Der Landvogt bemerkt alle diese Bewegungen.
WALTER TELL unter der Linde.
Vater, schieß zu, ich fürcht mich nicht.
TELL.
Es muß!
Er rafft sich zusammen und legt an.
RUDENZ der die ganze Zeit über in der heftigsten Spannung gestanden und mit Gewalt an sich gehalten, tritt hervor.
Herr Landvogt, weiter werdet Ihrs nicht treiben,
Ihr werdet nicht – Es war nur eine Prüfung –
Den Zweck habt Ihr erreicht – Zu weit getrieben
Verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks,
Und allzu straff gespannt zerspringt der Bogen.
GESSLER.
Ihr schweigt, bis man Euch aufruft.
RUDENZ.
Ich will reden,
Ich darfs, des Königs Ehre ist mir heilig,
Doch solches Regiment muß Haß erwerben.
Das ist des Königs Wille nicht – Ich darfs
Behaupten – Solche Grausamkeit verdient
Mein Volk nicht, dazu habt Ihr keine Vollmacht.
GESSLER.
Ha, Ihr erkühnt Euch!
RUDENZ.
Ich hab still geschwiegen
Zu allen schweren Taten, die ich sah,
Mein sehend Auge hab ich zugeschlossen,
Mein überschwellend und empörtes Herz
Hab ich hinabgedrückt in meinen Busen.
Doch länger schweigen wär Verrat zugleich
An meinem Vaterland und an dem Kaiser.
BERTA wirft sich zwischen ihn und den Landvogt.
O Gott, Ihr reizt den Wütenden noch mehr.
RUDENZ.
Mein Volk verließ ich, meinen Blutsverwandten
Entsagt ich, alle Bande der Natur
Zerriß ich, um an Euch mich anzuschließen –
Das Beste aller glaubt ich zu befördern,
Da ich des Kaisers Macht befestigte –
Die Binde fällt von meinen Augen – Schaudernd
Seh ich an einen Abgrund mich geführt –
Mein freies Urteil habt Ihr irrgeleitet,
Mein redlich Herz verführt – Ich war daran,
Mein Volk in bester Meinung zu verderben.
GESSLER.
Verwegner, diese Sprache deinem Herrn?
RUDENZ.
Der Kaiser ist mein Herr, nicht Ihr – Frei bin ich
Wie Ihr geboren, und ich messe mich
Mit Euch in jeder ritterlichen Tugend.
Und stündet Ihr nicht hier in Kaisers Namen,
Den ich verehre, selbst wo man ihn schändet,
Den Handschuh wärf ich vor Euch hin, Ihr solltet
Nach ritterlichem Brauch mir Antwort geben.
– Ja, winkt nur Euren Reisigen – Ich stehe
Nicht wehrlos da, wie die –
Auf das Volk zeigend.
Ich hab ein Schwert,
Und wer mir naht –
STAUFFACHER ruft.
Der Apfel ist gefallen!
Indem sich alle nach dieser Seite gewendet und Berta zwischen Rudenz und den Landvogt sich geworfen, hat Tell den Pfeil abgedrückt.
RÖSSELMANN.
Der Knabe lebt!
VIELE STIMMEN.
Der Apfel ist getroffen!
Walter Fürst schwankt und droht zu sinken, Berta hält ihn.
GESSLER erstaunt.
Er hat geschossen? Wie? der Rasende!
BERTA.
Der Knabe lebt! kommt zu Euch, guter Vater!
WALTER TELL kommt mit dem Apfel gesprungen.
Vater, hier ist der Apfel – Wußt ichs ja,
Du würdest deinen Knaben nicht verletzen.
Tell stand mit vorgebognem Leib, als wollt er dem Pfeil folgen – die Armbrust entsinkt seiner Hand – wie er den Knaben kommen sieht, eilt er ihm mit
ausgebreiteten Armen entgegen und hebt ihn mit heftiger Inbrunst zu seinem Herzen hinauf, in dieser Stellung sinkt er kraftlos zusammen. Alle stehen gerührt.
BERTA.
O gütger Himmel!
WALTER FÜRST zu Vater und Sohn.
Kinder! meine Kinder!
STAUFFACHER.
Gott sei gelobt!
LEUTHOLD.
Das war ein Schuß! Davon
Wird man noch reden in den spätsten Zeiten.
RUDOLF DER HARRAS.
Erzählen wird man von dem Schützen Tell,
Solang die Berge stehn auf ihrem Grunde.
Reicht dem Landvogt den Apfel.
GESSLER.
Bei Gott, der Apfel mitten durchgeschossen!
Es war ein Meisterschuß, ich muß ihn loben.
RÖSSELMANN.
Der Schuß war gut, doch wehe dem, der ihn
Dazu getrieben, daß er Gott versuchte.
STAUFFACHER.
Kommt zu Euch, Tell, steht auf, Ihr habt Euch männlich
Gelöst, und frei könnt Ihr nach Hause gehen.
RÖSSELMANN.
Kommt, kommt und bringt der Mutter ihren Sohn.
Sie wollen ihn wegführen.
GESSLER.
Tell, höre!
TELL kommt zurück.
Was befehlt Ihr, Herr?
GESSLER.
Du stecktest
Noch einen zweiten Pfeil zu dir – Ja, ja,
Ich sah es wohl – Was meintest du damit?
TELL verlegen.
Herr, das ist also bräuchlich bei den Schützen.
GESSLER.
Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten,
Es wird was anders wohl bedeutet haben.
Sag mir die Wahrheit frisch und fröhlich, Tell,
Was es auch sei, dein Leben sichr ich dir.
Wozu der zweite Pfeil?
TELL.
Wohlan, o Herr,
Weil Ihr mich meines Lebens habt gesichert,
So will ich Euch die Wahrheit gründlich sagen.
