Sie gehen an dem Hut vorbei gegen die vordere Szene, ohne darauf zu achten.

 

WALTER zeigt nach dem Bannberg.

Vater, ists wahr, daß auf dem Berge dort

Die Bäume bluten, wenn man einen Streich

Drauf führte mit der Axt?

TELL.

Wer sagt das, Knabe?

WALTER.

Der Meister Hirt erzählts – Die Bäume seien

Gebannt, sagt er, und wer sie schädige,

Dem wachse sein Hand heraus zum Grabe.

TELL.

Die Bäume sind gebannt, das ist die Wahrheit.

– Siehst du die Firnen dort, die weißen Hörner,

Die hoch bis in den Himmel sich verlieren?

WALTER.

Das sind die Gletscher, die des Nachts so donnern,

Und uns die Schlaglawinen niedersenden.

TELL.

So ists, und die Lawinen hätten längst

Den Flecken Altorf unter ihrer Last

Verschüttet, wenn der Wald dort oben nicht

Als eine Landwehr sich dagegenstellte.

WALTER nach einigem Besinnen.

Gibts Länder, Vater, wo nicht Berge sind?

TELL.

Wenn man hinuntersteigt von unsern Höhen,

Und immer tiefer steigt, den Strömen nach,

Gelangt man in ein großes, ebnes Land,

Wo die Waldwasser nicht mehr brausend schäumen,

Die Flüsse ruhig und gemächlich ziehn,

Da sieht man frei nach allen Himmelsräumen,

Das Korn wächst dort in langen, schönen Auen,

Und wie ein Garten ist das Land zu schauen.

WALTER.

Ei, Vater, warum steigen wir denn nicht

Geschwind hinab in dieses schöne Land,

Statt daß wir uns hier ängstigen und plagen?

TELL.

Das Land ist schön und gütig wie der Himmel,

Doch die's bebauen, sie genießen nicht

Den Segen, den sie pflanzen.

WALTER.

Wohnen sie

Nicht frei wie du auf ihrem eignen Erbe?

TELL.

Das Feld gehört dem Bischof und dem König.

WALTER.

So dürfen sie doch frei in Wäldern jagen?

TELL.

Dem Herrn gehört das Wild und das Gefieder.

WALTER.

Sie dürfen doch frei fischen in dem Strom?

TELL.

Der Strom, das Meer, das Salz gehört dem König.

WALTER.

Wer ist der König denn, den alle fürchten?

TELL.

Es ist der eine, der sie schützt und nährt.

WALTER.

Sie können sich nicht mutig selbst beschützen?

TELL.

Dort darf der Nachbar nicht dem Nachbar trauen.

WALTER.

Vater, es wird mir eng im weiten Land,

Da wohn ich lieber unter den Lawinen.

TELL.

Ja, wohl ists besser, Kind, die Gletscherberge

Im Rücken haben, als die bösen Menschen.

 

Sie wollen vorübergehen.

 

WALTER.

Ei, Vater, sieh den Hut dort auf der Stange.

TELL.

Was kümmert uns der Hut? Komm, laß uns gehen.

 

Indem er abgehen will, tritt ihm Frießhardt mit vorgehaltner Pike entgegen.

 

FRIESSHARDT.

In des Kaisers Namen! Haltet an und steht!

TELL greift in die Pike.

Was wollt Ihr? Warum haltet Ihr mich auf?

FRIESSHARDT.

Ihr habts Mandat verletzt, Ihr müßt uns folgen.

LEUTHOLD.

Ihr habt dem Hut nicht Reverenz bewiesen.

TELL.

Freund, laß mich gehen.

FRIESSHARDT.

Fort, fort ins Gefängnis!

WALTER.

Den Vater ins Gefängnis! Hülfe! Hülfe!

 

In die Szene rufend.

 

Herbei, ihr Männer, gute Leute, helft,

Gewalt, Gewalt, sie führen ihn gefangen.

 

Rösselmann der Pfarrer und Petermann der Sigrist kommen herbei, mit drei andern Männern.

 

SIGRIST.

Was gibts?

RÖSSELMANN.

Was legst du Hand an diesen Mann?

FRIESSHARDT.

Er ist ein Feind des Kaisers, ein Verräter!

TELL faßt ihn heftig.

Ein Verräter, ich!

RÖSSELMANN.

Du irrst dich, Freund, das ist

Der Tell, ein Ehrenmann und guter Bürger.

WALTER erblickt Walter Fürsten und eilt ihm entgegen.

Großvater, hilf, Gewalt geschieht dem Vater.

FRIESSHARDT.

Ins Gefängnis, fort!

WALTER FÜRST herbeieilend.

Ich leiste Bürgschaft, haltet!

– Um Gotteswillen, Tell, was ist geschehen?

 

Melchthal und Stauffacher kommen.

 

FRIESSHARDT.

Des Landvogts oberherrliche Gewalt

Verachtet er, und will sie nicht erkennen.

STAUFFACHER.

Das hätt der Tell getan?

MELCHTHAL.

Das lügst du, Bube!

LEUTHOLD.

Er hat dem Hut nicht Reverenz bewiesen.

WALTER FÜRST.

Und darum soll er ins Gefängnis? Freund,

Nimm meine Bürgschaft an und laß ihn ledig.

FRIESSHARDT.

Bürg du für dich und deinen eignen Leib!

Wir tun, was unsers Amtes – Fort mit ihm!

MELCHTHAL zu den Landleuten.

Nein, das ist schreiende Gewalt! Ertragen wirs,

Daß man ihn fortführt, frech, vor unsern Augen?

SIGRIST.

Wir sind die Stärkern. Freunde, duldets nicht,

Wir haben einen Rücken an den andern!

FRIESSHARDT.

Wer widersetzt sich dem Befehl des Vogts?

NOCH DREI LANDLEUTE herbeieilend.

