diese verbildeten grossstädtischen Geschöpfe – –.«
Er war wirklich der Feind – – –.
Sie verstand Alles – –.
Abends war Kränzchen.
Ein grosser kahler weisser Saal. Zigeuner spielten.
Die Violinen sangen sich ganz aus dem Leben heraus. Sie waren wie wahnsinnige Dichter, wie trübsinnige edle Künstler – – –.
Das Cymbalon war das »verschwommene Gemüth«, das leise in dem Leben summt und wie im Traume aufseufzt und verstummt – – –.
Das Cello aber sagte laut und schwer: »Man kann nicht leben –!«
Nur die Klarinetten gaben sich dem Rausch des Daseins hin und kreischten freudig wie die Rekruten, die auf drei Jahre genommen sind und – – – »was bleibt uns übrig?!« – – –
Das Fräulein »Schwarzkirscherl« stand da, in einem feinen weissen Kleide und machte grosse Augen und lauschte – – –.
Sie verstand Alles – – –.
Die jungen Beamten der Fabrik tanzten wie der »entfesselte Orkan«.
Hier öffnete das junge unverbrauchte Leben eine seiner Ventilklappen und liess Begeisterung und Jugendlust ausströmen – – –.
Es zischte fasst – – –.
Die Damen aber waren schon ruinirt, zerpatscht vom Leben und machten Alles mit Mühe mit und ohne Gracie – – –.
Nur Einige hatten mysteriöse Allüren. Wie Menschen, die im Rausch vergessen wollen. Dann erwachen sie, legen das zerknitterte Kleid zusammen und zanken mit irgend Jemand – – –.
In diesem Zuckerfabrikshof lag dumpfe Resignation neben strenger englischer Prüderie und gleich daneben »Sodom und Gomorrha«.
Aber die Zigeuner entflammten eine Welt, in der Friedrich Schiller und L. von Beethoven wie Forellen im Gebirgsbach athmen würden –.
Das Fräulein mit ihren unergründlichen schwarzen Augen stand da und lauschte – – –.
Sie verstand Alles – – –.
Der Fabriksdirektor kam und bat um einen Tanz.
Die Klarinetten kreischten wie die Rekruten, die auf drei Jahre genommen sind. Was lassen sie zurück – –?! Aber sie singen ausserordentlich lustige Lieder, ausgelassene, furchtbare, mit einer Stimme, die nicht ist wie das Tönen der Natur –.
Der Fabriksdirektor drückte das junge Mädchen sanft an sich – –.
Er fühlte diesen süssen warmen Leib – – –.
Sie tanzten ganz langsam – –.
Es war wie eine Erlösung für Ihn – –.
»Er ist mein Feind – –« fühlte sie.
Er drückte sie sanft an sich – – –.
Sie hörte die Klarinetten kreischen, wie die Rekruten, die – – –.
Das Cymbalon seufzte auf und verstummte – – Sie verstand Alles – – –. Das Leben kam über sie – – –.
Am nächsten Morgen spazierten sie auf dem frischen sonnigen Feldwege zwischen hellblauen Flachsfeldern und hellgrünen Kukuruzfeldern – –.
Sie sagte: »Ah, hören Sie – –?! Die Wiesenschnarre – – –.«
»Es ist der Vogel der Ebene – – –« sagte er, »das Leitmotiv dieser Symphonie ›Flachland‹ – –«.
»Schauspieler – – –«, dachte sie und verstand gar nichts mehr – – –.
Vor Ihnen zogen die Zigeuner dahin mit ihren Instrumentenkästen – –
Wie in schwarzen staubigen Särgen lag die Musik –.
Die Zigeuner stritten, gestikulirten – –:
»Dieses gottverfluchte Nest«; »der Königs-Kanzler hat Uns betrogen – –.«
Eine ungeheure Helle lag über der Ebene.
Frische Winde schwammen eilig über die Felder –.
In der Ferne lag ein Wäldchen von Tannenbäumen wie eine geheimnissvolle dunkle Insel – – –.
»Ich spüre das Cymbalon – –« sagte das Fräulein.
Er aber hörte die Klarinetten, den kurzen scharfen Ton der Daseins-Räusche – – – – –.
Die Zigeuner zogen in die Ebene hinaus und stritten – – –.
»Basta – – –!«, sagte der Kapellmeister und nahm den schwarzen lackirten Hut ab und liess seine schwarzen Locken im Morgenwinde spielen – – –.
Don Juan
Idylle
Sie sass in der Milchhalle mit ihrer Mutter und trank weiss-gelbe dicke Milch und ass goldbraunes Landbrod, dichtporiges duftendes mit Theebutter und Honig.
Es war ein Sommer-Sonntag-Nachmittag.
Um sechs Uhr kam Albert.
Da wurde sie rosig.
Albert bestellte das dichtporige duftende Landbrod mit Theebutter und Honig.
Das junge Mädchen legte die Hand auf seine Stuhllehne und berührte Ihn leise.
Die Mutter sagte: »Sie sind heute preoccupirt, Albert – –!?«
»Man kann sich nicht entwickeln« sagte er schroff. »Frau E., die meinen Essay ›Wahrheit‹ gelesen hat, sagte heute: ›Er sollte einen Sommer in Karlsbad, in Marienbad zubringen, dort, wo das grosse Leben pulsirt – – –.‹«
Das junge Mädchen legte ihre Hände in den Schoss und wurde ganz bleich.
