HEDWIG.
Ach, es wird keiner seine Ruh
Zu Hause finden.
TELL.
Mutter, ich kanns auch nicht,
Zum Hirten hat Natur mich nicht gebildet,
Rastlos muß ich ein flüchtig Ziel verfolgen,
Dann erst genieß ich meines Lebens recht,
Wenn ich mirs jeden Tag aufs neu erbeute.
HEDWIG.
Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht,
Die sich indessen, deiner wartend, härmt,
Denn mich erfüllts mit Grausen, was die Knechte
Von euren Wagefahrten sich erzählen.
Bei jedem Abschied zittert mir das Herz,
Daß du mir nimmer werdest wiederkehren.
Ich sehe dich im wilden Eisgebirg,
Verirrt, von einer Klippe zu der andern
Den Fehlsprung tun, seh, wie die Gemse dich
Rückspringend mit sich in den Abgrund reißt,
Wie eine Windlawine dich verschüttet,
Wie unter dir der trügerische Firn
Einbricht und du hinabsinkst, ein lebendig
Begrabner, in die schauerliche Gruft –
Ach, den verwegnen Alpenjäger hascht
Der Tod in hundert wechselnden Gestalten,
Das ist ein unglückseliges Gewerb,
Das halsgefährlich führt am Abgrund hin!
TELL.
Wer frisch umherspäht mit gesunden Sinnen,
Auf Gott vertraut und die gelenke Kraft,
Der ringt sich leicht aus jeder Fahr und Not,
Den schreckt der Berg nicht, der darauf geboren.
Er hat seine Arbeit vollendet, legt das Gerät hinweg.
Jetzt, mein ich, hält das Tor auf Jahr und Tag.
Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.
Nimmt den Hut.
HEDWIG.
Wo gehst du hin?
TELL.
Nach Altorf, zu dem Vater.
HEDWIG.
Sinnst du auch nichts Gefährliches? Gesteh mirs.
TELL.
Wie kommst du darauf, Frau?
HEDWIG.
Es spinnt sich etwas
Gegen die Vögte – Auf dem Rütli ward
Getagt, ich weiß, und du bist auch im Bunde.
TELL.
Ich war nicht mit dabei – doch werd ich mich
Dem Lande nicht entziehen, wenn es ruft.
HEDWIG.
Sie werden dich hinstellen, wo Gefahr ist,
Das Schwerste wird dein Anteil sein, wie immer.
TELL.
Ein jeder wird besteuert nach Vermögen.
HEDWIG.
Den Unterwaldner hast du auch im Sturme
Über den See geschafft – Ein Wunder wars,
Daß ihr entkommen – Dachtest du denn gar nicht
An Kind und Weib?
TELL.
Lieb Weib, ich dacht an euch,
Drum rettet ich den Vater seinen Kindern.
HEDWIG.
Zu schiffen in dem wütgen See! Das heißt
Nicht Gott vertrauen! Das heißt Gott versuchen.
TELL.
Wer gar zuviel bedenkt, wird wenig leisten.
HEDWIG.
Ja, du bist gut und hilfreich, dienest allen,
Und wenn du selbst in Not kommst, hilft dir keiner.
TELL.
Verhüt es Gott, daß ich nicht Hülfe brauche.
Er nimmt die Armbrust und Pfeile.
HEDWIG.
Was willst du mit der Armbrust? Laß sie hier.
TELL.
Mir fehlt der Arm, wenn mir die Waffe fehlt.
Die Knaben kommen zurück.
WALTER.
Vater, wo gehst du hin?
TELL.
Nach Altorf, Knabe,
Zum Ehni – Willst du mit?
WALTER.
Ja freilich will ich.
HEDWIG.
Der Landvogt ist jetzt dort. Bleib weg von Altorf.
TELL.
Er geht, noch heute.
HEDWIG.
Drum laß ihn erst fort sein.
Gemahn ihn nicht an dich, du weißt, er grollt uns.
TELL.
Mir soll sein böser Wille nicht viel schaden,
Ich tue recht und scheue keinen Feind.
HEDWIG.
Die recht tun, eben die haßt er am meisten.
TELL.
Weil er nicht an sie kommen kann – Mich wird
Der Ritter wohl in Frieden lassen, mein ich.
HEDWIG.
So, weißt du das?
TELL.