Wir helfen euch. Was gibts? Schlagt sie zu Boden.

 

Hildegard, Mechthild und Elsbet kommen zurück.

 

TELL.

Ich helfe mir schon selbst. Geht, gute Leute,

Meint ihr, wenn ich die Kraft gebrauchen wollte,

Ich würde mich vor ihren Spießen fürchten?

MELCHTHAL zu Frießhardt.

Wags, ihn aus unsrer Mitte wegzuführen!

WALTER FÜRST UND STAUFFACHER.

Gelassen! Ruhig!

FRIESSHARDT schreit.

Aufruhr und Empörung!

 

Man hört Jagdhörner.

 

WEIBER.

Da kommt der Landvogt!

FRIESSHARDT erhebt die Stimme.

Meuterei! Empörung!

STAUFFACHER.

Schrei, bis du berstest, Schurke!

RÖSSELMANN UND MELCHTHAL.

Willst du schweigen?

FRIESSHARDT ruft noch lauter.

Zu Hülf, zu Hülf den Dienern des Gesetzes.

WALTER FÜRST.

Da ist der Vogt! Weh uns, was wird das werden!

 

Geßler zu Pferd, den Falken auf der Faust, Rudolf der Harras, Berta und Rudenz, ein großes Gefolge von bewaffneten Knechten, welche einen Kreis von Piken um die ganze Szene schließen.

 

RUDOLF DER HARRAS.

Platz, Platz dem Landvogt!

GESSLER.

Treibt sie auseinander!

Was läuft das Volk zusammen? Wer ruft Hülfe?

 

Allgemeine Stille.

 

Wer wars? Ich will es wissen.

 

Zu Frießhardt.

 

Du tritt vor!

Wer bist du und was hältst du diesen Mann?

 

Er gibt den Falken einem Diener.

 

FRIESSHARDT.

Gestrenger Herr, ich bin dein Waffenknecht

Und wohlbestellter Wächter bei dem Hut.

Diesen Mann ergriff ich über frischer Tat,

Wie er dem Hut den Ehrengruß versagte.

Verhaften wollt ich ihn, wie du befahlst,

Und mit Gewalt will ihn das Volk entreißen.

GESSLER nach einer Pause.

Verachtest du so deinen Kaiser, Tell,

Und mich, der hier an seiner Statt gebietet,

Daß du die Ehr versagst dem Hut, den ich

Zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen?

Dein böses Trachten hast du mir verraten.

TELL.

Verzeiht mir, lieber Herr! Aus Unbedacht,

Nicht aus Verachtung Eurer ists geschehn,

Wär ich besonnen, hieß ich nicht der Tell,

Ich bitt um Gnad, es soll nicht mehr begegnen.

GESSLER nach einigem Stillschweigen.

Du bist ein Meister auf der Armbrust, Tell,

Man sagt, du nähmst es auf mit jedem Schützen?

WALTER TELL.

Und das muß wahr sein, Herr – 'nen Apfel schießt

Der Vater dir vom Baum auf hundert Schritte.

GESSLER.

Ist das dein Knabe, Tell?

TELL.

Ja, lieber Herr.

GESSLER.

Hast du der Kinder mehr?

TELL.

Zwei Knaben, Herr.

GESSLER.

Und welcher ists, den du am meisten liebst?

TELL.

Herr, beide sind sie mir gleich liebe Kinder.

GESSLER.

Nun, Tell! weil du den Apfel triffst vom Baume

Auf hundert Schritte, so wirst du deine Kunst

Vor mir bewähren müssen – Nimm die Armbrust –

Du hast sie gleich zur Hand – und mach dich fertig,

Einen Apfel von des Knaben Kopf zu schießen –

Doch will ich raten, ziele gut, daß du

Den Apfel treffest auf den ersten Schuß,

Denn fehlst du ihn, so ist dein Kopf verloren.

 

Alle geben Zeichen des Schreckens.

 

TELL.

Herr – Welches Ungeheure sinnet Ihr

Mir an – Ich soll vom Haupte meines Kindes –

– Nein, nein doch, lieber Herr, das kömmt Euch nicht

Zu Sinn – Verhüts der gnädge Gott – das könnt Ihr

Im Ernst von einem Vater nicht begehren!

GESSLER.

Du wirst den Apfel schießen von dem Kopf

Des Knaben – Ich begehrs und wills.

TELL.

Ich soll

Mit meiner Armbrust auf das liebe Haupt

Des eignen Kindes zielen – Eher sterb ich!

GESSLER.

Du schießest oder stirbst mit deinem Knaben.

TELL.

Ich soll der Mörder werden meines Kinds!

Herr, Ihr habt keine Kinder – wisset nicht,

Was sich bewegt in eines Vaters Herzen.

GESSLER.

Ei, Tell, du bist ja plötzlich so besonnen!

Man sagte mir, daß du ein Träumer seist,

Und dich entfernst von andrer Menschen Weise.

Du liebst das Seltsame – drum hab ich jetzt

Ein eigen Wagstück für dich ausgesucht.

Ein andrer wohl bedächte sich – Du drückst

Die Augen zu, und greifst es herzhaft an.

BERTA.

Scherzt nicht, o Herr! mit diesen armen Leuten!

Ihr seht sie bleich und zitternd stehn – So wenig

Sind sie Kurzweils gewohnt aus Eurem Munde.

GESSLER.

Wer sagt Euch, daß ich scherze?

 

Greift nach einem Baumzweige, der über ihn herhängt.

 

Hier ist der Apfel.

Man mache Raum – Er nehme seine Weite,

Wies Brauch ist – Achtzig Schritte geb ich ihm –

Nicht weniger, noch mehr – Er rühmte sich,

Auf ihrer hundert seinen Mann zu treffen –

Jetzt, Schütze, triff, und fehle nicht das Ziel!