Die Mutter sagte: »Ein wirklicher Dichter, mein Lieber – – –.«
»Nein«, sagte Abert, »man kann nicht aus dem Leeren schöpfen. Das verstehen Sie nicht! Wollt Ihr bestimmen, was Uns anregt – –?! Unsere Quellen sind unsere Quellen. Oft sind Frauen dieses Mysterium. Wenn sie es sind – –! Für mich zum Beispiel sind die Augen der zwölfjährigen Franzi bezaubernd – –.«
Das junge Mädchen senkte den Blick.
»Ja,« sagte er hart, »es ist doch so! Es ist der Ausdruck der ursprünglichen reinen Natur – – er berauscht mich.«
Das junge Mädchen betrachtete in solchen Augenblicken diesen Idealisten, diesen Schwärmer wie einen Feind, der ihre zarte Seele missachtete.
Sie that ihm Unrecht.
Aber wusste sie das?!
Sie lebte in Ihm, in Ihm, nur in Ihm – – –.
Einmal hatte sie gesagt: »Ich glaube, dass ich Ihm ein wenig nützen kann – –. Darum lebe ich.«
Die Mutter betrachtete ihre Tochter wie eine Märtyrerin. Sie fühlte Alles mit ihr, nur selbstsüchtiger und hasste den Idealisten, der sich »entwickeln« wollte und den die Augen der zwölfjährigen Franzi berauschten.
»Zahlen wir!«, sagte Albert.
Sie gingen langsam durch die stillen warmen Strassen.
Alle schwiegen.
Albert ging neben dem jungen Mädchen dahin.
Strasse, Strassenecke, Strasse, Strassenecke, Strasse, Strassenecke, Hausthor. Stiller Hausflur, stille Stiege, brim, brim, brim, brim, stilles Vorzimmer, stilles Wohnzimmer.
Dämmerung.
Albert setzte sich in einen Fauteuil.
Das junge Mädchen setzte sich an's Fenster.
Albert starrte vor sich hin.
Das junge Mädchen begann leise zu weinen.
Sie weinte und weinte – – –.
Die Mutter kam leise herein und ging wieder hinaus – –.
Das war der Sommer-Abend, Sonntag, auf den das junge Mädchen sich die ganze Woche gefreut hatte – – die ganze lange Woche!
Musik
Die Kleine übte Klavier.
Sie war zwölf Jahre alt und hatte wundervolle sanfte Augen.
Er ging im Zimmer leise auf und ab, auf und ab.
Er blieb stehen – – und lauschte und wurde eigenthümlich ergriffen.
Es waren ein Paar wundervolle Takte, die immer wiederkehrten.
Und das kleine Mädchen brachte Alles heraus, was darin lag.
Wie wenn ein Kind plötzlich ein Grosser würde!
»Was spielst Du da?!«, sagte der Herr.
»Warum fragst Du?! Das ist meine ›Albert-Etüde‹, Bertini Nmr. 18; wenn ich die spiele, muss ich immer an Dich denken – – –.«
»Warum – –?!«
»Ich weiss nicht; es ist schon so.«
Wie wenn ein Kind plötzlich ein Weib würde!
Er ging wieder leise auf und ab – – –.
Das kleine Mädchen übte weiter, Bertini Nmr. 19, Bertini Nmr. 20, Bertini Nmr. 21, 22, 23 – – – aber die Seele kam nicht wieder.
Im Stadtgarten
Es war sieben Uhr Abend.
Ein warmer, warmer Abend. Neunzehnter Juni. In den Strassen lag der schläfrige stinkende Stadtsommer.
In dem Stückchen Garten hinter den goldenen Gittern war es wie am Land.
Die weissen Mandelblüthen, die weissen Akazien, die gelben Goldregensträucher dufteten.
Auf den kleinen runden Wiesen lagen dunkelgrüne dicke Guirlanden von glänzenden Lederblättern.
Das war die Gartenkunst, die Cultur.
Aber überall schimmerten verstreut gelbe Butterblümchen.
Das war gar keine Kunst. Das war die Natur.
Sie sassen auf eisernen federnden Sesseln.
Die junge Dame hatte ein Seidenkleid an von Heliotrope-Farbe. Die weiten seidenen Ärmel umsäumten weissgelbe Spitzen. Dann kam die Hand, eine feine weisse Hand. Der junge Mann an ihrer rechten Seite betrachtete diese Hand wie ein lebendig gewordenes Kunstwerk; sie war so fein, so weiss und so beweglich. Jeder Finger war wie eine schlanke Ballerine und im Handgelenke ging das ganze kleine Kunstwerk auf und ab wie in einem Scharnier aus Stahl und Kautschuk.
Einmal sagte diese junge Dame zu einem Herren (sie trug damals ein hellgrünes Seidenkleid mit weissen seidenen Rüschen): »Was ist das, eine ›anständige‹ Frau?! Ist das ein Verdienst?! Ich fühle nur, dass das Leben, so wie es ist, gar keine Melankolie übrig lässt, keine Langweile und keine Sehnsucht – – –.«
Ich werde immer so sein.
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