Es ist nicht lange her,
Da ging ich jagen durch die wilden Gründe
Des Schächentals auf menschenleerer Spur,
Und da ich einsam einen Felsensteig
Verfolgte, wo nicht auszuweichen war,
Denn über mir hing schroff die Felswand her,
Und unten rauschte fürchterlich der Schächen,
Die Knaben drängen sich rechts und links an ihn und sehen mit gespannter Neugier an ihm hinauf.
Da kam der Landvogt gegen mich daher,
Er ganz allein mit mir, der auch allein war,
Bloß Mensch zu Mensch, und neben uns der Abgrund.
Und als der Herre mein ansichtig ward
Und mich erkannte, den er kurz zuvor
Um kleiner Ursach willen schwer gebüßt,
Und sah mich mit dem stattlichen Gewehr
Dahergeschritten kommen, da verblaßt' er,
Die Knie versagten ihm, ich sah es kommen,
Daß er jetzt an die Felswand würde sinken.
– Da jammerte mich sein, ich trat zu ihm
Bescheidentlich und sprach: Ich bins, Herr Landvogt.
Er aber konnte keinen armen Laut
Aus seinem Munde geben – Mit der Hand nur
Winkt' er mir schweigend, meines Wegs zu gehn,
Da ging ich fort und sandt ihm sein Gefolge.
HEDWIG.
Er hat vor dir gezittert – Wehe dir!
Daß du ihn schwach gesehn, vergibt er nie.
TELL.
Drum meid ich ihn, und er wird mich nicht suchen.
HEDWIG.
Bleib heute nur dort weg. Geh lieber jagen.
TELL.
Was fällt dir ein?
HEDWIG.
Mich ängstigts. Bleibe weg.
TELL.
Wie kannst du dich so ohne Ursach quälen?
HEDWIG.
Weils keine Ursach hat – Tell, bleibe hier.
TELL.
Ich habs versprochen, liebes Weib, zu kommen.
HEDWIG.
Mußt du, so geh – Nur lasse mir den Knaben!
WALTER.
Nein, Mütterchen. Ich gehe mit dem Vater.
HEDWIG.
Wälty, verlassen willst du deine Mutter?
WALTER.
Ich bring dir auch was Hübsches mit vom Ehni.
Geht mit dem Vater.
WILHELM.
Mutter, ich bleibe bei dir!
HEDWIG umarmt ihn.
Ja, du bist
Mein liebes Kind, du bleibst mir noch allein!
Sie geht an das Hoftor und folgt den Abgehenden lange mit den Augen.
Zweite Szene
Eine eingeschlossene wilde Waldgegend, Staubbäche stürzen von den Felsen.
Berta im Jagdkleid. Gleich darauf Rudenz.
BERTA.
Er folgt mir. Endlich kann ich mich erklären.
RUDENZ tritt rasch ein.
Fräulein, jetzt endlich find ich Euch allein,
Abgründe schließen ringsumher uns ein,
In dieser Wildnis fürcht ich keinen Zeugen,
Vom Herzen wälz ich dieses lange Schweigen –
BERTA.
Seid Ihr gewiß, daß uns die Jagd nicht folgt?
RUDENZ.
Die Jagd ist dort hinaus – Jetzt oder nie!
Ich muß den teuren Augenblick ergreifen –
Entschieden sehen muß ich mein Geschick,
Und sollt es mich auf ewig von Euch scheiden.
– O, waffnet Eure gütgen Blicke nicht
Mit dieser finstern Strenge – Wer bin ich,
Daß ich den kühnen Wunsch zu Euch erhebe?
Mich hat der Ruhm noch nicht genannt, ich darf
Mich in die Reih nicht stellen mit den Rittern,
Die siegberühmt und glänzend Euch umwerben.
Nichts hab ich als mein Herz voll Treu und Liebe –
BERTA ernst und streng.
Dürft Ihr von Liebe reden und von Treue,
Der treulos wird an seinen nächsten Pflichten?
Rudenz tritt zurück.
Der Sklave Österreichs, der sich dem Fremdling
Verkauft, dem Unterdrücker seines Volks?
RUDENZ.
Von Euch, mein Fräulein, hör ich diesen Vorwurf?
Wen such ich denn, als Euch auf jener Seite?
BERTA.
Mich denkt Ihr auf der Seite des Verrats
Zu finden? Eher wollt ich meine Hand
Dem Geßler selbst, dem Unterdrücker, schenken,
Als dem naturvergeßnen Sohn der Schweiz,
Der sich zu seinem Werkzeug machen kann!
RUDENZ.
O Gott, was muß ich hören?
BERTA.