Er zieht den Pfeil aus dem Goller und sieht den Landvogt mit einem furchtbaren Blick an.
Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß ich – Euch,
Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
Und Eurer – wahrlich! hätt ich nicht gefehlt.
GESSLER.
Wohl, Tell! Des Lebens hab ich dich gesichert,
Ich gab mein Ritterwort, das will ich halten –
Doch weil ich deinen bösen Sinn erkannt,
Will ich dich führen lassen und verwahren,
Wo weder Mond noch Sonne dich bescheint,
Damit ich sicher sei vor deinen Pfeilen.
Ergreift ihn, Knechte! Bindet ihn!
Tell wird gebunden.
STAUFFACHER.
Wie, Herr?
So könntet Ihr an einem Manne handeln,
An dem sich Gottes Hand sichtbar verkündigt?
GESSLER.
Laß sehn, ob sie ihn zweimal retten wird.
– Man bring ihn auf mein Schiff, ich folge nach
Sogleich, ich selbst will ihn nach Küßnacht führen.
RÖSSELMANN.
Ihr wollt ihn außer Lands gefangen führen?
LANDLEUTE.
Das dürft Ihr nicht, das darf der Kaiser nicht,
Das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen!
GESSLER.
Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestätigt?
Er hat sie nicht bestätigt – Diese Gunst
Muß erst erworben werden durch Gehorsam.
Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers
Gericht und nährt verwegene Empörung.
Ich kenn euch alle – ich durchschau euch ganz –
Den nehm ich jetzt heraus aus eurer Mitte,
Doch alle seid ihr teilhaft seiner Schuld.
Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen.
Er enfernt sich, Berta, Rudenz, Harras und Knechte folgen, Frießhardt und Leuthold bleiben zurück.
WALTER FÜRST in heftigem Schmerz.
Es ist vorbei, er hats beschlossen, mich
Mit meinem ganzen Hause zu verderben!
STAUFFACHER zum Tell.
O warum mußtet Ihr den Wütrich reizen!
TELL.
Bezwinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt!
STAUFFACHER.
O nun ist alles, alles hin! Mit Euch
Sind wir gefesselt alle und gebunden!
LANDLEUTE umringen den Tell.
Mit Euch geht unser letzter Trost dahin!
LEUTHOLD nähert sich.
Tell, es erbarmt mich – doch ich muß gehorchen.
TELL.
Lebt wohl!
WALTER TELL sich mit heftigem Schmerz an ihm schmiegend.
O Vater! Vater! Lieber Vater!
TELL hebt die Arme zum Himmel.
Dort droben ist dein Vater! den ruf an!
STAUFFACHER.
Tell, sag ich Eurem Weibe nichts von Euch?
TELL hebt den Knaben mit Inbrunst an seine Brust.
Der Knab ist unverletzt, mir wird Gott helfen.
Reißt sich schnell los und folgt den Waffenknechten.
Vierter Aufzug
Erste Szene
Östliches Ufer des Vierwaldstättensees.
Die seltsam gestalteten schroffen Felsen im Westen schließen den Prospekt.
Der See ist bewegt, heftiges Rauschen und Tosen, dazwischen Blitze und Donnerschläge.
Kurz von Gersau. Fischer und Fischerknabe.
KUNZ.
Ich sahs mit Augen an, Ihr könnt mirs glauben,
's ist alles so geschehn, wie ich Euch sagte.
FISCHER.
Der Tell gefangen abgeführt nach Küßnacht,
Der beste Mann im Land, der bravste Arm,
Wenns einmal gelten sollte für die Freiheit.
KUNZ.
Der Landvogt führt ihn selbst den See herauf,
Sie waren eben dran sich einzuschiffen,
Als ich von Flüelen abfuhr, doch der Sturm,
Der eben jetzt im Anzug ist, und der
Auch mich gezwungen, eilends hier zu landen,
Mag ihre Abfahrt wohl verhindert haben.
FISCHER.
Der Tell in Fesseln, in des Vogts Gewalt!
O glaubt, er wird ihn tief genug vergraben,
Daß er des Tages Licht nicht wieder sieht!
Denn fürchten muß er die gerechte Rache
Des freien Mannes, den er schwer gereizt!
KUNZ.
Der Altlandammann auch, der edle Herr
Von Attinghausen, sagt man, lieg am Tode.
FISCHER.
So bricht der letzte Anker unsrer Hoffnung!
Der war es noch allein, der seine Stimme
Erheben durfte für des Volkes Rechte!
KUNZ.
Der Sturm nimmt überhand. Gehabt Euch wohl,
Ich nehme Herberg in dem Dorf, denn heut
Ist doch an keine Abfahrt mehr zu denken.
Geht ab.
FISCHER.
Der Tell gefangen und der Freiherr tot!
Erheb die freche Stirne, Tyrannei,
Wirf alle Scham hinweg, der Mund der Wahrheit
Ist stumm, das sehnde Auge ist geblendet,
Der Arm, der retten sollte, ist gefesselt!
KNABE.
Es hagelt schwer, kommt in die Hütte, Vater,
Es ist nicht kommlich, hier im Freien hausen.
FISCHER.
Raset, ihr Winde, flammt herab, ihr Blitze,
Ihr Wolken berstet, gießt herunter, Ströme
Des Himmels und ersäuft das Land! Zerstört
Im Keim die ungeborenen Geschlechter!
Ihr wilden Elemente werdet Herr,
Ihr Bären kommt, ihr alten Wölfe wieder
Der großen Wüste, euch gehört das Land,
Wer wird hier leben wollen ohne Freiheit!
KNABE.
Hört, wie der Abgrund tost, der Wirbel brüllt,
So hats noch nie gerast in diesem Schlunde!
FISCHER.
Zu zielen auf des eignen Kindes Haupt,
Solches ward keinem Vater noch geboten!