RUDOLF DER HARRAS.

Gott, das wird ernsthaft – Falle nieder, Knabe,

Es gilt, und fleh den Landvogt um dein Leben.

WALTER FÜRST beiseite zu Melchthal, der kaum seine Ungeduld bezwingt.

Haltet an Euch, ich fleh Euch drum, bleibt ruhig.

BERTA zum Landvogt.

Laßt es genug sein, Herr! Unmenschlich ists,

Mit eines Vaters Angst also zu spielen.

Wenn dieser arme Mann auch Leib und Leben

Verwirkt durch seine leichte Schuld, bei Gott!

Er hätte jetzt zehnfachen Tod empfunden.

Entlaßt ihn ungekränkt in seine Hütte,

Er hat Euch kennen lernen, dieser Stunde

Wird er und seine Kindeskinder denken.

GESSLER.

Öffnet die Gasse – Frisch! Was zauderst du?

Dein Leben ist verwirkt, ich kann dich töten,

Und sieh, ich lege gnädig dein Geschick

In deine eigne kunstgeübte Hand.

Der kann nicht klagen über harten Spruch,

Den man zum Meister seines Schicksals macht.

Du rühmst dich deines sichern Blicks. Wohlan!

Hier gilt es, Schütze, deine Kunst zu zeigen,

Das Ziel ist würdig und der Preis ist groß!

Das Schwarze treffen in der Scheibe, das

Kann auch ein andrer! der ist mir der Meister,

Der seiner Kunst gewiß ist überall,

Dems Herz nicht in die Hand tritt noch ins Auge.

WALTER FÜRST wirft sich vor ihm nieder.

Herr Landvogt, wir erkennen Eure Hoheit,

Doch lasset Gnad vor Recht ergehen, nehmt

Die Hälfte meiner Habe, nehmt sie ganz,

Nur dieses Gräßliche erlasset einem Vater!

WALTER TELL.

Großvater, knie nicht vor dem falschen Mann!

Sagt, wo ich hinstehn soll, ich fürcht mich nicht,

Der Vater trifft den Vogel ja im Flug,

Er wird nicht fehlen auf das Herz des Kindes.

STAUFFACHER.

Herr Landvogt, rührt Euch nicht des Kindes Unschuld?

RÖSSELMANN.

O denket, daß ein Gott im Himmel ist,

Dem Ihr müßt Rede stehn für Eure Taten.

GESSLER zeigt auf den Knaben.

Man bind ihn an die Linde dort!

WALTER TELL.

Mich binden!

Nein, ich will nicht gebunden sein. Ich will

Still halten, wie ein Lamm, und auch nicht atmen.

Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ichs nicht,

So werd ich toben gegen meine Bande.

RUDOLF DER HARRAS.

Die Augen nur laß dir verbinden, Knabe.

WALTER TELL.

Warum die Augen? Denket Ihr, ich fürchte

Den Pfeil von Vaters Hand? Ich will ihn fest

Erwarten, und nicht zucken mit den Wimpern.

– Frisch, Vater, zeigs, daß du ein Schütze bist,

Er glaubt dirs nicht, er denkt uns zu verderben –

Dem Wütrich zum Verdrusse, schieß und triff.

 

Er geht an die Linde, man legt ihm den Apfel auf.

 

MELCHTHAL zu den Landleuten.

Was? Soll der Frevel sich vor unsern Augen

Vollenden? Wozu haben wir geschworen?

STAUFFACHER.

Es ist umsonst. Wir haben keine Waffen,

Ihr seht den Wald von Lanzen um uns her.

MELCHTHAL.

O hätten wirs mit frischer Tat vollendet,

Verzeihs Gott denen, die zum Aufschub rieten!

GESSLER zum Tell.

Ans Werk! Man führt die Waffen nicht vergebens.

Gefährlich ists, ein Mordgewehr zu tragen,

Und auf den Schützen springt der Pfeil zurück.

Dies stolze Recht, das sich der Bauer nimmt,

Beleidiget den höchsten Herrn des Landes.

Gewaffnet sei niemand, als wer gebietet.

Freuts euch, den Pfeil zu führen und den Bogen,

Wohl, so will ich das Ziel euch dazu geben.

TELL spannt die Armbrust und legt den Pfeil auf.

Öffnet die Gasse! Platz!

STAUFFACHER.

Was, Tell? Ihr wolltet – Nimmermehr – Ihr zittert,

Die Hand erbebt Euch, Eure Kniee wanken –

TELL läßt die Armbrust sinken.

Mir schwimmt es vor den Augen!

WEIBER.

Gott im Himmel!

TELL zum Landvogt.

Erlasset mir den Schuß. Hier ist mein Herz!

 

Er reißt die Brust auf.

 

Ruft Eure Reisigen und stoßt mich nieder.

GESSLER.

Ich will dein Leben nicht, ich will den Schuß.

– Du kannst ja alles, Tell, an nichts verzagst du,

Das Steuerruder führst du wie den Bogen,

Dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt,

Jetzt, Retter, hilf dir selbst – du rettest alle!

 

Tell steht in fürchterlichem Kampf, mit den Händen zuckend und die rollenden Augen bald auf den Landvogt, bald zum Himmel gerichtet. – Plötzlich greift er in seinen Köcher, nimmt einen zweiten Pfeil heraus und steckt ihn in seinen Goller. Der Landvogt bemerkt alle diese Bewegungen.

 

WALTER TELL unter der Linde.

Vater, schieß zu, ich fürcht mich nicht.

TELL.

Es muß!

 

Er rafft sich zusammen und legt an.

 

RUDENZ der die ganze Zeit über in der heftigsten Spannung gestanden und mit Gewalt an sich gehalten, tritt hervor.