Wie? Was liegt
Dem guten Menschen näher als die Seinen?
Gibts schönre Pflichten für ein edles Herz,
Als ein Verteidiger der Unschuld sein,
Das Recht des Unterdrückten zu beschirmen?
– Die Seele blutet mir um Euer Volk,
Ich leide mit ihm, denn ich muß es lieben,
Das so bescheiden ist und doch voll Kraft,
Es zieht mein ganzes Herz mich zu ihm hin,
Mit jedem Tage lern ichs mehr verehren.
– Ihr aber, den Natur und Ritterpflicht
Ihm zum geborenen Beschützer gaben,
Und ders verläßt, der treulos übertritt
Zum Feind, und Ketten schmiedet seinem Land,
Ihr seids, der mich verletzt und kränkt, ich muß
Mein Herz bezwingen, daß ich Euch nicht hasse.
RUDENZ.
Will ich denn nicht das Beste meines Volks?
Ihm unter Östreichs mächtgem Szepter nicht
Den Frieden –
BERTA.
Knechtschaft wollt Ihr ihm bereiten!
Die Freiheit wollt Ihr aus dem letzten Schloß,
Das ihr noch auf der Erde blieb, verjagen.
Das Volk versteht sich besser auf sein Glück,
Kein Schein verführt sein sicheres Gefühl,
Euch haben sie das Netz ums Haupt geworfen –
RUDENZ.
Berta! Ihr haßt mich, Ihr verachtet mich!
BERTA.
Tät ichs, mir wäre besser – Aber den
Verachtet sehen und verachtungswert,
Den man gern lieben möchte –
RUDENZ.
Berta! Berta!
Ihr zeiget mir das höchste Himmelsglück,
Und stürzt mich tief in einem Augenblick.
BERTA.
Nein, nein, das Edle ist nicht ganz erstickt
In Euch! Es schlummert nur, ich will es wecken,
Ihr müßt Gewalt ausüben an Euch selbst,
Die angestammte Tugend zu ertöten,
Doch wohl Euch, sie ist mächtiger als Ihr,
Und trotz Euch selber seid Ihr gut und edel!
RUDENZ.
Ihr glaubt an mich! O Berta, alles läßt
Mich Eure Liebe sein und werden!
BERTA.
Seid,
Wozu die herrliche Natur Euch machte!
Erfüllt den Platz, wohin sie Euch gestellt,
Zu Eurem Volke steht und Eurem Lande,
Und kämpft für Euer heilig Recht.
RUDENZ.
Weh mir!
Wie kann ich Euch erringen, Euch besitzen,
Wenn ich der Macht des Kaisers widerstrebe?
Ists der Verwandten mächtger Wille nicht,
Der über Eure Hand tyrannisch waltet?
BERTA.
In den Waldstätten liegen meine Güter,
Und ist der Schweizer frei, so bin auch ichs.
RUDENZ.
Berta! welch einen Blick tut Ihr mir auf!
BERTA.
Hofft nicht, durch Östreichs Gunst mich zu erringen,
Nach meinem Erbe strecken sie die Hand,
Das will man mit dem großen Erb vereinen.
Dieselbe Ländergier, die Eure Freiheit
Verschlingen will, sie drohet auch der meinen!
– O Freund, zum Opfer bin ich ausersehn,
Vielleicht um einen Günstling zu belohnen –
Dort wo die Falschheit und die Ränke wohnen,
Hin an den Kaiserhof will man mich ziehn,
Dort harren mein verhaßter Ehe Ketten,
Die Liebe nur – die Eure kann mich retten!
RUDENZ.
Ihr könntet Euch entschließen, hier zu leben,
In meinem Vaterlande mein zu sein?
O Berta, all mein Sehnen in das Weite,
Was war es, als ein Streben nur nach Euch?
Euch sucht ich einzig auf dem Weg des Ruhms,
Und all mein Ehrgeiz war nur meine Liebe.
Könnt Ihr mit mir Euch in dies stille Tal
Einschließen und der Erde Glanz entsagen –
O dann ist meines Strebens Ziel gefunden,
Dann mag der Strom der wildbewegten Welt
Ans sichre Ufer dieser Berge schlagen –
Kein flüchtiges Verlangen hab ich mehr
Hinauszusenden in des Lebens Weiten –
Dann mögen diese Felsen um uns her
Die undurchdringlich feste Mauer breiten,
Und dies verschloßne selge Tal allein
Zum Himmel offen und gelichtet sein!
BERTA.