Und die Natur soll nicht in wildem Grimm
Sich drob empören – O mich solls nicht wundern,
Wenn sich die Felsen bücken in den See,
Wenn jene Zacken, jene Eisestürme,
Die nie auftauten seit dem Schöpfungstag,
Von ihren hohen Kulmen niederschmelzen,
Wenn die Berge brechen, wenn die alten Klüfte
Einstürzen, eine zweite Sündflut alle
Wohnstätten der Lebendigen verschlingt!
Man hört läuten.
KNABE.
Hört Ihr, sie läuten droben auf dem Berg,
Gewiß hat man ein Schiff in Not gesehn,
Und zieht die Glocke, daß gebetet werde.
Steigt auf eine Anhöhe.
FISCHER.
Wehe dem Fahrzeug, das jetzt unterwegs,
In dieser furchtbarn Wiege wird gewiegt!
Hier ist das Steuer unnütz und der Steurer,
Der Sturm ist Meister, Wind und Welle spielen
Ball mit dem Menschen – Da ist nah und fern
Kein Busen, der ihm freundlich Schutz gewährte!
Handlos und schroff ansteigend starren ihm
Die Felsen, die unwirtlichen, entgegen,
Und weisen ihm nur ihre steinern schroffe Brust.
KNABE deutet links.
Vater, ein Schiff, es kommt von Flüelen her.
FISCHER.
Gott helf den armen Leuten! Wenn der Sturm
In dieser Wasserkluft sich erst verfangen,
Dann rast er um sich mit des Raubtiers Angst,
Das an des Gitters Eisenstäbe schlägt,
Die Pforte sucht er heulend sich vergebens,
Denn ringsum schränken ihn die Felsen ein,
Die himmelhoch den engen Paß vermauren.
Er steigt auf die Anhöhe.
KNABE.
Es ist das Herrenschiff von Uri, Vater,
Ich kenns am roten Dach und an der Fahne.
FISCHER.
Gerichte Gottes! Ja, er ist es selbst,
Der Landvogt, der da fährt – Dort schifft er hin,
Und führt im Schiffe sein Verbrechen mit!
Schnell hat der Arm des Rächers ihn gefunden,
Jetzt kennt er über sich den stärkern Herrn,
Diese Wellen geben nicht auf seine Stimme,
Diese Felsen bücken ihre Häupter nicht
Vor seinem Hute – Knabe, bete nicht,
Greif nicht dem Richter in den Arm!
KNABE.
Ich bete für den Landvogt nicht – Ich bete
Für den Tell, der auf dem Schiff sich mit befindet.
FISCHER.
O Unvernunft des blinden Elements!
Mußt du, um einen Schuldigen zu treffen,
Das Schiff mitsamt dem Steuermann verderben!
KNABE.
Sieh, sieh, sie waren glücklich schon vorbei
Am Buggisgrat, doch die Gewalt des Sturms,
Der von dem Teufelsmünster widerprallt,
Wirft sie zum großen Axenberg zurück.
– Ich seh sie nicht mehr.
FISCHER.
Dort ist das Hakmesser,
Wo schon der Schiffe mehrere gebrochen.
Wenn sie nicht weislich dort vorüberlenken,
So wird das Schiff zerschmettert an der Fluh,
Die sich gähstotzig absenkt in die Tiefe.
– Sie haben einen guten Steuermann
Am Bord, könnt einer retten, wärs der Tell,
Doch dem sind Arm und Hände ja gefesselt.
Wilhelm Tell mit der Armbrust. Er kommt mit raschen Schritten, blickt erstaunt umher und zeigt die heftigste Bewegung. Wenn er mitten auf der Szene ist, wirft er sich nieder, die Hände zu der Erde und dann zum Himmel ausbreitend.
KNABE bemerkt ihn.
Sieh, Vater, wer der Mann ist, der dort kniet?
FISCHER.
Er faßt die Erde an mit seinen Händen,
Und scheint wie außer sich zu sein.
KNABE kommt vorwärts.
Was seh ich! Vater! Vater, kommt und seht!
FISCHER nähert sich.
Wer ist es? – Gott im Himmel! Was! der Tell?
Wie kommt Ihr hieher? Redet!
KNABE.
Wart Ihr nicht
Dort auf dem Schiff gefangen und gebunden?
FISCHER.
Ihr wurdet nicht nach Küßnacht abgeführt?
TELL steht auf.
Ich bin befreit.
FISCHER UND KNABE.
Befreit! O Wunder Gottes!
KNABE.
Wo kommt Ihr her?
TELL.
Dort aus dem Schiffe.
FISCHER.
Was?
KNABE zugleich.
Wo ist der Landvogt?
TELL.
Auf den Wellen treibt er.
FISCHER.
Ists möglich? Aber Ihr? Wie seid Ihr hier?
Seid Euren Banden und dem Sturm entkommen?
TELL.
Durch Gottes gnädge Fürsehung – Hört an!
FISCHER UND KNABE.
O redet, redet!
TELL.
Was in Altorf sich
Begeben, wißt Ihrs?
FISCHER.
Alles weiß ich, redet!
TELL.
Daß mich der Landvogt fahren ließ und binden,
Nach seiner Burg zu Küßnacht wollte führen.
FISCHER.
Und sich mit Euch zu Flüelen eingeschifft!
Wir wissen alles, sprecht, wie Ihr entkommen?
TELL.
Ich lag im Schiff, mit Stricken fest gebunden,
Wehrlos, ein aufgegebner Mann – nicht hofft ich,
Das frohe Licht der Sonne mehr zu sehn,
Der Gattin und der Kinder liebes Antlitz,
Und trostlos blickt ich in die Wasserwüste –
FISCHER.
O armer Mann!
TELL.
So fuhren wir dahin,
Der Vogt, Rudolf der Harras und die Knechte.
Mein Köcher aber mit der Armbrust lag
Am hintern Gransen bei dem Steuerruder.