Herr Landvogt, weiter werdet Ihrs nicht treiben,

Ihr werdet nicht – Es war nur eine Prüfung –

Den Zweck habt Ihr erreicht – Zu weit getrieben

Verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks,

Und allzu straff gespannt zerspringt der Bogen.

GESSLER.

Ihr schweigt, bis man Euch aufruft.

RUDENZ.

Ich will reden,

Ich darfs, des Königs Ehre ist mir heilig,

Doch solches Regiment muß Haß erwerben.

Das ist des Königs Wille nicht – Ich darfs

Behaupten – Solche Grausamkeit verdient

Mein Volk nicht, dazu habt Ihr keine Vollmacht.

GESSLER.

Ha, Ihr erkühnt Euch!

RUDENZ.

Ich hab still geschwiegen

Zu allen schweren Taten, die ich sah,

Mein sehend Auge hab ich zugeschlossen,

Mein überschwellend und empörtes Herz

Hab ich hinabgedrückt in meinen Busen.

Doch länger schweigen wär Verrat zugleich

An meinem Vaterland und an dem Kaiser.

BERTA wirft sich zwischen ihn und den Landvogt.

O Gott, Ihr reizt den Wütenden noch mehr.

RUDENZ.

Mein Volk verließ ich, meinen Blutsverwandten

Entsagt ich, alle Bande der Natur

Zerriß ich, um an Euch mich anzuschließen –

Das Beste aller glaubt ich zu befördern,

Da ich des Kaisers Macht befestigte –

Die Binde fällt von meinen Augen – Schaudernd

Seh ich an einen Abgrund mich geführt –

Mein freies Urteil habt Ihr irrgeleitet,

Mein redlich Herz verführt – Ich war daran,

Mein Volk in bester Meinung zu verderben.

GESSLER.

Verwegner, diese Sprache deinem Herrn?

RUDENZ.

Der Kaiser ist mein Herr, nicht Ihr – Frei bin ich

Wie Ihr geboren, und ich messe mich

Mit Euch in jeder ritterlichen Tugend.

Und stündet Ihr nicht hier in Kaisers Namen,

Den ich verehre, selbst wo man ihn schändet,

Den Handschuh wärf ich vor Euch hin, Ihr solltet

Nach ritterlichem Brauch mir Antwort geben.

– Ja, winkt nur Euren Reisigen – Ich stehe

Nicht wehrlos da, wie die –

 

Auf das Volk zeigend.

 

Ich hab ein Schwert,

Und wer mir naht –

STAUFFACHER ruft.

Der Apfel ist gefallen!

 

Indem sich alle nach dieser Seite gewendet und Berta zwischen Rudenz und den Landvogt sich geworfen, hat Tell den Pfeil abgedrückt.

 

RÖSSELMANN.

Der Knabe lebt!

VIELE STIMMEN.

Der Apfel ist getroffen!

 

Walter Fürst schwankt und droht zu sinken, Berta hält ihn.

 

GESSLER erstaunt.

Er hat geschossen? Wie? der Rasende!

BERTA.

Der Knabe lebt! kommt zu Euch, guter Vater!

WALTER TELL kommt mit dem Apfel gesprungen.

Vater, hier ist der Apfel – Wußt ichs ja,

Du würdest deinen Knaben nicht verletzen.

 

Tell stand mit vorgebognem Leib, als wollt er dem Pfeil folgen – die Armbrust entsinkt seiner Hand – wie er den Knaben kommen sieht, eilt er ihm mit

ausgebreiteten Armen entgegen und hebt ihn mit heftiger Inbrunst zu seinem Herzen hinauf, in dieser Stellung sinkt er kraftlos zusammen. Alle stehen gerührt.

 

BERTA.

O gütger Himmel!

WALTER FÜRST zu Vater und Sohn.

Kinder! meine Kinder!

STAUFFACHER.

Gott sei gelobt!

LEUTHOLD.

Das war ein Schuß! Davon

Wird man noch reden in den spätsten Zeiten.

RUDOLF DER HARRAS.

Erzählen wird man von dem Schützen Tell,

Solang die Berge stehn auf ihrem Grunde.

 

Reicht dem Landvogt den Apfel.

 

GESSLER.

Bei Gott, der Apfel mitten durchgeschossen!

Es war ein Meisterschuß, ich muß ihn loben.

RÖSSELMANN.

Der Schuß war gut, doch wehe dem, der ihn

Dazu getrieben, daß er Gott versuchte.

STAUFFACHER.

Kommt zu Euch, Tell, steht auf, Ihr habt Euch männlich

Gelöst, und frei könnt Ihr nach Hause gehen.

RÖSSELMANN.

Kommt, kommt und bringt der Mutter ihren Sohn.

 

Sie wollen ihn wegführen.

 

GESSLER.

Tell, höre!

TELL kommt zurück.

Was befehlt Ihr, Herr?

GESSLER.

Du stecktest

Noch einen zweiten Pfeil zu dir – Ja, ja,

Ich sah es wohl – Was meintest du damit?

TELL verlegen.

Herr, das ist also bräuchlich bei den Schützen.

GESSLER.

Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten,

Es wird was anders wohl bedeutet haben.

Sag mir die Wahrheit frisch und fröhlich, Tell,

Was es auch sei, dein Leben sichr ich dir.

Wozu der zweite Pfeil?

TELL.

Wohlan, o Herr,

Weil Ihr mich meines Lebens habt gesichert,

So will ich Euch die Wahrheit gründlich sagen.

 

Er zieht den Pfeil aus dem Goller und sieht den Landvogt mit einem furchtbaren Blick an.

 

Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß ich – Euch,

Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,

Und Eurer – wahrlich! hätt ich nicht gefehlt.

GESSLER.

Wohl, Tell! Des Lebens hab ich dich gesichert,

Ich gab mein Ritterwort, das will ich halten –

Doch weil ich deinen bösen Sinn erkannt,

Will ich dich führen lassen und verwahren,

Wo weder Mond noch Sonne dich bescheint,

Damit ich sicher sei vor deinen Pfeilen.