Jetzt bist du ganz, wie dich mein ahnend Herz
Geträumt, mich hat mein Glaube nicht betrogen!
RUDENZ.
Fahr hin, du eitler Wahn, der mich betört!
Ich soll das Glück in meiner Heimat finden.
Hier wo der Knabe fröhlich aufgeblüht,
Wo tausend Freudespuren mich umgeben,
Wo alle Quellen mir und Bäume leben,
Im Vaterland willst du die Meine werden!
Ach, wohl hab ich es stets geliebt! Ich fühls,
Es fehlte mir zu jedem Glück der Erden.
BERTA.
Wo wär die selge Insel aufzufinden,
Wenn sie nicht hier ist in der Unschuld Land?
Hier, wo die alte Treue heimisch wohnt,
Wo sich die Falschheit noch nicht hingefunden,
Da trübt kein Neid die Quelle unsers Glücks,
Und ewig hell entfliehen uns die Stunden.
– Da seh ich dich im echten Männerwert,
Den Ersten von den Freien und den Gleichen,
Mit reiner, freier Huldigung verehrt,
Groß wie ein König wirkt in seinen Reichen.
RUDENZ.
Da seh ich dich, die Krone aller Frauen,
In weiblich reizender Geschäftigkeit,
In meinem Haus den Himmel mir erbauen,
Und, wie der Frühling seine Blumen streut,
Mit schöner Anmut mir das Leben schmücken
Und alles rings beleben und beglücken!
BERTA.
Sieh, teurer Freund, warum ich trauerte,
Als ich dies höchste Lebensglück dich selbst
Zerstören sah – Weh mir! Wie stünds um mich,
Wenn ich dem stolzen Ritter müßte folgen,
Dem Landbedrücker auf sein finstres Schloß!
– Hier ist kein Schloß. Mich scheiden keine Mauern
Von einem Volk, das ich beglücken kann!
RUDENZ.
Doch wie mich retten – wie die Schlinge lösen,
Die ich mir töricht selbst ums Haupt gelegt?
BERTA.
Zerreiße sie mit männlichem Entschluß!
Was auch draus werde – Steh zu deinem Volk,
Es ist dein angeborner Platz.
Jagdhörner in der Ferne.
Die Jagd
Kommt näher – Fort, wir müssen scheiden – Kämpfe
Fürs Vaterland, du kämpfst für deine Liebe!
Es ist ein Feind, vor dem wir alle zittern,
Und eine Freiheit macht uns alle frei!
Gehen ab.
Dritte Szene
Wiese bei Altorf. Im Vordergrund Bäume, in der Tiefe der Hut auf einer Stange. Der Prospekt wird begrenzt durch den Bannberg, über welchem ein Schneegebirg emporragt.
Frießhardt und Leuthold halten Wache.
FRIESSHARDT.
Wir passen auf umsonst. Es will sich niemand
Heranbegeben und dem Hut sein' Reverenz
Erzeigen. 's war doch sonst wie Jahrmarkt hier,
Jetzt ist der ganze Anger wie verödet,
Seitdem der Popanz auf der Stange hängt.
LEUTHOLD.
Nur schlecht Gesindel läßt sich sehn und schwingt
Uns zum Verdrieße die zerlumpten Mützen.
Was rechte Leute sind, die machen lieber
Den langen Umweg um den halben Flecken,
Eh sie den Rücken beugten vor dem Hut.
FRIESSHARDT.
Sie müssen über diesen Platz, wenn sie
Vom Rathaus kommen um die Mittagstunde.
Da meint ich schon, 'nen guten Fang zu tun,
Denn keiner dachte dran, den Hut zu grüßen.
Da siehts der Pfaff, der Rösselmann – kam just
Von einem Kranken her – und stellt sich hin
Mit dem Hochwürdigen, grad vor die Stange –
Der Sigrist mußte mit dem Glöcklein schellen,
Da fielen all aufs Knie, ich selber mit,
Und grüßten die Monstranz, doch nicht den Hut. –
LEUTHOLD.
Höre, Gesell, es fängt mir an zu deuchten,
Wir stehen hier am Pranger vor dem Hut,
's ist doch ein Schimpf für einen Reitersmann,
Schildwach zu stehn vor einem leeren Hut –
Und jeder rechte Kerl muß uns verachten.
– Die Reverenz zu machen einem Hut,
Es ist doch traun! ein närrischer Befehl!
FRIESSHARDT.
Warum nicht einem leeren, hohlen Hut?