Und als wir an die Ecke jetzt gelangt
Beim kleinen Axen, da verhängt' es Gott,
Daß solch ein grausam mördrisch Ungewitter
Gählings herfürbrach aus des Gotthards Schlünden,
Daß allen Ruderern das Herz entsank,
Und meinten alle, elend zu ertrinken.
Da hört ichs, wie der Diener einer sich
Zum Landvogt wendet' und die Worte sprach:
Ihr sehet Eure Not und unsre, Herr,
Und daß wir all am Rand des Todes schweben –
Die Steuerleute aber wissen sich
Für großer Furcht nicht Rat und sind des Fahrens
Nicht wohl berichtet – Nun aber ist der Tell
Ein starker Mann und weiß ein Schiff zu steuern,
Wie, wenn wir sein jetzt brauchten in der Not?
Da sprach der Vogt zu mir: Tell, wenn du dirs
Getrautest, uns zu helfen aus dem Sturm,
So möcht ich dich der Bande wohl entledgen.
Ich aber sprach: Ja, Herr, mit Gottes Hülfe
Getrau ich mirs, und helf uns wohl hiedannen.
So ward ich meiner Bande los und stand
Am Steuerruder und fuhr redlich hin.
Doch schielt ich seitwärts, wo mein Schießzeug lag,
Und an dem Ufer merkt ich scharf umher,
Wo sich ein Vorteil auftät zum Entspringen.
Und wie ich eines Felsenriffs gewahre,
Das abgeplattet vorsprang in den See –
FISCHER.
Ich kenns, es ist am Fuß des großen Axen,
Doch nicht für möglich acht ichs – so gar steil
Gehts an – vom Schiff es springend abzureichen –
TELL.
Schrie ich den Knechten, handlich zuzugehn,
Bis daß wir vor die Felsenplatte kämen,
Dort, rief ich, sei das Ärgste überstanden –
Und als wir sie frischrudernd bald erreicht,
Fleh ich die Gnade Gottes an, und drücke,
Mit allen Leibeskräften angestemmt,
Den hintern Gransen an die Felswand hin –
Jetzt schnell mein Schießzeug fassend, schwing ich selbst
Hochspringend auf die Platte mich hinauf,
Und mit gewaltgem Fußstoß hinter mich
Schleudr ich das Schifflein in den Schlund der Wasser –
Dort mags, wie Gott will, auf den Wellen treiben!
So bin ich hier, gerettet aus des Sturms
Gewalt und aus der schlimmeren der Menschen.
FISCHER.
Tell, Tell, ein sichtbar Wunder hat der Herr
An Euch getan, kaum glaub ichs meinen Sinnen –
Doch saget! Wo gedenket Ihr jetzt hin,
Denn Sicherheit ist nicht für Euch, wofern
Der Landvogt lebend diesem Sturm entkommt.
TELL.
Ich hört ihn sagen, da ich noch im Schiff
Gebunden lag, er woll bei Brunnen landen,
Und über Schwyz nach seiner Burg mich führen.
FISCHER.
Will er den Weg dahin zu Lande nehmen?
TELL.
Er denkts.
FISCHER.
O so verbergt Euch ohne Säumen,
Nicht zweimal hilft Euch Gott aus seiner Hand.
TELL.
Nennt mir den nächsten Weg nach Arth und Küßnacht.
FISCHER.
Die offne Straße zieht sich über Steinen,
Doch einen kürzern Weg und heimlichern
Kann Euch mein Knabe über Lowerz führen.
TELL gibt ihm die Hand.
Gott lohn Euch Eure Guttat. Lebet wohl.
Geht und kehrt wieder um.
– Habt Ihr nicht auch im Rütli mitgeschworen?
Mir deucht, man nannt Euch mir –
FISCHER.
Ich war dabei,
Und hab den Eid des Bundes mit beschworen.
TELL.
So eilt nach Bürglen, tut die Lieb mir an,
Mein Weib verzagt um mich, verkündet ihr,
Daß ich gerettet sei und wohl geborgen.
FISCHER.
Doch wohin sag ich ihr, daß Ihr geflohn?
TELL.
Ihr werdet meinen Schwäher bei ihr finden
Und andre, die im Rütli mitgeschworen –
Sie sollen wacker sein und gutes Muts,
Der Tell sei frei und seines Armes mächtig,
Bald werden sie ein Weitres von mir hören.
FISCHER.
Was habt Ihr im Gemüt? Entdeckt mirs frei.
TELL.
Ist es getan, wirds auch zur Rede kommen.
Geht ab.
FISCHER.
Zeig ihm den Weg, Jenni – Gott steh ihm bei!
Er führts zum Ziel, was er auch unternommen.
Geht ab.
Zweite Szene
Edelhof zu Attinghausen.
Der Freiherr, in einem Armsessel, sterbend. Walter Fürst, Stauffacher, Melchthal und Baumgarten um ihn beschäftigt. Walter Tell knieend vor dem Sterbenden.
WALTER FÜRST.
Es ist vorbei mit ihm, er ist hinüber.
STAUFFACHER.
Er liegt nicht wie ein Toter – Seht, die Feder
Auf seinen Lippen regt sich! Ruhig ist
Sein Schlaf, und friedlich lächeln seine Züge.
Baumgarten geht an die Türe und spricht mit jemand.
WALTER FÜRST zu Baumgarten.
Wer ists?
BAUMGARTEN kommt zurück.
Es ist Frau Hedwig, Eure Tochter,
Sie will Euch sprechen, will den Knaben sehn.
Walter Tell richtet sich auf.
WALTER FÜRST.
Kann ich sie trösten? Hab ich selber Trost?
Häuft alles Leiden sich auf meinem Haupt?
HEDWIG hereindringend.
Wo ist mein Kind? Laßt mich, ich muß es sehn –
STAUFFACHER.