Ergreift ihn, Knechte! Bindet ihn!

 

Tell wird gebunden.

 

STAUFFACHER.

Wie, Herr?

So könntet Ihr an einem Manne handeln,

An dem sich Gottes Hand sichtbar verkündigt?

GESSLER.

Laß sehn, ob sie ihn zweimal retten wird.

– Man bring ihn auf mein Schiff, ich folge nach

Sogleich, ich selbst will ihn nach Küßnacht führen.

RÖSSELMANN.

Ihr wollt ihn außer Lands gefangen führen?

LANDLEUTE.

Das dürft Ihr nicht, das darf der Kaiser nicht,

Das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen!

GESSLER.

Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestätigt?

Er hat sie nicht bestätigt – Diese Gunst

Muß erst erworben werden durch Gehorsam.

Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers

Gericht und nährt verwegene Empörung.

Ich kenn euch alle – ich durchschau euch ganz –

Den nehm ich jetzt heraus aus eurer Mitte,

Doch alle seid ihr teilhaft seiner Schuld.

Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen.

 

Er enfernt sich, Berta, Rudenz, Harras und Knechte folgen, Frießhardt und Leuthold bleiben zurück.

 

WALTER FÜRST in heftigem Schmerz.

Es ist vorbei, er hats beschlossen, mich

Mit meinem ganzen Hause zu verderben!

STAUFFACHER zum Tell.

O warum mußtet Ihr den Wütrich reizen!

TELL.

Bezwinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt!

STAUFFACHER.

O nun ist alles, alles hin! Mit Euch

Sind wir gefesselt alle und gebunden!

LANDLEUTE umringen den Tell.

Mit Euch geht unser letzter Trost dahin!

LEUTHOLD nähert sich.

Tell, es erbarmt mich – doch ich muß gehorchen.

TELL.

Lebt wohl!

WALTER TELL sich mit heftigem Schmerz an ihm schmiegend.

O Vater! Vater! Lieber Vater!

TELL hebt die Arme zum Himmel.

Dort droben ist dein Vater! den ruf an!

STAUFFACHER.

Tell, sag ich Eurem Weibe nichts von Euch?

TELL hebt den Knaben mit Inbrunst an seine Brust.

Der Knab ist unverletzt, mir wird Gott helfen.

 

Reißt sich schnell los und folgt den Waffenknechten.

 

 

Vierter Aufzug

 

Erste Szene

Östliches Ufer des Vierwaldstättensees.

Die seltsam gestalteten schroffen Felsen im Westen schließen den Prospekt.

Der See ist bewegt, heftiges Rauschen und Tosen, dazwischen Blitze und Donnerschläge.

Kurz von Gersau. Fischer und Fischerknabe.

 

KUNZ.

Ich sahs mit Augen an, Ihr könnt mirs glauben,

's ist alles so geschehn, wie ich Euch sagte.

FISCHER.

Der Tell gefangen abgeführt nach Küßnacht,

Der beste Mann im Land, der bravste Arm,

Wenns einmal gelten sollte für die Freiheit.

KUNZ.

Der Landvogt führt ihn selbst den See herauf,

Sie waren eben dran sich einzuschiffen,

Als ich von Flüelen abfuhr, doch der Sturm,

Der eben jetzt im Anzug ist, und der

Auch mich gezwungen, eilends hier zu landen,

Mag ihre Abfahrt wohl verhindert haben.

FISCHER.

Der Tell in Fesseln, in des Vogts Gewalt!

O glaubt, er wird ihn tief genug vergraben,

Daß er des Tages Licht nicht wieder sieht!

Denn fürchten muß er die gerechte Rache

Des freien Mannes, den er schwer gereizt!

KUNZ.

Der Altlandammann auch, der edle Herr

Von Attinghausen, sagt man, lieg am Tode.

FISCHER.

So bricht der letzte Anker unsrer Hoffnung!

Der war es noch allein, der seine Stimme

Erheben durfte für des Volkes Rechte!

KUNZ.

Der Sturm nimmt überhand. Gehabt Euch wohl,

Ich nehme Herberg in dem Dorf, denn heut

Ist doch an keine Abfahrt mehr zu denken.

 

Geht ab.

 

FISCHER.

Der Tell gefangen und der Freiherr tot!

Erheb die freche Stirne, Tyrannei,

Wirf alle Scham hinweg, der Mund der Wahrheit

Ist stumm, das sehnde Auge ist geblendet,

Der Arm, der retten sollte, ist gefesselt!

KNABE.

Es hagelt schwer, kommt in die Hütte, Vater,

Es ist nicht kommlich, hier im Freien hausen.

FISCHER.

Raset, ihr Winde, flammt herab, ihr Blitze,

Ihr Wolken berstet, gießt herunter, Ströme

Des Himmels und ersäuft das Land! Zerstört

Im Keim die ungeborenen Geschlechter!

Ihr wilden Elemente werdet Herr,

Ihr Bären kommt, ihr alten Wölfe wieder

Der großen Wüste, euch gehört das Land,

Wer wird hier leben wollen ohne Freiheit!

KNABE.

Hört, wie der Abgrund tost, der Wirbel brüllt,

So hats noch nie gerast in diesem Schlunde!

FISCHER.

Zu zielen auf des eignen Kindes Haupt,

Solches ward keinem Vater noch geboten!

Und die Natur soll nicht in wildem Grimm

Sich drob empören – O mich solls nicht wundern,

Wenn sich die Felsen bücken in den See,

Wenn jene Zacken, jene Eisestürme,

Die nie auftauten seit dem Schöpfungstag,

Von ihren hohen Kulmen niederschmelzen,

Wenn die Berge brechen, wenn die alten Klüfte

Einstürzen, eine zweite Sündflut alle

Wohnstätten der Lebendigen verschlingt!