Bückst du dich doch vor manchem hohlen Schädel.
Hildegard, Mechthild und Elsbet treten auf mit Kindern und stellen sich um die Stange.
LEUTHOLD.
Und du bist auch so ein dienstfertger Schurke,
Und brächtest wackre Leute gern ins Unglück.
Mag, wer da will, am Hut vorübergehn,
Ich drück die Augen zu und seh nicht hin.
MECHTHILD.
Da hängt der Landvogt – Habt Respekt, ihr Buben.
ELSBET.
Wollts Gott, er ging, und ließ uns seinen Hut,
Es sollte drum nicht schlechter stehn ums Land!
FRIESSHARDT verscheucht sie.
Wollt ihr vom Platz? Verwünschtes Volk der Weiber!
Wer fragt nach euch? Schickt eure Männer her,
Wenn sie der Mut sticht, dem Befehl zu trotzen.
Weiber gehen.
Tell mit der Armbrust tritt auf, den Knaben an der Hand führend. Sie gehen an dem Hut vorbei gegen die vordere Szene, ohne darauf zu achten.
WALTER zeigt nach dem Bannberg.
Vater, ists wahr, daß auf dem Berge dort
Die Bäume bluten, wenn man einen Streich
Drauf führte mit der Axt?
TELL.
Wer sagt das, Knabe?
WALTER.
Der Meister Hirt erzählts – Die Bäume seien
Gebannt, sagt er, und wer sie schädige,
Dem wachse sein Hand heraus zum Grabe.
TELL.
Die Bäume sind gebannt, das ist die Wahrheit.
– Siehst du die Firnen dort, die weißen Hörner,
Die hoch bis in den Himmel sich verlieren?
WALTER.
Das sind die Gletscher, die des Nachts so donnern,
Und uns die Schlaglawinen niedersenden.
TELL.
So ists, und die Lawinen hätten längst
Den Flecken Altorf unter ihrer Last
Verschüttet, wenn der Wald dort oben nicht
Als eine Landwehr sich dagegenstellte.
WALTER nach einigem Besinnen.
Gibts Länder, Vater, wo nicht Berge sind?
TELL.
Wenn man hinuntersteigt von unsern Höhen,
Und immer tiefer steigt, den Strömen nach,
Gelangt man in ein großes, ebnes Land,
Wo die Waldwasser nicht mehr brausend schäumen,
Die Flüsse ruhig und gemächlich ziehn,
Da sieht man frei nach allen Himmelsräumen,
Das Korn wächst dort in langen, schönen Auen,
Und wie ein Garten ist das Land zu schauen.
WALTER.
Ei, Vater, warum steigen wir denn nicht
Geschwind hinab in dieses schöne Land,
Statt daß wir uns hier ängstigen und plagen?
TELL.
Das Land ist schön und gütig wie der Himmel,
Doch die's bebauen, sie genießen nicht
Den Segen, den sie pflanzen.
WALTER.
Wohnen sie
Nicht frei wie du auf ihrem eignen Erbe?
TELL.
Das Feld gehört dem Bischof und dem König.
WALTER.
So dürfen sie doch frei in Wäldern jagen?
TELL.
Dem Herrn gehört das Wild und das Gefieder.
WALTER.
Sie dürfen doch frei fischen in dem Strom?
TELL.
Der Strom, das Meer, das Salz gehört dem König.
WALTER.
Wer ist der König denn, den alle fürchten?
TELL.
Es ist der eine, der sie schützt und nährt.
WALTER.
Sie können sich nicht mutig selbst beschützen?
TELL.
Dort darf der Nachbar nicht dem Nachbar trauen.
WALTER.
Vater, es wird mir eng im weiten Land,
Da wohn ich lieber unter den Lawinen.
TELL.
Ja, wohl ists besser, Kind, die Gletscherberge
Im Rücken haben, als die bösen Menschen.
Sie wollen vorübergehen.
WALTER.
Ei, Vater, sieh den Hut dort auf der Stange.
TELL.
Was kümmert uns der Hut? Komm, laß uns gehen.
Indem er abgehen will, tritt ihm Frießhardt mit vorgehaltner Pike entgegen.
FRIESSHARDT.
In des Kaisers Namen! Haltet an und steht!
TELL greift in die Pike.
Was wollt Ihr? Warum haltet Ihr mich auf?
FRIESSHARDT.
Ihr habts Mandat verletzt, Ihr müßt uns folgen.
LEUTHOLD.