Faßt Euch, bedenkt, daß Ihr im Haus des Todes –
HEDWIG stürzt auf den Knaben.
Mein Wälty! O er lebt mir.
WALTER TELL hängt an ihr.
Arme Mutter!
HEDWIG.
Ists auch gewiß? Bist du mir unverletzt?
Betrachtet ihn mit ängstlicher Sorgfalt.
Und ist es möglich? Konnt er auf dich zielen?
Wie konnt ers? O er hat kein Herz – Er konnte
Den Pfeil abdrücken auf sein eignes Kind!
WALTER FÜRST.
Er tats mit Angst, mit schmerzzerrißner Seele,
Gezwungen tat ers, denn es galt das Leben.
HEDWIG.
O hätt er eines Vaters Herz, eh ers
Getan, er wäre tausendmal gestorben!
STAUFFACHER.
Ihr solltet Gottes gnädge Schickung preisen,
Die es so gut gelenkt –
HEDWIG.
Kann ich vergessen,
Wies hätte kommen können – Gott des Himmels!
Und lebt ich achtzig Jahr – Ich seh den Knaben ewig
Gebunden stehn, den Vater auf ihn zielen,
Und ewig fliegt der Pfeil mir in das Herz.
MELCHTHAL.
Frau, wüßtet Ihr, wie ihn der Vogt gereizt!
HEDWIG.
O rohes Herz der Männer! Wenn ihr Stolz
Beleidigt wird, dann achten sie nichts mehr,
Sie setzen in der blinden Wut des Spiels
Das Haupt des Kindes und das Herz der Mutter!
BAUMGARTEN.
Ist Eures Mannes Los nicht hart genug,
Daß Ihr mit schwerem Tadel ihn noch kränkt?
Für seine Leiden habt ihr kein Gefühl?
HEDWIG kehrt sich nach ihm um und sieht ihn mit einem großen Blick an.
Hast du nur Tränen für des Freundes Unglück?
– Wo waret ihr, da man den Trefflichen
In Bande schlug? Wo war da eure Hülfe?
Ihr sahet zu, ihr ließt das Gräßliche geschehn,
Geduldig littet ihrs, daß man den Freund
Aus eurer Mitte führte – Hat der Tell
Auch so an euch gehandelt? Stand er auch
Bedaurend da, als hinter dir die Reiter
Des Landvogts drangen, als der wütge See
Vor dir erbrauste? Nicht mit müßgen Tränen
Beklagt' er dich, in den Nachen sprang er, Weib
Und Kind vergaß er und befreite dich –
WALTER FÜRST.
Was konnten wir zu seiner Rettung wagen,
Die kleine Zahl, die unbewaffnet war!
HEDWIG wirft sich an seine Brust.
O Vater! Und auch du hast ihn verloren!
Das Land, wir alle haben ihn verloren!
Uns allen fehlt er, ach! wir fehlen ihm!
Gott rette seine Seele vor Verzweiflung.
Zu ihm hinab ins öde Burgverlies
Dringt keines Freundes Trost – Wenn er erkrankte!
Ach, in des Kerkers feuchter Finsternis
Muß er erkranken – Wie die Alpenrose
Bleicht und verkümmert in der Sumpfesluft,
So ist für ihn kein Leben als im Licht
Der Sonne, in dem Balsamstrom der Lüfte.
Gefangen! Er! Sein Atem ist die Freiheit,
Er kann nicht leben in dem Hauch der Grüfte.
STAUFFACHER.
Beruhigt Euch. Wir alle wollen handeln,
Um seinen Kerker aufzutun.
HEDWIG.
Was könnt ihr schaffen ohne ihn? – Solang
Der Tell noch frei war, ja, da war noch Hoffnung,
Da hatte noch die Unschuld einen Freund,
Da hatte einen Helfer der Verfolgte,
Euch alle rettete der Tell – Ihr alle
Zusammen könnt nicht seine Fesseln lösen!
Der Freiherr erwacht.
BAUMGARTEN.
Er regt sich, still!
ATTINGHAUSEN sich aufrichtend.
Wo ist er?
STAUFFACHER.
Wer?
ATTINGHAUSEN.
Er fehlt mir,
Verläßt mich in dem letzten Augenblick!
STAUFFACHER.
Er meint den Junker – Schickte man nach ihm?
WALTER FÜRST.
Es ist nach ihm gesendet – Tröstet Euch!
Er hat sein Herz gefunden, er ist unser.
ATTINGHAUSEN.
Hat er gesprochen für sein Vaterland?
STAUFFACHER.
Mit Heldenkühnheit.
ATTINGHAUSEN.
Warum kommt er nicht,
Um meinen letzten Segen zu empfangen?
Ich fühle, daß es schleunig mit mir endet.
STAUFFACHER.
Nicht also, edler Herr! Der kurze Schlaf
Hat Euch erquickt, und hell ist Euer Blick.
ATTINGHAUSEN.
Der Schmerz ist Leben, er verließ mich auch,
Das Leiden ist, so wie die Hoffnung, aus.
Er bemerkt den Knaben.
Wer ist der Knabe?
WALTER FÜRST.
Segnet ihn, o Herr!
Er ist mein Enkel und ist vaterlos.
Hedwig sinkt mit dem Knaben vor dem Sterbenden nieder.
ATTINGHAUSEN.
Und vaterlos laß ich euch alle, alle
Zurück – Weh mir, daß meine letzten Blicke
Den Untergang des Vaterlands gesehn!
Mußt ich des Lebens höchstes Maß erreichen,
Um ganz mit allen Hoffnungen zu sterben!
STAUFFACHER zu Walter Fürst.
Soll er in diesem finstern Kummer scheiden?
Erhellen wir ihm nicht die letzte Stunde
Mit schönem Strahl der Hoffnung? – Edler Freiherr!