 

Man hört läuten.

 

KNABE.

Hört Ihr, sie läuten droben auf dem Berg,

Gewiß hat man ein Schiff in Not gesehn,

Und zieht die Glocke, daß gebetet werde.

 

Steigt auf eine Anhöhe.

 

FISCHER.

Wehe dem Fahrzeug, das jetzt unterwegs,

In dieser furchtbarn Wiege wird gewiegt!

Hier ist das Steuer unnütz und der Steurer,

Der Sturm ist Meister, Wind und Welle spielen

Ball mit dem Menschen – Da ist nah und fern

Kein Busen, der ihm freundlich Schutz gewährte!

Handlos und schroff ansteigend starren ihm

Die Felsen, die unwirtlichen, entgegen,

Und weisen ihm nur ihre steinern schroffe Brust.

KNABE deutet links.

Vater, ein Schiff, es kommt von Flüelen her.

FISCHER.

Gott helf den armen Leuten! Wenn der Sturm

In dieser Wasserkluft sich erst verfangen,

Dann rast er um sich mit des Raubtiers Angst,

Das an des Gitters Eisenstäbe schlägt,

Die Pforte sucht er heulend sich vergebens,

Denn ringsum schränken ihn die Felsen ein,

Die himmelhoch den engen Paß vermauren.

 

Er steigt auf die Anhöhe.

 

KNABE.

Es ist das Herrenschiff von Uri, Vater,

Ich kenns am roten Dach und an der Fahne.

FISCHER.

Gerichte Gottes! Ja, er ist es selbst,

Der Landvogt, der da fährt – Dort schifft er hin,

Und führt im Schiffe sein Verbrechen mit!

Schnell hat der Arm des Rächers ihn gefunden,

Jetzt kennt er über sich den stärkern Herrn,

Diese Wellen geben nicht auf seine Stimme,

Diese Felsen bücken ihre Häupter nicht

Vor seinem Hute – Knabe, bete nicht,

Greif nicht dem Richter in den Arm!

KNABE.

Ich bete für den Landvogt nicht – Ich bete

Für den Tell, der auf dem Schiff sich mit befindet.

FISCHER.

O Unvernunft des blinden Elements!

Mußt du, um einen Schuldigen zu treffen,

Das Schiff mitsamt dem Steuermann verderben!

KNABE.

Sieh, sieh, sie waren glücklich schon vorbei

Am Buggisgrat, doch die Gewalt des Sturms,

Der von dem Teufelsmünster widerprallt,

Wirft sie zum großen Axenberg zurück.

– Ich seh sie nicht mehr.

FISCHER.

Dort ist das Hakmesser,

Wo schon der Schiffe mehrere gebrochen.

Wenn sie nicht weislich dort vorüberlenken,

So wird das Schiff zerschmettert an der Fluh,

Die sich gähstotzig absenkt in die Tiefe.

– Sie haben einen guten Steuermann

Am Bord, könnt einer retten, wärs der Tell,

Doch dem sind Arm und Hände ja gefesselt.

 

Wilhelm Tell mit der Armbrust. Er kommt mit raschen Schritten, blickt erstaunt umher und zeigt die heftigste Bewegung. Wenn er mitten auf der Szene ist, wirft er sich nieder, die Hände zu der Erde und dann zum Himmel ausbreitend.

 

KNABE bemerkt ihn.

Sieh, Vater, wer der Mann ist, der dort kniet?

FISCHER.

Er faßt die Erde an mit seinen Händen,

Und scheint wie außer sich zu sein.

KNABE kommt vorwärts.

Was seh ich! Vater! Vater, kommt und seht!

FISCHER nähert sich.

Wer ist es? – Gott im Himmel! Was! der Tell?

Wie kommt Ihr hieher? Redet!

KNABE.

Wart Ihr nicht

Dort auf dem Schiff gefangen und gebunden?

FISCHER.

Ihr wurdet nicht nach Küßnacht abgeführt?

TELL steht auf.

Ich bin befreit.

FISCHER UND KNABE.

Befreit! O Wunder Gottes!

KNABE.

Wo kommt Ihr her?

TELL.

Dort aus dem Schiffe.

FISCHER.

Was?

KNABE zugleich.

Wo ist der Landvogt?

TELL.

Auf den Wellen treibt er.

FISCHER.

Ists möglich? Aber Ihr? Wie seid Ihr hier?

Seid Euren Banden und dem Sturm entkommen?

TELL.

Durch Gottes gnädge Fürsehung – Hört an!

FISCHER UND KNABE.

O redet, redet!

TELL.

Was in Altorf sich

Begeben, wißt Ihrs?

FISCHER.

Alles weiß ich, redet!

TELL.

Daß mich der Landvogt fahren ließ und binden,

Nach seiner Burg zu Küßnacht wollte führen.

FISCHER.

Und sich mit Euch zu Flüelen eingeschifft!

Wir wissen alles, sprecht, wie Ihr entkommen?

TELL.

Ich lag im Schiff, mit Stricken fest gebunden,

Wehrlos, ein aufgegebner Mann – nicht hofft ich,

Das frohe Licht der Sonne mehr zu sehn,

Der Gattin und der Kinder liebes Antlitz,

Und trostlos blickt ich in die Wasserwüste –

FISCHER.

O armer Mann!

TELL.

So fuhren wir dahin,

Der Vogt, Rudolf der Harras und die Knechte.

Mein Köcher aber mit der Armbrust lag

Am hintern Gransen bei dem Steuerruder.

Und als wir an die Ecke jetzt gelangt

Beim kleinen Axen, da verhängt' es Gott,

Daß solch ein grausam mördrisch Ungewitter

Gählings herfürbrach aus des Gotthards Schlünden,

Daß allen Ruderern das Herz entsank,

Und meinten alle, elend zu ertrinken.