Ihr habt dem Hut nicht Reverenz bewiesen.
TELL.
Freund, laß mich gehen.
FRIESSHARDT.
Fort, fort ins Gefängnis!
WALTER.
Den Vater ins Gefängnis! Hülfe! Hülfe!
In die Szene rufend.
Herbei, ihr Männer, gute Leute, helft,
Gewalt, Gewalt, sie führen ihn gefangen.
Rösselmann der Pfarrer und Petermann der Sigrist kommen herbei, mit drei andern Männern.
SIGRIST.
Was gibts?
RÖSSELMANN.
Was legst du Hand an diesen Mann?
FRIESSHARDT.
Er ist ein Feind des Kaisers, ein Verräter!
TELL faßt ihn heftig.
Ein Verräter, ich!
RÖSSELMANN.
Du irrst dich, Freund, das ist
Der Tell, ein Ehrenmann und guter Bürger.
WALTER erblickt Walter Fürsten und eilt ihm entgegen.
Großvater, hilf, Gewalt geschieht dem Vater.
FRIESSHARDT.
Ins Gefängnis, fort!
WALTER FÜRST herbeieilend.
Ich leiste Bürgschaft, haltet!
– Um Gotteswillen, Tell, was ist geschehen?
Melchthal und Stauffacher kommen.
FRIESSHARDT.
Des Landvogts oberherrliche Gewalt
Verachtet er, und will sie nicht erkennen.
STAUFFACHER.
Das hätt der Tell getan?
MELCHTHAL.
Das lügst du, Bube!
LEUTHOLD.
Er hat dem Hut nicht Reverenz bewiesen.
WALTER FÜRST.
Und darum soll er ins Gefängnis? Freund,
Nimm meine Bürgschaft an und laß ihn ledig.
FRIESSHARDT.
Bürg du für dich und deinen eignen Leib!
Wir tun, was unsers Amtes – Fort mit ihm!
MELCHTHAL zu den Landleuten.
Nein, das ist schreiende Gewalt! Ertragen wirs,
Daß man ihn fortführt, frech, vor unsern Augen?
SIGRIST.
Wir sind die Stärkern. Freunde, duldets nicht,
Wir haben einen Rücken an den andern!
FRIESSHARDT.
Wer widersetzt sich dem Befehl des Vogts?
NOCH DREI LANDLEUTE herbeieilend.
Wir helfen euch. Was gibts? Schlagt sie zu Boden.
Hildegard, Mechthild und Elsbet kommen zurück.
TELL.
Ich helfe mir schon selbst. Geht, gute Leute,
Meint ihr, wenn ich die Kraft gebrauchen wollte,
Ich würde mich vor ihren Spießen fürchten?
MELCHTHAL zu Frießhardt.
Wags, ihn aus unsrer Mitte wegzuführen!
WALTER FÜRST UND STAUFFACHER.
Gelassen! Ruhig!
FRIESSHARDT schreit.
Aufruhr und Empörung!
Man hört Jagdhörner.
WEIBER.
Da kommt der Landvogt!
FRIESSHARDT erhebt die Stimme.
Meuterei! Empörung!
STAUFFACHER.
Schrei, bis du berstest, Schurke!
RÖSSELMANN UND MELCHTHAL.
Willst du schweigen?
FRIESSHARDT ruft noch lauter.
Zu Hülf, zu Hülf den Dienern des Gesetzes.
WALTER FÜRST.
Da ist der Vogt! Weh uns, was wird das werden!
Geßler zu Pferd, den Falken auf der Faust, Rudolf der Harras, Berta und Rudenz, ein großes Gefolge von bewaffneten Knechten, welche einen Kreis von Piken um die ganze Szene schließen.
RUDOLF DER HARRAS.
Platz, Platz dem Landvogt!
GESSLER.
Treibt sie auseinander!
Was läuft das Volk zusammen? Wer ruft Hülfe?
Allgemeine Stille.
Wer wars? Ich will es wissen.
Zu Frießhardt.
Du tritt vor!
Wer bist du und was hältst du diesen Mann?
Er gibt den Falken einem Diener.
FRIESSHARDT.
Gestrenger Herr, ich bin dein Waffenknecht
Und wohlbestellter Wächter bei dem Hut.
Diesen Mann ergriff ich über frischer Tat,
Wie er dem Hut den Ehrengruß versagte.
Verhaften wollt ich ihn, wie du befahlst,
Und mit Gewalt will ihn das Volk entreißen.
GESSLER nach einer Pause.