Erhebet Euren Geist! Wir sind nicht ganz
Verlassen, sind nicht rettungslos verloren.
ATTINGHAUSEN.
Wer soll euch retten?
WALTER FÜRST.
Wir uns selbst. Vernehmt!
Es haben die drei Lande sich das Wort
Gegeben, die Tyrannen zu verjagen.
Geschlossen ist der Bund, ein heilger Schwur
Verbindet uns. Es wird gehandelt werden,
Eh noch das Jahr den neuen Kreis beginnt,
Euer Staub wird ruhn in einem freien Lande.
ATTINGHAUSEN.
O saget mir! Geschlossen ist der Bund?
MELCHTHAL.
Am gleichen Tage werden alle drei
Waldstätte sich erheben. Alles ist
Bereit, und das Geheimnis wohlbewahrt
Bis jetzt, obgleich viel Hunderte es teilen.
Hohl ist der Boden unter den Tyrannen,
Die Tage ihrer Herrschaft sind gezählt,
Und bald ist ihre Spur nicht mehr zu finden.
ATTINGHAUSEN.
Die festen Burgen aber in den Landen?
MELCHTHAL.
Sie fallen alle an dem gleichen Tag.
ATTINGHAUSEN.
Und sind die Edeln dieses Bunds teilhaftig?
STAUFFACHER.
Wir harren ihres Beistands, wenn es gilt,
Jetzt aber hat der Landmann nur geschworen.
ATTINGHAUSEN richtet sich langsam in die Höhe, mit großem Erstaunen.
Hat sich der Landmann solcher Tat verwogen,
Aus eignem Mittel, ohne Hülf der Edeln,
Hat er der eignen Kraft so viel vertraut –
Ja, dann bedarf es unserer nicht mehr,
Getröstet können wir zu Grabe steigen,
Es lebt nach uns – durch andre Kräfte will
Das Herrliche der Menschheit sich erhalten.
Er legt seine Hand auf das Haupt des Kindes, das vor ihm auf den Knien liegt.
Aus diesem Haupte, wo der Apfel lag,
Wird euch die neue beßre Freiheit grünen,
Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.
STAUFFACHER zu Walter Fürst.
Seht, welcher Glanz sich um sein Aug ergießt!
Das ist nicht das Erlöschen der Natur,
Das ist der Strahl schon eines neuen Lebens.
ATTINGHAUSEN.
Der Adel steigt von seinen alten Burgen
Und schwört den Städten seinen Bürgereid,
Im Üchtland schon, im Thurgau hats begonnen,
Die edle Bern erhebt ihr herrschend Haupt,
Freiburg ist eine sichre Burg der Freien,
Die rege Zürich waffnet ihre Zünfte
Zum kriegerischen Heer – es bricht die Macht
Der Könige sich an ihren ewgen Wällen –
Er spricht das Folgende mit dem Ton eines Sehers – seine Rede steigt bis zur Begeisterung.
Die Fürsten seh ich und die edeln Herrn
In Harnischen herangezogen kommen,
Ein harmlos Volk von Hirten zu bekriegen.
Auf Tod und Leben wird gekämpft, und herrlich
Wird mancher Paß durch blutige Entscheidung.
Der Landmann stürzt sich mit der nackten Brust,
Ein freies Opfer, in die Schar der Lanzen,
Er bricht sie, und des Adels Blüte fällt,
Es hebt die Freiheit siegend ihre Fahne.
Walter Fürsts und Stauffachers Hände fassend.
Drum haltet fest zusammen – fest und ewig –
Kein Ort der Freiheit sei dem andern fremd –
Hochwachten stellet aus auf euren Bergen,
Daß sich der Bund zum Bunde rasch versammle –
Seid einig – einig – einig –
Er fällt in das Küssen zurück – seine Hände halten entseelt noch die andern gefaßt. Fürst und
Stauffacher betrachten ihn noch eine Zeitlang schweigend, dann treten sie hinweg, jeder seinem Schmerz überlassen. Unterdessen sind die Knechte still hereingedrungen, sie nähern sich mit Zeichen eines stillern oder heftigern Schmerzens, einige knien bei ihm nieder und weinen auf seine Hand, während dieser stummen Szene wird die Burgglocke geläutet.
Rudenz zu den Vorigen.
RUDENZ rasch eintretend.
Lebt er? O saget, kann er mich noch hören?
WALTER FÜRST deutet hin mit weggewandtem Gesicht.
Ihr seid jetzt unser Lehensherr und Schirmer,
Und dieses Schloß hat einen andern Namen.
RUDENZ erblickt den Leichnam und steht von heftigem Schmerz ergriffen.
O gütger Gott! – Kommt meine Reu zu spät?
Konnt er nicht wen'ge Pulse länger leben,
Um mein geändert Herz zu sehn?
Verachtet hab ich seine treue Stimme,
Da er noch wandelte im Licht – Er ist
Dahin, ist fort auf immerdar und läßt mir
Die schwere unbezahlte Schuld! – O saget!
Schied er dahin im Unmut gegen mich?
STAUFFACHER.
Er hörte sterbend noch, was Ihr getan,
Und segnete den Mut, mit dem Ihr spracht!
RUDENZ kniet an dem Toten nieder.
Ja, heilge Reste eines teuren Mannes!
Entseelter Leichnam! Hier gelob ich dirs
In deine kalte Totenhand – Zerrissen
Hab ich auf ewig alle fremden Bande,
Zurückgegeben bin ich meinem Volk,
Ein Schweizer bin ich und ich will es sein –
Von ganzer Seele – –
Aufstehend.
Trauert um den Freund,
Den Vater aller, doch verzaget nicht!
Nicht bloß sein Erbe ist mir zugefallen,
Es steigt sein Herz, sein Geist auf mich herab,
Und leisten soll euch meine frische Jugend,
Was euch sein greises Alter schuldig blieb.