Da hört ichs, wie der Diener einer sich

Zum Landvogt wendet' und die Worte sprach:

Ihr sehet Eure Not und unsre, Herr,

Und daß wir all am Rand des Todes schweben –

Die Steuerleute aber wissen sich

Für großer Furcht nicht Rat und sind des Fahrens

Nicht wohl berichtet – Nun aber ist der Tell

Ein starker Mann und weiß ein Schiff zu steuern,

Wie, wenn wir sein jetzt brauchten in der Not?

Da sprach der Vogt zu mir: Tell, wenn du dirs

Getrautest, uns zu helfen aus dem Sturm,

So möcht ich dich der Bande wohl entledgen.

Ich aber sprach: Ja, Herr, mit Gottes Hülfe

Getrau ich mirs, und helf uns wohl hiedannen.

So ward ich meiner Bande los und stand

Am Steuerruder und fuhr redlich hin.

Doch schielt ich seitwärts, wo mein Schießzeug lag,

Und an dem Ufer merkt ich scharf umher,

Wo sich ein Vorteil auftät zum Entspringen.

Und wie ich eines Felsenriffs gewahre,

Das abgeplattet vorsprang in den See –

FISCHER.

Ich kenns, es ist am Fuß des großen Axen,

Doch nicht für möglich acht ichs – so gar steil

Gehts an – vom Schiff es springend abzureichen –

TELL.

Schrie ich den Knechten, handlich zuzugehn,

Bis daß wir vor die Felsenplatte kämen,

Dort, rief ich, sei das Ärgste überstanden –

Und als wir sie frischrudernd bald erreicht,

Fleh ich die Gnade Gottes an, und drücke,

Mit allen Leibeskräften angestemmt,

Den hintern Gransen an die Felswand hin –

Jetzt schnell mein Schießzeug fassend, schwing ich selbst

Hochspringend auf die Platte mich hinauf,

Und mit gewaltgem Fußstoß hinter mich

Schleudr ich das Schifflein in den Schlund der Wasser –

Dort mags, wie Gott will, auf den Wellen treiben!

So bin ich hier, gerettet aus des Sturms

Gewalt und aus der schlimmeren der Menschen.

FISCHER.

Tell, Tell, ein sichtbar Wunder hat der Herr

An Euch getan, kaum glaub ichs meinen Sinnen –

Doch saget! Wo gedenket Ihr jetzt hin,

Denn Sicherheit ist nicht für Euch, wofern

Der Landvogt lebend diesem Sturm entkommt.

TELL.

Ich hört ihn sagen, da ich noch im Schiff

Gebunden lag, er woll bei Brunnen landen,

Und über Schwyz nach seiner Burg mich führen.

FISCHER.

Will er den Weg dahin zu Lande nehmen?

TELL.

Er denkts.

FISCHER.

O so verbergt Euch ohne Säumen,

Nicht zweimal hilft Euch Gott aus seiner Hand.

TELL.

Nennt mir den nächsten Weg nach Arth und Küßnacht.

FISCHER.

Die offne Straße zieht sich über Steinen,

Doch einen kürzern Weg und heimlichern

Kann Euch mein Knabe über Lowerz führen.

TELL gibt ihm die Hand.

Gott lohn Euch Eure Guttat. Lebet wohl.

 

Geht und kehrt wieder um.

 

– Habt Ihr nicht auch im Rütli mitgeschworen?

Mir deucht, man nannt Euch mir –

FISCHER.

Ich war dabei,

Und hab den Eid des Bundes mit beschworen.

TELL.

So eilt nach Bürglen, tut die Lieb mir an,

Mein Weib verzagt um mich, verkündet ihr,

Daß ich gerettet sei und wohl geborgen.

FISCHER.

Doch wohin sag ich ihr, daß Ihr geflohn?

TELL.

Ihr werdet meinen Schwäher bei ihr finden

Und andre, die im Rütli mitgeschworen –

Sie sollen wacker sein und gutes Muts,

Der Tell sei frei und seines Armes mächtig,

Bald werden sie ein Weitres von mir hören.

FISCHER.

Was habt Ihr im Gemüt? Entdeckt mirs frei.

TELL.

Ist es getan, wirds auch zur Rede kommen.

 

Geht ab.

 

FISCHER.

Zeig ihm den Weg, Jenni – Gott steh ihm bei!

Er führts zum Ziel, was er auch unternommen.

 

Geht ab.

 

 

Zweite Szene

Edelhof zu Attinghausen.

Der Freiherr, in einem Armsessel, sterbend. Walter Fürst, Stauffacher, Melchthal und Baumgarten um ihn beschäftigt. Walter Tell knieend vor dem Sterbenden.

 

WALTER FÜRST.

Es ist vorbei mit ihm, er ist hinüber.

STAUFFACHER.

Er liegt nicht wie ein Toter – Seht, die Feder

Auf seinen Lippen regt sich! Ruhig ist

Sein Schlaf, und friedlich lächeln seine Züge.

 

Baumgarten geht an die Türe und spricht mit jemand.

 

WALTER FÜRST zu Baumgarten.

Wer ists?

BAUMGARTEN kommt zurück.

Es ist Frau Hedwig, Eure Tochter,

Sie will Euch sprechen, will den Knaben sehn.

 

Walter Tell richtet sich auf.

 

WALTER FÜRST.

Kann ich sie trösten? Hab ich selber Trost?

Häuft alles Leiden sich auf meinem Haupt?

HEDWIG hereindringend.

Wo ist mein Kind? Laßt mich, ich muß es sehn –

STAUFFACHER.

Faßt Euch, bedenkt, daß Ihr im Haus des Todes –

HEDWIG stürzt auf den Knaben.

Mein Wälty! O er lebt mir.

WALTER TELL hängt an ihr.

Arme Mutter!

HEDWIG.