Verachtest du so deinen Kaiser, Tell,
Und mich, der hier an seiner Statt gebietet,
Daß du die Ehr versagst dem Hut, den ich
Zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen?
Dein böses Trachten hast du mir verraten.
TELL.
Verzeiht mir, lieber Herr! Aus Unbedacht,
Nicht aus Verachtung Eurer ists geschehn,
Wär ich besonnen, hieß ich nicht der Tell,
Ich bitt um Gnad, es soll nicht mehr begegnen.
GESSLER nach einigem Stillschweigen.
Du bist ein Meister auf der Armbrust, Tell,
Man sagt, du nähmst es auf mit jedem Schützen?
WALTER TELL.
Und das muß wahr sein, Herr – 'nen Apfel schießt
Der Vater dir vom Baum auf hundert Schritte.
GESSLER.
Ist das dein Knabe, Tell?
TELL.
Ja, lieber Herr.
GESSLER.
Hast du der Kinder mehr?
TELL.
Zwei Knaben, Herr.
GESSLER.
Und welcher ists, den du am meisten liebst?
TELL.
Herr, beide sind sie mir gleich liebe Kinder.
GESSLER.
Nun, Tell! weil du den Apfel triffst vom Baume
Auf hundert Schritte, so wirst du deine Kunst
Vor mir bewähren müssen – Nimm die Armbrust –
Du hast sie gleich zur Hand – und mach dich fertig,
Einen Apfel von des Knaben Kopf zu schießen –
Doch will ich raten, ziele gut, daß du
Den Apfel treffest auf den ersten Schuß,
Denn fehlst du ihn, so ist dein Kopf verloren.
Alle geben Zeichen des Schreckens.
TELL.
Herr – Welches Ungeheure sinnet Ihr
Mir an – Ich soll vom Haupte meines Kindes –
– Nein, nein doch, lieber Herr, das kömmt Euch nicht
Zu Sinn – Verhüts der gnädge Gott – das könnt Ihr
Im Ernst von einem Vater nicht begehren!
GESSLER.
Du wirst den Apfel schießen von dem Kopf
Des Knaben – Ich begehrs und wills.
TELL.
Ich soll
Mit meiner Armbrust auf das liebe Haupt
Des eignen Kindes zielen – Eher sterb ich!
GESSLER.
Du schießest oder stirbst mit deinem Knaben.
TELL.
Ich soll der Mörder werden meines Kinds!
Herr, Ihr habt keine Kinder – wisset nicht,
Was sich bewegt in eines Vaters Herzen.
GESSLER.
Ei, Tell, du bist ja plötzlich so besonnen!
Man sagte mir, daß du ein Träumer seist,
Und dich entfernst von andrer Menschen Weise.
Du liebst das Seltsame – drum hab ich jetzt
Ein eigen Wagstück für dich ausgesucht.
Ein andrer wohl bedächte sich – Du drückst
Die Augen zu, und greifst es herzhaft an.
BERTA.
Scherzt nicht, o Herr! mit diesen armen Leuten!
Ihr seht sie bleich und zitternd stehn – So wenig
Sind sie Kurzweils gewohnt aus Eurem Munde.
GESSLER.
Wer sagt Euch, daß ich scherze?
Greift nach einem Baumzweige, der über ihn herhängt.
Hier ist der Apfel.
Man mache Raum – Er nehme seine Weite,
Wies Brauch ist – Achtzig Schritte geb ich ihm –
Nicht weniger, noch mehr – Er rühmte sich,
Auf ihrer hundert seinen Mann zu treffen –
Jetzt, Schütze, triff, und fehle nicht das Ziel!
RUDOLF DER HARRAS.
Gott, das wird ernsthaft – Falle nieder, Knabe,
Es gilt, und fleh den Landvogt um dein Leben.
WALTER FÜRST beiseite zu Melchthal, der kaum seine Ungeduld bezwingt.
Haltet an Euch, ich fleh Euch drum, bleibt ruhig.
BERTA zum Landvogt.
Laßt es genug sein, Herr! Unmenschlich ists,
Mit eines Vaters Angst also zu spielen.
Wenn dieser arme Mann auch Leib und Leben
Verwirkt durch seine leichte Schuld, bei Gott!
Er hätte jetzt zehnfachen Tod empfunden.
Entlaßt ihn ungekränkt in seine Hütte,
Er hat Euch kennen lernen, dieser Stunde
Wird er und seine Kindeskinder denken.
GESSLER.