– Ehrwürdger Vater, gebt mir Eure Hand!
Gebt mir die Eurige! Melchthal, auch Ihr!
Bedenkt Euch nicht! O wendet Euch nicht weg!
Empfanget meinen Schwur und mein Gelübde.
WALTER FÜRST.
Gebt ihm die Hand. Sein wiederkehrend Herz
Verdient Vertraun.
MELCHTHAL.
Ihr habt den Landmann nichts geachtet.
Sprecht, wessen soll man sich zu Euch versehn?
RUDENZ.
O denket nicht des Irrtums meiner Jugend!
STAUFFACHER zu Melchthal.
Seid einig, war das letzte Wort des Vaters,
Gedenket dessen!
MELCHTHAL.
Hier ist meine Hand!
Des Bauern Handschlag, edler Herr, ist auch
Ein Manneswort! Was ist der Ritter ohne uns?
Und unser Stand ist älter als der Eure.
RUDENZ.
Ich ehr ihn, und mein Schwert soll ihn beschützen.
MELCHTHAL.
Der Arm, Herr Freiherr, der die harte Erde
Sich unterwirft und ihren Schoß befruchtet,
Kann auch des Mannes Brust beschützen.
RUDENZ.
Ihr
Sollt meine Brust, ich will die eure schützen,
So sind wir einer durch den andern stark.
– Doch wozu reden, da das Vaterland
Ein Raub noch ist der fremden Tyrannei?
Wenn erst der Boden rein ist von dem Feind,
Dann wollen wirs in Frieden schon vergleichen.
Nachdem er einen Augenblick innegehalten.
Ihr schweigt? Ihr habt mir nichts zu sagen? Wie?
Verdien ichs noch nicht, daß ihr mir vertraut?
So muß ich wider euren Willen mich
In das Geheimnis eures Bundes drängen.
– Ihr habt getagt – geschworen auf dem Rütli –
Ich weiß – weiß alles, was ihr dort verhandelt,
Und was mir nicht von euch vertrauet ward,
Ich habs bewahrt gleich wie ein heilig Pfand.
Nie war ich meines Landes Feind, glaubt mir,
Und niemals hätt ich gegen euch gehandelt.
– Doch übel tatet ihr, es zu verschieben,
Die Stunde dringt, und rascher Tat bedarfs –
Der Tell ward schon das Opfer eures Säumens –
STAUFFACHER.
Das Christfest abzuwarten schwuren wir.
RUDENZ.
Ich war nicht dort, ich hab nicht mitgeschworen.
Wartet ihr ab, ich handle.
MELCHTHAL.
Was? Ihr wolltet –
RUDENZ.
Des Landes Vätern zähl ich mich jetzt bei,
Und meine erste Pflicht ist, euch zu schützen.
WALTER FÜRST.
Der Erde diesen teuren Staub zu geben,
Ist Eure nächste Pflicht und heiligste.
RUDENZ.
Wenn wir das Land befreit, dann legen wir
Den frischen Kranz des Siegs ihm auf die Bahre.
– O Freunde! Eure Sache nicht allein,
Ich habe meine eigne auszufechten
Mit dem Tyrannen – Hört und wißt! Verschwunden
Ist meine Berta, heimlich weggeraubt,
Mit kecker Freveltat aus unsrer Mitte!
STAUFFACHER.
Solcher Gewalttat hätte der Tyrann
Wider die freie Edle sich verwogen?
RUDENZ.
O meine Freunde! Euch versprach ich Hülfe,
Und ich zuerst muß sie von euch erflehn.
Geraubt, entrissen ist mir die Geliebte,
Wer weiß, wo sie der Wütende verbirgt,
Welcher Gewalt sie frevelnd sich erkühnen,
Ihr Herz zu zwingen zum verhaßten Band!
Verlaßt mich nicht, o helft mir sie erretten –
Sie liebt euch, o sie hats verdient ums Land,
Daß alle Arme sich für sie bewaffnen –
WALTER FÜRST.
Was wollt Ihr unternehmen?
RUDENZ.
Weiß ichs? Ach!
In dieser Nacht, die ihr Geschick umhüllt,
In dieses Zweifels ungeheurer Angst,
Wo ich nichts Festes zu erfassen weiß,
Ist mir nur dieses in der Seele klar:
Unter den Trümmern der Tyrannenmacht
Allein kann sie hervorgegraben werden,
Die Festen alle müssen wir bezwingen,
Ob wir vielleicht in ihren Kerker dringen.
MELCHTHAL.
Kommt, führt uns an. Wir folgen Euch. Warum
Bis morgen sparen, was wir heut vermögen?
Frei war der Tell, als wir im Rütli schwuren,
Das Ungeheure war noch nicht geschehen.
Es bringt die Zeit ein anderes Gesetz,
Wer ist so feig, der jetzt noch könnte zagen!
RUDENZ zu Stauffacher und Walter Fürst.
Indes bewaffnet und zum Werk bereit
Erwartet ihr der Berge Feuerzeichen,
Denn schneller als ein Botensegel fliegt,
Soll euch die Botschaft unsers Siegs erreichen,
Und seht ihr leuchten die willkommnen Flammen,
Dann auf die Feinde stürzt, wie Wetters Strahl,
Und brecht den Bau der Tyrannei zusammen.
Gehen ab.
Dritte Szene
Die hohle Gasse bei Küßnacht.
Man steigt von hinten zwischen Felsen herunter, und die Wanderer werden, ehe sie auf der Szene erscheinen, schon von der Höhe gesehen. Felsen umschließen die ganze Szene, auf einem der vordersten ist ein Vorsprung mit Gesträuch bewachsen.
TELL tritt auf mit der Armbrust.
Durch diese hohle Gasse muß er kommen,
Es führt kein andrer Weg nach Küßnacht – Hier
Vollend ichs – Die Gelegenheit ist günstig.