Ists auch gewiß? Bist du mir unverletzt?

 

Betrachtet ihn mit ängstlicher Sorgfalt.

 

Und ist es möglich? Konnt er auf dich zielen?

Wie konnt ers? O er hat kein Herz – Er konnte

Den Pfeil abdrücken auf sein eignes Kind!

WALTER FÜRST.

Er tats mit Angst, mit schmerzzerrißner Seele,

Gezwungen tat ers, denn es galt das Leben.

HEDWIG.

O hätt er eines Vaters Herz, eh ers

Getan, er wäre tausendmal gestorben!

STAUFFACHER.

Ihr solltet Gottes gnädge Schickung preisen,

Die es so gut gelenkt –

HEDWIG.

Kann ich vergessen,

Wies hätte kommen können – Gott des Himmels!

Und lebt ich achtzig Jahr – Ich seh den Knaben ewig

Gebunden stehn, den Vater auf ihn zielen,

Und ewig fliegt der Pfeil mir in das Herz.

MELCHTHAL.

Frau, wüßtet Ihr, wie ihn der Vogt gereizt!

HEDWIG.

O rohes Herz der Männer! Wenn ihr Stolz

Beleidigt wird, dann achten sie nichts mehr,

Sie setzen in der blinden Wut des Spiels

Das Haupt des Kindes und das Herz der Mutter!

BAUMGARTEN.

Ist Eures Mannes Los nicht hart genug,

Daß Ihr mit schwerem Tadel ihn noch kränkt?

Für seine Leiden habt ihr kein Gefühl?

HEDWIG kehrt sich nach ihm um und sieht ihn mit einem großen Blick an.

Hast du nur Tränen für des Freundes Unglück?

– Wo waret ihr, da man den Trefflichen

In Bande schlug? Wo war da eure Hülfe?

Ihr sahet zu, ihr ließt das Gräßliche geschehn,

Geduldig littet ihrs, daß man den Freund

Aus eurer Mitte führte – Hat der Tell

Auch so an euch gehandelt? Stand er auch

Bedaurend da, als hinter dir die Reiter

Des Landvogts drangen, als der wütge See

Vor dir erbrauste? Nicht mit müßgen Tränen

Beklagt' er dich, in den Nachen sprang er, Weib

Und Kind vergaß er und befreite dich –

WALTER FÜRST.

Was konnten wir zu seiner Rettung wagen,

Die kleine Zahl, die unbewaffnet war!

HEDWIG wirft sich an seine Brust.

O Vater! Und auch du hast ihn verloren!

Das Land, wir alle haben ihn verloren!

Uns allen fehlt er, ach! wir fehlen ihm!

Gott rette seine Seele vor Verzweiflung.

Zu ihm hinab ins öde Burgverlies

Dringt keines Freundes Trost – Wenn er erkrankte!

Ach, in des Kerkers feuchter Finsternis

Muß er erkranken – Wie die Alpenrose

Bleicht und verkümmert in der Sumpfesluft,

So ist für ihn kein Leben als im Licht

Der Sonne, in dem Balsamstrom der Lüfte.

Gefangen! Er! Sein Atem ist die Freiheit,

Er kann nicht leben in dem Hauch der Grüfte.

STAUFFACHER.

Beruhigt Euch. Wir alle wollen handeln,

Um seinen Kerker aufzutun.

HEDWIG.

Was könnt ihr schaffen ohne ihn? – Solang

Der Tell noch frei war, ja, da war noch Hoffnung,

Da hatte noch die Unschuld einen Freund,

Da hatte einen Helfer der Verfolgte,

Euch alle rettete der Tell – Ihr alle

Zusammen könnt nicht seine Fesseln lösen!

 

Der Freiherr erwacht.

 

BAUMGARTEN.

Er regt sich, still!

ATTINGHAUSEN sich aufrichtend.

Wo ist er?

STAUFFACHER.

Wer?

ATTINGHAUSEN.

Er fehlt mir,

Verläßt mich in dem letzten Augenblick!

STAUFFACHER.

Er meint den Junker – Schickte man nach ihm?

WALTER FÜRST.

Es ist nach ihm gesendet – Tröstet Euch!

Er hat sein Herz gefunden, er ist unser.

ATTINGHAUSEN.

Hat er gesprochen für sein Vaterland?

STAUFFACHER.

Mit Heldenkühnheit.

ATTINGHAUSEN.

Warum kommt er nicht,

Um meinen letzten Segen zu empfangen?

Ich fühle, daß es schleunig mit mir endet.

STAUFFACHER.

Nicht also, edler Herr! Der kurze Schlaf

Hat Euch erquickt, und hell ist Euer Blick.

ATTINGHAUSEN.

Der Schmerz ist Leben, er verließ mich auch,

Das Leiden ist, so wie die Hoffnung, aus.

 

Er bemerkt den Knaben.

 

Wer ist der Knabe?

WALTER FÜRST.

Segnet ihn, o Herr!

Er ist mein Enkel und ist vaterlos.

 

Hedwig sinkt mit dem Knaben vor dem Sterbenden nieder.

 

ATTINGHAUSEN.

Und vaterlos laß ich euch alle, alle

Zurück – Weh mir, daß meine letzten Blicke

Den Untergang des Vaterlands gesehn!

Mußt ich des Lebens höchstes Maß erreichen,

Um ganz mit allen Hoffnungen zu sterben!

STAUFFACHER zu Walter Fürst.

Soll er in diesem finstern Kummer scheiden?

Erhellen wir ihm nicht die letzte Stunde

Mit schönem Strahl der Hoffnung? – Edler Freiherr!

Erhebet Euren Geist! Wir sind nicht ganz

Verlassen, sind nicht rettungslos verloren.

ATTINGHAUSEN.

Wer soll euch retten?

WALTER FÜRST.

Wir uns selbst.