Öffnet die Gasse – Frisch! Was zauderst du?
Dein Leben ist verwirkt, ich kann dich töten,
Und sieh, ich lege gnädig dein Geschick
In deine eigne kunstgeübte Hand.
Der kann nicht klagen über harten Spruch,
Den man zum Meister seines Schicksals macht.
Du rühmst dich deines sichern Blicks. Wohlan!
Hier gilt es, Schütze, deine Kunst zu zeigen,
Das Ziel ist würdig und der Preis ist groß!
Das Schwarze treffen in der Scheibe, das
Kann auch ein andrer! der ist mir der Meister,
Der seiner Kunst gewiß ist überall,
Dems Herz nicht in die Hand tritt noch ins Auge.
WALTER FÜRST wirft sich vor ihm nieder.
Herr Landvogt, wir erkennen Eure Hoheit,
Doch lasset Gnad vor Recht ergehen, nehmt
Die Hälfte meiner Habe, nehmt sie ganz,
Nur dieses Gräßliche erlasset einem Vater!
WALTER TELL.
Großvater, knie nicht vor dem falschen Mann!
Sagt, wo ich hinstehn soll, ich fürcht mich nicht,
Der Vater trifft den Vogel ja im Flug,
Er wird nicht fehlen auf das Herz des Kindes.
STAUFFACHER.
Herr Landvogt, rührt Euch nicht des Kindes Unschuld?
RÖSSELMANN.
O denket, daß ein Gott im Himmel ist,
Dem Ihr müßt Rede stehn für Eure Taten.
GESSLER zeigt auf den Knaben.
Man bind ihn an die Linde dort!
WALTER TELL.
Mich binden!
Nein, ich will nicht gebunden sein. Ich will
Still halten, wie ein Lamm, und auch nicht atmen.
Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ichs nicht,
So werd ich toben gegen meine Bande.
RUDOLF DER HARRAS.
Die Augen nur laß dir verbinden, Knabe.
WALTER TELL.
Warum die Augen? Denket Ihr, ich fürchte
Den Pfeil von Vaters Hand? Ich will ihn fest
Erwarten, und nicht zucken mit den Wimpern.
– Frisch, Vater, zeigs, daß du ein Schütze bist,
Er glaubt dirs nicht, er denkt uns zu verderben –
Dem Wütrich zum Verdrusse, schieß und triff.
Er geht an die Linde, man legt ihm den Apfel auf.
MELCHTHAL zu den Landleuten.
Was? Soll der Frevel sich vor unsern Augen
Vollenden? Wozu haben wir geschworen?
STAUFFACHER.
Es ist umsonst. Wir haben keine Waffen,
Ihr seht den Wald von Lanzen um uns her.
MELCHTHAL.
O hätten wirs mit frischer Tat vollendet,
Verzeihs Gott denen, die zum Aufschub rieten!
GESSLER zum Tell.
Ans Werk! Man führt die Waffen nicht vergebens.
Gefährlich ists, ein Mordgewehr zu tragen,
Und auf den Schützen springt der Pfeil zurück.
Dies stolze Recht, das sich der Bauer nimmt,
Beleidiget den höchsten Herrn des Landes.
Gewaffnet sei niemand, als wer gebietet.
Freuts euch, den Pfeil zu führen und den Bogen,
Wohl, so will ich das Ziel euch dazu geben.
TELL spannt die Armbrust und legt den Pfeil auf.
Öffnet die Gasse! Platz!
STAUFFACHER.
Was, Tell? Ihr wolltet – Nimmermehr – Ihr zittert,
Die Hand erbebt Euch, Eure Kniee wanken –
TELL läßt die Armbrust sinken.
Mir schwimmt es vor den Augen!
WEIBER.
Gott im Himmel!
TELL zum Landvogt.
Erlasset mir den Schuß. Hier ist mein Herz!
Er reißt die Brust auf.
Ruft Eure Reisigen und stoßt mich nieder.
GESSLER.
Ich will dein Leben nicht, ich will den Schuß.
– Du kannst ja alles, Tell, an nichts verzagst du,
Das Steuerruder führst du wie den Bogen,
Dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt,
Jetzt, Retter, hilf dir selbst – du rettest alle!
Tell steht in fürchterlichem Kampf, mit den Händen zuckend und die rollenden Augen bald auf den Landvogt, bald zum Himmel gerichtet. – Plötzlich greift er in seinen Köcher, nimmt einen zweiten Pfeil heraus und steckt ihn in seinen Goller.
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