Dort der Holunderstrauch verbirgt mich ihm,
Von dort herab kann ihn mein Pfeil erlangen,
Des Weges Enge wehret den Verfolgern.
Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt,
Fort mußt du, deine Uhr ist abgelaufen.
Ich lebte still und harmlos – Das Geschoß
War auf des Waldes Tiere nur gerichtet,
Meine Gedanken waren rein von Mord –
Du hast aus meinem Frieden mich heraus
Geschreckt, in gärend Drachengift hast du
Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt,
Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt –
Wer sich des Kindes Haupt zum Ziele setzte,
Der kann auch treffen in das Herz des Feinds.
Die armen Kindlein, die unschuldigen,
Das treue Weib muß ich vor deiner Wut
Beschützen, Landvogt – Da, als ich den Bogenstrang
Anzog – als mir die Hand erzitterte –
Als du mit grausam teufelischer Lust
Mich zwangst, aufs Haupt des Kindes anzulegen –
Als ich ohnmächtig flehend rang vor dir,
Damals gelobt ich mir in meinem Innern
Mit furchtbarm Eidschwur, den nur Gott gehört,
Daß meines nächsten Schusses erstes Ziel
Dein Herz sein sollte – Was ich mir gelobt
In jenes Augenblickes Höllenqualen,
Ist eine heilge Schuld, ich will sie zahlen.
Du bist mein Herr und meines Kaisers Vogt,
Doch nicht der Kaiser hätte sich erlaubt,
Was du – Er sandte dich in diese Lande,
Um Recht zu sprechen – strenges, denn er zürnet –
Doch nicht, um mit der mörderischen Lust
Dich jedes Greuels straflos zu erfrechen,
Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen.
Komm du hervor, du Bringer bittrer Schmerzen,
Mein teures Kleinod jetzt, mein höchster Schatz –
Ein Ziel will ich dir geben, das bis jetzt
Der frommen Bitte undurchdringlich war –
Doch dir soll es nicht widerstehn – Und du,
Vertraute Bogensehne, die so oft
Mir treu gedient hat in der Freude Spielen,
Verlaß mich nicht im fürchterlichen Ernst.
Nur jetzt noch halte fest, du treuer Strang,
Der mir so oft den herben Pfeil beflügelt –
Entränn er jetzo kraftlos meinen Händen,
Ich habe keinen zweiten zu versenden.
Wanderer gehen über die Szene.
Auf dieser Bank von Stein will ich mich setzen,
Dem Wanderer zur kurzen Ruh bereitet –
Denn hier ist keine Heimat – Jeder treibt
Sich an dem andern rasch und fremd vorüber,
Und fraget nicht nach seinem Schmerz – Hier geht
Der sorgenvolle Kaufmann und der leicht
Geschürzte Pilger – der andächtge Mönch,
Der düstre Räuber und der heitre Spielmann,
Der Säumer mit dem schwer beladnen Roß,
Der ferne herkommt von der Menschen Ländern,
Denn jede Straße führt ans End der Welt.
Sie alle ziehen ihres Weges fort
An ihr Geschäft – und meines ist der Mord!
Setzt sich.
Sonst wenn der Vater auszog, liebe Kinder,
Da war ein Freuen, wenn er wiederkam,
Denn niemals kehrt er heim, er bracht euch etwas,
Wars eine schöne Alpenblume, wars
Ein seltner Vogel oder Ammonshorn,
Wie es der Wandrer findet auf den Bergen –
Jetzt geht er einem andern Weidwerk nach,
Am wilden Weg sitzt er mit Mordgedanken,
Des Feindes Leben ists, worauf er lauert.
– Und doch an euch nur denkt er, lieben Kinder,
Auch jetzt – euch zu verteidgen, eure holde Unschuld
Zu schützen vor der Rache des Tyrannen,
Will er zum Morde jetzt den Bogen spannen!
Steht auf.
Ich laure auf ein edles Wild – Läßt sichs
Der Jäger nicht verdrießen, tagelang
Umherzustreifen in des Winters Strenge,
Von Fels zu Fels den Wagesprung zu tun,
Hinanzuklimmen an den glatten Wänden,
Wo er sich anleimt mit dem eignen Blut,
– Um ein armselig Grattier zu erjagen.
Hier gilt es einen köstlicheren Preis,
Das Herz des Todfeinds, der mich will verderben.
Man hört von ferne eine heitre Musik, welche sich nähert.
Mein ganzes Leben lang hab ich den Bogen
Gehandhabt, mich geübt nach Schützenregel,
Ich habe oft geschossen in das Schwarze
Und manchen schönen Preis mir heimgebracht
Vom Freudenschießen – Aber heute will ich
Den Meisterschuß tun und das Beste mir
Im ganzen Umkreis des Gebirgs gewinnen.
Eine Hochzeit zieht über die Szene und durch den Hohlweg hinauf. Tell betrachtet sie, auf seinen Bogen gelehnt, Stüssi der Flurschütz gesellt sich zu ihm.
STÜSSI.
Das ist der Klostermeir von Mörlischachen,
Der hier den Brautlauf hält – Ein reicher Mann,
Er hat wohl zehen Senten auf den Alpen.
Die Braut holt er jetzt ab zu Imisee,
Und diese Nacht wird hoch geschwelgt zu Küßnacht.
Kommt mit! 's ist jeder Biedermann geladen.
TELL.
Ein ernster Gast stimmt nicht zum Hochzeithaus.
STÜSSI.
Drückt Euch ein Kummer, werft ihn frisch vom Herzen,
Nehmt mit, was kommt, die Zeiten sind jetzt schwer.
Drum muß der Mensch die Freude leicht ergreifen.
Hier wird gefreit und anderswo begraben.
TELL.
Und oft kommt gar das eine zu dem andern.
STÜSSI.
So geht die Welt nun.
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